"Bündnerwald" Februar 2022

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Bündner Wald

Die Buche Jahrgang 75 | Februar 2022

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Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Verbreitung der Buche in Graubünden – eine Übersicht 8 Die Buche aus einer persönlichen Perspektive . . . . . . . . . 12 Entwicklung im Buchenurwald Uholka-Schyrokyi Luh über 9 Jahre 18 Mechanisch-physikalische Eigenschaften von Rotbuchenholz 22 Buchenholz ermöglicht neue Dimensionen im modernen Holzbau 26 Buchensterben im Kanton Jura . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Die Buche – ein herausragender Habitatbaum 34 Pilze und Buche 38 Monumentale Buchen in Graubünden . . . . . . . . . . . . . 43 Blutbuchen Fagus Sylvatica Atropunicea 46 Aus Waldreservaten entstand ein UNESCO-Weltnaturerbe 50 Modal: Textilstoff aus Buchenholz . . . . . . . . . . . . . . . 54 Die Albino-Buche 57 Nutzen und schützen – Johann Coaz 58 Pensionierung Bernard Riedi 60 Regionalforstingenieurin, AWN Region Surselva 62 Vorschau «Bündner Wald» April 2022 63 Titelbild: Abbidlung aus dem Buch «Der Lehrer im Walde. Ein Lesebuch für Schweizerische Landschulen, Landleute und Gemeindsverwalter, welche über die Waldungen zu gebieten haben.» (Bild: Karl Kasthofer, 1828) Inhalt 1243 30

Die Blutbuche neben dem Regierungsgebäude in Chur wird auf ein Alter von rund 100 Jahre geschätzt. Ver mutlich wurde sie im Rahmen der Neugestaltung des Regierungsplatzes in den 1920er-Jahren gepflanzt, genaue Aufzeichnungen darüber gibt es allerdings nicht. Alt ist der Baum auf jeden Fall, darum wird er seit 2012 durch Experten mittels jährlicher Kontrollen intensiv überwacht. Dabei stellten sie fest, dass Sturmschäden und Pilzbefall dem Baum stark zugesetzt haben. Die Stabilität der Blut buche ist beeinträchtigt. Personen und Gebäude laufen Gefahr, von unerwartet abbrechenden Ästen getroffen zu werden. Aus diesem Grund, im 2020, wurden diverse Entlastungsschnitte als Sicherheitsmassnahme unum Dennochgänglich. wird sich der Baum nicht mehr vollständig erholen können und früher oder später absterben. Die Blutbuche soll aber so lange wie möglich erhalten bleiben, sodass sie ihre wertvolle ökologische Funktion noch einige weitere Jahre erfüllen kann. Insbesondere soll sie durch einen eigenen Abkömmling, welcher bereits im Forstgar ten Rodels nachgezogen wurde, ersetzt werden. Dieser Ab kömmling wurde gleich neben den Mutterbaum gesetzt. Damit wird ermöglicht, dass die beiden Bäume über die Wurzeln und pflanzliche Botenstoffe ein symbiontisches Verhältnis eingehen und sich gegenseitig nähren und stärken können. So soll sichergestellt werden, dass sich in einigen Jahrzehnten auch die künftigen Generationen an einer einst ebenso mächtigen Blutbuche neben dem Regierungsgebäude erfreuen können. (Bild: Standeskanzlei Graubünden)

Jürg Hassler, per i suoi input e per la ricerca delle immagini, Heidi Candrian, per le preziose correzioni linguistiche e Martin Flepp per la disponibilità e l'ottimo lavoro di impaginazione. Redakteurin Viola Sala

Bei jeder Ausgabe der Publikation «Bündner Wald» habe ich lange über die Aspekte nachgedacht, die im Editorial oder in den Artikeln behandelt werden sollen und auch diese letzte Ausgabe ist von Über legungen geprägt, die ich mit Ihnen teilen möchte.

Jörg Clavadetscher, che mi ha messo a disposizione il suo sapere e le sue competenze qua le Perredattore.finireringrazio

Zunächst einmal freue ich mich, dass in dieser Aus gabe ein Artikel über die Herstellung von Textilien aus Buchenholzfasern enthalten ist – ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt und mit dem ich mich während meiner Bachelorarbeit beschäftigt habe –sowie ein Artikel von U. Muhlethaler, der für seine Liebe zu dieser Holzart besonders bekannt ist und der damals mein Professor für Dendrologie an der HAFL war. Mit der Buche ist jetzt aber auch eine neue persön liche Erinnerung verbunden, denn diese Ausgabe fällt mit meiner letzten als Redakteurin zusammen, eine Tätigkeit, die ich seit zwei Jahren ausübe. Es ist eine Arbeit, die mir die Möglichkeit gegeben hat, mehr über verschiedene Themen zu lernen und viele Menschen kennenzulernen, wenn auch oft nur virtuell. Das Schreiben des Editorials war immer der schwie rigste Teil meiner Arbeit, da sie meine Gedanken direkt widerspiegeln und mich dazu zwingen, mich mehr zu exponieren. Bevor ich dieses Kapitel schliesse, möchte ich da her allen Leserinnen und Lesern meinen besonde ren Dank aussprechen.

6 Editorial

Ich möchte auch der SELVA, Graubünden Wald und dem Amt für Wald und Naturgefahren dan ken, die an mich geglaubt und mir diese wunder bare Erfahrung ermöglicht haben.

Ad ogni uscita di questa pubblicazione mi sono rit rovata a fare lunghe riflessioni sugli aspetti da trat tare nell'editoriale o negli articoli e anche quest’ulti mo numero è stato caratterizzato da considerazioni che vorrei condividere con voi.

Ich möchte auch Jörg Clavadetscher danken, der mir sein Wissen und seine Kompetenzen als Re dakteur zur Verfügung gestellt hat. Nicht zuletzt danke ich Jürg Hassler für seine Inputs und seine Bildrecherchen, Heidi Candrian, für wert volle sprachliche Korrekturen und Martin Flepp für seine Hilfsbereitschaft und seine hervorragende Layoutarbeit.

Sono in primo luogo felice che all'interno di questo numero, compaia un articolo dedicato alla produzi one di tessuti con le fibre del legno di faggio – tema a me caro, trattato in occasione del mio lavoro di Bachelor –, come pure un articolo di U. Muhletha ler, particolarmente conosciuto per il suo amore verso questa specie e ai tempi mio professore di dendrologia alla HAFL. Nasce inoltre una nuova memoria personale legata al faggio, perché questo numero coincide con il mio ultimo in qualità di redattrice; attività che ho portato avanti negli ultimi 2 anni. Una mansione che mi ha permesso di approfondire svariati temi e di conoscere, seppur spesso sola mente in maniera virtuale, tante persone. La redazione degli articoli di fondo è sempre stata la parte più difficile da affrontare in fase di stesura, in quanto riflettono direttamente il mio pensiero e mi hanno dunque obbligata ad espormi maggior Cimente.tengo quindi particolarmente, prima di chiudere questo capitolo, a ringraziare tutti i lettori. Ringrazio inoltre SELVA, Bosco Grigioni e l'Ufficio foreste e pericoli naturali, che hanno creduto in me e mi hanno permesso di fare questa bellissima espe Ringraziorienza.

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Die Verbreitung erstreckt sich über etwas mehr als einen Zehntel der Waldfläche Graubündens und beschränkt sich dabei bisher auf tiefe bis mittlere Höhenlagen. M. Vanoni

Die Verbreitung der Buche in den Bestandes karten In Graubünden werden für alle grösseren Waldei gentümer ab 40 Hektaren in regelmässigen Abstän den Betriebspläne erstellt, in welchen detaillierte Bestandeskartierungen mit Angabe der Baumar ten-Anteile (in 10 %-Schritten) erarbeitet werden. Damit kann heute auf knapp 90 Prozent der Wald

Die Verbreitung der Buche in Graubünden – eine Übersicht

Die Rolle der Buche in den Bündner Wäldern Die Buche ist die häufigste Laubbaumart im Kan ton, liegt aber gesamthaft betrachtet nach den noch häufigeren Nadelbaumarten Fichte, Lärche, Föhre, Weisstanne und Arve nur auf dem sechsten Rang der am häufigsten vorkommenden Baumar ten. Nach Schätzungen und Hochrechnungen des Landesforstinventars (LFI4) stehen in Graubünden ab einem Brusthöhendurchmesser von 12 cm un gefähr 2,8 Millionen Buchen (± 15 %), was bei ge schätzten 74 Millionen Bäumen (± 3 %) in den Bündner Wäldern ungefähr jeder 26. Baum ist. Die Buche ist in Graubünden von Nordbünden her bis in das Prättigau und die Surselva weit verbreitet. Auch in den an das Tessin angrenzenden Südtälern ist diese Baumart heimisch und dominiert in den mittleren Höhenlagen viele Bestände. In den fünf rätoromanischen Idiomen wird die Buche als fau oder fau verd (Sursilvan), fo (Sutsilvan), fo oder coller (Surmiran), fo (Puter) und fau (Vallader) be zeichnet, in Rumantsch Grischun heisst sie fau. Unbestritten ist die Wichtigkeit und Wirkung in vielen Schutzwäldern, wo der Buche als dominante Art eine wichtige Rolle zufällt. Während die Buche das Risiko von Steinschlag oder Rutschungen re duzieren kann, ist die Wirkung gegenüber Lawinen aufgrund der laubfreien Wintermonate jedoch ge ringer als diejenige von Nadelbäumen (Abb. 1). In der waldbaulichen Behandlung wird deshalb eine möglichst breite Baumartenmischung angestrebt. Für die Buche stehen in Graubünden keine spezifi schen Artenförderungsprogramme bereit, die aus schliesslich auf die Förderung dieser Baumart abzie len. Dennoch kann im Rahmen des Programms zur Erhaltung und Förderung der Waldbiodiversität in Graubünden lokal auch die Buche gefördert wer den. Im Waldentwicklungsplan WEP2018+ beste hen die Kategorien «spezielle Laubholzbestände ausserhalb Auen», «Lichter Wald», «Waldränder», sowie «Verzahnung Wald-Offenland». In vielen dieser Objekte stocken Buchen, die bei der konkre ten Planung der Massnahmen vor Ort gefördert werden können. Durch die natürliche Dominanz auf mittleren Standorten ist dies aber oftmals nicht nötig, da sich die Buche meist in genügendem Aus mass von selbst verjüngen kann. Mit den in Grau bünden neu eingeführten Verträgen für Habitat bäume besteht eine weitere Möglichkeit, wertvolle Einzelbäume langfristig zu sichern und zu erhalten. Durch ihre mächtigen Dimensionen und ihr Alter von mehreren Hundert Jahren können Buchen ei nen äusserst wertvollen Lebensraum bieten, der auch nach dem Absterben noch für verschiedenste Arten wie etwa den Alpenbock (Rosalia alpina) un ersetzlichen Lebensraum bietet.

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Die vor allem in Nord- und Teilen Südbündens weit ver breitete Buche (Fagus sylvatica), auch Rotbuche genannt, ist vor der Esche die häufigste Laubbaumart im Kanton.

9 fläche eine ungefähre Abschätzung der Buchenvor kommen erfolgen. Für die nachfolgenden Beschrei bungen der Verbreitung wurden sämtliche Bestände ausgewählt, in welchen die Buche erfasst wurde, unabhängig ob die betreffende Art nur als Einzel baum oder bestandesbildend vorkommt. Bei den Aufnahmen gilt zu beachten, dass nur schlecht oder gar nicht zugängliche Bestände genauso wie unpro duktive Flächen innerhalb des Waldareals oftmals nicht beschrieben werden. Auch sind Unsicherhei ten bei der Ansprache im Feld nicht auszuschliessen. In den Bestandeskarten sind Buchen von Einzelvor kommen bis hin zu bestandesbildenden Vorkommen auf 23 563 Hektaren erfasst, was über 11% der Wald fläche entspricht. In 49% dieser beschriebenen Be stände sind Buchen sowohl im Altbestand als auch im Jungwuchs vorhanden, auf 39% der Flächen nur im Altbestand, und 11% der beschriebenen Buchen-Be stände weisen zum Zeitpunkt der Bestandesbeschrei bung nur Buchen-Jungwuchs auf (Abb. 2). Das Vorkommen liegt in den Haupttälern Nord bündens (Rheintal, Prättigau) meist bis auf etwa 1400 m ü. M., je nach Lage auch noch etwas hö her. Die Buche ist vor allem in der submontanen bis zur obermontanen Stufe eine wichtige Hauptbau mart, deren dominantes Vorkommen auch für die Abgrenzung zur hochmontanen Stufe verwendet wird. Sie kann aber krüppelförmig im Nebenbe Abb. 1: Dichte Buchenbestände sind sehr wertvolle Wälder, die gegen Steinschlag schützen. Durch das viele Laub am Boden ist die Gefahr von Nassschneerutschungen (Waldlawinen) sehr gross. (Bild: J. Hassler)

10 stand oder in der Kraut- und Strauchschicht auch in höheren Lagen vorkommen. Die Hauptverbreitung zieht sich von der Bündner Herrschaft bis in das hinterste Prättigau, im Churer Rheintal talaufwärts und in das Schanfigg (bis etwa Tschiertschen), so wie in die Surselva bis ungefähr Sumvitg, mit Vor stössen in die grösseren Seitentäler Val Lumnezia und Safiental. In Mittelbünden dringt die Buche nur vereinzelt ins Domleschg vor, und stockt wei ter mit Einzelvorkommen bis Andeer. Das Surses und Albulatal sind bis auf einen aufgeforsteten Bestand bei Filisur (noch) weitgehend Buchenfrei. Auf der Alpensüdseite stockt die Buche bis auf über 1700 m ü. M. deutlich höher. Sie ist vom Tessin her bis Cauco im Val Calanca und in der Mesolcina bis nach Cabbiolo verbreitet, kommt aber in kleinen Beständen bis nach Mesocco vor. Im Bergell ist ein Bestand mit einzelnen Buchen beschrieben, sowie im Puschlav einzelne Bestände bis Poschiavo. Im Unterengadin sind einzelne Buchen-Bestände rund um Scuol bekannt, und Einzel-Vorkommen sind auch aus der Val Müstair bekannt. Die Zukunft der Buche in Graubünden Gefährdet ist die Buche an heute besiedelten Standorten durch längere Trockenperioden, wie es in den Jahren 2018 und 2019 beobachtet werden konnte. Deutlich sichtbar wurden die Schäden vor allem im Schweizer Jura, wo grössere Buchenbe stände abgestorben sind, wobei auch in Nordbün Abb. 2: Bucheverbreitung im Kanton Graubünden nach Bestandeskarte. (Karte: AWN)

11 den gewisse Ausfälle verzeichnet wurden. Somit dürfte der Buchen-Anteil zukünftig auch in Nord bünden in den tieferen Lagen deutlich abnehmen, während diese Baumart aufgrund der anhaltenden Erwärmung in immer höhere Lagen vorstossen wird (Abb. 3). Limitierend dürften Trockenperioden sein, die zwar häufiger werden, aber eine weitere Ausbreitung nicht vollständig verhindern. Gefähr det ist die Buche weiter durch diverse einheimische sowie eingeschleppte Schädlinge, die bei ge schwächten Bäumen oftmals keine grosse Gegen wehr mehr haben. Nicht zuletzt wird die Buche auch durch das Schalenwild gerne verbissen, kann sich aber in den meisten Fällen ohne Wildschaden verhütungs-Massnahmen in genügender Anzahl von selbst verjüngen und aufwachsen. Bei lokal sehr hohem Wilddruck wird aber die Verjüngung generell stark verzögert, was auch für die Buche zutrifft. Dr. Marco Vanoni leitet den Bereich Schutzwald & Waldökologie an der Zentrale des Amts für Wald und Naturgefahren in Chur. Literaturverzeichnis auf www.buendnerwald.ch Abb. 3: Buchenwälder auf flachgründigen Böden, wie hier am Calanda bei Mastrils, vermögen unter diesen Umständen nicht genügend Feuchtigkeit aus den tieferen Bodenschichten zu fördern und sterben nach sehr heissen und trockenen Perioden ab. (Bild: J. Hassler)

Die Buche aus einer

Es ist ein wunderbarer Dezembernachmittag im Süden Kretas (da gibt es zwar keine Buchen, da für sehr viele Olivenbäume). Zusammen mit dem Griechen Konstantin und Andreas, einem ausge wanderten Deutschen, sitze ich in meinem Garten beim sonntäglichen Barbecue – ich in kurzen Hosen und T-Shirt notabene. Andreas erzählt von seinem ursprünglichen Auswanderungsziel Chalkidiki, öst lich von Thessaloniki. Da erinnere ich mich an eine wissenschaftliche Exkursion zum Thema Buchen in jener Region, an der ich im Rahmen einer europäi schen Expertengruppe (COST Action E52) teilneh

Als Bündner Waldfachfrau oder Forstmann ist dir die Buche wahrscheinlich nicht so nah, spielt sie doch bei dir keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ganz anders in meiner ursprünglichen Heimat, dem Luzernischen und im Bernbiet. Gerne berichte ich dir hier von sehr speziellen Erkenntnissen. U. Mühlethaler

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Perspektivepersönlichen

Abb. 1: Vitaler Buchenwald in den Nebrodibergen in Sizilien. (Alle Bilder: U. Mühlethaler)

13 men durfte. Dort ging es um das Vorkommen von Fagus moesiaca als Mischform der orientalischen Buche aus dem Iran und der europäischen Buche. Der Expertendiskurs drehte sich um die Frage, ob es sich um eine eigene Art oder eine Unterart von Fagus sylvatica handelt. Nun kann man sich getrost fragen: Ist diese Unter scheidung relevant? Für die italienischen Kollegin nen und Kollegen war dies schon sehr wichtig, denn sie beanspruchen die südlichsten Buchenvor kommen für sich, die in Siziliens Nebrodi-Bergen etwa auf dem 38. Breitengrad liegen (Abb. 1). Auch diese durfte ich im Rahmen einer botani schen Studienreise im April 2011 besuchen, schön vitale Buchenbestände, allerdings auf 1300 m ü. M. mit reichlich Regen im Frühling. Genau in dieser Zeit übrigens erlebte die Schweiz einen der heis sesten und trockensten Frühlinge, inklusive ver heerendem Waldbrand in Visp! Mich interessierten jedoch schon ein paar Jahre vorher die extremsten Buchenstandorte, mög lichst weit unten im Süden und in möglichst tie fen Lagen. Denn eine Frage trieb mich um: Wie kann es sein, dass alte Buchen bei uns unter Hitze und Sommertrockenheit leiden, ja sogar abster ben, sie jedoch im Süden Europas durchaus so gute Lebensbedingungen vorfinden, dass sie an dere Baumarten erfolgreich verdrängen können? Zuerst wurde ich auf dem Monte Faito fündig, einem markanten Aussichtsberg zwischen Neapel und Sorrento. Wenn man hochfährt, hat es auf der Südseite Macchia und am Nordhang Kastani enwälder. Auf 1000 m ü. M. ändert sich die Situ ation schlagartig und ein geschlossener Buchen reinbestand überzieht den Bergrücken. Obwohl ein Inselvorkommen, ist es kaum wahrscheinlich, dass irgendjemand diesen Wald früher einmal ge pflanzt hatte. Es dürfte sich um ein natürliches Re likt handeln. An diesem Standort wird es in den Sommermonaten auch sehr heiss und trocken. Von September bis April hingegen sorgen Gewitter und die normalen Winterniederschläge für eine ausrei chende Wasserversorgung, was das Vorkommen der Buche plausibel macht. Ende August 2012 konnte übrigens ein grossflächiger Waldbrand auf der Südseite, genau an der Grenze zu diesem Bu chenwald, gestoppt werden – ein interessanter Zu sammenhang, finde ich. Aber immer noch auf 1000 m Höhe – gibt es keine tiefer gelegenen Buchenwälder im Süden? Doch! Ein befreundeter Agronomie-Ingenieur zeigte mir Buchenwälder im Hinterland Neapels, in der Nähe von Avellino, am Monte Terminio. Hier starten die geschlossenen Buchenwälder bei 530 m ü. M., cha rakterisiert durch grosse Sommertrockenheit und die recht guten Niederschlägen im Winterhalbjahr. Übrigens sind vereinzelt Weisstannen im Neben bestand beigemischt. Was mich dort am meisten erstaunt hat, ist das Jahrringbild der Buchen auf frisch geschnittenen Stöcken (Abb. 2): Sehr breite Jahrringe im dichten Bestand zeugen von grosser Wuchsfreudigkeit. Wie kann das sein, wenn doch der Baum im Sommer seine Ressourcen sparsam einsetzen muss und im Winter ebenfalls kahl da steht? Meine Hypothese: Das Wachstum geschieht früh im Frühling mit unglaublicher Geschwindig keit. Danach ist der Baum mit der Reifung der Sa men beschäftigt, die er allenfalls vorzeitig fallen lässt, wenn es zu trocken wird. So war es im Herbst 2009 leider nicht möglich, an diesem Standort keimfähige Bucheckern für einen Saatversuch zu sammeln, denn die zahlreichen Hüllen am Boden waren mehrheitlich leer. Wir mussten bis auf gut 1000 m hochfahren, um geeignetes Material für den wissenschaftlichen Buchensaatversuch sam meln zu können. Und damit sind wir bei meinem Herzensprojekt, dem Buchensaatprojekt an der HAFL (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft) in Zollikofen – ich hoffe ich langweile euch liebe Le serinnen und liebe Leser nicht zu sehr mit meinen halb-wissenschaftlichen Überlegungen und Beob achtungen. Halbwissenschaftlich? Leider ja, denn es kam nie zu einer peer-reviewten Publikation in

So sammelte ich mit meinem Team mit viel Leiden schaft im Herbst 2009 Zehntausende von Buche ckern (rund 1000 pro Baum). Ziemlich matchent scheidend für die spätere Einlagerung war, dass die gesammelten Samen sofort am Abend ausgebrei tet und so gut wie möglich in der Umgebungsluft getrocknet wurden, um dem Schimmelpilz vorzu beugen. Das Versuchsdesign umfasste pro Bestand sechs Mutterbäume im Abstand von mindestens einer Baumlänge. Diese Bestände sollten im klima tischen Grenzbereich des natürlichen Buchenvor kommens einer Region liegen. Pro Region wurden zwei Bestände ausgewählt, einer mit Süd- und ei ner mit Nordexposition. Insgesamt sammelten wir Abb. 2: Stock einer 34-jährigen Buche im Hinterland von Neapel, gewachsen in einem dichten Bestand. Die Jahrringbreiten hatten mich sehr überrascht!

14 einem wissenschaftlichen Fachblatt. Was wollten wir untersuchen? Ausgangspunkt waren geneti schen Analysen der Buchenwanderung nach der letzten Eiszeit, verknüpft mit der Verwandtschaft der Buchenpopulationen. Diese zeigten nämlich, dass unsere Buchen ziemlich sicher aus dem Raum Slowenien via Österreich zu uns und nach Westeu ropa gewandert sind. Ein zweiter Strang startete ganz unten in Süditalien, wanderte via Apennin nach Norden, wurde jedoch im Raum Bologna –Genua gestoppt. Wir vermuteten also, dass die genetisch etwas anderen «Italiener» gegenüber Trockenstress toleranter sein könnten als unsere heimischen «Weicheier».

15 in drei Regionen Italiens (Avellino, Florenzer Apen nin, W-Ligurien), in drei Regionen der Schweiz (Osterfingen SH, Brienzersee, Monte San Giorgio) und in einer Region im NW von Slowenien. Dank einer hervorragenden Zusammenarbeit mit dem Pflanzgarten Lobsigen konnten wir das Saatgut unter idealen Bedingungen lagern, denn wir woll ten die Saat auf zwei Jahre verteilt ausbringen. Die Keimfähigkeit im Labortest nach einem Jahr Lage rung war denn auch praktisch identisch mit jener der sofort verwendeten Bucheckern. Wo haben wir nun unser wertvolles Saatgut getes tet? Einerseits musste es in der Nähe der Schweizer Mutterbäume sein, denn dort sollte es den «Einheimi schen» besonders wohl sein – oder nicht? Zusätzlich haben wir einen trockenheitsgefährdeten Standort bei Kappelen im Berner Seeland und ein Grenzstand ort zum Flaumeichenwald bei Ardon im Wallis ausge wählt. Wegen Mäusen in Kappelen und Föhnsturm schäden in Oberried am Brienzersee mussten wir leider die zwei Standorte nach einem Jahr aufgeben. Die übrigen drei Standorte haben recht gut funkti oniert. Zusätzlich gab es einen künstlichen Trocken stressversuch im Pflanzgarten Lobsigen. Der Lobsiger Versuch war eigentlich schon fast überflüssig, denn die dramatischsten Resultate er hielten wir im zweiten Versuchsjahr, nach dem er wähnten extremen Frühling 2011: Dieser war der Abb. 3: Buchensaat-Versuchsfläche in Osterfingen SH im August 2011: Nach dem extrem trockenen Frühling gab es beinahe einen Totalausfall. Ein paar Sämlinge von 2010 mit italienischen Provenienzen überlebten, die Einheimischen versagten.

16 art trocken und warm, dass auf den Versuchsflächen im Wald fast keine neuen Buchen gekeimt waren. Was geschah aber mit den jungen Buchen, die wir im Jahr davor gesät hatten? Nun das war wirklich spannend: Zwar hatten Ende des ersten Jahres die Keimlinge aus der Schweiz und vor allem aus Slo wenien die Nase vorne, bezüglich Grösse sowie Anzahl Blättern und Knospen. Mit einer Ausnah me: Die «Einheimischen» aus Osterfingen versag ten fast vollständig, auch zu Hause! Die Brienzer und Tessiner waren bei ihnen zu Hause ebenfalls nicht die Besten. Die «Italiener» wuchsen eher kümmerlich und blieben kurz. Aber oh Wunder: Sie überlebten eben diesen extremen zweiten Frühling am besten, während die hochgeschosse nen «Schweizer» und «Slowenen» zum grössten Teil ausfielen!

2. Als Vorsorgeprinzip würde es nicht schaden, in unseren Buchenwäldern die Naturverjüngung mit eingepflanzten Provenienzen aus dem Raum Italien, Griechenland und südlichen Bal kan zu ergänzen. Etwa 50–100 Jungbäume pro Hektare Jungwald könnten bereits genügen. Unabhängig vom Saatversuch, jedoch aus weite ren langjährigen Beobachtungen noch eine weitere Hypothese, die Hoffnung macht: Junge Buchen von heute, die sich unter den bereits stark verän derten klimatischen Bedingungen durchgesetzt haben, sind ziemlich sicher genetisch besser gerüs tet als ihre Eltern. Allerdings gibt es klare Grenzen für die Zukunft der Buchen – auch in heute noch vitalen Beständen. Kri tisch ist der Trockenstress vor allem im Frühling, wenn die Bäume austreiben und Holz anlegen. Auch der Erfolg der Saat nach einem Mastjahr hängt hauptsächlich von der Witterung im Frühling ab. Schnellwachsende adulte Buchen auf gut was ser- und nährstoffversorgten Böden sind stärker ge fährdet als ihre Artgenossen auf Trockenstandor ten. Das klingt zunächst paradox, ist jedoch auf die reduzierte Wurzelbildung zurückzuführen: Wozu denn auch ins Wurzelwachstum investieren, wenn normalerweise genügend Wasser und Nahrung vorhanden ist? Generelle Angaben zur Lebensweise der Buche, den ökologischen Ansprüchen und sonstigen Eigen schaften findest du in deinen (alten) Lehrmitteln, in modernen Apps und auf Internet. Die Buche ist ein wunderbarer Baum, sei es als Teil der Waldökosys teme, sei es in der Verarbeitung zu sehr schönen und nützlichen Holzprodukten (ich weiss, derzeit ist Eiche Trumpf, aber das ändert sich bestimmt wieder einmal). Tragen wir Sorge dazu, ihre Lebensgrund lage so gut wie möglich zu erhalten, und haben wir den Mut, auch mal einen «verrückten» waldbauli chen Versuch zu starten!

Aus diesen Beobachtungen wage ich, folgende Schlüsse zu ziehen:

U. Mühlethaler war Dozent für Waldökologie & Gesell schaftsfragen an der HAFL Zollikofen. Seit 2021 ist er Inhaber und Geschäftsführer der UM Services GmbH.

1. Die lange in der forstlichen Lehre eingeprägte Maxime, dass das vor Ort vorhandene Erbgut am besten an die lokalen Gegebenheiten ange passt sei, stimmt zumindest für Buche nicht.

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Die Buche (Fagus sylvatica L.) wäre ohne mensch lichen Einfluss in West- und Mitteleuropa eine der am weitesten verbreiteten Baumarten. Diese weite Verbreitung lässt sich auf die breite ökologische Nische der Buche zurückführen; sie erträgt unter schiedliche Wasserverfügbarkeit und chemische Bodeneigenschaften und ist sehr schattentolerant. Die Buche wächst zudem in Wäldern, in welchen das Absterben von einzelnen Bäumen vorherrscht und grossflächige Störungen sehr selten sind. Dies führt zu dunklen Beständen, in denen die Buche über grosse Flächen fast rein vorkommt. In Wäldern der temperierten Zone in Nordamerika befinden sich von kleinräumigen Störungen gepräg

Entwicklung im Buchenurwald Uholka-Schyrokyi Luh über 9 Jahre

Abb. 1: a) Lage des Buchenurwalds von Uholka-Schyrokyi Luh (blau) in Europa, grün hinterlegt das Verbreitungsgebiet der Buche. b) Lage der 238 Probeflächen im Buchenurwald Uholka (im Süden) und Schyrokyi Luh (im Norden) hinterlegt mit einem digitalen Höhenmodell.

te Wälder auf grösserer Fläche in einem Gleichge wichtszustand. Dabei werden Biomasse und Stamm zahl der absterbenden Bäume durch das Wachstum der überlebenden Bäume und den Einwuchs neuer Bäume kompensiert. In West- und Mitteleuropa sind vergleichbare Studien zum Gleichgewichtszustand von Wäldern nur schwer durchführbar, da ein Gross teil der leicht zugänglichen Wälder in den vergange nen Jahrhunderten stark durch den Menschen ver ändert wurde. Es gibt darum nur noch sehr wenige natürliche Wälder und zumeist nur kleine Urwald Derrelikte.grösste noch existierende zusammenhängen de Buchenurwald in West- und Mitteleuropa ist

J. Stillhard, M. Abegg, P. Brang, M. Hobi

19 der Buchenurwald von Uholka-Schyrokyi Luh in Transkarpatien im Westen der Ukraine (Abb. 1). Er erstreckt sich über eine Fläche von 100 km² und einen Höhengradienten von 400 bis 1350 m ü. M. und ist Teil des Karpaten-Biosphärenreservats (Commarmot et al. 2013). Der Urwald besteht aus zwei ähnlich grossen Waldkomplexen, den Urwäl dern von Uholka und Schyrokyi Luh (Abb. 1). Seit dem Jahr 1999 erforscht die Eidgenössische For schungsanstalt WSL diese Wälder in Kooperation mit mehreren ukrainischen Partnern. Im Jahr 2000 wurde eine erste Kernfläche von 10 ha im Wald komplex von Uholka eingerichtet und seither alle 5 Jahre wieder aufgenommen. Diese Fläche erlaubt Einblicke in die Bestandesentwicklung von Bu chenurwäldern, ist aber nicht repräsentativ für den gesamten Wald. Um ein besseres Verständnis der Waldstruktur im ganzen Urwald zu erhalten, hat die WSL 2010 eine Stichprobeninventur durchge führt (Hobi et al. 2015). Im Jahre 2019 wurde die se Inventur auf 238 Probeflächen, welche inner halb der streng geschützten Zone des Waldes von 72 km² liegen, wiederholt (Stillhard et al. 2022). Die zwei Inventuren sind eine einmalige Chance, um Referenzwerte für Buchenurwälder zu gewin Aufnen. den Probeflächen von 500 m² wurden alle Bäume mit einem Brusthöhendurchmesser (BHD) ab 6 cm gemessen. Auf drei Verjüngungsprobeflä chen wurden alle Bäumchen mit einer Höhe von 10–39,9 cm (10 m²-Probekreis), 40–129,9 cm (20 m²-Probekreis) bzw. einem BHD von 0–5,9 cm Abb. 2: Blick über den Buchenurwald von Schyrokyi Luh. (Bild: J. Stillhard).

20 (50 m²-Probekreis) erfasst. Zusätzlich wurden In formationen zur Bestandesstruktur wie die Ober höhe und der Deckungsgrad der verschiedenen Schichten erhoben. Das liegende Totholz wurde auf drei Linientransekten von 15 m Länge erfasst. Basierend auf diesen Daten wurden Kennzahlen wie die Stammzahl, die Basalfläche und der Vorrat und deren Veränderung geschätzt. Die angegebe nen Schätzintervalle sind so zu interpretieren, dass die «wahren» Werte mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % innerhalb des Intervalls liegen. Die Bestandesstruktur und die Baumartenzusam mensetzung haben sich innerhalb der neun Jahre zwischen den beiden Inventuren kaum verändert. So fanden sich in der Inventur 2010 441 (± 25,6) lebende Bäume pro ha mit einem Volumen von 578,9 (± 29,7) m³ pro ha, in der zweiten Inventur 458 (± 7,5) lebende Bäume pro ha mit einem Vo lumen von 584 (± 28,7) m³ pro ha. Die Werte für den Vorrat sind damit wesentlich höher als der im LFI 4 in Beständen mit mehr als 75% Deckungsgrad der Buche in den Voralpen gefundenen 463 m³/ha.

Die Baumartenzusammensetzung blieb mit einem Anteil der Buche an der Gesamtstammzahl von 97,9 (± 0,4) % im Jahr 2010 und 97,1 (± 0,7) % im Jahr 2019 ebenfalls unverändert. Auch in der Verjün gung ist die Buche die wichtigste Baumart; in der Höhenklasse von 10 bis 39,9 cm ist deren Anteil mit rund 80% (2010: 75,8%, 2019: 85,1%) allerdings geringer als im Baumbestand. Bereits ab der Höhen klasse von 40 bis 129,9 cm macht die Buche aber mehr als 90% der Stammzahl aus. Die BHD-Vertei lung der Bäume ist stark rechtsschief, das heisst es gibt viel mehr dünne als dicke Bäume (Abb. 3). Abb. 3: Durchmesserverteilung

der lebenden Bäume bei den Inventuren 2010 und 2019. Die erste BHD-Stufe umfasst alle Bäume mit einem BHD von 6-9 cm, die letzte Stufe alle Bäume mit einem BHD ≥ 80 cm. Die restlichen Stufen sind je 10 cm breit. Die Fehlerbalken zeigen den Bereich des Schätzintervalls.

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deutlicher

Einwuchs

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Tote Bäume sind deutlich seltener als lebende: 2010 gab es pro ha 30,2 (± 5,0) tot stehende Bäume, 2019 noch 25,9 (± 4,3). Das stehende Totholzvolu men lag im Jahr 2010 bei 21,7 (± 5,1) m³ pro ha und im Jahr 2019 leicht höher bei 26,3 (± 7,1) m³ pro ha. Viel höher war das Volumen des liegenden Tothol zes, welches 2010 146,2 (± 16,9) und 2019 154,5 (± 21,1) m³ pro ha erreichte und damit wesentlich über den Werten lag, die im Rahmen des LFI in Laubwäldern festgestellt wurden (23,2 ± 1,4 m³ pro ha). Die geringfügigen Veränderungen zwischen den Jahren 2010 und 2019 deuten darauf hin, dass sich der Buchenurwald in der Ukraine in einem strukturellen Gleichgewicht befindet. Noch zeigt sich dieser Gleichgewichtszustand jedoch, wenn der Beitrag der demografischen Pro zesse Einwuchs, Wachstum und Mortalität hin zugezogen wird. In Bezug auf den Vorrat hat das Wachstum der seit 2010 überlebenden Bäume von 8,0 m³ pro ha und Jahr den jährlichen Abgang von 8,0 m³ pro ha genau aufgefangen. Die leichte Vor ratszunahme zwischen den Inventuren ist auf den von lebenden Bäumen zurückzuführen. Ein sehr ähnliches Muster zeigt sich bei der Stamm zahl: Während 48 (± 7,0) Bäume pro ha zwischen den beiden Inventuren abstarben oder verschwan den, wuchsen in der gleichen Zeit 70 (± 15,9) Bäu me pro ha über die Kluppschwelle. Obwohl die präsentierten Resultate repräsentativ für die Ent wicklung der Kernzone des Urwaldes sind, ist zu be achten, dass der Beobachtungszeitraum von neun Jahren relativ kurz ist und grössere Schwankungen durchaus denkbar Zusammenfassendsind.legen die Inventurergebnisse nahe, dass sich der Buchenurwald von Uholka-Schy rokyi Luh in einem Gleichgewichtszustand befindet. In Bezug auf den Vorrat halten sich Wachstum und Mortalität die Waage, während in Bezug auf die Stammzahl die einwachsenden die absterbenden Bäume in etwa ersetzen. Die Dominanz der Buche ist mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das vorherr schende Störungsregime mit vielen kleinen Bestan deslücken und nur selten grossflächigen Störungen zurückzuführen. Ob der Klimawandel das Störungs regime verändert, grössere Störungen häufiger macht und so die Dominanz der Buche vermindert, wissen wir aber nicht.

Dank Die Stichprobeninventuren 2010 und 2019 wären nicht möglich gewesen ohne die Mithilfe der Feld mitarbeitenden und des lokalen Forstdienstes und die finanzielle Unterstützung durch das Staatsse kretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Jonas Stillhard, Dr. Meinrad Abegg, Dr. Peter Brang und Dr. Martina Hobi arbeiten an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. (WSL). Literaturverzeichnis Commarmot, B.; Brändli, U.-B.; Hamor, F.; Lav nyy, V. (Hsg.) 2013: Inventory of the largest pri meval beech forest in Europe: A Swiss-Ukrainian scientific adventure. Eidg Forschungsanstalt für Wald Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf; Nationale Forstuniversität der Ukraine, Lviv; Kar paten Biosphärenreservat, Rakhiv. 69 S. Hobi, M.L.; Commarmot, B.; Bugmann, H. 2015: Pattern and process in the largest primeval beech forest of Europe (Ukrainian Carpathians). Journal of Vegetation Science , Vol. 26(2) 323 336 Stillhard, J.; Hobi, M. L.; Brang, P.; Brändli, U-B.; Korol, M.; Pokynchereda, V.; Abegg, M. 2022: Structural changes in a primeval beech forest at the landscape scale. Forest Ecology and Ma nagement , 504(119836)

P. Niemz

Buche hat eine um fast 50 % höhere Rohdichte als Fichte und damit auch bessere mechanische Eigen schaften (insbesondere höhere Festigkeiten), aber auch wesentlich höhere Quell- und Schwindmasse. Klassische Einsatzgebiete für Buche sind Möbelteile (Treppen, Stühle, Tische und Sperrholz). Buche lässt sich nach dem Dämpfen sehr gut biegen und wurde daher früher vermehrt für Bugholzmöbel eingesetzt. Für Möbel und Furnier wird Buche mit hoher Qua lität benötigt. Die geringerwertigeren Sortimente wurden früher oft für Eisenbahnschwellen verwen det, da sich nicht verthyllte Buche gut imprägnieren lässt. Dieses Einsatzgebiet ist deutlich zurückgegan gen. Heute wird daher der Grossteil der Buche ener getisch verwertet. Es wird intensiv an der stärkeren stofflichen Nutzung der Buche gearbeitet. In der Schweiz ist die Corbat Holding im Kanton Jura der grösste Verarbeiter von Laubholz. Die Firma Fagus Suisse, Les Breuleux im Kanton Jura, stellt industri ell Stabschichtholz aus mit Melaminharz verklebten Buchenholz her, das als Basis für Brettschichtholz dient. Es wird aber auch für Möbel verwendet. Die Firma Pollmeier in Creuzburg/Deutschland, ist Europas grösster Produzent von Produkten aus Buche. Möbelteile, Bodenbeläge und Bauelemente werden nach einem aufwendigen Sortierverfahren gefertigt, während geringerwertige Sortimente für Verpackungszwecke verwendet werden. Die Firma Pollmeier fertigt zudem auf einer kontinuierlichen Presse Furnierschichtholz aus Buche (Markenname «BauBuche») mit hoher Qualität. Dieses Produkt hat im Holzbau einen festen Markt erreicht und wird teilweise auch für Möbel und Bodenbeläge verwendet. Abb. 2 zeigt ein Fachwerk auf Fichte mit Stegen aus «BauBuche» und lokaler Verstär kung mit Laubholz der Firma neue Holzbau in Lun gern. Für all diese Sortimente ist eine extrem star ke Sortierung nach der Qualität erforderlich. Das Holz muss aus einem sehr grossen Einzugsgebiet beschafft werden. Die Unterschiede im E-Modul sind zwischen Fichte und Buche relativ gering. Durch Sortierung der Fichte könnte ähnliche Festigkeiten bereitgestellt werden. Zug- und Druckfestigkeit in Faserrichtung, aber auch senkrecht zur Faserrichtung, sind bei Bu che deutlich höher als bei Fichte. Das Quell- und Schwindmass ist deutlich grösser als bei Fichte. Eine Möglichkeit Buche, aber auch Esche, im grös seren Umfang einzusetzen bietet der Holzbau (sie he Artikel S. 26). Dabei müssen insbesondere die verbesserten Mate rialeigenschaften genutzt werden, um kostengüns tige Bauten zu errichten. ln den meisten Arbeiten liegen nur klassische Kennwerte wie Zug- und Druckfestigkeit in Faserrichtung, Biege-E-Modul und Quellung vor (Wagenführ (1996), Sell (1998)). Die Variabilität ist dabei erheblich. Wagenführ (Holzatlas 1996) gibt folgende Eigenschaften zu Rotbuche (Mittelwerte) an: Rohdichte (u=12 15 %): 0,72 g/cm³ Rohdichte (grün): 1,07 g/cm³ Zugfestigkeit in Faserrichtung 135 N/mm² Zugfestigkeit senkrecht zur Faserrichtung 7,0 …10,7 DruckfestigkeitN/mm²in Faserrichtung 62 N/mm²

Buche ist nach der Fichte die am zweithäufigsten vorkommende Baumart der Schweiz. Die Tendenz der stofflichen Nutzung ist rückläufig (Abb. 1).

Abb. 1: Tendenzen der Verwendung von Laubholz und Holzwerkstoffen.

Quelle: Pollmeier Massivholz GmbH, Lars Schmidt (2009)

EigenschaftenMechanisch-physikalischevonRotbuchenholz

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Rotbuche et(nachFichtePozgajal.1993) Rohdichte ρ12 [kg/m3] 640–720 430–470 [N/mmZugfestigkeit2] längs 97 74,4 radial 19,5 2,2 tangential 8,9 1,7 [N/mmfestigkeitDruck-2] längs 45 34,1 radial 11 3,4 tangential 6 4 keitBiegefestig[N/mm2] 95 65–75 [N/mmBiege-E-Modul2] 11900 10000–12000 E-Modul (Zug) [N/mm2] längs 10560 12800 radial 1510 625 tangential 730 397 [N/mmG-Modul2] GLR 1240 684 GLT 930 649 GRT 380 52 [%/%]QuellmassDifferentielles radial 0,19–0,22 0,15–0,19 tangential 0,38–0,44 0,27–0,36

et al. 1993. Quellmass und Stelle

in Fichtenholz (Firma neue Holzbau Lungern). (Bild: Peter Niemz)

Brinellhärte parallel zur Faser: 72 N/mm² Brinellhärte senkrecht zur Faser: 34 N/mm²

2013 Kennwerte

Biegefestigkeit: 123 N/mm² E-Modul (parallel zur Faser): 16000 N/mm²

Dabei ist eine erhebliche Schwankung der Eigen schaften je nach Standort, aber auch innerhalb eines Stammes bekannt. Kennwerte für die komplexe Berechnung der Eigenschaften von Holzelementen Für eine komplexe Berechnung von Tragwerken wie z. B. die Verformung von Platten sind eine Vielzahl an weiteren Kennwerten des Holzes erforderlich. Das orthotrope Verhalten ist zu berücksichtigen. Es sind 3 E-Module, 6 Poissonzahlen und 3 Schubmo dule zu ermitteln. Alle Eigenschaften sind zeit- und feuchteabhängig. Insbesondere bei Druck senk recht zur Faser treten verstärkt plastische Verfor mungen auf, die weitgehend unerforscht sind. Das gilt ebenso für das Kriechverhalten und die Mecha nosorption. Die in Tabelle 1 aufgeführten Ergebnis se wurden am Institut für Baustoffe erarbeitet. Insbesondere senkrecht zur Faserrichtung sind die Eigenschaften der Buche deutlich höher als die der Fichte. Querdruck und Querzug können also deut lich besser aufgenommen werden. Das bei Fichte bekannte Rollschubversagen ist durch den deutlich höheren Schubmodul GRT der Buche wesentlich Bucheunproblematischer.bietetdurch höhere Härte, Festigkeit und auch Steifigkeit durchaus Vorteile im Vergleich zur Fichte. Höheres Gewicht der Bauteile, höherer Ver schnitt und höhere Energiekosten bei der Verarbei Tabelle 1: Eigenschaften von Rotbuchenholz in den Hauptachsen (Messungen Zürich) Kennwerte Rotbu che: Ozyhar Fichte: Keunecke 2009, Festigkeiten Pozgaj Quellen: Sell, 4. Auflage Richtung Abb. 2: Fachwerkträger Laubholzverstärkung

aus Fichte, «BauBuche» mit lokaler

1989. Eigenschaft

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elastische Kennwerte:

ETH

Verklebung von Buche und anderen Holzarten mit 1K-PUR und ei nem speziellen, formaldehydfreien Primer auf der Basis von Tensiden. Bei der Verklebung von Laubholz beeinflussen die höhere Dichte und das damit höhere Quell- und Schwindmass, aber auch die deutlich höheren Fes tigkeiten im Vergleich zum Nadelholz, die Verkle bungsgüte. Vielfach kommt es beim Laubholz zum starken Wegschlagen des Klebstoffes über die Ge fässe ins Holzinnere. Auch an der Thematik der Verklebung wird an der ETH im Rahmen mehrerer Dissertationen gearbeitet. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Verwertung von Laubholz derzeit für die Industrie sowohl eine technische als auch eine kostenmässige Herausforderung darstellt. Derzeit dominiert ein deutig das Nadelholz im Holzbau sowohl für Brett schichtholz als auch für Brettsperrholz. Die Kosten bei Verwendung von Rotbuche sind nahezu doppelt so hoch wie bei Fichte. Gute Möglichkeiten bieten sich, wenn die Vorteile des Laubholzes (höhere Fes tigkeiten) genutzt werden. Im wachsenden Umfang wird auch Laubholz in Brettschichtholz in Teile ein gearbeitet, die höhere Kräfte von Verbindungsmit tel übertragen (lokale Verstärkung) oder zur Auf nahme von Druckkräften im Auflagerbereich. Ebenso erfolgt aus optischen Gründen teileweise eine Beschichtung von Fichtenbrettschichtholz mit einer dünne Schicht aus Laubholz (z. B. auch Eiche). Dies ist bei schlankeren, hochbelasteten Bauteilen, aber auch bei Anschlüssen für die Übertragung er höhter Kräfte möglich. Ebenso könnte Furnier schichtholz aus Rotbuche eine Alternative bilden, 20181614121086420 35 50 65 80 [%]Holzfeuchte relative Luftfeuchte [%] unbehandelt ohne RK unbehadelt mit RK 24h/160°C ohne RK 24h/160°C mit RK 6h/200°C ohne RK 6h/200°C mit RK Abb. 3: Sorptionsverhalten von Rotbuchenholz mit und ohne Rotkern (RK) nach Wärmebehandlung bei verschiedener Temperatur (Messungen ETH Zürich, Holzphysik)

24 tung (Zerspanung, höherer Pressdruck) stehen dem gegenüber. Die geringe Dauerhaftigkeit nach EN 350-2 der Buche (Klasse 5) kann durch Wär mebehandlung deutlich erhöht werden. Das Sorp tionsverhalten (Abb. 3) und die Quellung können je nach Verfahren auf bis zu 50% des Wertes von unbehandeltem Holz vermindert werden. Festig keit und Härte verringern sich dadurch aber deut lich (Tabelle 2). Der dadurch erzielte und oft ge schätzte dunkle Farbton ist nicht UV stabil. Thermoholz wird heute oft im Inneren für Parkett aber auch Möbel eingesetzt. So wurde wärmebe handelte Buche im grossen Umfang für Möbel im Flughafen Zürich verwendet. Heute wird allerdings oft auch vielfach Fichte wärmebehandelt nur um den Charakter von Altholz zu erzielen. Teilweise erfolgt der Einsatz von wärmebehandeltem Laub holz überwiegend wegen des Farbeffektes (anstel le des dunkleren Tropenholzes). Die Anlagen werden zum Teil auch für das Druck dämpfen von Eiche eingesetzt (schwarzer Farbton, anlog dem Räuchern).

Den guten mechanischen Eigenschaften stehen aber Probleme bei der Verklebung der Buche und um bis zu 100% höhere Kosten pro m³ fertiges Brettschicht holz entgegen. Durch veränderte Konstruktionen (schlankere Bauteile) kann dies zum Teil kompensiert werden. Lange Zeit waren für Buchenholz nur spezi elle, zugelassene MUF- oder MF Harze mit langer geschlossener Wartezeit zugelassen (Schmidt et al. 2010). Auch reine Melaminharze, wie sie heute be reitstehen, bringen gute Eigenschaften hinichtlich der HenkelDelaminierungsbeständigkeit.hateineZulassungfürdie

25 wie es Pollmeier (www.pollmeier.com) in Deutsch land, aber auch in kleineren Abmessungen die Firma Hess in Döttingen, fertigen. In der Schweiz fertigt Fagus Suisse SA Stabschichtholz aus verklebten La mellen (4 x 4 cm), das zu Brettschichtholz verarbei tet wird (Fagus Suisse SA, Grand’Rue 21, 2345 Les Breuleux). Die Anlage wurde komplett neu errichtet (Hochfrequenz-Erwärmung beim Verpressen). Es existieren erste Bauten. Auch im Bereich der Herstellung von Thermoholz bieten sich Möglichkeiten. Die beiden letzteren Varianten erfordern allerdings eine hohe Holzqua lität. Insgesamt ist das Aufnahmevermögen des Marktes an Laubholz für Thermoholz derzeit noch gering (Fertigungskapazität in der Schweiz derzeit etwa 6000 m³/Jahr). Das Bauwesen würde dagegen grössere Mengen aufnehmen können. Dazu muss allerdings auch die Konstruktion den veränderten Eigenschaften des Laubholzes angepasst werden. Andererseits muss man berücksichtigen, dass in Zei ten der Internationalisierung der Märkte sowohl Nadelholz wie auch Brettschichtholz aus Nadelholz aus Ländern mit grossen Nadelholzaufkommen im portiert werden können. So beziehen ausgewählte Holzwerkstoffhersteller seit vielen Jahren auch Roh stoffe aus Übersee. Papierfabriken werden zuneh mend in Ländern mit Plantagen wie Chile errichtet, die kostengünstig Laub- oder Nadelholz in gleicher Qualität bereitstellen. Dabei besitzen die Konzerne meist eigene Plantagen und an einem Standort wer den Sägewerke, Zellstoff, Holzwerkstoffe, Holzver arbeitung und energetische Nutzung konzentriert (z. B. Arauco in Chile https://www.arauco.cl/chile).

[g/cmRohdichte3] [%]feuchteHolz

tangential[N/mmHärteBrinell-2] radial[N/mmHärteBrinell-2] Buche handeltunbe Mittelwert 0,738 10,9 132,8 13140 39,3 42,4 Standardabweichung 0,018 0,5 5,6 742 2,8 3,5 lungsstufeBehandBuche 2 Mittelwert 0,692 9.1 76,7 11092 29,5 34,6 Standardabweichung 0,03 0,3 21,8 1784 2 3,7 lungsstufeBehandBuche 3 Mittelwert 0,656 8.7 53,8 11776 16,6 20,5 Standardabweichung 0,031 0,1 13,2 1276 1,3 1,3

Die Holzerzeugung und Verarbeitung erfolgt mit modernster Technik und ist wegen des deutlich ge ringeren Lohnniveaus im internationalen Vergleich daher sehr kostengünstig. Arauco verarbeitet z. B. an einem Standort jährlich 5 Mio. m³ Holz. Auch dieser Aspekt ist sicherlich langfristig zu berücksich tigen. Der Konzern besitzt mehrere solcher Verar beitungszentren. Herr Prof. Dr. Peter Niemz war bis zu seiner Pensionierung Leiter der Gruppe Holzphysik im Institut für Baustoffe an der ETHZ (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich). Literatur auf www.buendnerwald.ch

Tabelle 2: Mechanische Eigenschaften von industriell im Autoklav wärmebehandeltem Laubholz. Holzart [N/mmfestigkeitBiege-2] [N/mmModulBiege-E-2]

Bisherige Nutzung der Buche in der Schweiz

Die Buche als wichtigster Laubbaum im Schweizer Wald wurde bisher vor allem für Brennholz und im Möbelbau genutzt, ein grosser Teil des Stammhol zes wurde und wird nach Asien exportiert. Für den konstruktiven Holzbau wurden bisher lediglich kleine Mengen verarbeitet, aufgrund der hohen Kosten blieb die Anwendung aber bisher auf Ni schen beschränkt. Die automatisierte Verarbeitung der Buche in der Schweiz zu hochfestem Konstruk tionsholz eröffnet neue Möglichkeiten und fördert die regionale Wertschöpfung.

Buchenholz ermöglicht neue Dimensionen im modernen Holzbau

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Traditionell wird im Holzbau vor allem Fichtenholz eingesetzt, da dieses in grossen Mengen verfügbar und leicht zu verarbeiten ist. Unsere Wälder beste hen aber zu rund einem Drittel aus Laubhölzern, wobei die Buche alleine 18 % des Schweizer Wal des ausmacht. Die Laubhölzer weisen eine höhere Festigkeit auf als Nadelholz, sind aber auch schwie riger zu verarbeiten. Bisher wurden sie meist nur für besondere Zwecke eingesetzt, etwa für Eisen bahnschwellen (Buche und Eiche) oder Möbel. Mittlerweile hat man das grosse ungenutzte Po tenzial von Laubholz erkannt. Neue Brandschutz vorschriften und die technologische Entwicklung erlauben es seit einigen Jahren, mehrstöckige Ge bäude und sogar Hochhäuser ganz aus Holz zu bauen. Träger und Balken aus Laubholz, vor allem Buche, ersetzen dabei zunehmend Stahl und Beton (Abb. 1). Entwicklung und Produktion von Stabschicht holz durch Fagus Suisse Die Fagus Suisse SA wurde gegründet mit dem Ziel, das ganze konstruktive Potenzial des Buchenholzes aufzuzeigen und für moderne, anspruchsvolle Kon struktionsaufgaben nutzbar zu machen. Gleichzei tig sollte für die Waldbesitzer im Inland ein neuer Absatz geschaffen werden für das Laubholz. In Les Breuleux im Kanton Jura hat Fagus Suisse in den letzten beiden Jahren ein auf die Verarbeitung Neue Technologien und angepasste Vorschriften haben die Einsatzmöglichkeiten für Buchenholz und andere Laubhölzer in den letzten Jahren stark erweitert. Mittler weile wird hochfestes Konstruktionsholz aus heimischer Buche beispielsweise für vielgeschossige Tragstrukturen von Hochhäusern und grosse Spannweiten bei Industrie und öffentlichen Bauten eingesetzt. Damit kann Stahl und Beton ersetzt und die CO2­Bilanz der Gebäude massiv verbessert werden. C. Spinnler

Abb. 1: Tragwerk aus Stabbuche im Neubau der Eventhalle im Campus Sursee. (Bild: Fagus Suisse SA)

27 von Laubholz spezialisiertes Werk mit einem hohen Automatisierungsgrad aufgebaut und erfolgreich in Betrieb genommen. Hier wird mit der in Zusammen arbeit mit Schweizer Forschungsinstitutionen ent wickelten Stabtechnologie hochfestes Konstrukti onsholz aus heimischen Laubhölzern hergestellt, das «Stabschichtholz» (Abb. 2). Dabei werden Kanthöl zer zuerst zu sogenannte Lamellen verklebt. Diese werden anschliessend zu Trägern und Balken in Län gen bis 13,50 Metern zusammengefügt. Buche ist wegen der hohen Dichte schwieriger zu verarbeiten als Nadelholz, weshalb teils schwerere und stärkere Maschinen zum Einsatz kommen. Vorteile und Einsatzbereiche von Stabschicht holz Die von Fagus aufgebaute, weitgehend automati sierte Produktion des Stabschichtholzes bietet ver schiedene Vorteile. So wird durch die lückenlose Qualitätskontrolle vom Materialeingang bis zum fertigen Träger eine maximale Produktsicherheit gewährleistet. Der hochautomatisierte Produkti onsprozess ermöglicht ausserdem eine rationelle und kostengünstige Verarbeitung. Dank einem um fassenden Rohmateriallager und einer kurzen Bear beitungszeit sind die von den Kunden gewünschten Qualitäten und Mengen mit kurzen Lieferfristen verfügbar. Zudem kann im Werk auf Wunsch und mit entsprechendem Vorlauf auch eigenes Holz der Kunden verarbeitet werden. Die von Fagus entwickelte Stabtechnologie funkti oniert auch mit anderen Laub- und Nadelhölzern und eröffnet diesen neue Einsatzmöglichkeiten. Im Moment wird neben Buche auch Esche und Eiche zu Stabschichtholz verarbeitet. Bauen mit Laubholz als Antwort auf den Megatrend «Ökologisches Bauen» Verschiedene Studien bestätigen die hervorragen den Zukunftsaussichten für den Holzbau, in der Abb. 2: Träger aus Stabbuche im Fagus Werk Les Breuleux bereit zur Auslieferung. (Bild: Fagus Suisse SA)

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Schweiz wie international. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Erkenntnis, dass der Holzbau die güns tigste Methode zur dauerhaften Speicherung von CO2 darstellt – ganz abgesehen von den konstruk tiven, ästhetischen und ökonomischen Vorteilen. Institutionelle und private Immobilien-Investoren erkennen im Holzbau daher die Möglichkeit, ihre Klimaziele zu erreichen. Im Gleichschritt mit dieser Entwicklung nimmt auch die Nachfrage nach hoch festem Laub-Konstruktionsholz stetig zu. Laubholz ist stabiler als Nadelholz und leichter als Stahl und Beton. Es können schlanke und filigrane Tragstruk turen realisiert und dadurch Platz und Gewicht ein gespart werden. Durch die Verarbeitung von Schweizer Holz ent steht eine Wertschöpfung im Inland, die ein Vielfa ches höher ist als beim Export. Die Erfahrungen aus realisierten Projekten zeigen, dass der Einsatz von Fagus Bauholz einen Bau nicht wesentlich teurer macht als eine konventionelle Massivbauweise mit Stahl und Beton. Nach dem Rückbau kann Kons truktionsholz entweder wieder als Bauholz einge setzt oder in entsprechenden Anlagen als Energie holz verwertet werden. Beispiel in Graubünden/im Gebirge Auch im Kanton Graubünden wurde schon mit Fa gus Bauholz gebaut. So kamen beim Erweiterungs bau D des WSL (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) in Davos für hochbean spruchte Teile Stabbuche zum Einsatz. Die Stabbu che konnte zudem ihre Eignung für Hochgebirgs bauten im grösseren Stil bereits in den Walliser- und Berner Alpen unter Beweis stellen. 1. Skitestcenter Zermatt auf 2939 m ü. M. (Abb. 3) Für den Neubau des Skitestcenters auf Trockener Steg in Zermatt im Sommer 2021 kam Fagus Stab buche zum Einsatz. Bei den enormen Schneelasten im Hochgebirge kann das starke Buchenholz seine Abb. 3: Skitestcenter Zermatt (Bild: Zermatt Bergbahnen)

Der Neubau der SAC-Hütte Weisshorn im Matter tal auf 2932 m ü. M. ist ein weiteres Beispiel für die Verwendung von Fagus Stabschichtholz für Bauten im Hochgebirge. Das Baumaterial wurde per Heli kopter eingeflogen, so auch der hoch belastete Giebelbalken aus Fagus Stabbuche. Für die übri gen Bauteile wurde Nadelholz verwendet. Dank der präzisen Vorfertigung konnte die Bauzeit auf ein Minimum reduziert werden und dauerte von Juni bis September 2020. Christoph Spinnler ist zuständig für die Kommunikation bei Fagus Suisse SA. Fagus Suisse SA Grand’Rue 21, 2345 Les Breuleux Telefon 032 474 45 info@fagussuisse.ch35 | www.fagussuisse.ch Abb. 4: SAC-Hütte Weisshorn (Bild: Gyger Holzbauplanung) Fagus Suisse SA ist technologisch führend in der Laubholzverarbeitung und eines der führenden Schweizer WoodtechUnternehmen im stark wachsenden Holzbaumarkt. Gegründet 2014 als nationales Generationenprojekt mit unterdessen mehr als 250 privaten und institutionellen Investoren ist Fagus eines der wenigen Schweizer Rohstoff- und Woodtech-Unternehmen, das privaten und institutionellen Anlegern offensteht (Valor CH0376503491). Bei Interesse wenden Sie sich direkt an Fagus Suisse.

29 ganzen Vorteile ausspielen und ermöglicht eine schlanke und leichte Bauweise. Dadurch ist auch weniger Gewicht zu transportieren, was die Logis tik, gerade im Gebirge, vereinfacht.

2. SAC-Hütte Weisshorn (Abb. 4)

Buchensterben im Kanton Jura

Seit drei Jahren sehen die Buchenwälder im Kanton Jura ganz anders aus. Die Folgen des Klimawandels sind früher als erwartet sichtbar geworden.

Ein unerwartetes Phänomen

N. Schaffter

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Im Frühjahr 2019 haben in der Ajoie, im nördli chen Teil des Kantons Jura, während des Austriebs der Bäume, zahlreiche Buchen ihre Blätter nicht ausgetrieben und einige wiesen eine braune und trockene Krone auf. Das Auftreten dieses Buchen sterbens war ein weiterer schwerer Schlag für die Waldbesitzer, die bereits mit der Borkenkäferprob lematik bei Nadelbäumen, dem Verschwinden der Eschen und dem Verlust der Rentabilität der Forst wirtschaft konfrontiert sind. Dieses Phänomen, das von zahlreichen wissenschaftlichen Studien vorhergesagt wurde, war im Kanton erst in einigen Jahrzehnten zu erwarten. Die Schäden, die in dem Jahr an zahlreichen Bu chen beobachtet wurden, waren nicht auf die in Ajoie beschränkt. Vielmehr waren auch die Wälder in den tieferen Lagen der Nordwestschweizer Kan tone betroffen. Dieser erneute Umbruch ist zu ei nem guten Teil auf die extremen Wetterereignisse der letzten Jahre zurückzuführen, welche die Wäl der auf eine harte Probe gestellt haben. Die wie derholten Stressereignisse durch Dürren, Stürme oder auch Spätfrost in den letzten Jahren, gefolgt von der aussergewöhnlichen Trockenheit im Som mer 2018, haben in der Tat die Widerstandskraft vieler Buchen in den tiefer gelegenen Regionen gebrochen. Dies verweist auf die Klimaentwick lungsmodelle für den Schweizer Wald, die voraus sagen, dass die Buche in den tieferen Lagen relativ schnell an ihre Grenzen stossen könnte, wenn sich die globale Erwärmung fortsetzt. Von den betroffenen Bäumen hatten einige eine völlig ausgetrocknete Krone und waren bereits ab gestorben. Andere wiesen in der unteren Hälfte der Krone noch lebende Äste mit Blättern auf, wäh rend der obere Teil trocken war. Angesichts dieser Situation wurde vom Umweltamt des Kantons Jura eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese setzte sich aus den Förstern der hauptsächlich betroffenen Region, Vertretern der Holzbranche, Mitarbeitern des Um weltamts und des kantonalen Infrastrukturdienstes zusammen und ermöglichte es, erste Schätzungen des Schadensausmasses vorzunehmen, Überlegun gen zu den kurz-/mittelfristigen Folgen anzustellen und insbesondere die betroffenen Gebiete zu in ventarisieren. Im Jahr 2019 bestätigten die Feldun tersuchungen das Volumen von mehr als 200 000 m³ trockener oder absterbender Buchen in den Wäl dern der Ajoie (gegenüber einer durchschnittlichen jährlichen Nutzung im Kanton von 180 000 m³).

Darüber hinaus trockneten Hunderte von Hektar Buchenwald stehend aus (Abb. 1). Waldkatastrophenzustand Angesichts der weitreichenden Folgen dieser Situa tion für die Funktionen dieser Wälder, für die Be völkerung und für die betroffenen Eigentümer hat die jurassische Regierung im Juli 2019 beschlossen, Artikel 45 des kantonalen Waldgesetzes in Kraft zu setzen. Mit anderen Worten: Es wurde der Wald katastrophenzustand ausgerufen. Der Staat er greift somit die Massnahmen zur Sanierung der Situation und engagiert sich entschlossen an der Seite der lokalen Akteure und der Eigentümer. Die se Entscheidung ermöglichte verschiedene Mass nahmen in den Monaten nach der Entdeckung des Phänomens. Sie bedeutete nicht automatisch eine

Erhöhung der finanziellen Mittel oder einen Akti vismus im Wald, um die betroffenen Bäume zu fäl len. Abgesehen von der Frage der Infrastruktur und der Sicherheit bestand nämlich keine Dring lichkeit, mit umfangreichen forstwirtschaftlichen Massnahmen einzugreifen. Generell hätte der Holzmarkt nicht all diese Holzmengen aufnehmen können (wobei ein Grossteil des Handelswerts auf grund der Qualität des Holzes verloren ging). Dar über hinaus war es ziemlich klar, dass es nicht möglich sein würde, das gesamte geschädigte Vo lumen zu nutzen.

Abb. 1: Luftaufnahme eines Teils der festgestellten Schäden. (Bild: V. Queloz, WSL)

Strategie zur Bewältigung der Krise Der Kanton hat durch sein für die Umwelt zu ständiges Departement im September 2019 eine Strategie zur Bewältigung dieser Waldkatastrophe verabschiedet. Diese gliedert sich in drei Teile, die kurz-, mittel- und langfristige Massnahmen um C.B.A.fassen:SchadenmanagementSicherstellungderWiederaufforstungdergeschädigtenWälderRahmenbedingungenüberdenkenundanpassen

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32 Was die kurzfristigen Massnahmen betrifft, so ging es darum, die Überwachung der von der Öffent lichkeit frequentierten Bereiche und auch die Infor mation der Bevölkerung über die aktuelle Gefahr im Wald zu verstärken. Da Buchenholz beim Aus trocknen brüchig wird, bestand nämlich in der Nähe von trockenen Bäumen ein erhöhtes Risiko von Astbruch, insbesondere bei Wind. Das Um weltamt erliess zahlreiche Aufrufe zur Vorsicht an die verschiedenen Waldnutzer (Abb. 2). Parallel dazu wurden bei zahlreichen Infrastruktu ren (Autobahnen, Kantons- und Gemeindestras sen) Sicherungsmassnahmen (Fällen von trocke nen und gefährlichen Bäumen) ergriffen. Insgesamt wurden 2019 zu diesem Zweck mehr als 2000 Bäume gefällt. Eine bedeutende Anzahl von Wald wegen und Waldinfrastrukturen (Hütte, Picknick platz) wurde ebenfalls von den Waldbesitzern ge sichert. Da die Sicherungsarbeiten umfangreich waren, mussten die verschiedenen Einrichtungen vorübergehend geschlossen werden, bis die Fällar beiten eingeleitet werden konnten. Um die Bevöl kerung über diese verschiedenen Arbeiten zu in formieren, wurden die gesperrten und zeitweise Abb. 2: Für die Besucher des Jurawaldes hat sich das Bild der Buchenwälder völlig verändert. (Bild: Office de l‘environnement)

33 unzugänglichen Bereiche auf dem kantonalen Geoportal verzeichnet. Während dieser Zeit initiierte der Kanton Jura zu dem Kontakte mit dem Bund, um die Bundesinstanzen zu informieren und die Bewältigung dieser Krise mit ihnen zu koordinieren. Die wissenschaft liche Begleitung dieses Phänomens (Entwicklung der betroffenen Bäume, Auftreten von Schädlin gen usw.) wurde ebenfalls mit dem Eidgenössi schen Forschungsinstitut WSL koordiniert. Erste Erkenntnisse und zukünftige Entwicklungen Mehr als ein Jahr nach der Entdeckung des Bu chensterbens hat sich der Gesundheitszustand der betroffenen Buchenwälder nicht verbessert. Das Ausmass der Schäden ist das gleiche wie zuvor, wenn auch gemildert durch die Wiederaufnahme der Vegetation im Frühjahr und die zahlreichen vorgenommenen Schnitte. Der Absterbeprozess ist noch nicht abgeschlossen und die betroffenen Bäume werden sich trotz eines wettermässig güns tigeren Jahres 2021 nicht erholen können. Davon zeugen die Sicherheitsfällungen, die 2020 und 2021 in Bereichen durchgeführt wurden, die be reits 2019 saniert worden waren. Diese Waldkrise wird in der Tat langfristig sein, mit einer sehr unsicheren Entwicklung für die noch le benden Bäume und starken und dauerhaften Aus wirkungen auf das Aussehen der Waldmassive. Dieses Phänomen erinnert uns daran, dass sich das Gesicht des jurassischen Waldes unter dem Einfluss des Klimawandels tatsächlich verändert. Die An passung unserer Wälder an diese Veränderungen stellt eine echte Herausforderung für die gesamte Forstbranche dar. Die Arbeiten zur Wiederherstel lung geschädigter Bestände und im weiteren Sinne zur Anpassung unserer Wälder (Teil B der kantona len Strategie) werden bereits von den Förstern im Gelände umgesetzt. Die durchgeführten Massnah men stützen sich auf die bekannten Anpassungs prinzipien (Baumartenvielfalt, Strukturvielfalt usw.) und auf die Grundsätze des naturnahen Waldbaus, um auch dem Ökosystem Zeit zu geben, von sich aus zu handeln. Es wäre nämlich falsch, nach die sem Phänomen den Wald um jeden Preis durch aktive und kostspielige Massnahmen reparieren zu wollen, die nicht umweltfreundlich sein können. Angesichts der zahlreichen Unwägbarkeiten gilt es, den Wald als Ganzes zu respektieren. Schliess lich hat die Buche vielleicht auch noch nicht das letzte Wort gesprochen, insbesondere bei den jun gen Trieben, die unter extremeren Bedingungen wachsen als ihre Eltern. Eine grundlegende Reflexion über das gesamte System und die Rahmenbedingungen (Teil C der kantonalen Strategie) wird noch durchgeführt, um alle Lehren aus dieser Krise zu ziehen und die not wendigen langfristigen Anpassungen vorzuschla gen (Überarbeitung des Waldentwicklungsplans, der Betriebspläne usw.). Noémie Schaffter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Umweltamt des Kantons Jura.

Habitatbaumherausragender

Abb. 1: Ein ungewohnter Anblick: Buchen entwickeln im Alter eine raue, borkige Rinde. Alte Buchen sind oft herausragende Habitatbäume. (Bild: L. Larrieu, Naturwald in Rumänien)

Die Buche – ein

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Buchen können alt werden – sogar sehr alt! Ihre natürliche Lebensdauer wird in Lehrbüchern mit 160 bis maximal 300 Jahren angegeben. Neuere Untersuchungen anhand von Jahrringzählungen in Italien, Bosnien und Herzegowina und der Ukraine ergaben jedoch, dass Buchen im Bestand ein Alter von mehr als 500 Jahre erreichen können! Im ho hen Alter ist auch die Rinde nicht mehr «auffällig glatt und matt hellgrau ohne Längswülste», wie im Buch der Pflanzenporträts aller wild wachsenden Gehölze Mitteleuropas steht, sondern sie ist braun und borkig, ähnlich wie bei der Eiche (Abb. 1). Je grösser, dicker und älter eine Buche, desto stärker ist sie vom Leben gezeichnet: Stein- und Blitzschlag, Windböen oder meisselnde Spechte hinterlassen ihre Spuren, zum Beispiel als Spalten, Rindenverlet zungen, gebrochene Äste oder Spechthöhlen. Sol che Anzeichen des Alterns bedeuten jedoch nicht gleich das Ende. Im Gegenteil, sie sind heiss begehrte Nischen, in denen viele hochspezialisierte Bewohner des Waldes einen Lebensraum finden und machen eine alte Buche erst richtig attraktiv. Waldökolo gen unterscheiden 47 verschiedene Typen solcher Kleinstlebensräume – sogenannte Baummikroha bitate. Jedes weist seine eigene Artengemeinschaft auf (Abb. 2). Die Larven der Totenkopfschwebflie ge beispielsweise entwickeln sich in Dendrotelmen oder die Raupen des seltenen Wespenglasflüglers leben an den abwehrgeschwächten Bereichen von Maserknollen oder Rindenkrebsen. Ein Blick ins Detail Schauen wir eine ältere Buche genauer an (Abb. 3). Sie trägt unterschiedliche Habitate für diverse An sprüche. Die voluminöse Mulmhöhle (1) ist zum Alte Buchen sind ein Artenparadies. Je älter eine Buche wird, desto mehr Lebensräume bietet sie den Waldbewohnern. Aber auch jüngere Buchen können bereits Habitatbäume sein. Ein Wald mit vielen Arten aus verschiedenen Gruppen funktioniert dank der vielfältigen Beziehungsnetze zwischen den zahlreichen Organismen besser. R. Bütler

Beispiel für den extrem seltenen Feuerschmied Ela ter ferrugineus (Abb. 4 links) ein geeigneter Lebens raum dank ihrem stabilen Mikroklima. Dieser Käfer ist eine Urwaldreliktart, deren Larve sich während vier bis sechs Jahren im Mulm, einer Mischung aus abgebautem Holz und Exkrementen von Insekten, entwickelt. Sie lebt räuberisch von Eiern und Larven anderer, ebenfalls seltenen, auf Mulm spezialisier ten Käfern. Es gibt nur 21 Fundorte in der Schweiz, davon auch einige in Graubünden, wobei die Hälfte vor 1930 beschrieben wurden. Im Laufe ihrer Jahr zehnte langen Entwicklung und Vergrösserung wird die Struktur der Mulmhöhle komplexer und die Vielfalt der assoziierten Arten nimmt zu. Sonnenex poniertes Holz ohne Rinde am Stamm (2) ist für Tro ckenheit und Wärme liebende Totholzinsekten ein idealer Lebensraum. Der abgebrochene Starkast (3) eignet sich für den Buchen-Schleimrübling Oudem Abb. 2: Dendrotelme (oben links) sind wichtig für Schwebfliegen (oben rechts: Totenkopfschwebfliege) und Maserknollen (unten links) dienen Glasflüglern (unten rechts: Wespenglasflügler). (Bilder: R. Bütler, L. Larrieu (Dendrotelm), B. Wermelinger (Wespenglasflügler))

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Abb. 4: Der Feuerschmied (links) braucht Mulmhöhlen. Der Buchen Schleimrübling (Mitte) braucht Holz ohne Rinde. Die Nahrung des Pillenkäfers (rechts) ist Moos. (Bilder: T. Németh, R. Bütler, L. Larrieu)

Wichtig für das Funktionieren des Ökosystems Früher sprach man von Holzschäden, heute von Baummikrohabitaten. Die waldökologische For schung hat in den letzten Jahren die grosse Be deutung von solchen Kleinstlebensräumen für die Artenvielfalt aufgezeigt. Deshalb werden Baummi krohabitate neu auch im Landesforstinventar der Schweiz LFI nach der europäischen Typologie dif ferenziert aufgenommen (siehe Box). Vereinfacht gesagt, sind Buchen mit Holzschäden – Baummikro habitaten – ein Artenparadies. Es gibt sogar einige Rekorde zu verzeichnen. In den mehrjährigen Pilz fruchtkörpern des Zunderschwamms auf der Buche (Abb. 5 oben) leben schätzungsweise 600 Arthro podenarten! In den bereits erwähnten Mulmhöhlen von Buchen wurden über 270 Käfer- und Wirbel tierarten nachgewiesen (Abb. 5 unten). Nimmt man noch die Pilze, Bakterien, Faulholzmotten, Bienen, Ameisen und andere Tiergruppen dazu, ergibt sich eine kaum vorstellbare Besiedlungsdimension aus Bestäubern, Abfallfressern, Räubern und Parasiten von Pflanzenfressern und so weiter. Baummikro habitate sind also äusserst vielfältige Lebensräume. Sie sind Zufluchtsorte, Brut-, Überwinterungs- oder Habitatbäume,Nahrungsplätze.also Bäume, die Baummikrohabita te tragen, sind auch für den Waldbesitzer von gu tem Nutzen. Denn die zahlreichen Bewohner von Habitatbäumen bestäuben, verbreiten Samen, bau en Holz ab, regulieren andere Arten und kümmern sich um vieles mehr. Dank dieser vielfältigen Bezie hungsnetze funktionieren Wälder mit zahlreichen Abb. 3: Eine ältere Buche mit mehreren Baummikrohabitaten, die spezialisierten Arten einen Lebensraum bieten. (Bild: R. Bütler)

36 ansiella mucida, ein gelatinartiger Pilz (Abb. 4 Mit te), der auch längere Trockenperioden an dieser ex ponierten Stelle erträgt. Im Moosteppich (4) finden viele Insekten Schutz. Moos dient jedoch auch den spezialisierten Pillenkäfern als Nahrung (Abb. 4 rechts). An der Rinde unter der Mulmhöhle (5) ent wickeln sich einige seltene, hochspezialisierte Moo se und Flechten. Der Mulm hat nämlich einen ho hen pH-Wert, und der Ausfluss aus der Höhle erhöht den pH-Wert der Rinde an dieser Stelle (sie he auch Abb. 5 unten).

37 Arten besser. Kümmern sich viele Arten um diesel be Funktion, kommt dies einer Versicherung gleich: Fällt eine Art zeitweise aus, kann eine andere ein springen und die Funktion übernehmen. Es lohnt sich also, Habitatbäume zu schützen und deren Entstehung aktiv zu fördern. Eine Frage der Zeit Allerdings sind die Entstehungsraten von Habitat bäumen ziemlich langsam. Zwar kann ein Starkast durch eine Windböe innerhalb weniger Millisekun den abbrechen, für die Ausbildung einer grossen Mulmhöhle sind jedoch mehrere Jahrzehnte not wendig. Im Vergleich zur Weisstanne und anderen Nadelbäumen bildet die Buche jedoch bereits in jün geren Jahren Baummikrohabitate aus. Bei einem Durchmesser von 50 bis 70 cm tragen 78 % der Bu chen mindestens ein Baummikrohabitat, jedoch erst 21 % der Tannen. Modellrechnungen ergaben na türliche Entstehungsraten von 0,82–1,28 Baummik rohabitaten pro Hektar und Jahr bei Buchen und 0,5–0,9 bei Tannen. Angesichts dieser niedrigen Entstehungsraten dauert es also etwa 100 Jahre, bis ein derzeit genutzter Buchenbestand alle im Natur wald potenziell vorhandenen Baummikrohabitate ausbildet. Es empfiehlt sich deshalb, bestehende Habitatbuchen zu belassen und jüngere Kandidaten bei der Durchforstung zu erkennen und zu erhalten. Dr. Rita Bütler ist Verantwortliche Schnittstelle Forschung – Praxis für die Westschweiz, WSL Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.

Habitatbäume erkennen? Dazu helfen der kürzliche publizierte «Taschenführer der Baummikrohabitate» www.wsl.ch/ tf-baummikrohabitate sowie das Merkblatt für die Praxis Nr. 64 «Habitatbäume kennen, schützen und fördern» www.wsl. ch/mb-baummikrohabitate der Eidg. Forschungsanstalt WSL. Weitere Produkte der WSL zum Thema: www.habitatbaum.ch, die virtuellen Waldrundgänge auf habitat. sylvotheque.ch, Tutorial und Kurzvideos auf YouTube (Suche in YouTube: Baum mikrohabitate WSL).

Abb. 5: Zunderschwamm (oben), Mulmhöhle mit Ausfluss (unten). (Bilder: R. Bütler)

Überblick über die Anzahl Funde und Arten von Pilzen, verschiedener ökologischer Gruppen aus der SwissFungi Datenbank (www.swissfungi.ch). *Pilzfunde, bei denen als Begleitbaumart Buche angegeben wurde (nicht zwingend der Mykorrhizapartner) ** Pilzfunde, bei denen als Wirtspflanze Buche angegeben wurde. Funktionelle Gruppe Anzahl Funde CH Anzahl Arten CH Rote Liste Arten Mykorrhizapilze bei Buche* 147 203 1076 247 Parasiten und Holzzersetzer** 48 683 1132 127 Streusaprophyten** 4392 398 33

38 Pilze und Buche

Das Zusammenleben der Buche mit Pilzen be ginnt, wenn das zarte Würzelchen des Buchen keimlings in Kontakt mit dem Boden und der darin lebenden Mykorrhizapilze kommt. Und es endet erst lange nach dem Tod des Baumes, wenn das tote Buchenholz restlos abgebaut ist. Während ihres gesamten Lebens und darüber hinaus be herbergt die Buche eine unfassbar grosse Anzahl Pilzarten (Tabelle 1) – von vielen profitiert sie, von anderen wird sie geschwächt und womöglich so gar getötet. Einige der Interaktionen dauern kurz, vielleicht nur einige Monate, andere dauern Jahr zehnte. Besiedelt werden nicht nur die Wurzeln, sondern auch die Rinde, die Blätter, ja sogar die Fruchtbecher und dies während des gesamten Le bens der Buche. Zusätzlich wurden auf Borke und Holz der Buche bisher 350 Flechtenarten nach gewiesen (www.swislichens.ch). Dieser Teil der pilzlichen Diversität soll in diesem Artikel jedoch ausgeblendet werden.

Mykorrhizapilze Doch zurück zum Buchenkeimling: Das nach Nähr salzen und Wasser suchende Würzelchen wird blitzschnell von Pilzhyphen entdeckt, die ihrerseits nach Zucker suchen. So beginnt die Ektomykorrhi za-Symbiose, die der Buche zeitlebens erhalten bleiben wird. Die fadenförmigen Zellen der Pilzhy phen ummanteln die feinen Wurzelspitzen und drängen sich auch zwischen die Wurzelzellen, wo der Stoffaustausch stattfindet. Der Keimling liefert dem Pilz Zucker aus der Photosynthese und erhält als Gegenleistung diverse Nährsalze wie Phospho te und Nitrate sowie Wasser. Die Funktion von Mykorrhizapilzen auf die Nähr stoffversorgung des Baumes zu reduzieren würde aber zu kurz greifen. Ektomykorrhizapilze tragen auch zur Humusbildung bei, können stabilisierend auf Rutschhänge wirken, die Vitalität der Pflanzen steigern und die Wurzeln vor Wurzelparasiten schützen. Daten aus dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Pilze der Schweiz (www.swissfungi.ch) zeigen, dass die Buche für weit über 2000 Pilzarten als Partner oder Wirt dienen kann. Warum gibt es diese Vielzahl an Interaktionen mit Pilzen und was bedeuten diese Interaktionen für das Leben der Buche und für das Ökosystem Wald? Diesen Fragen sollen in diesem Artikel nachgegangen werden. S. Blaser, A. Gross Tabelle 1:

Von den Guten zu den Bösen: Während die Buche um die einen Pilze weibelt, kämpft sie zeitlebens gegen die anderen. Angriffsflächen bieten Wur zeln, Stammfuss, Holz, Rinde und Blätter und sie wird auf allen diesen Ebenen attackiert. Jedoch kann sich die Buche an ihrem natürlichen Standort gut gegen Pathogene behaupten und anders als etwa Esche und Ulme, blieb sie bisher auch weit gehend verschont von gebietsfremden, invasiven Schädlingen. Kürzlich wurde jedoch eine neue Blattkrankheit an der Buche in Europa beschrie ben, welche höchstwahrscheinlich durch eine in vasive Pilzart (Petrakia liobae) bisher unbekann ten Ursprungs verursacht wird. Die sogenannte Petrakia-Blattbräune führt zu braunen Blattflecken während des Sommers und wurde bereits in allen Landesteilen der Schweiz nachgewiesen, auch im Kanton Graubünden. Sie ist zwar wohl harmlos und führt nicht zum Absterben von ausgewachse nen Bäumen. Dass sie jedoch einen Effekt auf die Überlebens- und Konkurrenzfähigkeit von Jung bäumen haben könnte, wäre vorstellbar und eine genauere Untersuchung wert. Eine weitere interes Abb. 1: Links: Die Herbsttrompete (Craterellus cornucopioides) ist ein beliebter Speisepilz des Buchenwaldes. Rechts: Der Kleinsporige Buchen-Speitäubling (Russula mairei ) wächst ausschliesslich bei Buchen (beide Max Danz).

Parasitische Pilze

Viele Ektomykorrhiza-Pilzarten können mit ver schiedenen Baumarten Partnerschaften bilden. Ei nige sind jedoch ausschliesslich auf eine Baumart, zum Beispiel die Buche, spezialisiert. Die Pilzarten gemeinschaft verändert sich im Laufe des Buchen lebens. Es werden stetig Partnerschaften aufgelöst und neu gebildet. Es gibt Arten, die besonders häufig bei Jungbuchen zu finden sind, und solche, die typischerweise erst in einem älteren Wald ge deihen können. Letztere sind tendenziell seltener, weil Altwaldstadien in unseren Wirtschaftswäldern leider selten sind; eine Tatsache, der jedoch zuneh mend mit der Ausscheidung von Naturwaldreser vaten entgegengewirkt wird. Häufige und eng an Buche gebundene Arten sind z. B. der Kleinsporige Buchen-Speitäubling (Rus sula mairei; Abb. 1) oder der Graugrüne Milchling (Lactarius blennius). Bedeutend mehr Glück muss man haben, um den zwei gefährdeten Arten Kleiner Zinnobertäubling (RL Status EN, Russula emeticicolor) oder Buchen-Rauhkopf (RL Status EN, Cortinarius tophaceus) zu begegnen. Auch Speisepilzbegeisterte finden in den Buchenwäldern eine reiche Vielfalt, wie zum Beispiel die charakte ristische und beliebte Herbsttrompete (Craterellus cornucopioides; Abb. 1), den Sommer-Steinpilz (Boletus aestivalis) oder die hypogäisch (unter der Erde) wachsende Sommer-Trüffel (Tuber aes tivum).

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40 sante Blattkrankheit, die sogenannte Buchenblatt bräune, wird durch Apiognomonia errabunda ver ursacht. Es ist der weitaus häufigste Blattbesiedler der Buche und interessant, weil die Interaktion sowohl antagonistisch, neutral bis mutualistisch sein kann. Die meisten Infektionen im Frühjahr verlaufen symptomlos bis zum Laubabwurf im Herbst. Bei günstigen Bedingungen für den Pilz kann er aber pathogen werden und braune Blatt flecken verursachen. Einen mutualistischen Effekt kann der Pilz entfalten, wenn die Blätter durch die Buchengallmücke Mikiola fagi befallen wird. Die Gallen dieses Insekts stimulieren nämlich den Pilz, worauf dieser die Insektengalle zum Absterben bringt. Man vermutet, dass dadurch eine mas senhafte Ausbreitung der Gallmücke verhindert werden kann. Ein fast gänzlich unbekannter Pilz, aber ein wahrhafter Serienkiller der Buche ist der Rasig-krustige Buchenkugelpilz Melanamphora spinifera. Dieser vor allem in Buchen-Jungwuchs allgegenwärtige Pilz ist am Stammfuss von jungen, von ihm abgetöteten Buchen zu finden. Der Kon kurrenzkampf im Jungwuchs nach Licht, Nährstof fen und Wasser ist brutal und führt unweigerlich zur Schwächung einzelner Pflanzen. Dank dieser natürlichen Ausmusterung der Schwächsten durch M. spinifera, erhalten die Übrigen mehr Licht und Nährstoffe und haben so bessere Chancen, einmal zu einem ausgewachsenen Baum zu werden.

Holzzersetzende Pilze Einige Holzzersetzer schaffen einen nahtlosen Über gang zu den parasitischen Pilzen, in dem sie das Kernholz und später auch das Splintholz lebender, älterer oder kranker Buchen besiedeln können. Dies führt zu einer Reduktion der Baumstabilität und letztlich zum Bruch des Stammes. Auf diese Weise kann der bekannte Zunderschwamm zu einer na türlichen Bestandesverjüngung führen. Teilwei se schwach pathogen wirken die zahlreichen, oft wirtsspezifisch an dünnen, hängenden, Zweigen vorkommenden Arten. Deren winzige Fruchtkörper sind meist fast unsichtbar unter der Rinde einge senkt. Die mit Abstand artenreichste Gruppe bilden jedoch die Zersetzer von ausschliesslich totem, ste hendem oder liegendem Stamm- und Astholz. Diese nützlichen Pilze recyceln quasi das Holz und führen dessen Nährstoffe zurück in den Kreislauf. Hier lässt sich eine Artensukzession im Verlaufe des Zerset zungsprozesses beobachten. Wie diese Sukzession verläuft ist sehr komplex und hängt unter anderem stark von den Erstbesiedlern ab. An hartem, berin Abb. 2: Links: Fruchtkörper der auf frisches, berindetes Buchenholz spezialisierten Rötlichen Kohlenbeere (Hypoxylon fragiforme). Rechts: Fruchtkörper vom Ästigen Stachelbart (Hericium coralloides), der auf etwas stärker zersetztem, meist dickem Buchentotholz wächst (beide Stefan Blaser).

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detem Holz treten mehrere, sehr oft ausschliesslich auf Buche wachsende Schlauchpilze wie die Rötliche Kohlenbeere (Hypoxylon fragiforme) auf. Sie bildet rostrote, halbkugelige Fruchtkörper, die in grosser Zahl Äste und Stämme überziehen können (Abb. 2).

Danach ändert sich die Artenzusammensetzung und die Artenzahl steigt in der Optimalphase der Zerset zung stark an. Ganz selten kann man in dieser Phase die auffälligen Fruchtkörper vom Ästigen Stachel bart (Hericium coralloides) beobachten (Abb. 2). Abb. 3: Links oben: Fruchtkörper der auf Fruchtbecher spezialisierten Buchenfruchtschalen-Holzkeule (Xylaria carpophila; Markus Wilhelm). Rechts oben: Fruchtörper des Fleischfarbigen Flockenschüpplings (Flammulaster carpophilus) auf einem Fruchtbecher (Stefan Blaser). Links unten: Winzige, schalenförmige, am Rand behaarte Fruchtkörper des Bräunlichen Buchenblatt-Haarbecherchens (Brunnipila fuscescens) auf der Blattunterseite (Erich Zimmermann). Rechts unten: Der Niederliegende Schwindling (Rhi zomarasmius setosus) auf Buchenblättern (Jörg Gilgen).

Die als verletzlich eingestufte Rote Liste Art ist auf dickes Totholz von Buche angewiesen und bevor zugt möglichst natürliche, totholzreiche Wälder. Der Anteil an buchenspezifischen Arten nimmt mit weiter fortschreitender Zersetzung ab. Es treten ver mehrt Generalisten und zum Schluss sogar Mykorr hizapilze im wasserspeichernden Mulmholz auf. Für die Holzzersetzer ist es enorm wichtig, flächen deckend genügend Totholz, insbesondere dicke Stämme und Biotopbäume im Wald zu belassen. Für zahlreiche Arten sind auch Altwaldstadien, etwa in Form von Waldreservaten oder Altholzinseln, essen ziell. Von solchen Massnahmen profitieren nebst den Pilzen gleichermassen viele andere Organismen. Streusaprophyten Neben den Guten und Bösen zählen die Streusapro phyten wie die reinen Totholzabbauer zu den Nützli chen. In einem Buchenwald ist der Boden meist durch eine dicke Schicht aus Buchenlaub und Frucht bechern bedeckt. Unermüdlich bauen Pilze das viele organische Material ab und setzen die darin enthal tenen Nährstoffe wieder frei. In einer ersten Phase sind vor allem Schlauchpilze aktiv, die einfach ab baubare, z. B. zuckerähnliche Stoffe zersetzen. Dar auf folgen die Ständerpilze, welche die Zellulose und das Lignin verdauen. Gewisse Arten wie etwa die Buchenfruchtschalen-Holzkeule (Xylaria carpophi la; Abb. 3) oder der Fleischfarbige Flockenschüpp ling (Flammulaster carpophilus; Abb. 3) sind dabei fast ausschliesslich auf den Fruchtbechern zu finden. Dagegen sind die weniger als einen Millimeter gros sen, schalenförmigen Fruchtkörper des Bräunlichen Buchenblatt-Haarbecherchens (Brunnipila fusce scens; Abb. 3) im Frühjahr auf der Unterseite feucht liegender Blätter wohl in jedem Buchenwald anzu treffen. Auch die kleinen, hutförmigen Fruchtkörper vom Buchenblatt-Helmling (Mycena capillaris) oder dem Niederliegenden Schwindling (Rhizomarasmi us setosus; Abb. 3) sitzen meist direkt auf Blättern oder Blattstielen auf. Viele weitere Buchenstreuspe zialisten wie der häufige Ledergelbe Schwindling (Marasmius torquescens) oder der vom Aussterben bedrohte Buchen-Helmling ( Mycena fagetorum ) machen bei diesem grossen Recyclingprozess mit. Schlussfolgerungen Falls Sie während der Lektüre auch zwischen den Zeilen gelesen haben, werden Sie bemerkt haben, dass eine Einteilung in gute, böse und nützliche Pilze keinen Sinn ergibt. Auch parasitische Pilze können einen direkten oder indirekten Nutzen für Buchenpopulationen haben. Im Extremfall können parasitische Pilze sogar eine mutualistische Wir kung entfalten, wie im Beispiel von A. errabunda, die die Massenvermehrung der Buchengallmücke verhindern kann. Scheinbar harmlose Pilze wie M. spinifera sind eigentliche Serienkiller, sorgen aber gleichzeitig für die natürliche Selektion und «the survival of the fittest». Alle Pilze, die mit Buche as soziiert sind, haben ihren Platz und ihre Funktion im Ökosystem Buchenwald und wir können durch gezielte Massnahmen dazu beitragen, dass diese Diversität erhalten bleibt. Dr. Stefan Blaser und Dr. Andrin Gross arbeiten bei der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in der Forschungsgruppe Biodiversität.

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Abb. 1: Die Kandelaber-Buche in Buchner Tobel besitzt 17 Stämme. Sie steht an der Grenze eines Tobels, das den Wald boden wegspült und damit ihre Stabilität gefährdet. (Bild: Ueli Bühler)

Diese Buche wurde durch Ueli Bühler während Aufnahmen für den Weissrückenspecht im Februar 2018 entdeckt. Sie fiel ihm relativ spät auf, obwohl er das Gebiet bereits öfters begangen hatte und gut kannte. Ihre 17 Stämme erinnern an einen Leuchter und wird somit als Kandelaber-Buche be zeichnet. In den bewirtschafteten Wäldern Europas sind sehr alte, dicke Buchen eine Seltenheit. Es ist eine besondere Erfahrung, solche alten und dicken Bäume im Wald zu finden. Zwei besonders schöne Buchen kann man im Buchner Tobel in Luzein und in Maienfeld bewundern. J. Jakob

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Monumentale Buchen in Graubünden

Kandelaber-Buche in Luzein Umfang: 795 Brusthöhendurchmessercm (BHD): 253 cm Ortsname: Grossrüti, Buchnertobel Gemeinde: Luzein Höhe über Meer: 1020 m

Maienfelder Buche Umfang: 650 Brusthöhendurchmessercm (BHD): 207 cm Ortsname: Bovel Gemeinde: Stadt Maienfeld Höhe über Meer: 668 m Im Eichenhain Bovel in der Nähe der Försterschule Maienfeld steht angeblich die dickste Buche der Schweiz. Sie befindet sich allerdings nicht im Wald, sondern im bekannten Eichenhain. Dieser wurde im Mittelalter während des Sommers beweidet und die Eicheln im Herbst an Schweine verfüttert. Diese Nutzung gestaltete das eigene Landschafts bild mit mehreren Einzelbäumen. Etwas abseits da von steht die aussergewöhnliche Buche. Sie hat eindrückliche Wurzelanläufe, die – bedingt durch die Flachgründigkeit des Bodens – dem Baum die nötige Stabilität verleihen. Man könnte meinen, sie setze sich wie im Fantasie-Roman Herr der Rin ge in Bewegung und laufe davon. Dicke Äste sind abgebrochen und doch treibt der Baum an der Ab bruchstelle wieder aus. Die Maienfelder Buche ist ein markantes und wert volles Landschaftselement. Sie löst bei Einheimi schen wie auch Auswärtigen Bewunderung aus. Eine Bank in der Nähe des Baumes lädt zum Ver weilen Markanteein.Einzelbäume wie die Maienfelder Buche waren und sind Treffpunkt für die Menschen, Orte für Versammlungen und Urteilsverkündigung und markieren Eigentumsgrenzen. Jene Bäume sind Zeugen der Geschichte. Stellen wir uns vor, was sie alles aus ihrem Baumleben erzählen könnten. Ne ben ihrem Umfang sind sie auch wegen ihres Al ters von hohem emotionalen Wert. Das Alter des Baumes wird auf 350 Jahre geschätzt. Wer weiss, vielleicht verweilte auch Hortensia Gugelberg von Moos unter dieser Buche. In mehreren Internetquellen ist zu lesen, dass sie trotz ihres Alters sehr vital ist. Dem ist leider nicht

44 Erstaunlich ist, dass die rund 27 m hohe Buche auf einer Meereshöhe von 1020 m und der grossen Niederschlagsmengen der Nordalpen so alt und dick werden konnte. Auf alten Luftbildern von 1939 lässt sich eine Bewei dung erahnen. Die Kandelaber-Buche selbst lässt sich nicht eindeutig erkennen. Es kann sein, dass sie erst in den letzten 80 Jahren dicker geworden ist. Die offenen Flächen sind jedoch nach der Aufgabe der Beweidung und mit der Zeit eingewachsen. Heute werden die verbleibenden Blössen im Buchner Tobel von Jägern teilweise gemäht. Die Kandelaber-Buche könnte durch Niederwald-Bewirtschaftung entstan den sein, indem sie auf den Stock gesetzt wurde. Der dicke Stammfuss und die 17 dünnen Kandelaber stämme in circa zwei bis drei Meter Höhe erinnern jedoch auch ein wenig an Kastanien im Tessin und in den Südtälern Graubündens. Bei der Capitozzatura werden die oberen Äste abgeschnitten, dass der Baum immer wieder austreibt. Dies dient zum einen der Ertragssteigerung der Früchte und zum anderen der Gewinnung von Zaun- und Brennholz. Die Höhe der Capitozzatura wurde so durchgeführt, dass die frischen Äste für Ziegen nicht erreichbar waren. Buchen bilden am Hang stehend talseitig eine grössere Krone als bergseitig. Dadurch sind die Bäume instabiler und fallen mit zunehmender Grö sse und Alter irgendwann um. Anders bei der Kan delaber-Buche. Sie könnte so gross geworden sein, weil sie ohne konkurrierende Nachbarn frei auf wuchs oder weil das stabile, dicke Stammstück sie vor dem Umfallen hinderte. Moosbewuchs, Vertiefungen, Saftfluss, Mikrobo den sind nur ein Paar der unzähligen Mikrohabitate, welche man auf der Buche finden kann. Sogar eine Fichte wächst zwischen den Ästen der majestäti schen Buche. Jedes Mikrohabitat ist eine Nische für eine Art oder Artengemeinschaft. Je mehr Mikroha bitate und damit Nischen ein Baum besitzt desto höher ist der ökologische Wert. Für die Biodiversität im Wald sind daher alte und dicke Bäume wie diese Kandelaber-Buche in Luzein wahre Schatztruhen.

Johannes Jakob ist technischer Sachbearbeiter und Spezi alist Waldbiodiversität in der Region 1 «Herrschaft / Prättigau / Davos» beim Amt für Wald und Naturgefahren (AWN). Abb. 2: Die angeblich dickste Buche der Schweiz in Maienfeld. (Bild: Jürg Hassler).

45 so. Am Stamm sind Pilzkonsolen und Saftausfluss zu sehen. Im Sommer fällt auf, dass die Kronen spitzen keine Blätter mehr tragen und abgestorben sind. Wir hoffen dennoch, dass sie noch solange wie möglich stehen bleibt und Schatten für Ruhe suchende auf der Bank spenden kann.

Fagus Sylvatica Atropunicea Gelegentlich trifft man im Frühjahr in Gärten, Pär ken oder selten in Buchenwäldern auf Buchen mit leuchtend roten Blättern. Man fragt sich, warum im Herbst kaum mehr ein Unterschied der Blattfar be mit den übrigen Buchen festzustellen ist. Land schaftsarchitekt Alex Jost aus Chur stellte fest, dass vor allem Sämlinge von Blutbuchen, im Gegensatz zu gepfropften Exemplaren, im Herbst die Rotfär bung der Blätter weniger beibehalten. Im Park der Liegenschaft «Mulegn» von Andeer stockte bis vor wenigen Jahren eine grosse Blutbu che (Fagus sylvatica f. purpurea) (Abb. 1). Diese Blutbuchen, die rotblättrige Mutation der Rotbuche, bereichern als Solitärpflanzen vor allem Pärke und grosse Gärten. Sie lösen Emotionen aus, wenn sie gefällt werden sollen. O. Hugentobler

Abb. 1: Blutbuche und Säuleneiche im Park «Mulegn» in Andeer um 2006. Im Hintergrund auf der linken Bildseite ist die zweite grössere Blutbuche, welche nicht gefällt wurde, sichtbar. (Bild: G. Ragaz).

Blutbuchen

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47 wurde bei der Gestaltung des Parks vor rund 100 Jahren gepflanzt. Sie wurde vor einigen Jahren, um «Platz zu machen», leider gefällt. Das gleiche Schicksal erlitt auch die seltene, prächtige Säule neiche direkt neben dem Eingangstor. Eine grösse re Blutbuche hinter dem Hauptgebäude von Mu legn hat die Fäll-Aktionen überstanden. Es ist ausserdem tröstlich, dass sich im Mischwald auf der Westseite der Liegenschaft ein Sämling, der vermutlich von der Buche des Parks abstammt, sich zu einer Blutbuche entwickelt hat. Weil in den Schamser Wäldern vor 100 Jahren noch keine Bu chen wuchsen und sich Blutbuchen sehr gut natür lich verjüngen, ist diese Annahme nahe liegend. Es scheint, dass die Blutbuchen im Gegensatz zu den Rotbuchen im Herbst die Blätter länger behal ten (Abb. 2). Ob es sich dabei um Sämlinge oder um vegetativ vermehrte Exemplare handelt, wie zum Beispiel aus Stecklingen, ist nicht bekannt. Für die Stecklingsvermehrung werden im Frühjahr zwei jährige 10–12 cm lange Zweige verwendet. Erst in den letzten Jahren wurden Blutbuchenzweige mit intensiv roten Blättern auch auf junge Rotbuchen aufgepfropft. Baumschulen bieten im Handel zu Abb. 2: Blutbuche im Park «Mulegn» hinter dem Hauptgebäude am 5. Dezember 2021. (Bild: O. Hugentobler)

Abb. 3: Blutbuche am 27. September 2008 im Fontanapark in Chur. (Bild: O. Hugentobler)

sind seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Die «Stammmutter» wuchs im Possenwald bei Sonderhausen (Thüringen). Sie wurde öfters auf Exkursionen besucht. Leider ist dieser Baum vor einigen Jahren eingegangen. Am gleichen Stand ort haben sich erfreulicherweise Sämlinge der Mutterpflanze gut entwickelt. Die rotblättrige, auffällige Mutation der Rotbuche wird immer noch weltweit in Pärken gepflanzt. Ein schönes Beispiel ist die prächtige Blutbuche im Fontana Park von Chur (Abb. 3). Im Park beim Karlihof in Chur steht eine weitere grosse Blutbuche (Abb. 4). Diese ist leider am Absterben. Es wurde mit Kunstgriffen versucht, den Sterbeprozess zu verlängern bis der im gleichen Park gepflanzte junge Baum eine ge wisse Grösse hat. Der Name Blutbuche hat verschiedene Autoren von Kriminalgeschichten und Kriminalromanen dazu verleitet, einem ihrer Buchtitel einen zusätzlichen kriminellen Anstrich zu geben. So zum Beispiel:

48 dem verschiedene Blutbuchensorten als Heckpflan zen Blutbuchenan.

Arthur Conan Doyle «Das Haus zu den Blutbu chen» (Sherlock Holmes löst ein kriminelles Pro blem im Haus zu den Blutbuchen)

Heike Schroll «Blutbuchen, ein Altmarkkrimi» Ule Hansen «Blutbuche» (Dank dem Wissen um die speziellen Eigenschaften der Blutbuchen kann ein Kriminalfall gelöst werden).

Abb. 4: Absterbende und frisch gepflanzte Blutbuchen am 6. Dezember 2021 beim Karlihof in Chur. (Bild: O. Hugentobler)

Die erwähnten Geschichten sind sicher interessant. Die Blutbuchen sind vor allem Kulissen und geben nur wenige Antworten auf botanische Fragen. Grosse Blutbuchen im Siedlungsraum gehören zu einigen Stadt- oder Dorfbildern. Sie lösen Emotio nen aus, wenn bei Bauvorhaben deren Entfernung vorgesehen ist. Für den Bau der Limmattalbahn soll te in Schlieren eine grosse, etwa 80 Jahre alte Blut buche weichen. Gegen das Fällen des Prachtbau mes opponierte die Schlieremer Bevölkerung. Die dabei gegründete «IG Blutbuche» reichte eine Peti tion mit 4600 Unterschriften zur Erhaltung des Bau mes und zur Verschiebung des geplanten Bahnt rassees ein. Der Petition wurde nicht im Sinne der Petitionäre stattgegeben. Der Baum wurde mithilfe von zwei Kranen und einer unter die Wurzel ge schobenen Stahlplatte am 5. Februar 2018 an einen 150 m entfernen Ort versetzt. Das Versetzen soll 160 000 Franken gekostet haben (Abb. 5). Es ist er freulich, dass sich viele Leute für markante Bäume

49 wie die Blutbuchen einsetzen, seien es solche im Wald, in Parkanlagen oder an Strassenrändern. Wie ich von der Stadtverwaltung in Schlieren er fahren habe, hat der Baum das Versetzen nach dem Trockensommer 2018 nicht überstanden und musste ein Jahr nach dem Verpflanzen gefällt wer den. Damit hat sich der Spruch «alte Bäume ver setzt man nicht» bewahrheitet. Bemerkung Die im Handel für die Blutbuche verwendeten la teinischen Namen sind unterschiedlich. Ausser dem kommen verschiedene Züchtungen mit spezi ellen Sortennamen, die vegetativ vermehrt werden, dazu.

Fagus sylvatica f. purpurea Fagus sylvatica atropunicea (Blutbuche aus Aus saat) Fagus sylvatica Swat Magret (veredelte Blutbu che) Fagus sylvatica purpurea Oskar Hugentobler ist pensionierter Forstingenieur aus Andeer. Abb. 5: Versetzungsaktion der Schlieremer 100 Tonnen schweren Blutbuche am 5. Februar 2018. (Bild: S. Haberland, NZZ)

Aus Waldreservaten entstand ein UNESCO-Weltnaturerbe

Als er 2009 aus dem Amt zurücktrat, war das Waldreservat allerdings noch nicht ganz of fiziell gegründet. Auch der neue Präsident Christian Ferrari stand diesem Thema sehr offen und ideen reich gegenüber, sodass das Waldreservat im Jahr 2010 definitiv gegründet werden konnte. Im Jahr 2013 kam die grosse Überraschung: bei ei ner Begehung vom Forstdienst mit den zwei WSL Expertinnen Brigitte Commarmot und Marti na Hobi wurden ein Teil der Buchenwälder besich tigt und Bohrkernproben für die Altersbestimmung der Bäume entnommen. Im Jahr 2014 wurden die Buchenwälder des Lodano Tales in die vorüberge hende sogenannte Wien Shortlist der markantesten Buchenwälder Europas vorgeschlagen. Schon seit dem Jahr 2007, mit der Einschreibung der ersten Buchenwälder in den Karpaten in der Welterbeliste der UNESCO (Gut, das heute als «Alte Buchenwäl der und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas» bezeichnet wird), ist der ausser ordentliche Wert von Europas Buchenurwäldern und alten Buchenwäldern anerkannt worden.

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Lodano, Busai und Soladino: zwei Naturwaldreservate, ein «Bottom­up»­Prozess Eigentlich begann alles schon Ende Jahr 2004, als der ehemalige Präsident Claudio Tunzi der Bürgerge meinde (Patriziato) von Lodano mit dem Kreisforstamt in Cevio im Maggiatal Kontakt aufnahm und sich erkundigen wollte, ob es möglich sei, im Loda no Tal in der Gemeinde Maggia ein Waldreservat auszuscheiden.

Dieser Umstand führte dazu, dass das Natur waldreservat im Jahr 2016 auf praktisch das ganze Tal definitiv ausgeweitet wurde, von der Talsoh le bis hinauf zur Waldgrenze. Somit wurden 766 ha Wald unter den Schutz des Naturwaldreser vates gestellt. Wenig später engagierten sich die benachbarten Bürgergemeinden von Giumaglio und Someo für die Gründung des angrenzenden Waldreservates Valli Busai und Soladino: der Holz schlag lohnt sich seit langem nicht mehr und der Biodiversität wird im Tal immer mehr Bedeutung geschenkt. Die Entschädigungsgelder werden für die Instandsetzung vor allem von Wanderwegen genutzt, um die verlassenen Seitentäler wieder zu gänglich zu machen. Es tobt sich also etwas, Erin nerungen tauchen auf, die Begeisterung und das Interesse zum Wald steigen wieder. Im Juni 2020 fand die definitive Gründung des Naturwaldreser vates Valli Busai und Soladino statt, das zusam men mit dem Naturwaldreservat Valle di Lodano momentan mit 2048 ha das zweitgrösste Natur waldreservat der Schweiz ist (nach dem Schweizer Nationalpark) (Abb. 1). Kandidaturdossier und Beurteilung durch IUCN Experten Parallel dazu ging es mit der UNESCO Kandidatur weiter. Am 9. Dezember 2016 befürwortete der Bundesrat die offizielle Kandidatur. Ende Januar 2020 ist das dazugehörige Dossier der Welter Am 28. Juli 2021 hat das Welterbekomitee der UNESCO entschieden, die alten Buchenwälder in den Tälern Lodano, Busai und Soladino (TI)1 sowie auf dem Bettlachstock (SO) in die Welterbeliste aufzunehmen. Die Kandidatur wurde von einem internationalen Gremium von Buchenexperten vorgeschlagen. Ein wertvolles genetisches Reservoir ist für die Buche geschaffen worden, gleich zeitig aber auch für zahlreiche assoziierte und von diesen Lebensräumen abhängigen Tier- und Pflanzenarten.

T. Schiesser, D. Bettelini

51 be-Kommission

Der dänische Experte Jan Wooll head hatte die Gelegenheit, diese Waldreservate und die Buchenwälder zu besichtigen, begleitet durch Vertreter des Bundesamtes für Umwelt, der kantonalen Verwaltung, der lokalen Behörde und SomitNaturschutzvereinen.konntederIUCN-Experte sich während eini gen Tagen ein gutes Bild machen. Eine vollständige Übersicht ist in so kurzer Zeit nicht möglich; sogar das lokale Forstdienstteam hat den grössten Teil dieser Wälder noch nie begangen! In diesen Sei tentälern sind seit den Sechzigerjahren keine Holz

der UNESCO zugestellt worden. Im Sommer 2020 kam ein IUCN-Experte (Internati onal Union for Conservation of Nature) im Auftrag der UNESCO vorbei, um sich die Buchenwälder vor Ort anzuschauen.

schläge mehr durchgeführt worden. Die Wälder sind somit der Natur allmählich überlassen wor den. Die Buche nimmt einen wichtigen Platz ein: auf der Vegetationskarte dominiert sie flächen mässig gegenüber anderen Baumarten und Wald gesellschaften. Totholz ist in grossen Mengen und allen Durchmesserklassen zu finden und ein wich tiges Habitat für floristischen und faunistischen Raritäten (Abb. 2). Grosse, alte und dicke Bäume sind keine Seltenheit. Die WSL schätzt aufgrund der Bohrkernproben ein Alter von 150 bis 170 Jahre. Da und dort stehen auch einzelne alte Exemplare, die man auf mindes tens 200 bis 250 Jahre schätzt. Die Sämlinge aus Naturverjüngung wachsen dicht und der Generati onswechsel ist garantiert. Als Folge von ehemaligen Abb. 1: Negative Einflüsse auf den Welterbeperimeter der Buchenwälder sind dank der Schutz-Pufferzone (ebenfalls mit Naturwaldreservat-Status) und der im kantonalen Richtplan festgelegten Landschaftspufferzone praktisch auszu schliessen. (Bild: Sezione Forestale Ticino)

Die grosse Verantwortung nach der UNESCO-Anerkennung Die Tessiner Buchenwälder sind eines der 94 Ob jekte, die zusammen ein transnationales Netz in 18 europäischen Ländern gestalten und eine der nur vier Waldflächen, die die Alpenkette repräsentie ren: die einzigen auf Silikatgestein (sauer), welche hauptsächlich dem Waldtyp Schneehainsimse-Bu chenwald zugeordnet werden kann.

Abb. 2: In den Jahren 2019–2020 ist ein Artenmonitoring in einem Buchenwald des Lodano-Tales durch die WSL und die BFH Zollikofen durchgeführt worden. Im Zwischen bericht ist festgelegt worden, dass zwei festgestellte Pilz arten erstmals in der Schweiz gefunden worden sind, dazu noch riesige Zunderschwämme und mehrere Käfer artenraritäten (insgesamt mehr als 500 verschiedene Käferarten!) (Bild: T. Schiesser)

Abb. 3: Vielfältige Wälder. (Bild: T. Schiesser)

trifft man ab und zu auf grossflächi ge, veraltete Stockausschlags-Wälder, die etwa 60 bis 80 Jahre aufweisen. Das ursprünglich montane Verbreitungsareal hat sich nach unten auf die kolline und nach oben auf die untere subalpine Stu fe erweitert. Vor dem Eingang des Valle del Soladi no steht die Buche schon auf 560 m. ü. M., in Loda no sogar auf 360 m. ü. M. In den höheren Lagen bis 1750 m. ü. M., aber dann in einer Krüppelform oder Strauchform. Die klimatischen Änderungen haben schon erste Auswirkungen. Nicht alle Buchenwälder sind gleich: das Expertenau ge erkennt verschiedene Waldgesellschaften, wel che durch den Höhengradient, die verschiedenen anzutreffenden morphologischen Verhältnisse und Expositionen geprägt sind. Einfach zu erkennen sind die verschiedenen Baumgrössen und -formen (alte, mit dicken Durchmessern und grossen Kronen, aber in der Höhe weniger entwickelte Individuen auf tro ckenen, südexponierten Lagen, lange Schäfte mit weniger Ästen und höhere Bäume auf nicht zu stei len, nordexponierten Hängen). In den Waldreser vaten gibt es dunkle Wälder, wo nur die Buche wächst, aber auch weniger dichte Bestände mit Al penrose und Goldregen, wo man nicht selten den Alpenbockkäfer ( Rosalia alpina ) entdeckt, oder Waldstücke mit starker Beimischung der Weisstanne. Je nach Witterung und Jahreszeit kann jederzeit Neu es in diesem 807 ha grossen Wald entdeckt werden (Abb. 3).

52 Holzschlägen

Am 1. Januar 2022 wurde eine lokale strategische Gruppe «Buchenwälder Naturwelterbe» gegrün det, mit dem Ziel, eine gerechte Verwaltung und Förderung des UNESCO-Gutes im Valle Maggia zu gewährleisten. Sie besteht aus Fachleuten und Vertretern der Waldbesitzer und lokalen Institutio nen (Abb. 4). Die Finanzierung des Bundes ist ge Derwährleistet.kantonale Forstdienst ist bestrebt, ein langjäh riges Monitoring der Waldentwicklung zu garan tieren, und ist bemüht, dass diese Buchenwälder im nationalen Monitoring-Netzwerk der Waldre servate der WSL aufgenommen werden.

1 Im Februar 2019 wurde im «Bündner Wald» schon ein Artikel zu den «bizaren Buchen im Valle di Lodano» von Lukas Denzler publiziert. Thomas Schiesser ist zuständig für den 7° Forstkreis (Valle Maggia). Davide Bettelini ist für den Bereich Forstliche Pla nung und Walderhaltung im tessiner Forstdienst zuständig. Literatur und Quellen auf buendnerwald.ch Abb. 4: Das Infozentrum in Lodano (Eigentum der Bürgergemeinde von Lodano), Gemeinde Maggia, wird sich jetzt inhalt lich auch dem UNESCO-Welterbe anpassen. (Bild: Ch. Ferrari)

Ihre Bedeutung kann wie folgt erklärt werden: die Buchenwälder sind «aussergewöhnliche Beispiele bedeutender fortlaufender ökologischer und biolo gischer Prozesse in der Evolution und Entwicklung von Land-Ökosystemen sowie Pflanzen- und Tier gemeinschaften» (Kriterium IX der Welterbekon vention). Seit dem Ende der letzten Vergletsche rung hat sich die Buche von einigen wenigen isolierten Beständen im Süden und Südosten aus praktisch auf dem ganzen Kontinent verbreitet. Der Erfolg der Art verdankt sich ihrer Fähigkeit, sich an eine Vielzahl klimatischer und geografi scher Bedingungen anzupassen.

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Regeneratfasern sind Fasern, die aus natürlich vor kommenden, nachwachsenden Rohstoffen über chemische Prozesse hergestellt werden. Es handelt sich vor allem um Zellulosederivate aus Holz. Die bekannteste Regeneratfaser ist sicher Viskose, aber immer mehr redet man auch über Lyocell und Modal.

Abb. 1: Holzplatz am Standort Lenzing. (Bild: Lenzing AG)

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Viskose und Modal: Was sind die Unterschiede? Viskose und Modal sind sehr ähnlich. Oft sagt man, dass Modal eine Weiterentwicklung der Viskosefasern ist. Die grössten Unterschiede sind die Grundstoffe sowie das Spinnverfahren. Modal wird ausschliesslich mit Buchenholz produziert. Als Ergebnis, Modalstoffe sind im Vergleich zur Visko Nylon, Baumwolle und Wolle sind Textilien, die wir alle kennen. In den letzten Jahren werden jedoch immer mehr Kleidungsstücke aus Textilien hergestellt, die aus Holzfasern bestehen. Eines davon ist Modal, das aus schliesslich aus Buchenholz hergestellt wird. V. Sala

Modal: Textilstoff aus Buchenholz

55 se glatter, saugfähiger, hitzebeständiger und ha ben eine höhere Festigkeit. Modalproduktion

für die Gewinnung von Modal ist generell natürlicher Zellstoff aus entrindetem Holz (Abb. 2). Die Zellulose wird von den anderen Sub stanzen des Holzes, wie Lignin, Harz, Wachs, Ei weiss und Lipiden getrennt. Diese Trennung er folgt üblicherweise mit organischen Lösungsmitteln wie Methanol oder Ethanol. Gebleicht wird mit Sauerstoff, Ozon und Wasserstoffperoxid. Chlor kommt nicht zum Einsatz. In weiteren Verfahrens schritten werden vermarktbare Nebenprodukte wie Essigsäure, Furfural und Xylose gewonnen. In der fertigen Faser sind keine Chemikalien mehr enthalten (Abb. 3). Modaleinsatz

Die Modalfasern und die Modalstoffe sind saugfä higer als Viskose und Baumwolle, wodurch sie einen besonderen Tragekomfort garantieren. Die Modal stoffe sind angenehm weich und bleiben es auch nach vielen Wäschen. Die Modalfasern werden wie folgt beschrieben: Saugfähig, robust und langlebig, die Modalstoffe sind besonders atmungsaktiv und hautsympathisch. Eine enorme Stärke der Modalfa ser ist deren Wirkung auf andere Fasern, mit denen sie zu Mischgeweben verarbeitet werden. Geeignet sind sie als Beimischung zu Naturfasern wie Seide, Leinen, Wolle und Baumwolle oder Chemiefaser wie Polyester. Abb. 2: Zellstoff. (Bild: F. Neumayr, Lenzing AG) Abb. 3: Beispiel von Stapelfaser aus Buchenholz. (Bild: M. Renner, Lenzing AG)

Modal wurde ursprünglich in den 1950er-Jahren in Japan entwickelt. Heute wird der grösste Teil von Modal von der österreichischen Lenzing AG herge stellt (Abb. 1). Je nach Verfahren kann die Produktion von Modal sehr ressourcenintensiv sein, da Chemikalien invol viert sind. Der Lenzing Modal ist weltweit bekannt als der nachhaltigste Modal auf dem Markt, weil der Rohstoff Buchenholz aus nachhaltigen forst wirtschaftlichen Quellen kommt und weil die Her stellung in einem geschlossenen Kreislauf erfolgt, in welchem 95 % der Chemikalien wiedergewon nen Ausgangsstoffwerden.

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56 Aufgrund

ihrer Eigenschaften wird sie hauptsäch lich verwendet in Textilien, welche hautnah ver wendet werden wie Unterwäsche, Schlafwäsche und Bettwäsche. Ökologische Vorteile und Nachteile Die Produktion von Modal hat einen geringeren Flächenbedarf im Vergleich, zum Beispiel zu Baum wollfasern. Für die Produktion einer Tonne Baum wollfasern braucht man mehr als 1 Hektar, für die Produktion einer Tonne Modal reichen 0,2 bis 0,6 DerHektar.Wasserverbrauch ist auch deutlich tiefer: Die Baumwollproduktion verbraucht bis 20 Mal mehr Wasser als die Modalproduktion.

Der Nachteil von Modal ist, dass zur Herstellung Chemikalien benötigt werden, die umweltschäd lich sein können und nicht alle Hersteller einer nachhaltigen Produktion folgen.

Aus diesem Grund sollte man immer die Herkunft Wasüberprüfen.dieEntsorgung betrifft, Viskose, Modal und Lyocell sind alle komplett biologisch abbaubar.

Viola Sala ist technische Sachbearbeiterin in den Bereichen Waldökologie & Schutzwald und Waldinformation beim Amt für Wald und Naturgefahren (AWN). Literaturverzeichnis auf www.buendnerwald.ch

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Die Albino-Buche Beim Baumwipfelpfad Neckertal in Mogelsberg wurde vor zwei Jahren eine Buche mit weissen Blättern entdeckt. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich haben das seltene Exemplar untersucht. Bei einer Führung durch den Wald konnte beim Baumwipfelpfad Neckertal eine Buche mit weissen Blättern entdeckt werden (Abb. 1). Dieses äusserst seltene Exemplar kann wegen dem fehlenden Chlorophyll in den Blättern keine Photosynthese machen und ist eigentlich nicht überlebensfähig. Forscher der ETH Zürich haben nun nachgewiesen, dass diese Buche von Nachbarbäumen versorgt wird. Dieser aussergewöhnliche Baum ist nun den Besuchern des Baumwipfelpfades zugänglich ge macht. Ein ästhetischer Zaun schützt die Buche vor Beschädigungen und eine Erlebnisstation erläutert das Phänomen und zeigt das Zusammenspiel der Bäume unter dem Boden auf. Da für die AlbinoBuche die weissen Blätter keine wichtige Funkti on haben, verfärben sich diese bereits im August braun und fallen ab. Erst im nächsten Frühling wird der Baum die weissen Blätter wieder austreiben. Dieses Jahr tragen die Buchen sehr viele Früchte, sogar die Albino-Buche versuchte eine Frucht aus zubilden. Dieses besondere Naturphänomen kann nun auf dem Baumwipfelpfad Neckertal bestaunt werden.

Baumwipfelpfad Neckertal

Abb. 1: Der Herbst hält bereits im Sommer Einzug: Früher als bei ihren Artgenossen verfärben sich die Blätter der AlbinoBuche braun und fallen ab. (Bild: Waldregion 5, Toggenburg)

J. Hassler

Martin Stuber fasst das Wirken von Coaz als Bünd ner Forstinspektor in den Jahren 1851–1872 zusam men. Er beschreibt die Widerstände, gegen die Coaz ankämpfte und welche Anstrengungen der fünfte kantonale Forstinspektor von Graubünden aufwen dete, um das Forstwesen aufzubauen. Zudem zeigt Stuber auf, wie Coaz die Gemeindeförsterausbil dung vorantrieb und wie er in den Gemeinden aktiv war, um die Anliegen der nachhaltigen Forstwirt schaft in allen Gegenden des Kantons zu verankern.

Die Historikerin Karin Fuchs und die beiden Histo riker Paul Eugen Grimm und Martin Stuber haben im Auftrag des Instituts für Kulturforschung Grau bünden einen wichtigen Beitrag zur bündnerischen Forstgeschichte geleistet. Das Buch ist in vier Teile gegliedert und veranschaulicht Leben und Wirken von Johann Coaz im Kontext des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit, in dem der wirtschaftliche, der wis senschaftliche und der technische Aufschwung ins Rollen kam und die damalige Elite, deren Vertreter wichtige Positionen in ihren Bereichen bekleideten, ein ganz und gar freies Feld bearbeiten konnten. So auch Johann Coaz. Im ersten Teil des Buches zeichnet Paul Eugen Grimm das Leben und vor allem auch den Charak ter von Coaz auf. Mithilfe der vielen verschiedenen Tagebücher, die uns der Protagonist hinterlassen hat, ist ein eindrückliches Bild über den Forstmann entstanden. Die nüchternen, beinahe emotionslo sen Aufzeichnungen von Coaz erlauben einen un mittelbaren Einblick in die Denk- und Lebensweise des einflussreichen Vertreters dieser Epoche. Das Kapitel ist reich mit Originaltexten aus den Tage büchern versehen.

Nutzen und schützen – Johann Coaz

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Daran lässt sich aufzeigen, dass Coaz eine ökonomi sche Forstwirtschaft für die Gemeinden vorsah. Ne ben den oben erwähnten Themen arbeitet Martin Stuber auch die Effekte der Naturgefahren und de ren Eindämmung sowie der Regulierung der Wald weide, der Streunutzung und die Förderung der Walderschliessung, im Hinblick auf die forstlichen Ziele heraus. Überdies strebte Coaz, als kantonaler Forstinspektor, die Einführung von Gemeindewald ordnungen, die Ausarbeitung von Wald-Wirt schaftsplänen und die Waldvermessung an. Mit dem reichhaltigen Fundus an Archivmaterial kann Stuber auch die politische Arbeit von Coaz ausführ lich darstellen. Im Weiteren wird durch Karin Fuchs ausgeführt, wie Johann Coaz aus seinen Positionen heraus ein aus serordentliches Netzwerk aufbaute und dieses über die Schweizer Grenzen hinaus unterhielt und pflegte. Es wird dem Leser vor Augen geführt, welch weit verzweigte Verbindungen in Bildung, Politik und Forschung Coaz unterhielt und was er mit seinen Verbündeten für den jungen schweizerischen Bun desstaat erreichte. Dies reichte von seinen Anfängen als Kartograf im Projekt der Dufourkarte, die als erste Landeskarte die nationale Identität im Bundesstaat stärken sollte, bis hin zu den ersten Anstrengungen des Naturschutzes in der Schweiz. Es wird auch deut lich, wie einflussreich die Vereine der verschiedenen Interessengruppen waren. So der Schweizerische Forstverein oder die Naturforschenden Gesellschaf ten, die ihren Einfluss geltend machten und an der Gestaltung von Gesetzen und Verordnungen aktiv Ein Buch, das die schweizerische und bündnerische Forst geschichte im 19. Jahrhundert eingehend beleuchtet und den Einfluss von Johann Coaz auf das schweizerische Forstwesen in wirtschaftlicher, bildungs- und forschungs mässiger wie auch in politischer Hinsicht aufzeigt.

59 mitwirkten. Zudem wird das Wirken von Coaz wäh rend den ersten Jahren als eidgenössischer Ober forstinspektor in Bern eingehend beleuchtet. Zum Schluss fasst Paul Eugen Grimm das ganze Wirken und Schaffen von Coaz in einem kommen tierten Katalog in den Kapiteln Alpinismus, Botanik und Forstbotanik, Forstwesen, Geografie und Geo logie, Glaziologie, Hydrologie und Meteorologie, Jagd und Fischerei, Kartografie, Lawinen und Zoo logie zusammen. Dem Buch ist ein reichhaltiger Anhang mit Anmerkungen, eine Bibliografie und eine Zusammenstellung aller Archivquellen, ein umfassender Bildnachweis und zu guter Letzt noch ein umfassendes Orts- und Personenregister ange fügt. Die Publikation ist reich und anschaulich mit Bildern aus der Zeit und mit Karten, Tabellen und Grafiken ergänzt. Institut für

AnzahlTelefon:E-Mail:PLZ/Ort:Strasse:gewünschter

Verlag: Hier und Jetzt, 2021. Autoren: Karin Fuchs, Paul Eu gen Grimm, Martin Stuber. 80 schwarz-weisse und farbige Abbildungen und Karten, 275 Seiten, gebunden, 16,5 x 24 cm. ISBN: 978-3-03919-541-1.

Die neue Publikation der Kulturforschung Grau bünden, «Nutzen und Schützen – Johann Coaz (1822–1918), der Wald und die Anfänge der schweizerischen Umweltpolitik», geschrieben von Karin Fuchs, Paul Eugen Grimm und Martin Stuber, ist für Mitglieder von Graubünden Wald für CHF 35.– anstatt für CHF 49.– erhältlich. Sie können das Buch über www.graubuendenwald.ch

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fahren arbeitete er seit Beginn als Regionalforstin genieur, zuständig für die Gemeinden Vals und Lumnezia (bis zur Gemeindefusion im 2013 noch in die Forstreviere Lumnezia dadens, Lumnezia miez und Lumnezia dado unterteilt). Ab 2006 er weiterte sich der Aufsichtskreis um die Gemeinde Obersaxen Mundaun. In der Region Surselva hat Bernard als Spezialist Forstbetriebe gestartet. In dieser Funktion begleite te er Forstbetriebe in betrieblichen Fragen, über prüfte Fusionsabsichten zwischen Forstrevieren und begleitete die Bildung neuer Betriebsformen. Auch die Beobachtung und Verfolgung des Holz marktes und die regionale Holzförderung gehörten anfänglich zu seinem Spezialbereich. Im Zusam Bernard Riedi. (Bild: zVg)

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Pensionierung Bernard Riedi R. Lutz

Bernard Riedi, Regionalforstingenieur beim Amt für Wald und Naturgefahren, Region Surselva, tritt auf Ende Februar 2022 in den wohlverdienten Ru hestand. Ganze 20 Jahre lang stand er im Dienste des NachKantons.Erlangung des Diploms des Forstingenieurs ETH im Jahr 1984 arbeitete er 16 Jahre lang beim Ingenieurbüro BAP anfänglich in Summaprada, ge gen Ende an seinem Wohnort Ilanz, wo zwischen zeitlich eine Zweigstelle errichtet worden war. In dieser Zeit sammelte er wertvolle Erfahrungen ins besondere in den Bereichen Betriebsplanung, forst liche Erschliessung und Waldinventuren. Am 1. Dezember 2001 trat er in die kantonale Verwaltung ein. Beim Amt für Wald und Naturge

61 menhang mit grösseren und kleineren regionalen Schnitzelheizungen

galt es, das regionale Brenn holzpotenzial abzuklären. Der Wunsch nach einer verstärkten Zusammenarbeit innerhalb der Holz branche wurde immer lauter. Im Kontext dieser Dis kussionen startete im 2006 das regionale Projekt «lenna renda», an welchem Bernard in verschiede nen Arbeitsgruppen Einsitz nahm. Aufgrund interner Rochaden und Pensionierungen konnte Bernard im Jahr 2006 das Spezialgebiet Schutzbauten übernehmen. Für zahlreiche Gefähr dungsgebiete erarbeitete er in Zusammenarbeit mit Fachbüros entsprechende Verbauungsprojekte. Bei zahlreichen Projekten überwachte Bernard deren Realisierung als Bauleiter. Das Schutzbautenkataster wurde lanciert und damit die vollständige Erfassung und periodische Kontrolle zahlreicher Verbauungen verschiedener Art und Funktion in der Region. Die Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit von Schutzbauten wurde über das Sammelprojekt Instandstellung von Schutzbauten (SIS) sichergestellt, für welches sich Bernard sowohl administrativ als auch exekutiv verantwortlich zeichnete. In der Summe hat Bernard während seiner berufli chen Tätigkeit beim AWN unzählige Projekte ge stemmt. Eine Aufzählung allein wäre kaum möglich und würde Bernards Eifer nicht annähernd gerecht. Als Projektleiter stellte sich Bernard mit Leidenschaft jeglicher Herausforderung. Zahlreiche Schutzbauten konnten in Besitz und Zuständigkeit der Bauherr schaften übergeben werden. Stets gelobt wurde die gute Zusammenarbeit mit allen Projektbeteiligten. Bernards Zufriedenheit und Motivation in der Arbeit haben bis zum Schluss angehalten. Als Schnittstelle zwischen der kantonalen Verwal tung, den Gemeinden und anderen Ansprechgrup pen wurde Bernard gleichermassen von Kunden und Kollegen als kompetenter und zuverlässiger Ansprechpartner geschätzt. Seine fachkundige Be arbeitung, seine absolut ruhige Art und Weise und sein grosses persönliches Engagement prägten die Arbeit beim AWN. Nebst Bernards Fachkundigkeit werden wir vor al lem seine bescheidene, besonnene und sanftmüti ge Art vermissen. Aufgrund dieses Charakterzugs erlangte manch jüngerer Kollege die Einsicht, wo das richtige Schwergewicht zu setzen sei. Und auch die hitzigsten Diskussionen in der Region er langten irgendwann die nötige Ruhe. Wir gratulieren für das Erreichte, danken für den Einsatz und die Kollegialität. Für die Zukunft wün schen wir Dir und Deiner Familie nur das Beste, vor allem aber etwas, das zwischenzeitlich von manch einem auch mal wieder mehr geschätzt und als nicht selbstverständlich erachtet wird, nämlich beste Gesundheit. Ein pensionierter Arbeitskollege antwortete mal auf die Frage, was er denn vom ehemaligen Berufsort am meisten vermisse: «Das Pissoir». Ich hoffe, dass es bei Dir ein bisschen mehr sein wird.

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Regionalforstingenieurin,AWNRegionSurselva

R. Lutz

62 Als Nachfolge von Bernard Riedi wurde Patricia Kä lin gewählt. Ihr Arbeitsbeginn war am 1. Februar 2022. Patricia Kälin hat im Bachelorstudiengang an der Universität Zürich im Hauptfach Geografie und im Nebenfach Wald- und Landschaftsmanagement (Abschluss als BSc UZH in Geografie) studiert. Für den Master wechselte sie an die ETH Zürich und stu dierte Umweltnaturwissenschaften mit Vertiefung Wald- und Landschaftsmanagement (Abschluss als MSc ETH Umweltnaturwissenschaften, Vertiefung in Wald- und Landschaftsmanagement). Im 2019 absolvierte Patricia beim AWN Region Surselva ein Praktikum. Im Anschluss daran unter stützte sie an der WSL in Birmensdorf ab Herbst 2019 das Projekt «Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten». Seit dem 1. Juni 2021 arbeitete sie im Projekt «Gebirgswaldverjüngung» und unterstütz te das bestehende Team bei den Feldarbeiten in der ganzen Schweiz. Wir heissen unsere neue Mitarbeiterin herzlich willkommen und wünschen ihr einen guten Start bei uns im AWN. Renaldo Lutz, Regionalleiter Amt für Wald und Naturgefahren, Region Surselva. Patricia Kälin. (Bild: zVg)

Versammlung in der Hauptstadt Für unsere Versammlung vom 20. Mai 2022 unse res Vereins Graubünden Wald lädt unsere Kantons hauptstadt wieder einmal zu einem forstlichen Tref fen ein. Chur ist nicht nur mit einer oft vom Fön geprägten Stadt gleichzusetzen. In und um Chur gibt es vieles zu entdecken. Nebst lauschigen Plät zen für einen warmen Sommerabend gehören auch Alpen, der markante Calanda, bewaldete Hänge mit so manch sehenswertem Flecken zu dieser von vielen so geliebten Stadt. Redaktion: Jörg Clavadetscher (0) 81 255 51 11, Fax + 41 (0) 81 255 52 89. Erscheint sechsmal jährlich. Auflage 1700 Exemplare Inserate: Südostschweiz Publicitas AG, Neudorfstrasse 17, CH-7430 Thusis, Telefon + 41 (0) 81 650 00 70, Fax + 41 (0) 81 650 00 74, thusis @ so-publicitas.ch Abonnementspreise: CHF 60.– (für Mitglieder Verein Graubünden Wald) Abonnemente/Adressänderungen: Südostschweiz Presse und Print AG, Postfach 508, Abo- und Zustellservice, Kasernenstrasse 1, CH-7007 Chur, Telefon + 41 (0) 81 255 50 50, www.buendnerwald.ch Für Inseratetexte übernimmt die Redaktion keine Verantwortung, auch muss die Meinung der Beiträge nicht mit der Ansicht der Redaktoren möchten, sind herzlich eingeladen, ihre Vorschläge der Redaktion einzu Wald, Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden und der SELVA CH-7007 Chur Sekretariat: SELVA, Vorschau Nummern: Juni 2022: Borkenkäferarten Redaktionsschluss: 19. April 2022 August 2022: Pilze Redaktion: Jörg Redaktionsschluss:Clavadetscher21.Juni2022

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