Das Rathaus von Sarajewo leuchtet am Europatag, dem 9. Mai, in den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas. Foto: Dreamstime
gen in der Vergangenheit zwischen zwei und acht Jahren dauerten, verlaufen die Gespräche mit den „Spitzenkandidaten“ Montenegro und Serbien in einem enttäuschend langsamen Tempo. In Podgorica wird seit mehr als acht Jahren, in Belgrad seit sechs Jahren verhandelt. Andere Anwärter wie Nordmazedonien und Albanien haben Mühe, den Prozess überhaupt zu initiieren, während Bosnien und Herzegowina und der Kosovo hoffnungslos hinterherhinken. Kosovo ist der einzige Balkanstaat, dessen Bürger:innen für die Einreise in die EU nach wie vor ein Visum benötigen. Doch nicht nur das Tempo der EU-Erweiterung, auch ihr Inhalt gestaltet sich problematisch. Angesichts der illiberalen Wende in Ungarn und Polen, den Top-Performern der Erweiterung von 2004, fragen sich Politiker:innen in den EU-Ländern, ob eine Aufnahme der Halbdemokratien des Balkans klug sei. Für Staatsoberhäupter wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat die interne Konsolidierung der EU Vorrang vor der Erweiterung. Diese passive Haltung gibt anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Thema Erweiterung in Beschlag zu nehmen. Bulgarien sah sich selbst von Deutschland, das die Erweiterung befürwortet, nicht ausreichend unter Druck gesetzt, sein Veto gegen die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien im Dezember 2020 fallen zu lassen. Das liegt daran, dass die EU der Meinung ist, sie habe Wichtigeres zu tun: der neue Haushalt und der Streit mit Warschau und Budapest über die daran geknüpften Bedingungen, die geopoliti-
schen Herausforderungen durch die Türkei, Russland und China oder die Einigung auf eine gemeinsame Migrationspolitik. Das sind nur einige Beispiele; die Liste der Prioritäten, die Vorrang vor der Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten haben, geht weit darüber hinaus. Das Problem ist, dass eine De-facto-Politik der Nichterweiterung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden ist. Je mehr sich die EU zurückzieht, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die politischen Eliten in den westlichen Balkanländern die Vorgaben der EU beherzigen werden. Gleichzeitig rechtfertigt das schwindende Bekenntnis zu demokratischen Reformen in den Kandidatenländern nur die ablehnende Haltung Brüssels. Daraus ergibt sich eine widersprüchliche Situation. Einerseits ist der Westbalkan bereits gut in den europäischen Markt integriert und profitiert – was den Handel, aber bis zu einem gewissen Grad auch die Freizügigkeit betrifft – von einem privilegierten Zugang zur EU. Auf der anderen Seite kämpft die Region mit einem wiedererstarkten Autoritarismus und grassierendem Nationalismus. Die Rechtsstaatlichkeit ist bestenfalls problematisch. Serbien wurde 2018 von der internationalen Beobachtungsstelle Freedom House auf einen „eingeschränkt freien Staat“ herabgestuft. Präsident Aleksandar Vučić hat schrittweise alle Kontrollmechanismen demontiert, die in den ersten zwölf Jahren der PostMilošević-Demokratie mühsam aufgebaut worden waren, bevor seine Partei an die Macht kam. Aus diesem Grund liegt die EU-Vision, die bereits innerhalb der Union selbst unter Beschuss steht, 83