SOZIALES & GESUNDHEIT TITELTHEMA
BRUNECKER KREBSGESPRÄCHE
„Ganze Berge von wilden Gefühlen“ Es war schon so etwas wie eine kleine Tradition. Anfang Februar kamen Interessierte, Betroffene und Experten im Rahmen der Brunecker Krebsgespräche im Ufo Jugend- und Kulturzentrum zusammen, um sich über eine Krankheit zu informieren, die sehr viele Menschen betrifft. Doch in Zeiten einer Pandemie ist Austausch in Präsenz kaum oder nur eingeschränkt möglich. Was bewegt Betroffene im Moment? Warum brauchen auch die Angehörigen Unterstützung? Hat sich die Anzahl an Neudiagnosen signifikant verändert? Verena Duregger hat sich im Netzwerk der Brunecker Krebsgespräche umgehört.
Stellen Sie sich vor: Die Welt steckt mitten in einer Pandemie – und Sie sind Krebspatient… Es braucht nicht viel Phantasie, um zu verstehen, dass es Menschen gibt, die die Auswirkungen von Corona mehr treffen als andere. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass sämtliche nicht aufschiebbaren onkologischen Behandlungen in Südtirol jetzt in dieser Krisenzeit durchgeführt werden können. Und trotzdem: „Es ist noch zu früh, um genau sagen zu können, inwieweit sich die Pandemie auf Inzidenz und Tumorsterblich-
keit ausgewirkt hat”, sagt Guido Mazzoleni, Primar der Abteilung für Pathologie am Bozner Krankenhaus und Direktor des Südtiroler Tumorregisters. In Italien, so die Zahlen, sind Operationen von Brust- und Darmkrebs in der Phase der Pandemie zurückgegangen. Ein anderes Bild zeigt sich hierzulande. „Das Südtiroler Gesundheitswesen war in der Lage, die Anzahl der Operationen sei es für Darm- als auch für Brustkrebs zu erhöhen und hat damit eine hervorragende Leistung trotz des Pandemiegeschehens gezeigt.” In einem Jahr, so Guido Mazzoleni, wird sich
abschließend beurteilen lassen, welchen Einfluss die Pandemie auf die Tumorentwicklung im Land genommen hat. Ein Blick in die Zahlen der vergangenen Jahre verdeutlicht, dass in Südtirol weiterhin Brustkrebs, gefolgt von Darmkrebs, die häufigste Tumorart bei Frauen ist. Bei Männern nimmt mit über 400 Neuerkrankungen Prostatakrebs den ersten Platz ein, vor Tumoren an Darm, Blase und Lunge. Betrachtet man die neu auftretenden Fälle pro 100.000 Einwohner pro Jahr so sinkt die Gesamtinzidenz. Soweit die Zahlen.
Und dann sind da die Menschen dahinter. Betroffene, Angehörige, Experten. Wir haben neun von ihnen eine Frage gestellt.
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2021 erzählten Sie in einem Film von ihrer Erkrankung. Was hat das für Sie verändert? Sehr viel. Offen über meine Situation und meine Gefühle zu reden hat mir gezeigt, wie viele andere Menschen auch ein Päckchen oder sogar einen schweren Rucksack mit sich tragen, weil sie sich mir gegenüber und ihrem Umfeld geöffnet haben. Das freut mich umso mehr. Denn genau in diesen schwierigen Zeiten fühlt man sich durch das einfache Austauschen von Gedanken und Gefühlen sehr viel besser. Wenn ich angesprochen werde oder mir jemand schreibt, dass er durch mich den Mut finden konnte, über seine Probleme zu sprechen und dadurch Hilfe gefunden hat, dann ist das ein tolles Gefühl. Als der Film gedreht wurde, steckte ich noch mit4
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ten in der Behandlung. Nun bin ich schon seit einem Jahr in Remission und genieße das Leben. Die Zeit läuft so schnell… Es hat sich sehr viel verändert. Heute nehme ich mir Zeit für Mutig: Evelyn Tasser bei Filmaufnahmen. Dinge, die mir Spaß machen. Ich nehme alles mit mehr Humor, gönne mir meine Pausen und höre viel mehr auf meinen Körper. Das vergisst man im Alltag ansonsten gerne. Ende letzten Jahres habe ich ein Fernstudium in Ernährungspädagogik begonnen, und ich habe mich beruflich weiterentwickelt. Ja, die Diagnose hat mich sehr verändert, und was ich nie gedacht hätte: Sie bringt mich jetzt auch weiter. Ich nutze Chancen, die ich sonst gar nicht wahrgenommen oder auf später verschoben hätte. Denn es gibt ja immer so viel zu tun. Wenn du einmal vor Augen hast, dass es kein später mehr geben könnte, was würdest du machen? Na klar, leben und genießen! Evelyn Tasser, Angestellte und zweifache Mama