32 9/20 AUTO&SIE
Isabelle Riederer, ir@awverlag.ch
Klischees ade
V
ielleicht ist es Ihnen ja aufgefallen, aber die AUTO&Sie Doppelseite hat in den letzten drei Ausgaben gefehlt. Das war Absicht! Ich wollte Ihnen die Corona-Zeit noch mehr vermiesen, indem ich nichts Lustiges mehr schreibe. Nein, natürlich ist das Quatsch! Aber auch wir schlugen und schlagen uns noch mit den Folgen der Krise herum, doch langsam kehrt wieder etwas Normalität ein, und ich darf auch wieder aus dem Vollen schöpfen. Und ich bin froh, wieder zurück im Büro zu sein. Home Office ist einfach nicht mein Ding. Zum einen ist die Kantine echt schlecht, zum anderen muss ich meinen eigenen Kaffee trinken – was auf die Dauer einfach zu teuer wird – und ganz ehrlich: Home Office ist für mich ja schon, wenn ich es schaffe, zuhause einen ganzen Einkaufszettel zu schreiben. AUTO&Sie ist wieder da, und ich hoffe, das bleibt so. Denn was ich in den letzten Wochen wieder einmal gemerkt habe: Frauen in der Automobilbranche werden immer noch mit «Ahs» und «Ohs» begrüsst – und das nicht nur von Männern. Auch ich ertappe mich hin und wieder dabei, auf Klischees reinzufallen, und ärgere mich dann über mich selbst. Ständig heisst es: Frauen in der Automobilbranche müssen stark sein, als wäre das irgendwie eine bemerkenswerte Abweichung vom Normalzustand. Für Frauen in der Automobilbranche gibt es zwei Möglichkeiten, entweder man entspricht den Klischees oder nicht – alles, was dazwischen sein könnte, wurde noch nicht definiert. Und genau das ist das Geniale daran. Dieser Zwischenbereich ist ein unbeschriebenes Blatt, eine leere Tafel, die nur darauf wartet, beschrieben zu werden über Frauen, die weder stark noch schwach sind, sondern einfach ihr Ding machen. Von Frauen, die ihre Träume verwirklichen – oder scheitern. Von Frauen, die sich wieder aufrappeln und weitermachen und sich einen Dreck um Klischees kümmern.
SCHRAUBERIN MIT HERZ, BENZIN IM BLUT UND ÖL IN DEN HAAREN Vor bald fünf Jahren hat sich Sara Kurath mit ihrer Garage «Sara’s Garage & Autoelektrik» in Kaltbrunn (SG) selbstständig gemacht. Die Anfangszeit war nicht leicht. Doch ihr Durchhaltewille hat sich gelohnt. Text/Bild: Isabelle Riederer
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ara Kurath sitzt in ihrer Garage an einem kleinen Tisch und reibt sich die Hände sauber. Hinter ihr ein schwarzer Camaro auf der Hebebühne. «Das erste Jahr war schlimm, richtig schlimm», sagt Sara und weiter: «Ich war immer wieder kurz davor, den Laden dicht zu machen. Ich hatte kaum Aufträge und ein Ölwechsel pro Woche reichte einfach nicht aus.» Als nach einem Jahr noch immer kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen war, wollte Sara aufhören. «Doch dann ging es plötzlich bergauf», so Sara. Doch zurück zum Anfang. Ihre vierjährige Lehre als Automechanikerin machte Sara damals auf MercedesBenz. Auf ihren zahlreichen Reisen in die USA und nach Australien hat sie einige spannende Berufe ausgeübt. In Miami kümmerte sich Sara bei einem Autovermieter um alle möglichen Reparaturen an den Mietfahrzeugen. «Dort habe ich auch meine Liebe für US-Cars entdeckt und mich darauf spezialisiert», so Sara. Ihr Wissen über US-Cars und deren professionelle Restaurierung sowie den Bau von Stretchlimousinen hat Sara in einem renommierten Betrieb in Las Vegas weiter ausgebaut, bis sie 2013 zurück in die Schweiz kam, wo sie bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber einen Job fand. Doch bereits ein Jahr später musste dieser Konkurs anmelden, und Sara musste sich neu orientieren. «Zwar hatte ich bereits eine neue Stelle in Aussicht, doch dann hat mich eine Kollegin darauf aufmerksam gemacht, dass die Halle hier in Kaltbrunn frei wäre und ich mich doch mit einer eigenen Garage selbstständig machen könnte», so Sara und weiter: «Im ersten Moment war ich hin- und
hergerissen, doch mir die gefiel die Idee und ich setzte alles auf eine Karte.» Einzige Two-Girls-Garage in der Schweiz Heute schmeisst Sara ihre Garage zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Sandra Brüllmann, die ebenfalls Benzin im Blut hat, als reine FrauenGarage, die einzige Two-Girls-Garage in der Schweiz, wie sie selber sagt. Sara: «Dass wir heute eine reine Frauen-Garage sind, ist reiner Zufall. Als ich vor gut einem Jahr einen Mitarbeiter gesucht habe, war mir das Geschlecht völlig egal. Sandra war von all den Bewerbern die beste.» Ein weibliches Schrauber-Duo sorgt hierzulande für Aufmerksamkeit, in den USA ist das bereits Alltag. Das liegt vor allem auch an der bekannten TV-Show «All Girls Garage». Die Fernsehserie läuft seit 2012 über die amerikanischen Bildschirme und zeigt drei Automechanikerinnen, die sich pro Folge der Restaurierung und Wiederbelebung eines Autos widmen. Natürlich hat die TV-Show auch bei Sara Eindruck hinterlassen. «Mittlerweile tausche ich mich mit Sarah «Bogi» Lateiner, der Begründerin der All Girls Garage, regelmässig über Instagram aus, und ich hoffe sehr, dass ich sie bald mal besuchen kann», sagt Sara. Die gute Ute Doch nicht nur die «All Girls Garage» inspiriert die 46-jährige Schweizerin, auch der «american way of life» und vor allem die amerikanischen Autos. «Mein Leidenschaft gehört den US-Cars. Wir bedienen zwar alle Marken und machen es auch gern. Ich komme aber aus der USCar- und Classic-Szene und habe in diesem Bereich auch jahrelange
Erfahrung.» Ein Auto hat es ihr dabei ganz besonders angetan. Der Holden Ute. Die australische Ikone ist ihr Ein und Alles. «Ich war einige Male in Australien und immer schon ein grosser Fan der zweisitzigen Pick-ups von Holden. Es war immer ein Traum, und letztes Jahr hat es geklappt und ich konnte mir in Australien einen Holden Ute besorgen und in die Schweiz überführen», sagt Sara und strahlt. Ihre Leidenschaft für Autos hat Sara bereits in die Wiege gelegt bekommen. «Mein Vater war ein leidenschaftlicher Hobbyschrauber und schon von Kindesbeinen an hab ich am Wochenende mit in der Garage an seinen Autos herumgeschraubt. Damals konnte man das ja noch, heute ist das nicht mehr
Sara Kurath (M.) mit ihrer Mitarbeiterin Sandra Brüllmann (r.) und Schnupperstiftin Tiziana (l).