WAR SCHÖN. KANN WEG … Alter(n) in der Darstellenden Kunst

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Neue Schönheit braucht das Land

Dorothea Marcus

Neue Schönheit braucht das Land Über alternde Frauen(bilder) auf und vor ­deutschen Bühnen Ich bin Theaterkritikerin, 52 Jahre alt, und darf an dieser Stelle einen Text über das Altern auf der Bühne schreiben, aus der Sicht von Theater­kritikerinnen. Das Thema hat für mich zwei Aspekte: Der eine ist die Frage, was ich für Bilder älterer Frauen auf der Bühne sehe, in meinem Beruf, der mich ein- bis dreimal in der Woche ins Theater führt. Der andere Aspekt ist: Wie altern eigentlich Kritikerinnen in ihrem Beruf? Immerhin sind wir auch ein Bestandteil der Medienlandschaft, der journalistischen Öffentlichkeit. In ihrem niederschmetternden Buch Mutprobe hat die Journalistin und ehemalige taz-­ Chefredakteurin Bascha Mika im Jahr 2014 beschrieben, wie Frauen ab fünfzig in den Medien systematisch unsichtbar gemacht werden, gebeten werden, sich »jünger« zu operieren, zu gehen, gekündigt werden – oder freiwillig hinter den Kulissen verschwinden.1 Ist das acht Jahre später, in den Zeiten von stolzen über fünfzigjährigen Groß­ moderatorinnen wie Maybritt Illner, Sandra Maischberger, Marietta Slomka und Anne Will immer noch so? Und gilt das auch für Journalistinnen, die nicht ganz so bekannt sind? Doch zunächst zum ersten Punkt. Wenn ich auf der Bühne nämlich noch eine weitere junge Frau mit blonder Langhaarperücke, ­Glitzerjacke, Hot Pants und Plateaupumps sehe, das Abziehbild einer Sexarbeiterin, muss ich schreien. So zuletzt geschehen bei Großregisseur Frank Castorf, über siebzig Jahre alt, in seiner Molière-Inszenierung Anfang 2022 in Köln. Diesmal steckt die Schauspielerin Lola Klamroth im Prostituierten-Outfit; sie ist schätzungsweise um die ­dreißig Jahre alt. Zugegeben: Sie bekommt das total lässig hin, wirkt souverän und an keiner Stelle unterdrückt oder fremdbestimmt. ­Freiwillig rast sie in die Grenzüberschreitung, zu der Castorf alle Darsteller*­innen zwingt. Der ganze Kölner Molière ist eine Reflexion über (männliche) Macht und Machtverschiebung, über Tod und seine Überwindung durch Kunst. Um gerecht zu sein: Die lächerlichste Figur des Abends ist der dickliche, greinende Molière selbst, gespielt von Bruno Cathomas, der diese Figur in einer Mischung aus Castorf-­Porträt und barockem Karikatur-Großautoren mit kindlichem Ernst und doch ironisch distanziert unterwandert. So weit, so selbst-bespiegelnd

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