Schlossseiten Frühlings &Sommerausgabe 2022

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DER GARTEN

VOM THERAPEUTEN ZUM ERNÄHRER

W

er sich nun in der privilegierten sei­ner Rede schon prophezeite, hat der 26. Februar Situation wiederfindet, einen Gardieses Jahres eine Zeitenwende eingeleitet. ten sein Eigen zu nennen, geht nicht nur als großer Gewinner der Wir hatten uns zwar eine andere – schönere – Welt Coronakrise und der steigenden Immobilienpreise erhofft, aber die Dinge sind nun einmal, wie sie sind, (vor allem im Grünbereich) hervor, sondern macht im und im besten Fall sind sie grün und bepflanzbar. Wir Schatten der gegenwärtigen politischen Lage und der drehen jetzt mal kollektiv sämtliche Nachrichten ab angedrohten Nahrungs- und Energieengpässe auch und ersinnen uns einen wunderbaren Garten, der uns einen großen Schritt in die gewünschte Autarkheit. In nicht nur Zuflucht und Schutz bietet, sondern auch einem Garten kann man schließlich Obst und Gemüse Kraft und Nahrung spendet. Also sprechen wir vom anbauen, Tiere halten und Feuerholz sammeln. Als klassischen Gemüsegarten, dem Kräutergarten, erwäich im Januar anfing, diesen Artikel zu konzipieren, gen zudem noch einige Hühner, denn ein paar Eier zu hätte ich mir letztere Überlegungen wohl nicht in dieviel schaden nie. sem Ausmaß gestellt – aber tatsächlich ist ein Garten im Jahr 2022 nicht mehr nur Symbol für Rückzug, Wir finden nicht nur Nahrung, sondern auch Sinn Frieden und Erholung. Das Stück Eigen­grund ist nun und Frieden, wenn sich unsere Hände durch den vielmehr Sicherheit, Selbstbestimmtheit und Lebens­ fruchtbaren Kompost graben, den wir selbst angelegt hilfe, er ist jetzt offiziell notwendig und kein Luxus haben. Der Lauf der Dinge und der Zyklus der Zeit mehr. Sagte doch Cicero noch, wer einen Garten und werden nun Teil unseres Alltags, anstatt abstrakt in eine Bibliothek besäße, hätte einer Obi-Filiale eingekauft alles, um glücklich zu sein. Und worden zu sein. Es ist eine Zeit, „Jeder Gärtner wächst auch mit damit behielt er scheinbar auch die uns näher an unseren spiriseinen Pflanzen“, recht. tuellen Ursprung führt, die uns sagt schon Martin Gerhard Reisenberg. lehrt, uns auf uns selbst zu verDoch wie wir unser letztes Geld lassen und uns vielleicht auch nun sinnvoll in einen Garten investieren sollen, be­vor nicht vor dem zu fürchten, was da auf uns zukomdie galoppierende Inflation das für uns erledigt, muss mt. Denn wie Martin Reisenberg, den Sie (wie auch man vorher genau abklären. Auch in Krisenzeiten wie ich) nicht gekannt haben, einmal gesagt haben soll, diesen, die uns mit Sorge in die Zukunft bli­cken las„wächst auch der Gärtner mit seinen Pflanzen“. sen, darf man sich sein Heim, sein Fort, auch schön gestalten, nicht nur pragmatisch. Selbst wenn wir geSo wachsen wir also an den Aufgaben und an der hofft hatten, dass die Pandemie nun endlich überstanneuen Realität. Vielleicht ist jetzt auch gut daran geden ist und wir uns wieder in die Welt da draußen tan, einen Wald zu versorgen und Feuerholz selbst stürzen können, haben wir gemerkt: So schnell ist zu verdienen. Es wird archaisch. Gerade, als wir erstens der Virus nicht beseitigt, und zweitens gibt es noch den Mars besiedeln wollten, bebauen wir nun noch größere Probleme, die uns im sicheren Schoß mit ganz einfachen Hilfsmitteln unser eigenes Land. unseres Eigenheims ausharren lassen. Aber auch zu Wichtig ist, in den Stunden des Chaos einen kühlen Hause kann und soll man gesellig sein. DementspreKopf zu bewahren. Es beginnt und endet alles mit eichend darf ein Garten für Abende mit Freunden oder nem Plan und mit Struktur. Das weiß auch Gräfin für einen schönen Sommer-Lunch mit TomatenFugger-Babenhausen, die uns im folgenden Interview Ziegenkäse-Salat (die Ersteren sind selbst gezüchtet erklärt, wie kluge Gartengestaltung richtig geht. Wenn und der Käse stammt vom Nachbarn als Tauschge­ man sich vom Notwendigen in das Schöne arbeitet, schäft für den hauseigenen Honig – denn wir lernen entsteht auto­matisch Harmonie. Und diese brauchen jetzt Imkern statt Netflix) genutzt werden. wir in Tagen wie diesen vielleicht genauso notwendig wie einen Apfelbaum vor dem Fenster. Und nicht verWir sind also gewappnet für das, was das Leben uns gessen: Nicht jeder besitzt einen Garten! Also schenentgegenwirft, und bereiten uns nun im schlechtesten ken Sie Zugang und teilen Sie Ihre Ernte. Denn am Fall auf eine neue Welt vor. Denn wie Olaf Scholz in Ende sind wir alle nur Teil der Erde, die wir bestellen.

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