Surprise 510/21

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Strassenmagazin Nr. 510 8. bis 21. Oktober 2021

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Schwerpunkt

Stadt­ansichten Der urbane Raum ist nicht gerecht verteilt. Das könnten wir besser. Seite 8


«Auch ich mach mich stark. Für mehr Mut.» Nina Dimitri Sängerin Krebs braucht Mut. Und genau dafür machen wir uns stark. Indem wir Betroffene und Nahestehende motivieren, offen darüber zu sprechen und ihnen in allen Phasen der Krankheit zur Seite stehen. Gemeinsam gegen Brustkrebs: krebsliga.ch

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TITELBILD: JOËL ROTH

Editorial

Stadt ist Beziehungsarbeit Ich bin ein Stadtkind. Ich suche das Urbane, das Zusammentreffen vieler verschiedener Menschen, Lebenswelten und Bedürfnisse. Ich mag die Reibung, die dadurch entsteht. Im öffentlichen Raum treffen Pendler*innen auf Strassenvolk, Tourist*innen auf Einheimische, Kultursuchende auf Arbeiter*innen. Hier finden Begegnungen statt. Kinder und Jugendliche eignen sich den Raum anders an als erwerbstätige und nicht erwerbstätige Erwachsene oder Rentner*innen. Alle bringen ihre spezifischen Ansprüche mit, und weil wir in einer Demokratie leben, haben auch alle ein Recht darauf, gehört und berücksichtigt zu werden. Wer also Städte plant und weiterentwickelt, kommt heute nicht mehr darum herum, die Vielfalt der Bewohner*innen mit ihren Lebenswelten zu berücksichtigen (dazu ­gehören übrigens auch Tiere). Wir müssen weg von der Vorstellung, es gäbe eine ­homogene Bevölkerung, und hin zu einem realistischen Bild der diversen Mischung, die wir sind. Menschen, die in Städten

4 Aufgelesen

8 Stadtplanung

5 Was bedeutet eigentlich …?

14 Grundbesitz

Stadtentwicklung

5 Fokus Surprise

Teilhabe statt Isolation

6 Verkäufer*innenkolumne

Kreativität

7 Die Sozialzahl

Angemessen?

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Die gerechte Stadt

l­eben. Wir sind nicht gleich, wir brauchen und wollen verschiedene Dinge, aber wir leben zusammen und haben dieselben Rechte. Ganz gleich, wieviel wir beitragen. Das ist anstrengend: Je enger und vielfältiger das Zusammenleben ist, desto häufiger sind Konflikte. Will man diese partizipativ lösen und nicht nur die einen über die anderen regieren lassen, braucht das Zeit, Geduld, Ressourcen, Moderation und politischen Willen. Spannend ist es allemal. Wer in der Stadt lebt, befindet sich ständig mittendrin in diesen Aushandlungspro­ zessen. Und wer mal auf der Strasse gelebt hat, wie mehrere unserer Stadtführer*innen, kennt viele zentrale Nutzungskonflikte besser als die Stadtplaner*innen in ihren Büros. Es lohnt sich immer, allen zuzuhören.

SAR A WINTER SAYILIR

Redaktorin

20 Stadtrundgänge

Süchtig, arm, ­missbraucht

«Nicht die Miete deckeln, sondern die Miete» Tatort Bänkli

Asoziales Bauen?

27 Tour de Suisse

Pörtner in Rapperswil-Jona

28 SurPlus Positive Firmen

16 Öffentlicher Raum

19 Verdrängung

26 Veranstaltungen

25 INST

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren

Neues internationales 30 Surprise-Porträt Netzwerk gegründet «Ich bin jetzt ­gesellschaftlicher Vermittler»

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Indigene für das Klima Der Internationale Tag der indigenen Bevölkerungen der Welt fiel dieses Jahr zusammen mit der Veröffentlichung des IPCC-Berichts zum Klimawandel. Mit einer konzertierten Veröffentlichung von sechs Porträts einflussreicher indigener Frauen an zentralen Punkten der Städte Seattle, New York City, London, São Paulo und Washington DC machte die Nichtregierungs­organisation Tia Nero in Nord- und Südamerika auf die besondere Verbindung indigener Menschen mit der Natur und deren Einsatz für ressourcen­erhaltendes Leben aufmerksam. Entworfen hat die Porträts die Künstlerin Tracie Ching – die als Freiwillige auch mal bei der Washingtoner Strassenzeitung Street Sense gearbeitet hat.

STREET SENSE, WASHINGTON DC

Ausschaffungshaft

Ewiger Krieg

Rund 24 000 Menschen werden in Grossbritannien jedes Jahr aufgrund des «Immigration Act» interniert. Es gibt sieben sogenannte Ausschaffungszentren. In Harmondsworth in der Nähe von Heathrow können bis zu 676 Männer gleichzeitig festgehalten werden, es ist das grösste Zentrum dieser Art in Europa. Die meisten sind für die Dauer von weniger als zwei Monaten inhaftiert, rund ein Drittel muss länger einsitzen. Anders als in den meisten europäischen Ländern gibt es in Grossbritannien keine Obergrenze für die Ausschaffungshaft. Etwa 25 000 Menschen sind 2019 aus britischen Ausschaffungsgefängnissen enlassen worden: Rund 70 Prozent wurden – statt ausgeschafft – zurück in ihre Gemeinden geschickt.

5200 afghanische Zivilist*innen wurden seit Beginn des Jahres verletzt oder getötet – das sind 47 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2020. Mit dem erneuten Sieg der Taliban gehen Unsicherheit und Furcht der Bevölkerung weiter. Der 20-jährige Krieg – 2001 von den USA eingeleitet – forderte bisher 240 000 Todesopfer, 5,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht.

THE BIG ISSUE, LONDON

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MEGAPHON, GRAZ

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Stadtentwicklung

FOTO: RUBEN HOLLINGER

Was bedeutet eigentlich …?

«Es ist wichtig, soziale Teilhabe zu ermöglichen»: Nicole Amacher.

Zwischen 1970 und 2000 verloren die meisten Schweizer Städte Einwohner*innen. Seither wächst die Bevölkerung in den Zentren wieder vor allem durch Zuwanderung sowie zuziehende junge Erwachsene. Die Städte dehnen sich seit etwa 1960 auch ins Umland aus. Zum urbanen Raum gehört heute darum auch die Agglomeration. In der Schweiz leben 73 Prozent der Bevölkerung in einer von insgesamt 49 Agglomerationen. Soziale Fragen zeigen sich in Städten besonders stark. Sie äussern sich etwa in hohen Sozialhilfequoten. In den sechs Grossstädten lebt ein Viertel aller Bezüger*innen, jedoch nur ein Siebtel der Bevölkerung. In einzelnen Quartieren wird zudem zugunsten der oberen Mittelschicht investiert; Menschen mit tiefen Einkommen werden verdrängt («Gentrifizierung»). Die Ausdehnung der Städte rückt soziale Fragen auch in Vororten und Randgemeinden in den Fokus – etwa in Gemeinden, die jahrzehntelang gewachsen sind und nun zu überaltern drohen. Die «ausufernde Stadt» ist aus diversen Gründen problematisch. Politisch diskutiert wird vor allem der Landverschleiss bzw. die Zersiedelung der Landschaft. Zudem hinkt die Entwicklung des Wohnungsmarkts und der Verkehrsinfrastruktur dem Wachstum des urbanen Raums hinterher. Folge davon sind hohe Immobilienpreise, volle Stras­ sen und ein überlasteter öffentlicher Verkehr. Eine Reaktion darauf ist das Modell der «kompakten Stadt». Dieses fordert eine neue Art des Städtebaus, zu dem verdichtetes Bauen ebenso gehört wie eine auf den öffentlichen Verkehr und aktive Mobilität ausgerichtete Stadt­ entwicklung. EBA

Quelle: Patrick Rérat: Stadtentwicklung. In: Wörterbuch der Sozialpolitik. Zürich und Genf, 2020. Surprise 510/21

Fokus Surprise

Teilhabe statt Isolation «Als selbständiger Unternehmer war ich heissbegehrt – da war ich jemand», sagte mir kürzlich der neue Basler Surprise-Stadtführer Tersito Ries. Auf seinem Sozialen Stadtrundgang «Wege aus der Schuldenspirale» erzählt er, wie er nach einem Firmenkonkurs, Burnout und persönlichen Schicksalsschlägen jahrelang gegen Einsamkeit, Depressionen, Alkoholsucht und Schulden kämpfte. Armut ist für ihn eng mit Einsamkeit verbunden. Zuerst verlor er die Arbeit, dann die Familie und damit einen Grossteil seines Umfelds. Auch die meisten Freunde verdünnisierten sich, denn «wer will schon das Risiko eingehen, um Geld oder eine Schlafmöglichkeit angefragt zu werden». Kultur, Sport und Tauchferien? Unbezahlbar! Dazu kam die Scham: Irgendwann liess er sich auch bei seiner Guggemusik-Gruppe nicht mehr blicken – trotz seiner Begeisterung für die Basler Fasnacht. Am 17. Oktober ist Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut. Für einen Moment wird dann ein Schlaglicht darauf geworfen, dass in der Schweiz über 700 000 Menschen von Armut betroffen sind. In der öffentlichen Diskussion kommt aber der soziale Ausschluss, der mit Armut einhergeht, meist zu kurz. Jeden Franken zweimal umdrehen zu müssen, heisst auch, sozial isoliert zu sein. Nicht nur, weil das gesellige Leben oft zu teuer ist, sondern weil die Be-

troffenen sich vielfach ihrer Lage schämen. Und wer versucht, die finanzielle Notlage zu verheimlichen, zieht sich zurück und wird immer einsamer. Die Statistik zeigt: Sozial isoliert sind vorwiegend jene Bevölkerungsgruppen, die bereits anderen sozialen Risiken ausgesetzt sind. Am schlimmsten – und das sehen wir auch bei Surprise immer wieder – trifft es Menschen mit schlechter Gesundheit, Alleinerziehende, Ausländer*innen, Menschen mit wenig Schulbildung, ältere Menschen und solche mit niedrigem Einkommen. Diese finden sich oft in einem Teufelskreis wieder. Durch die prekäre Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit ist ihre Kaufkraft verringert, was zu Verschuldung und Isolation führt. Und Isolation macht krank, genauso der hohe Druck, unter dem diese Menschen oft stehen. Verschiedene Studien zeigen, dass für sozial isolierte Personen das Risiko eines frühzeitigen Todes zwei bis fünf Mal so hoch ist wie für gut integrierte Personen. Genau deshalb sind Angebote, die armutsbetroffenen Menschen soziale Teilhabe ermöglichen, so wichtig. Teilhabe, wie sie etwa die Caritas mit der KulturLegi, der Verein «Die Kulturstifter» mit den Sozialtickets, die Migros mit den Tischrunden «Tavolata» und Surprise mit dem Ga­stroNetzwerk «Café Surprise», dem Strassenchor oder der Strassenfussball-Liga ermöglicht. Teilhabe, die Tersito Ries damals dringend benötigt hätte – wovon er auf seinem Sozialen Stadtrundgang erzählt, den er mit Surprise nun entwickelt hat.

NICOLE AMACHER,  Co-Geschäftsleiterin Surprise

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ILLUSTRATION: JULIA DEMIERRE

Verkäufer*innenkolumne

Kreativität Heute möchte ich von meinem Kreativ­ projekt erzählen. Es startete im April und wir werden es im Oktober mit einer ­Vernissage abschliessen. Am Anfang war ich sehr kritisch und habe nur unter der Bedingung zugesagt, dass mir die Möglichkeit blieb, nach dem ersten Mal auszusteigen. Nun bin ich immer noch dabei und staune über die Ver­ änderung so vieler Dinge bei mir. Ich sehe die Welt um mich herum wieder mit ganz anderen Augen. Ich schaue staunend die unerreichte Kunst der Na­ tur an und denke dabei, das könnte ich zeichnen, malen, skizzieren oder auch aquarellieren. Beim Versuch, diese Schönheit auch an­ deren ersichtlich zu machen, stosse ich an Grenzen. Doch diese Grenzen stoppen mich heute nicht mehr, nein, sie fordern mich auf, weiterzugehen. Ich komme je länger je mehr bei den ­Fragen an, die mich als Kind beschäftigt haben. Wobei ich erwähnen muss, dass ich als Kind leidenschaftlich zeich­ nete und malte. Nun tauchen wieder diese Fragen auf, wie: 6

Soll ich nun den Hintergrund zuerst ma­ chen oder erst danach, um alles herum? Wie weit soll ich nun bis zum Rand hin malen? Oder ihn gar nicht b ­ eachten und darüber hinaus arbeiten? Doch die grösste Freude am Ganzen ist und bleibt das Wiederentdecken von ­einem kleinen Talent, das ich dafür habe. So viele Menschen haben ein grosses ­Talent für etwas bekommen, aber in die­ sem Leben keine Chance, dies zu ent­ decken. Es geht in erster Linie bei jedem um sich selbst. Wie unwichtig es ist, ob es einem gelingt, seinen Namen in den Geschichtsbüchern dieser Welt zu hinterlassen. Darunter gibt es ja auch genug Namen, die erschreckend sind. Dann doch besser namenlos wieder ab­ treten, wie 99 Prozent der Menschheit. Für sich selber aber die Einzigartigkeit, die jeder hat, zu finden und glücklich ­ zu sein ... Ich kann nun erst recht von all denen profitieren, die ich bewundere und die für mich einzigartig Schönes hinterlassen haben. Meine Kunst besteht ­darin, all dies in meinem Kopf zu sam­ meln, was gleichzeitig auch ein gutes ­Allgemeinwissen ergibt. Dieses Ganze kann ich mit meinem be­ scheidenen künstlerischen Talent zu­ sammentun. Vor allem aber auch kann ich all mein Wissen über Literatur,

Schriftsteller*innen und viele gelesene Bücher mit selber Geschriebenem, mit eigenen Skizzen, Zeichnungen, Impressionen ­ergänzen. Dann mischen – und es ergibt sich ­tatsächlich etwas Einzigartiges. Ob es nun schön ist, bleibt dahingestellt. Ich jedoch staune seit langer Zeit wieder einmal über mich selber, und tatsächlich freue ich mich am Einfach-da-Sein und nichts hinterlassen zu müssen. ­Einfach nur im Heute, Hier und Jetzt zu leben.

K ARIN PACOZZI (55) verkauft Surprise in Zug. Ihre Skizzen und Gemälde, die im Atelier «FantasieReich» der KeBoKulturvermittlung entstanden sind, werden in einer Gruppenausstellung gezeigt (Surprise-Verkäufer und -Kolumnist Nicolas Gabriel ist auch dabei): Vernissage Mo, 18. Oktober, 19 Uhr im «Ziegel» der Roten Fabrik Zürich (mit einem 20-minütigen Film, der Einblick gibt, wie die Werke entstanden sind). kebokulturvermittlung.com

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration. Surprise 510/21


INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK: HAUSHALTSBUDGETERHEBUNG 2015–2017

Die Sozialzahl

Angemessen? Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Al­ters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. So steht es in der Bundesverfassung. Die Politik hat daraus das Ziel abgeleitet, dass das Renteneinkommen rund 60 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens entsprechen soll. Spiegelt sich diese Vorstellung auch in der Einkommensverteilung der Erwerbstätigen im Vergleich zu jener der ­Rentner*innen? Für diesen Vergleich unterteilen wir beide Gruppen in fünf ­Untergruppen, die sogenannten Quintilen. Das erste Quintil ­umfasst die 20 Prozent Erwerbstätigen bzw. Rentner*innen mit den tiefsten Einkommen, das fünfte Quintil jene mit den höchsten. Weiter unterscheiden wir Einpersonenhaushalte und Paarhaushalte ohne Kinder. Drei sozialpolitisch interessante Beobachtungen können aus der Grafik abgelesen werden. Zunächst zeigt sich, dass die ­Ungleichheit bei den Einpersonenhaushalten im Übergang zur Pensionierung abnimmt. Das Verhältnis des ersten zum fünften Quintil ist bei den erwerbstätigen Einpersonenhaushalten 1 zu 4,7 – bei jenen über 65 Jahre bei 1 zu 4,1. Die Altersvorsorge, und hier vor allem die AHV, bei der die maximale Rente nur doppelt so hoch sein darf wie die minimale Rente, hat ­einen nivellierenden Effekt. Bei den Paarhaushalten bleibt die Ungleichheit hingegen etwa gleich hoch.

typen. Die Pensionierung führt zu einer deutlichen Einschränkung der vorhandenen Mittel. Ob dies in «angemessener Weise» geschieht, ist fraglich. Der breite politische Widerstand gegen Rentenkürzungen macht deutlich, dass für viele die Schmerzgrenze erreicht ist. Drittens zeigt sich aber, dass diese Absenkung in den verschiedenen Quintilen sehr unterschiedlich ausfällt. Die geringsten relativen Verluste müssen sowohl bei den Alleinlebenden wie bei den Paaren das unterste sowie das oberste Quintil in Kauf nehmen. So macht das Renteneinkommen der Einper­ sonenhaushalte im untersten Quintil 85 Prozent des mittleren Einkommens der erwerbstätigen Alleinlebenden aus. Bei den Paarhaushalten beträgt dieser Satz 69 Prozent. Stärkere relative Abnahmen müssen die Mittelschichtshaushalte (Quintil 3) akzeptieren. Sie liegen nahe bei den anvisierten 60 Prozent. Die Haushalte mit mittleren Einkommen müssen also in besonderer Weise um die Fortsetzung ihrer gewohnten Lebenshaltung kämpfen, wenn sie in Pension gehen. Viele greifen auf Erspartes zurück, um sich nicht übermässig einschränken zu müssen. Dieses Geld fehlt dann, wenn die Ausgaben für die Betreuung und Pflege steigen. Der Sozialstaat rechnet bei dieser politischen Ausgestaltung der Altersvorsorge offensichtlich mit der unentgeltlichen Care-Arbeit der Angehörigen. Doch das wird sich angesichts des sozialen und demografischen Wandels bald als Trugschluss erweisen.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL  ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Weiter wird erkennbar, dass die mittleren Einkommen im ­Ruhestand durchwegs niedriger sind als in der Erwerbsphase. Dies gilt für alle Einkommensklassen und beide Haushalts­

Monatliche Einkommen (in CHF) nach Haushaltstyp und Alter 25000

Erwerbs- und Renteneinkommen der Einpersonenhaushalte unter 65

über 65

Erwerbs- und Renteneinkommen der Paarhaushalte unter 65

über 65

Quintil 1

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20000

15000

10000

5000

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Quintil 1

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Quintil 2

Quintil 3

Quintil 4

Quintil 5

Quintil 3

Quintil 4

Quintil 5 7


Die gerechte Stadt Stadtplanung Fachleute wollen unsere Städte inklusiver, offener, gerechter machen – ­ um auch auf politischer Ebene breitere Bevölkerungsschichten mitbestimmen zu lassen. TEXT  DIANA FREI ILLUSTRATIONEN  JOËL ROTH

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Hinter dem Haus, in dem ich wohne, sieht es seit letztem Jahr aus wie in einer Luxus-Feriensiedlung am spanischen Strand. Auf den Balkonen sind elegante Lichtakzente gesetzt, und durch die ebenerdigen Fensterfronten kann ich mir die durchtrainierten Oberkörper der jungen Gutverdiener anschauen, wenn sie in der Designerküche ihren Smoothie trinken. Vorher ging hier der Weg durch, auf dem am Wochenende jeweils Bierkisten in den Hinterhof geschleppt wurden, wo Musik gehört, geredet, getrunken und – vermutlich unerlaubterweise – grilliert wurde. Der Soziologe und Städteplaner Richard Sennett beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit unserem Zusammenleben. 2018 kam sein Buch «Building and Dwelling – Ethics for the City» (deutsch «Die offene Stadt – Eine Ethik des Bauens und Bewohnens») heraus. Es stellt die Frage: Wie kann das gebaute Umfeld der lebendigen Realität gerecht werden? Sennett plädiert für eine Stadt, die von der Aneignung durch die Menschen lebt, die sie bewohnen. Eine Stadt, die Reibung zulässt und improvisierte Nutzungen. Die Politikwissenschaftlerin und Stadtplanerin Susan Fainstein nimmt darauf Bezug und beschreibt ihr Ideal in ihrem gleichnamigen Buch «The Just City» als gerechte Stadt. Sie fordert Gerechtigkeit als möglichst hohe Chance für jede und jeden, die eigenen Fähigkeiten auszuleben. Fainsteins Buch liegt bei Oliver Dlabač vom Zentrum für Demokratie Aarau ZDA auf dem Schreibtisch. Er hat die SNF-Studie «Demokratische Grundlagen der gerechten Stadt» durchgeführt, die den Einsatz von Planungsinstrumenten in Hinblick auf eine solche «gerechte Stadt» untersucht. Woran sieht man nun, ob eine Stadt gerecht ist oder nicht? «Ich glaube, man sieht es nicht unbedingt auf den ersten Blick», sagt Dlabač. «Wenn man sich aber überlegt, wie eine Stadt gebaut sein muss, um nicht in einer nächsten Generation bereits bestehende Ungerechtigkeiten zu reproduzieren, muss man sich die Situation in den Schulen genauer anschauen.» Das Leben von Kindern ist viel stärker von ihrem Wohnort bestimmt als das von Erwachsenen, und Segregationstendenzen – also die Konzen­ tration von sozial schwächeren Familien in ­einem Quartier – vermindern nachweislich die Aufstiegschancen. Soziale Durchmischung wäre eine Voraussetzung für Gerechtigkeit und Chancenausgleich. Das sind strukturelle Voraussetzungen, die die Bewohner*innen nicht von sich aus ändern können, die Stellschrauben dafür sieht Dlabač auf politischer Ebene. Er treibt deswegen wissenschaftliche Studien und Projekte voran. «Man kann zum Beispiel mit einer Anpassung der Einzugsgebiete von Schulen zur Durchmischung beitragen. Wir sind daran, zusammen mit zwei Zürcher Schulkreisen eine mögliche Umsetzung zu testen.» Auch mittels Wohnbauförderung müsste man zu diverseren Quartieren beitragen, findet Dlabač. «In Zürich wird ein Drittel gemeinnütziges Wohnen angestrebt. Diese verstärkte Wohnbauförderung reagiert aber vor allem auf die Anliegen des Mittelstands, der in der Stadt wohnen bleiben will. Eine tiefgreifende soziale Durchmischung 10

«Die Verwertungslogik verhindert die offene Stadt, weil sie keine informellen Nutzungen, keine Freiheitsgrade und Zwischennutzungen möglich macht.» BENEDIK T BOUCSEIN, URBAN DESIGN TU MÜNCHEN

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steht dabei nicht im Fokus.» Hier läge also Potenzial. «Ich möchte rechnerisch aufzeigen, was gemeinnützige Wohnbauträger, die in der Stadt Zürich relativ etabliert sind, bisher zur Durchmischung beigetragen haben und was sie noch beitragen könnten.» Der Politikwissenschaftler ist zurzeit allerdings etwas frustriert, die Projektidee lässt sich bisher schwer finanzieren. Sich die Stadt aneignen Sennetts offene oder Fainsteins gerechte Stadt sähe auch Benedikt Boucsein gerne gebaut. Er ist Urbanist und Partner des Büros BHSF Architekten, das in Zürich und München ansässig ist. Seit 2018 lehrt er als Professor für Urban Design an der Technischen Universität München. In einer Besprechung von Sennetts Buch schrieb er: «Kolleg*innen aller Richtungen haben seit den Anfängen des Städtebaus an dieser Stadt gearbeitet, deren Bewohner*innen gleiche Chancen haben, in der Ressourcen wie Zugänglichkeit, Grünraum und öffentliche Infrastrukturen möglichst gleich verteilt werden.» Während Fainstein stärker auf Besitzverhältnisse und Entscheidungsprozesse fokussiert, denkt Sennett seine offene Stadt räumlich-struktureller. «Ich selbst nenne es meist das Projekt der egalitären Stadt», sagt Boucsein. Im Sinne Senetts geht es auch für ihn darum, dass sich die Menschen ihr Quartier selbst aneignen können. «Räumlich gesehen machen das kleine Einheiten eher möglich als eine grosse, durchgehende Fassade, bei der eine einzige Gruppe bestimmt, was dahinter passieren darf. In kleineren Nischen findet ein Ladenbesitzer, den interessiert, was um ihn herum geschieht, eher seinen Platz. Einer, der sich um die anderen kümmert und auch mal Zigaretten wegräumt. Der selbst etwas verändern kann – auch wenn er nur ein Schild oder einen Stuhl vor seinen Laden stellt.» Es entstehen andere Formen der Teilhabe, wenn man Dinge wachsen lässt, statt alles zu sanieren. «Es muss auch nicht jeder Quadratzentimeter von einer Behörde kontrolliert sein», sagt Boucsein. Zigaretten und Abfall wegräumen, mit Menschen ins Gespräch kommen, die Passant*innen mit Namen grüs­ sen – genau das hatten sich übrigens auch Ruedi Kälin und Peter Conrath vor der Zürcher Sihlpost schon vor Jahren intuitiv zur Aufgabe gemacht. Sie haben als Surprise-Verkäufer damit dem Trottoir – bis anhin einfach eine Fortbewegungsschneise für eilige Fussgänger*innen – eine weitere Nutzung hinzugefügt: Sie haben es zur Begegnungszone gemacht. Folgt man Sennett, so macht im Grunde erst der Austausch zwischen Menschen einen Ort zum öffentlichen – weil sozialen – Raum. Boucsein gibt Zürich grundsätzlich gute Noten. «Der genossenschaftliche Wohnungsanteil ist sehr hoch. Zürich erhält dadurch die Grundoffenheit, dass man unterschiedliche soziale Schichten in der Stadt behalten kann. Es ist nicht ganz einfach, in die Genossenschaften hineinzukommen, aber immerhin, es gibt sie.» Auch die Verkehrsentwicklungspolitik wertet er positiv: das 7-Minuten-Raster des ÖV und die Bemühungen, den Veloverkehr zu stärken. Surprise 510/21

Wer sind denn die Gegner der offenen Stadt? Wer hat etwas gegen das lebendige Miteinander wie in den Wimmelbüchern, die in der Kita im Regal stehen? Boucsein sagt: «Spekulanten und Investoren, die Verwertungslogik, die Wohnpreise. Renditeerwartungen verhindern die offene Stadt, weil sie keine informellen Nutzungen, keine Freiheitsgrade und Zwischennutzungen möglich machen.» Zu einer offenen Stadt gehören Brachen oder Orte, die man in einem Zwischenzustand belässt. Auch die Bürokratie nennt Boucsein als Feindin der Offenheit, die Regulierungen, Normierungen, die enge gesetzliche Definierung der Nutzung. Und dann kommt er nochmals auf die Renditen zurück, diesmal grundsätzlicher: «Ich glaube schon, dass die Frage ‹Wem gehört der Boden?› das Entscheidendste ist. Die Bodenfrage steht hinter fast allen städtebaulichen Problemen, Prozessen und Entscheidungen. Es ist ein ganz grosses Problem, dass man mit dem Boden spekulieren und Profit daraus schlagen kann. Denn der Boden ist eine endliche Ressource, im Grunde müsste er der Allgemeinheit gehören. Bekäme man dieses Grundproblem in den Griff, würden automatisch auch andere Interessen hörbarer und realisierbarer.» Die Planungsprozesse aufbrechen Weltweit entstehen in den Städten immer mehr Gruppen, die diese anderen Interessen hörbarer machen wollen. Die Zürcher Urban Equipe ist eine davon, andere tragen Namen wie «Stadtlücken Stuttgart» oder «Kollektiv Raumstation» in Wien. Die meisten ihrer Mitglieder haben eine Planungswissenschaft studiert – Architektur, Raumplanung oder Urbanistik –, sind unzufrieden mit den bestehenden Strukturen in der Stadtplanung und suchen nach neuen Ansätzen. «Wir sind nicht eine übergreifend organisierte Bewegung», sagt Antonia Steger von der Urban Equipe, «aber Teil einer Entwicklung, die dezentral an vielen Orten auf der Welt stattfindet und in eine gemeinsame Richtung geht. Das Anliegen ist eine verstärkte Demokratisierung – also mehr direkte Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen.» Letztes Jahr hat die Urban Equipe in Zusammenarbeit mit zwanzig Gruppierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz das Handbuch «Organisiert euch! Zusammen die Stadt verändern» herausgegeben. Es geht darum, sich nicht auffressen zu lassen vom eigenen Engagement, darum, wie die Initiativen professionalisiert werden können, wie man den Fuss in die Türen kriegt, hinter denen die Entscheidungen fallen. Das Ziel ist, dass die Bewohner*innen ihre Städte direkter mitentwickeln und sie sich – auch wieder im Sinne Sennetts – wieder vermehrt aneignen. «Wenn wir die Gesellschaft stärker demokratisieren wollen, kommen wir nicht daran vorbei, dass mehr Menschen nicht nur Ja und Nein zu einer fertigen Lösung sagen können, sondern bereits bei der Entwicklung von Lösungen mitreden können.» Die Aktivitäten des Vereins reichen von partizipativen Projekten mit der Bevölkerung bis hin zum gesellschaftspolitischen Engagement. Und er stellt die Frage, 11


wie man die Arbeitsweise der Stadtverwaltungen progressiver gestalten kann. «Das eine sind die Gesetze und politischen Forderungen», sagt Steger, «das andere deren Umsetzung durch die Verwaltung: Wie findet mehr Austausch zwischen der Zivilgesellschaft und den Verwaltungsstrukturen statt, wie können Verwaltungsprozesse offener und flexibler gestaltet werden? Man muss neue Formate und Schnittstellen erfinden, damit Initiativen aus der Bevölkerung und aus den Verwaltungen gemeinsame Gefässe haben, um sich auszutauschen. Das hinterfragt allerdings viele eingespielten Prozesse.» Die Urban Equipe testet momentan zusammen mit der Stadtentwicklung Zürich die Möglichkeit für ein stadtweites partizipatives Budget: ein Budgetposten von rund einer halben Million wird für Initiativen aus der Bevölkerung ausgegeben. «Alle Bewohner*innen von Zürich konnten bis Anfang September Ideen eingeben, und anschliessend wird nun in einer offenen Abstimmung darüber entschieden, welche davon umgesetzt werden können», sagt Steger. «Momentan sind nur Initiativen von der Bevölkerung selbst zugelassen. Das Ziel ist jedoch, dass irgendwann auch über Projekt­ ideen abgestimmt werden kann, die die Stadt selbst umsetzt. Stadtbewohner*innen könnten so zum Beispiel verlangen, dass ein Teil des Geldes in bessere Velowege investiert werden muss.» Was sich im ersten Moment recht revolutionär anhört, ist andernorts bereits Wirklichkeit: Es gibt weltweit mehrere Städte, die über einen Teil ihrer regulären Budgets basisdemokratisch entscheiden lassen. Reykjavik hat ein solches partizipatives Budget eingeführt, Barcelona und Helsinki auch. In Lateinamerika kam die Idee in mehreren Städten schon in den 70er-Jahren auf. Politisch mitbestimmen In der Schweiz hat die Eidgenössische Migrationskommission EKM 2008 das Programm «Citoyenneté» lanciert, das sich für mehr Mitbestimmung aller einsetzt – auch der Bevölkerung ohne Schweizer Pass. Die Citoyenneté fördert nicht nur Stadtprojekte, aber doch bei mehr als der Hälfte von ihnen geht es um urbane Mitbestimmung. Auch ein Projekt von Urban Equipe war schon dabei. «Wir sind der Ansicht, dass eine möglichst breite Bevölkerung nachhaltig in politische Prozesse einbezogen werden sollte», sagt also auch Elodie Morand, die bei der EKM für das Programm zuständig ist. Dass das Wort Citoyenneté französisch ist, ist kein Zufall. In der Romandie sind partizipative Ansätze bereits etablierter als in der Deutschschweiz, sowohl im Kleinen als auch auf politischer Ebene. «Die Romandie hat einen anderen politischen Kontext. Die Bevölkerung ohne Schweizer Pass hat im Jura, in Neuenburg, in Fribourg, in der Waadt und in Genf mit bestimmten Auflagen Stimm- und Wahlrechte», sagt Morand. In einer Genfer Gemeinde gibt es einen Einwohnerbeirat, der auch Menschen ohne Schweizer Pass offensteht. Und in Lausanne besteht bereits ein «budget participatif»: Die ganze Wohnbevölkerung kann eigene 12

Projekte zur Verbesserung des Lebensraums und des sozialen Zusammenhalts einreichen. «In der Romandie ist die Partizipation auf der politischen Ebene angekommen, in der Deutschschweiz kommt sie immer noch vollumfänglich aus der Zivilgesellschaft», sagt Morand. «Aber es entwickelt sich zurzeit auch in der Deutschschweiz sehr viel.» Die Perspektive von Geflüchteten einnehmen «Architecture is a human right» steht auf einer Tafel, die im Zoom-Gespräch mit Bence Komlósi am Bildrand angeschnitten ist. Er ist Co-Gründer von Architecture for Refugees Schweiz. Der Verein setzt sich seit 2016 für einen Städtebau ein, der die Bedürfnisse von benachteiligten Menschen berücksichtigt und im Besonderen geflüchtete Menschen verstärkt an der Gesellschaft teilhaben lassen möchte. Komlósi ist Architekt und gebürtiger Ungar. Während die Menschen 2015 über Ungarn nach Europa flüchteten, fuhr er jeden Tag auf dem Arbeitsweg mit seiner Frau im Bus an einem Flüchtlingslager vorbei. «Irgendwann fanden wir, wir müssen aussteigen und selbst sehen, wie die Situation ist. Das hatte natürlich nichts mit Architektur zu tun, es war einfach ein persönlicher Impuls.» Sie fragten sich aber: «Was können wir als Architekt*innen zur Verbesserung der Situation beitragen?» Architecture for Refugees bringt sich heute mit Interventionen verschiedenster Art ein: Teilnahmen an Kulturfestivals, Diskussionsabende und gemeinsame Abendessen, temporäre Bauten, Workshops. Und Stadtführungen: Hier geht es um Orte, an denen die neue Gesellschaft für Geflüchtete spürbar wird, die aber gleichzeitig Schutz bieten. Auf der Zürcher Bäckeranlage oder auf dem Platzspitz zum Beispiel kann man sich treffen, hier spielt sich ein Stück soziales Leben ab, und es lässt sich vieles beobachten. Anfangs waren die Stadtführungen spezifisch für geflüchtete Menschen selbst gedacht, unterdessen für alle, die sich für diese Perspektive interessieren. «Wir lernen auch dazu», sagt Komlósi. «Bald kam die Rückmeldung eines Eritreers: In einem Park fühle ich mich wegen der Polizeikontrollen aber alles andere als sicher.» Für einen Syrer war Sightseeing an der Bahnhofstrasse, um den neuen Ort kennenzulernen, eine schlechte Idee. Nach zehn Minuten nahm ihn bereits die Stadtpolizei mit. Racial Profiling führt dazu, dass ein schöner grüner Park für die Einheimischen zwar ein Erholungsort ist, für rassifiziert gelesene Menschen aber Stress. Ob man sich in einer Stadt wohl und sicher fühlt und ist, ob man sich einen Ort zu eigen machen kann, hängt davon ab, wer man ist. Die Stadt ist für jede*n eine andere – abhängig von sozialem Status, Gender, Herkunft. Im September wurde in Zürich ein Obdachloser umgebracht. Wer obdachlos ist, hat keinen Schutz, keine Rückzugsmöglichkeit, keine Privatsphäre, keinen Stauraum, ist permanentem Lärm ausgesetzt, wird bestohlen. Städte wurden während Jahrzehnten hauptsächlich für gesunde, männliche, arbeitstätige, leistungsfähige Menschen gebaut (und auch von ihnen). In den 90er-JahSurprise 510/21


«Die Türen werden uns nicht eingerannt. Die Nachfrage ist sehr stark abhängig davon, ob die Gendergerechtigkeit politisch eingefordert wird oder nicht.» STEPHANIE TUGGENER, VEREIN L ARES

ren kam die feministische Stadtplanung auf, die auf die vielen Hürden verwies, die jenen das Leben schwermachten, die sich um das Funktionieren von Alltag und Familie kümmerten – meistens waren und sind es immer noch Frauen. Auch dreissig Jahre später sind die Themen noch aktuell: Wie sicher und angstfrei bewegen sich Frauen durch die Stadt, wie zeigt sich der Stellenwert von bezahlter und unbezahlter Arbeit, wer kommt wo zu seinen Rechten und wer wird im öffentlichen Raum wie repräsentiert? Dem Alltag seinen Platz einräumen Stephanie Tuggener ist die Co-Präsidentin des Vereins Lares, der sich für gender- und alltagsgerechtes Planen und Bauen einsetzt. Sie sagt: «Letzten Endes ist es egal, ob eine Frau oder ein Mann den Kinderwagen stösst. Es geht darum, dass die Care-Arbeit schon in der Planung die angemessene Anerkennung und ein Gewicht bekommt. Diese Tätigkeiten sollten an sich eine höhere Wertschätzung erhalten.» Gesellschaftliche Normen und Priorisierungen werden etwa daran erkennbar, ob der Wickeltisch im Frauen-WC installiert ist. Zwei Pingpongtische statt nur einem sorgen dafür, dass nicht immer nur die Stärksten und Lautesten zum Zug kommen, und gibt es einen Sandkasten für Kleinkinder, müsste die Frage folgen, ob sich hier auch die Grosseltern länger aufhalten könnten (die selbst keine Windeln tragen und vielleicht nicht mehr im Sand sitzen können). Der Verein Lares hat kürzlich den «GenderKompass Planung» herausgegeben, einen Leitfaden, der sich an Planer*innen bei Kantonen und Gemeinden richtet. Er sensibilisiert für die Kriterien beim genderund alltagsgerechten Bauen. Zudem erstellen Lares-Fachpersonen Gutachten, die Planungs- und Bauprojekte aus der Genderperspektive beurteilen. Von 2006 bis 2012 war Lares ein vom Bund gefördertes Projekt, dessen Fokus auf der Erarbeitung dieser Gendergutachten lag. Heute sind sie ein Angebot des Vereins. «Die Türen werden uns nicht gerade eingerannt. Die Nachfrage ist sehr stark abhängig davon, ob die Gendergerechtigkeit politisch eingefordert wird oder nicht», sagt Tuggener. «Wir merken aber schon, dass das Thema in den letzten zwei Jahren gesellschaftlich wieder mehr in den Fokus gerückt ist.» Der Städtebau ist auf das Erwerbsleben ausgerichtet, auf die Leistungsfähigen, auf Rendite, nicht auf Begegnung. So sind die informelle Fiesta und das Grillieren in unserem Hinterhof also den teuren Wohnungen gewichen. Die Überbauung heisst Grünhof, und grün ist sie tatsächlich, ganz oben auf der Dachterrasse. Wenn ich auf dem Parkplatz hinter dem Haus stehe, sehe ich, wie mir die Blätter im Wind zuwinken. Hintergründe im Podcast: Simon Berginz im Gespräch mit Diana Frei über egalitäre Stadtplanung. surprise.ngo/talk

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«Nicht die Miete deckeln, sondern die Rendite» Grundbesitz Nationalrätin Jacqueline Badran fordert mehr Transparenz und weniger

­Gewinnorientierung auf dem Immobilienmarkt – und eine verschärfte Lex Koller. INTERVIEW  CHRISTIAN ZEIER

Jacqueline Badran, wem gehört die Schweiz? Traditionell gibt es bei uns eine sehr breite Verteilung des Eigentums. Es befanden sich immer unglaublich viele Häuser im Privatbesitz. Historisch hatte die Schweiz nie den Grossgrundbesitz anderer Länder, sondern vielmehr das Prinzip der Genosssame, des gemeinsam genutzten Landes. Zumindest in den Städten ändert sich das gerade. Aktuelle Recherchen zeigen, dass gewinnorientierte Unternehmen in Basel und Zürich immer mehr Wohnungen aufkaufen. Ja, und schauen Sie, wer die verbliebenen Privateigentümer*innen sind: In der Stadt Zürich sind über 80 000 davon 70 oder älter. Die entscheidende Frage ist also: An wen gehen die Häuser, wenn diese Menschen sterben? An die good guys oder die bad guys? Derzeit legen die Gewinnorientierten zu, die Sie als «bad guys» betiteln, während Genossenschaften und städtische ­Wohnungen anteilsmässig stagnieren. Was bedeutet das? Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Zwei Wohnungen werden verkauft: Die eine an ein kommerzielles Unternehmen, die andere an die Stadt, die diese dann im Baurecht abgibt. Beide Wohnungen sind gleich gross, haben denselben Kaufpreis und dieselben Baukosten. Während in der Wohnung der Stadt nun Menschen zur Kostenmiete wohnen, muss der Kommerzielle noch 10 Prozent Gewinn herausholen. Das sind die Folgen. Oft wissen wir nicht einmal, wem die ganzen Immobilien gehören. In Zürich oder Basel waren aufwendige Recherchen nötig, um etwas Transparenz zu schaffen. Wieso diese Geheimniskrämerei? Früher war es transparenter, weil damals die Unterschiede in der Gesellschaft kleiner 14

waren. Das hat sich massiv geändert. Früher konnte man in allen Kantonen aufs Amt gehen und die Steuerbehörden fragen, was der oder die versteuert. Heute kann man das sperren lassen. Das Vertrauensverhältnis ist weg.

Die Städte sollen also kaufen, was sie kaufen können? Ja, in jedem Fall. Es ist mittelfristig immer ein gutes Geschäft. Und definitiv besser, als wenn sie das Geld in Aktien oder Obligationen stecken.

Wäre denn mehr Transparenz nötig? Natürlich wäre das ein Mehrwert. Deshalb sind auch solche journalistischen Recherchen so wertvoll. Aber es müsste noch weitergehen. Man müsste einen gross angelegten Aufruf starten und die Leute zum Mitmachen auffordern. Alle sollen melden, wem ihre Wohnung gehört und wie viel sie bezahlen.

Hohe Kaufpreise führen aber zu hohen Mieten. Verhindert das nicht bezahlbaren Wohnraum? Was viele nicht verstehen: Wenn die Stadt jetzt zu einem hohen Preis kauft und eine relativ hohe Miete verlangen muss, wird die Wohnung in zwanzig Jahren trotzdem zu den günstigen gehören. Weil ein kommerzieller Besitzer die Miete in dieser Zeit nochmals erhöht hätte, die Gemeinnützigen jedoch in der Kostenmiete bleiben. Die Stiftung PWG verspricht zudem, dass sie auch bei hohen Kaufpreisen die Mieten nicht erhöht. Dafür wird sie von der Stadt mit Abschreibungsbeiträgen unterstützt.

Klar ist, grosse Firmen wie die Swiss Life zahlen aktuell sehr hohe Preise für städtische Immobilien. Können Genossenschaften und Städte da überhaupt mithalten, um günstigen Wohnraum zu schaffen? Natürlich können wir einer Erbengemeinschaft nicht einfach sagen: Verkauft lieber an eine Genossenschaft oder die Stadt und verzichtet auf eine Million. Deshalb brauchen wir schnelle Eingreiftruppen wie die Stiftung PWG in Zürich, die Liegenschaften kaufen und dann günstig vermieten. Grosse Überbauungen muss der Staat kaufen, keine Frage. Nur er kann das stemmen und mit Akteuren wie der Swiss Life mithalten. Oft heisst es, dafür fehle das Geld. Oder das Risiko sei zu gross. Das ist ein Witzargument. Wenn es für einen Kommerziellen ein gutes Geschäft ist, weshalb soll es für den Staat schlecht sein? Schon in den Vierziger- und Fünfzigerjahren behaupteten die Zürcher Bürgerlichen, dass die Stadt zu teures Land kaufe. Da ging es um 200 Franken pro Quadratmeter, heute zahlt man dafür 13 000 Franken. Aus heutiger Perspektive ist es völlig Wurst, was damals bezahlt wurde.

Dennoch sind die Mieten in Zürich stark gestiegen – wie auch in anderen prosperierenden Städten Europas. Wieso schafft es niemand, die Mieten zu stabilisieren? Es gibt schon gute Ansätze, wie zum Beispiel die Einschränkung von ausländischem Kapital – unsere Lex Koller. Aber viel wird auch falsch gemacht. Zum Beispiel der Mietendeckel in Berlin: Man muss doch nicht die Miete deckeln, sondern die Rendite! Hier in der Schweiz gäbe es ja eigentlich ein Gesetz gegen missbräuchliche Mieten. Ja, aber nur in der Theorie. De facto leben wir mit massiven Verstössen gegen ebendieses Gesetz. Unternehmen werben mit sechs- oder siebenprozentigen Renditen auf Wohnimmobilien. Dabei ist das legal gar nicht möglich. Die Nettorendite darf höchs­ ­tens 0,5 Prozent mehr als der aktuelle Referenzzinssatz von 1,25 Prozent betragen. Ein grosser Teil der Schweizer Mieten ist also illegal – aber der Aufschrei bleibt aus. Surprise 510/21


Was müsste passieren? Die Mieter*innen müssten den Anfangszins anfechten. Aber wer macht das schon? Deshalb habe ich im Nationalrat einen Vorstoss eingereicht, der fordert, dass die Renditen von Amtes wegen periodisch überprüft werden. Bis Ende der Siebzigerjahre gab es in der Schweiz eine solche Mietkontrolle – da musste der Bund bei Mieterhöhungen einwilligen. Und heute ist so eine Massnahme im Parlament kaum noch mehrheitsfähig? Wissen Sie, weshalb die Mietkontrolle damals auch von den Bürgerlichen unterstützt wurde? Wahrscheinlich weil sie nicht wollten, dass hohe Mieten die Kaufkraft der Leute reduzieren. Genau, das lässt sich alles in alten Protokollen nachlesen. Die CVP sagte: Wenn wir die Mietkontrolle aufheben, explodieren die Mieten, die Kaufkraft sinkt, die Unternehmen kommen unter Lohndruck und wir verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Damals hatten die Bürgerlichen noch ein bisschen Wirtschaftssachverstand! Doch dann kam in den Neunzigerjahren die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und aus der Immobilienwelt wurde eine Kapitalverwertungsveranstaltung. Die Regulierungen, die hohe Mieten verhinderten, wurden abgeschafft oder aufgeweicht. Alles war schon einmal da: die Mietkontrolle, eine sehr hohe Grundstückgewinnsteuer kombiniert mit einer Handänderungssteuer, ein Mietrecht mit Renditedeckel und die Lex Koller gegen ausländisches Kapital.

Letzteres ist eines Ihrer Lieblingsthemen. Wohnen ist eine essenzielle Güterklasse wie Wasser und Luft. Deshalb müssen Wohnungen denjenigen gehören, die sie nutzen und davon abhängig sind. Mit der Lex Koller hatten wir mal eine visionäre Gesetzgebung, die Immobilienanlagen durch Personen aus dem Ausland stark eingeschränkt hat. Doch sie wurde von den Bürgerlichen Schritt für Schritt aufgeweicht, was dem globalen Kapital in die Hände spielte. Ausländische Finanzinstitute standen schon in den Startlöchern, die wollten ihr Geld im Schweizer Wohnungsmarkt anlegen. Eine attraktive Anlage, plus Währungssicherheit – das gibt eine unglaubliche Nachfrage. Man hob also 1998 die Einschränkungen bei Geschäftsimmobilien auf, und seit 2005 können ausländische Anleger*innen auch Anteile an börsenkotierten Schweizer Immobiliengesellschaften kaufen. Letzteres ging als Belebung des Kapitalmarktes durch. Und das im Jahr 2005. 2007 wäre die Lex Koller fast abgeschafft worden. Alle grossen Parteien waren dafür. Es hiess, dass es dafür flankierende Massnahmen in der Raumplanung gebe. Stellen Sie sich vor: Man haut die Nachfrage nach oben und will gleichzeitig das Angebot einschränken. Man muss nicht an der HSG studiert haben, um zu verstehen, dass dies die Preise explodieren lassen würde. Zusätzlich dachten die Linken, das Gesetz sei ausländerfeindlich, weil es sich gegen die Überfremdung des einheimischen Bodens richte. Dabei geht es explizit um Personen

«Wohnen ist ein essenzielles Gut wie Wasser und Luft.» JACQUELINE BADR AN

Die Züricher SP-Nationalrätin kämpft seit der Aufweichung der Lex Koller dafür, diese wieder zurückzunehmen. Immobilien­ eigentum solle wieder breit verteilt sein, wie es in der Schweiz seit Jahrhunderten der Fall war – das käme vielen zugute. Surprise 510/21

im Ausland. Die Einschränkungen sind an den Lebensmittelpunkt gekoppelt. Das ist genial, die ganze Welt sollte so ein Gesetz haben! Sie haben die Abschaffung dann mehr oder weniger im Alleingang verhindert. Es war eine One-Woman-Show, gegen alle Parteien und Verbände. Danach wollte ich auch noch die Aufweichungen rückgängig machen, zurück zum Stand vor 1998. Im Bundesrat ging das durch, doch dann starteten die Immo-Firmen eine noch nie dagewesene Lobby-Aktion. Ihre Kritiker*innen sagen, dass Sie den Anteil des ausländischen Kapitals im Schweizer Immobilienmarkt überschätzen. Es wird immer mehr – unterdessen sind Milliarden in unsere Immobilien geflossen und verdrängen das einheimische Kapital. Das lässt sich schätzen. Es müssten sich eigentlich breite Mehrheiten finden lassen, von links bis rechts. Würde man meinen ... Dem ist aber nicht so? Im Parlament momentan nicht. In der Bevölkerung würde ich mit einer Initiative zur Verschärfung der Lex Koller eine Mehrheit finden. Die käme durch, mit 80 oder 85 Prozent. Es kommt noch etwas Weiteres hinzu: Die Immobilienbranche ist dank der Infrastrukturgewinne die am meisten subventionierte Industrie der Schweiz. Jeder grössere Bau zieht Infrastrukturkosten wie Schulen, öffentlicher Verkehr oder Strassen nach sich – die werden von der öffentlichen Hand finanziert und erhöhen den Ertragswert der Häuser. Es profitieren also die Besitzer*innen. Sobald sich das Eigentum aber konzentriert, sobald dubiose Finanzquellen immer mehr besitzen, subventionieren die Steuerzahler*innen plötzlich das globale Kapital. Das ist pervers. Unser Geld fliesst an Blackrock, JP Morgan oder sonstige Investmentbanken und fehlt dann dem hiesigen Konsum. Das ist komplett gewerbefeindlich und ein riesiger volkswirtschaftlicher Schaden. Kommt also bald die Lex-Koller-Initiative? Initiativen sind anstrengend und dauern lange. Vorher versuche ich nochmals, auf parlamentarischem Weg Mehrheiten zu schaffen. 15


Tatort Bänkli Öffentlicher Raum Auf einer Rundbank mitten auf dem Bahnhofplatz Bern

trafen sich Alkoholiker*innen. Nach Reklamationen wurde sie entfernt. Nun sitzen die Süchtigen wieder dort, wo sie für viele hingehören: am Rand. TEXT  ANDRES EBERHARD FOTOS  KLAUS PETRUS

Polizist: «Hose ufe!» Mann auf dem Bänkli: «Ja, wart schnell.» Polizist, laut und energisch: «Nüüt warte! Hose ufe!» Um den Feierabend am Bahnhofplatz Bern. Ein Mann mit langen, zerzausten Haaren sitzt vornübergebeugt auf einer Bank bei der Tramhaltestelle. Sein Oberkörper schwankt hin und her. Neben ihm eine Dose Anker-Bier, an der Sitzbank lehnen Krücken. Als die Polizisten näherkommen, richtet sich der Mann auf, zieht seine Hose zurecht und fummelt in seiner Jackentasche. Er zieht ein zerknülltes Papier heraus. «Mis Billet.» Er hält das Tramticket vor, als wäre es eine Eintrittskarte für diese Sitzbank – als müsste er beweisen, dass er hierhergehört. Dabei gehört die Bank der Stadt Bern. Und ist für alle da. Zumindest in der Theorie. Drei Jahre ist es her, da ging die Stadt Bern mit der «Sitzbank für alle» in die Offensive. 2000 bestehende Sitzbänke sollten in den kommenden Jahren durch eine barrierefreie Version ersetzt werden – gemütlich für Alte, ertastbar für Blinde. Auf dem Bahnhofplatz weihte Stadträtin Ursula Wyss 22 neue Bänke ein. Endlich könnte man an diesem «coolen, urbanen Ort» auch sitzen. 16

Zwei Jahre später war es schon wieder vorbei mit der Heiterkeit. Das Flaggschiff der Bänkli-Offensive, eine grosse Rundbank direkt unter dem Baldachin, wurde wieder entfernt. Sogenannte randständige Menschen hatten sie für sich eingenommen. Es sei zu «ungebührlichem, zeitweise aggressivem Verhalten» sowie einer Zunahme von Abfall und Verunreinigungen gekommen, begründete die Stadt die Massnahme. Es habe zahlreiche Reklamationen von Passant*innen «wegen massiver Störungen» und Belästigungen gegeben. Klingt dramatisch: Was war da los? Kam es zu Gewalt? Ist die Sicherheit des Bahnhofs gefährdet? Auf eine Anfrage bei der Stadt Bern meldet sich Silvio Flückiger von der städtischen Interventionstruppe Pinto. Die Sozialarbeiter*innen sind auf der Gasse unterwegs. Er wisse nichts von körperlicher Gewalt, aber es sei regelmässig «aggressiv gebettelt, gerempelt, rumgeschrien und rücksichtlos Fussball gespielt worden». Trotz Aufforderung, das Verhalten zu ändern, habe sich die Situation leider nicht nachhaltig verbessert, weswegen die Bank schliesslich entfernt wurde. «Die einzige Alternative wären repressive Mittel seitens der Kantonspolizei gewesen», so Flückiger. Surprise 510/21


Erst abgesperrt, dann ganz demontiert: die umstrittene Rundbank am Bahnhof Bern.

Der Bahnhof Bern habe kein Sicherheitsproblem, sagt ­Lilian Blaser, die im Auftrag der SBB die Sicherheitslage analysiert hat. Blaser ist bei der Beratungsfirma EBP angestellt und berät die SBB sowie zahlreiche Gemeinden in Fragen der städtebaulichen Kriminalprävention. Das heisst: Sie gibt Ratschläge, wie öffentliche Orte gestaltet sein müssen, damit sie sicher sind. Blaser sagt: «Objektiv gesehen sind die Bahnhöfe in der Schweiz sicher.» Ihre Vorschläge im Hinblick auf die laufende Erweiterung des Bahnhofs zielten auf die «Steigerung der Aufenthaltsqualität». Mithilfe von räumlicher Gestaltung und gezieltem Einsatz von Licht, Farbe und Musik könnten Angstorte vermieden werden. «Das führt zu einem Gefühl von Sicherheit.» Ärgernis oder Geschenk Bei der Entfernung der Rundbank am Bahnhof Bern ging es also nicht um Sicherheit. Sondern um Wohlbefinden. Und letztlich auch um Geld. Denn Ziel der «Aufwertung» des Ortes sind nicht zuletzt auch höhere Mieteinnahmen. Die Kehrseite spüren die Menschen auf der Gasse, kritisieren Betroffene und deren Vertreter*innen. «Man stört sich an den Menschen, die im öffentlichen Raum herumhängen. Unter dem Vorwand von Sicherheit werden Menschen verdrängt», sagt Nora Hunziker von der kirchlichen Gassenarbeit Bern. Dies werde mit polizeilicher Repression erreicht, aber eben immer öfter auch mit baulichen Massnahmen. Hunziker ist der Meinung, dass Pendler*innen «Unwohlfühlmomente aushalten» müssten. Die Geschichte mit der Rundbank unter dem Baldachin steht exemplarisch für den Umgang Berns mit Randständigen: Die rot-grün regierte Stadt will sozial sein und bietet den Menschen einen Platz in der Mitte an. Stehen Surprise 510/21

diese aber auf dem Heimweg Richtung Feierabend im Weg, schubst man sie zur Seite. Seit vielen Jahren ist der Bahnhof Treffpunkt für Menschen vom sogenannten Rand der Gesellschaft. Früher trafen sich Drogensüchtige bei den Überresten der alten Stadtmauer im Bahnhofinnern. Die Steine wurden im Rahmen des Bahnhofumbaus mit Glas eingefasst, worauf sich die Szene nach draussen verlagerte. Die Stadt reduzierte daraufhin die Sitzgelegenheiten und sprach zahlreiche Wegweisungen aus. Sie schuf aber auch soziale Institutionen, wo sich Süchtige aufhalten konnten. Als Folge davon beruhigte sich die Situation am Bahnhof. Noch zu Beginn der Nullerjahre hatte die Polizei 600 bis 800 Wegweisungen ausgesprochen. 2019 war es nur noch eine einzige. Just in jenem Jahr ging die Stadt mit den neuen Bänkli in die Offensive. Endlich, so schien es, konnte man den Schwächsten ein Geschenk machen. Schliesslich lautet eines der Legislaturziele: «Die Aneignung des öffentlichen Raums durch die Bevölkerung». Doch dann kam Corona. Soziale Institutionen mussten den Betrieb einschränken. Und die Süchtigen trafen sich vermehrt wieder am Bahnhof. Prompt stieg die Zahl der Wegweisungen wieder an: auf 56 im Jahr 2020. Und 2021, als es Sommer wurde – Corona-Welle erst einmal vorbei, Impfungen auf dem Vormarsch, Fussball-EM –, vermietete die Stadt mehrere zum Abhängen beliebte Plätze an Private, so etwa den Casino-Park, die kleine sowie die grosse Schanze. Das Resultat: Mehr Süchtige am Bahnhof, mehr Trubel auf der Rundbank. Heute sitzen die Alkoholiker*innen und andere Sucht­ erkrankte wieder dort, wo sie schon vor Berns Bänkli-­ Offensive sassen: auf den Treppen der Heiliggeistkirche 17


sowie entlang der Kirchenwand am Rand des Bahnhofplatzes. Zudem schuf die Stadt, nachdem auch linke ­Politiker*innen gegen die Entfernung der Rundbank ­protestiert hatten, Ersatz: etwas kleinere, voneinander separierte Bänke, zur Seite verschoben. Dass es am zweitgrössten Bahnhof der Schweiz störend sein kann, wenn zur Hauptverkehrszeit Fussbälle durch die Luft fliegen, gerempelt oder herumgeschubst wird, versteht sich von selbst. Sicherheitsberaterin Blaser nennt das «Nutzungskonflikte». Was also tun? Blaser rät: «Die Bedürfnisse der Betroffenen müssen unbedingt miteinbezogen werden.» Ein Ort für alle Surprise-Stadtführer Roger Meier hat selbst viele Jahre auf der Gasse in Bern verbracht. Die Szene treffe sich aus zwei Gründen am Bahnhof. Erstens: Am Bahnhof gebe es billigen Alkohol und das Glasdach schütze vor Regen. Zweitens: In Bern gebe es keine Institution, in der sich alle aus der Szene gemeinsam aufhalten könnten. «Die Politik separiert die Gruppen. Aber die Menschen wollen zusammen sein», sagt er. So fänden Kokain- und Heroinabhängige in der Anlaufstelle Unterschlupf, Alkoholiker*innen im Alkistübli oder im offenen Haus Prairie, Einsame im Aufenthaltsraum Postgasse. «Und Kiffer dürfen gar nirgends hin.» Viele aus der Szene am Bahnhofplatz kennt Meier aus vergangenen Zeiten persönlich. Wenn er vorbeikomme, setze er sich zu ihnen, plaudere zwei Stunden. «Was viele nicht begreifen: diese Menschen sind dort, weil das ihr Wohnzimmer ist. Dort treffen sie alle sozialen Kontakte, die sie haben.» Wäre denn ein anderer Treffpunkt denkbar? Theoretisch schon, sagt Meier. «Es muss aber ein stimmiger Ort sein.» Wichtig sei, dass alle dort hindürften. Ausserdem brauche es einen Aussenbereich, ein Pärkli oder einen Innenhof. Gute Beispiele gibt es in Basel, wo sich Menschen mit unterschiedlichen Suchterkrankungen in einem offenen Haus treffen. In Biel verwalten Alkoholiker*innen ihre eigene Beiz. Und vor dem Bahnhof Thun oder in der Bäckeranlage in Zürich werden Alkoholiker*innen geduldet, solange sie sich benehmen. Bezeichnend ist, dass sich die Szene in Bern in einem privaten Raum traf, als wegen Corona die Institutionen geschlossen hatten: in einem italienischen Restaurant. Allerdings gibt es für Meier einen guten Grund, warum die Szene auf dem Bahnhofplatz bleiben sollte. «Solange die Menschen gesehen werden, gehen sie nicht vergessen. Sie dürfen nicht unsichtbar werden.» Darum findet es Meier auch gut, wenn sich manche Passant*innen über die Alkoholiker*innen und anderen Süchtigen am Bahnhof Bern aufregen. «Es muss ihnen unwohl sein dabei. Das erinnert sie daran, dass es Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die nicht mehr mitkommen.» Immerhin: Die Stadt hat nicht vor, die Randständigen vom Bahnhof zu verdrängen. Eine Begleitgruppe soll in Zukunft dafür sorgen, dass die Situation für alle, also auch für die «Langzeitnutzenden», gut bleibt, verspricht Flückiger von der Interventionstruppe Pinto. «Sie gehören zu Bern. Sie gehören zum Bahnhof.» 18

Designt für das kurzzeitige Sitzen, um unliebsame Dauergäste fernzuhalten: Sogenannte feindliche Baumassnahmen sorgen auch hierzulande dafür, dass man sich gar nicht oder nur sehr vorübergehend niederlassen kann.

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Asoziales Bauen? Verdrängung Bern setzt im öffentlichen

Raum auf Stadtmobiliar, das einen Daueraufenthalt schwer macht. Im Jahr 2018 stellt die Stadt Bern die «neue Berner Bank» vor: eine hindernisfreie Sitzbank, die auch für alte und blinde Menschen geeignet ist. Das neue Modell wird bald überall in der Stadt zu sehen sein – ausser rund um den Bahnhof. Dort wurden vor zwei Jahren ebenfalls neue Bänke montiert – allerdings mit komplett anderem Design: hellbraune statt dunkelgrüne Holzlatten, Steinleisten statt Metallgestell, Armlehne in der Mitte statt am Rand. Betroffene und Gassenarbeiter*innen hegen den Verdacht, dass die Bänke bewusst ungemütlich gestaltet wurden, um die Randständigen vom Platz fernzuhalten. «Dass sich die Armlehne in der Mitte der Bank befindet, verhindert, dass man sich hinlegen kann», sagt Nora Hunziker von der Gassenarbeit Bern. Für Surprise-Stadtführer Roger Meier, der einst selbst auf der Gasse lebte, ist die Bank ein Beispiel für «asoziales Bauen». Das internationale Phänomen hat einen Namen: «hostile architecture», also «feindliche Architektur». In vielen Grossstädten finden sich eindeutige Beispiele: Stacheln am Boden, abgezäunte Strassenecken, Felsblöcke unter Brücken. Auch Musik, blaues Licht, Sprinkleranlagen und ungemütliche Sitzgelegenheiten gehören dazu. Die Frage ist: Wird auch in der Schweiz feindlich gebaut? Gassenarbeiterin Hunziker ist davon überzeugt. Auf dem Instagram-Account verdraengung.be trägt sie Beispiele aus der Stadt Bern zusammen: ein abgeschrägter Lüftungsschacht, ein mit Spikes versehener Fenstersims auf Sitzhöhe, ein Vorhängeschloss an einer ungenutzten Telefonkabine. Auch die Bank am Bahnhof hat sie gepostet. Auffallend ist, dass sich fast alle ihre Beispiele in Bahnhofsnähe befinden. Die Stadt Bern wehrt sich gegen den Vorwurf, Möbel bewusst so zu gestalten, um Randständige zu verdrängen. Am Bahnhof sei ein anderes Bankmodell gewählt worden, da die «neue Berner Bank» recht tief in den Boden verschraubt sei, so Nadine Heller, Bereichsleiterin Gestaltung und Nutzung der Stadt Bern. Das sei am Bahnhofplatz nicht möglich. «Die Abdichtung zur Unterführung ist nur 10 Zentimeter dick.» Die Gestaltung sei spezifisch auf den Bahnhofplatz abgestimmt, die Armlehne als Aufstehhilfe befinde sich in der Mitte, damit man auf beiden Seiten sitzen könne. Und Daniel Hunziker, Designer der Bank, betont, dass er nie asoziale Möbel gestalten würde. «Meine Objekte sind für alle.» Gleichwohl räumt er ein, dass das Modell am Bahnhof für das «kurzfristigere Sitzen» designt worden sei. EBA Surprise 510/21

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Danica Graf führt Besucher*innen auf einem Stadtrundgang durch ihr Basel und ihr Leben. 20

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Süchtig, arm, missbraucht Soziale Stadtrundgänge Dani Stutz nahm auf der Gasse Heroin. André Hebeisen trank und

verarmte. Danica Graf wurde missbraucht. Auf Rundgängen erzählen die Surprise-Stadtführer*innen, was hinter den sauberen Fassaden unserer Städte passiert. TEXT  ANDRES EBERHARD FOTOS  KLAUS PETRUS

Zürich: Ein Hinterhof zwischen Langstrasse und Industriequartier. Die Bäume rauschen im Wind. Dani Stutz kreuzt im Stehen die Beine, faltet die Hände, lächelt. «Ich freue mich auf die Reise mit euch durch mein Leben.» Rundgang durch Zürich, das Thema heute: Sucht. Im Nachbarhaus schreit ein Kleinkind. «Zahnen», vermutet einer aus der rund 20-köpfigen, sich fremden Gruppe. «Koliken», meint eine andere. Dann erzählt Stutz. Von Spiel­ automaten, vom Heroin, vom Leben auf der Gasse. Bern: Haltestelle Monbijou. Die Sonne drückt. André Hebeisen steht vom Bänkli auf, trommelt die im Gras sitzenden Konfirmand*innen zusammen, marschiert samt Pfarrer los durchs Quartier, stoppt in einer Einfahrt. «Gibt es Armut in der Schweiz, was meine-t-er?» Nicken. «I-Ju.» Rundgang durch Bern, das Thema hier: Armut. Ein Audi muss durch die Einfahrt, die Schüler*innen reihen sich auf der schmalen Gehkante auf, der Fahrer hebt die Hand zum Dank. Dann erzählt Hebeisen. Vom Alkohol, von der Arbeitslosigkeit, vom Leben am Existenzminimum. Basel: Theodorskirche. Autos dröhnen, ein Tram rasselt. Danica Graf lotst die zwölf Frauen über die Strasse in einen kleinen Park. «Ich wuchs behütet auf. Mit 12 starb meine Schwester, mit 14 wurde ich von einem Fremden missbraucht.» Rundgang durch Basel, das Thema: häusliche und sexuelle Gewalt. Nebenan ist Markt, Äpfel und Broccoli wechseln die Besitzer*innen, im Park schiebt eine Mutter einen Kinderwagen vor und zurück. Dann erzählt Danica Graf. Von der Gewalt, vom Missbrauch, vom Leben in Armut. Und davon, wieder aufzustehen. Zürich: Der Hinterhof ist der Garten einer WG für Menschen am Rand unserer Gesellschaft. Haus Zueflucht nennt sich die Institution des Vereins Franziskanische Gassenarbeit. Hier ist man etwas geduldiger mit Suchterkrankten als anderswo. Es darf konsumiert werden. Aber nur auf dem Zimmer. Die vier Regeln: keine Gewalt, keine Waffen, keine Prostitution, keine Dealereien. Surprise 510/21

Er sei ein Einzelgänger gewesen, erzählt Stutz, die Stimme laut genug, um das Kindergeschrei zu übertönen. Er wuchs etwas ausserhalb von Zürich auf, unterfordert in der Schule, aufs Gymnasium ging er in der Stadt. Daneben Pfadi-Führer. Matheprüfungen, Deutschprüfungen, Pontonier-Kurse, Segelkurse: Irgendwann wurde ihm alles zu viel. Das dritte Gymi-Jahr musste er wiederholen. Wenig später gab er ganz auf. Burnout. Stutz fing sich wieder, verdiente mit Temporärjobs sein Geld. In der RS fing er an zu kiffen, entdeckte die Spielautomaten im Casino, das Geld war schnell weg. Die Automaten wurden 1996 per Gesetz verboten, ein Segen für Stutz, er lebte fortan in einem Bauwagen, später in besetzten Häusern. «Einfache, aber schöne Jahre.» Er hatte drei Hunde, bewegte sich viel in der Natur, sammelte Steine. Im Jahr 2000 wurde er überfallen, verlor sein Geld und einige Zähne, im Spital teilten sie ihm ausserdem mit: Schädelbruch. Bern: Die Einfahrt, in der André Hebeisen mit den Konfirmand*innen steht, führt zu einem Hausblock, in dessen Untergeschoss sich die «Schreibstube» befindet. Acht Computer stehen dort für Arbeitslose bereit, die sich bewerben wollen. Weil das Angebot begehrt ist, hat jeder eine Dreiviertelstunde pro Tag Zeit. Das reiche für eine, zwei, vielleicht sogar drei Bewerbungen, erzählt Hebeisen. Wer Hilfe benötigt, bekommt sie. Sechs Angestellte sind hier beschäftigt. Um seine persönliche Geschichte zu erzählen, versammelt Hebeisen die Gruppe ums Eck, wo einige Bäume Schatten spenden. «Ich habe lange nicht mehr im ersten Arbeitsmarkt ‹büglet›.» Hebeisen machte eine Lehre als Automechaniker, dann den LKW-Ausweis, wurde Disponent einer Firma und war Chef von 25 Lastwagen und 250 Autos mitsamt Fahrer*innen. Das alles wuchs ihm «über den Gring», der Alkohol wurde ihm ein Mittel gegen den Stress. Er dachte, dass es niemand merkt. «Dabei 21


wusste es die ganze Bude.» Schliesslich kam ein neuer Chef, ein Manager, der ihn «elegant zum Teufel jagte»: Zunächst war Heb­ eisen krankgeschrieben, Burnout. Doch die freie Zeit verbrachte er vor allem in Beizen. Am Tag X, als er an den Arbeitsplatz zurückkehrte, hatte er einen sitzen. Und erhielt die Kündigung. Basel: Der Wettsteinpark war früher ein wichtiger Treffpunkt für Obdachlose. Die Notschlafstelle ist gleich nebenan. Irgendwann habe die Stadt den Park allen zugänglich machen wollen, erzählt Danica Graf den Teilnehmerinnen. Und zwar, indem sie die Sitzbänke auswechselte. Graf zeigt auf eine davon. «Die untere Latte fehlt. Wer dort einschläft, rollt seitlich hinunter.» Unten am Rhein gebe es eine automatische Sprinkleranlage, die jede Nacht ein, zwei Stunden läuft. Durch den Tod ihrer Schwester verlor sie den Halt im Leben, erzählt Graf. Und der frühe Missbrauch führte dazu, dass sie ihr Leben lang Mühe hatte, sich zu wehren. Graf lernte Tierpflegerin, mit 25 wurde sie Mutter, zog mit ihrem Partner in ein Bauernhaus und führte darin ein Tierheim. Dort begann dieser zu trinken. Er bedrohte, würgte, vergewaltigte sie während fünf Jahren immer wieder, einmal holte er das Sturmgewehr aus dem Keller. Graf traute sich lange nicht, Hilfe zu holen. Sie wandte sich an die Opferhilfe, zeigte den Ex an. Verurteilt wurde er nie. Grafs psychische Probleme verstärkten sich, eine Therapeutin dia­ gnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung. Das Mietverhältnis im Bauernhaus wurde ihr gekündigt, weswegen sie das Tierheim aufgeben musste. «Neben meiner Tochter war das mein einziger Halt im Leben.» Danica Graf kam in die stationäre Psychiatrie. Zürich: Dani Stutz zündet sich eine Zigarette an, mit seinen langen Beinen macht er grosse, schnelle Schritte. Er überquert die Langstrasse, dann zieht er sich eine Schutzmaske über und bittet in einen Hauseingang. Es ist die Suchtfachstelle der Stadt Zürich. Stutz holt zum historischen Exkurs aus, erzählt, dass Schnaps einst Bestandteil des Lohnes war und dass es Zeiten gab, als nicht-konforme Alkoholiker auf einem Bauernhof arbeiten mussten. Dies habe jedoch nicht viel bewirkt, denn die Probleme, als die Männer zurück zu ihren Familien kamen, waren noch dieselben. Heute seien Therapien erfolgreicher, so Stutz, ein Drittel der Betroffenen werde abstinent, ein Drittel trinke kontrolliert, der Rest mache weiter wie bisher. Bern: «Die Sozialhilfe, das ist heute keine Hängematte mehr», sagt André Hebeisen. Er hält mit seiner Gruppe vor einem unauffälligen Betonbau, in dem sich der Sozialdienst der Stadt Bern befindet. Wer Geld vom Staat wolle, müsse ein 13-seitiges Formular ausfüllen und zwanzig Kopien beifügen: Bankkonten, Mietverträge, Versicherungsnachweise. Daraufhin werde man zweimal eingeladen, und wenn sich aus den Gesprächen Ungereimtheiten ergeben, habe man ein Problem. Hebeisen selbst bezieht Sozialhilfe, das Geld von den Surprise-Stadtführungen, dem Hefte-Verkauf sowie vom Austragen von Zeitungen ist für ihn ein Zustupf (je nach Pensum darf er 200 bis 300 Franken behalten). «Anders würde es nie und nimmer reichen.» 977 Franken bekomme eine Einzelperson regulär für den Grundbedarf. «Tönt für euch vielleicht nach viel, aber da ist alles drin. Strom, Wasser, TV, Ausgang, alles.» Da draussen gebe es viele Leute, die knapp dran sind. «Aber die wollen nicht auffallen.» Basel: Danica Graf steht auf einem Mobility-Parkplatz, vor einer besprayten Wand, zwischen dem Frauenwohnhaus der Heils­ armee, wo unter anderen Opfern häuslicher Gewalt geholfen wird, 22

und der Notschlyfi, wo eine Nacht 7,50 Franken kostet, Nicht-Basler bezahlen 40 Franken. 75 Männer hätten hier Platz, sagt Graf, während Corona habe die Stadt ein Hotel dazumieten müssen. Zürich: Noch eine Zigarette, weitere lange, schnelle Schritte. Vor dem Sune-Egge, Fachspital für Sozialmedizin und Abhängigkeitserkrankungen, macht Dani Stutz Halt. Er erzählt von der Drogenvergangenheit der Stadt Zürich, unweit von hier traf sich einst die Szene am Platzspitz, 18 000 Menschen pro Tag konsumierten hier Drogen. Einige von ihnen kamen auch hierher ins Quartier, suchten nach ruhigen Plätzen. «Darum die grossen Gittertore überall.» Pfarrer Sieber kam, um zu helfen, die Eigentümer überschrieben ihm das Grundstück, aus einer Garage wurde ein Spital. Der Überfall machte Stutz lange zu schaffen. «Ich hatte Angst in grossen Menschenmengen, war schreckhaft.» Einmal habe er bei der Arbeit an einer Maschine fast die Hand verloren. «Da entdeckte ich das Kokain als vermeintlichen Helfer. Es gab mir Selbstsicherheit.» Aus unregelmässigem wird regelmässiger Konsum, wird Sucht. Schliesslich landet Stutz auf der Strasse und beim Heroin. «Meine Hunde waren das Einzige, was mir noch etwas wert war. Sie hinderten mich daran, mich ganz gehen zu lassen.» Bern: André Hebeisen führt die Konfirmand*innen aus dem Berner Oberland in den Keller des Caritas-Markts. Kühlschränke summen, auf dem Tisch stehen Mehlpackungen. Ein Liter Milch kostet hier 90 Rappen, ein Brot von gestern 40 Rappen. Kaufen darf die Produkte nur, wer nachweislich unter dem Existenzminimum lebt. Also entweder eine Karte von Caritas oder Tischlein deck dich besitzt oder aber eine Kulturlegi hat. Nur ein paar Schritte entfernt befindet sich der Brocki-Shop des Blauen Kreuzes. «Hier habe ich mal ein halbes Jahr gearbeitet», erzählt Hebeisen. Ein Suchtplatz, also der Versuch, abstinent zu werden und den Wiedereinstieg zu schaffen. Er habe Wohnungen geräumt, gezügelt, aber weil er immer noch einmal pro Woche abstürzte, auch mal den Keller putzen müssen. Als er eines Morgens mit 3,8 Promille ankam, war es das: «Trinken und ‹bügle›, das geht heute einfach nicht mehr.» Basel: Vorbei an Skatepark, Spielplatz, Schule und Café, vorbei an vielen Fenstern mit geschlossenen Gardinen, steuert Danica Graf auf die Ecke zu, an der sich Gassenküche und Caritas-Kleiderladen befinden. «Was meint ihr», fragt Graf in die Runde, «wie oft rückt die Polizei in Basel wegen häuslicher Gewalt aus?» Die Zuhörerinnen überbieten sich mit Schätzungen, bis Graf sagt: «Einmal pro Tag.» Graf musste stets schauen, dass sie und ihre Tochter über die Runden kamen. «Mein Leben war geprägt von Existenzängsten.» Heute verdiene sie zwischen 1500 und 2200 Franken pro Monat, neben dem Pensum bei Surprise arbeitet sie teilzeit in einem Sport- und Innendekorationsgeschäft sowie regelmässig auch in der Reinigung. Auf Sozialhilfe verzichtet sie. «Ich möchte auf eigenen Beinen stehen.» Im Caritas-Laden nebenan kaufe sie Kleider ein. «Man sieht mir nicht an, dass ich armutsbetroffen bin.» Zürich: Dani Stutz läuft wie immer zügig durch die grosse Bahnhofshalle, wo sich Feierabendtrinker*innen ein Bier gönnen. Das Suchtbehandlungszentrum Arud ist die letzte Station des Rundgangs, hier erzählt Stutz seine Geschichte zu Ende. «An diesem Ort bekam ich meine erste Dosis Methadon», sagt er. Damit begann sein neues Leben, ohne Heroin von der Gasse. Ein Jahr sei er obdachlos gewesen, sagt Stutz. «Es war sehr anstrengend, den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein.» Surprise 510/21


«Mein Leben war geprägt von Existenzängsten.» DANICA GR AF

«Trinken und ‹Bügle›, das geht heute einfach nicht mehr.» ANDRÉ HEBEISEN

«Ich bin weg vom Gassen-Heroin, das ist das Wichtigste.» DANI STUT Z

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Unterwegs mit Armutsbetroffenen: ein anderer Blick auf die eigene Stadt.

Dann fand er eine betreute Wohnung, später eine neue Gefährtin. Sie stellte ihn vor die Wahl: Beziehung oder Sucht. Und er begann eine Substitutionstherapie. Nach zwölf Jahren nimmt er mittlerweile noch 10 Prozent der Anfangsdosis. «Ich bin weg vom Gassen-Heroin, das ist das Wichtigste.» Heute lebt er eigenständig in einer Wohnung und finanziert sich von seinem Pensum bei Surprise sowie einer halben IV-Rente. Bern: Die Konfirmand*innen drängeln sich eine Treppe empor, am Inselspital vorbei, letzte Station des Rundgangs: Azzurro, eine Beiz. Ein Mineral kostet 1,50 Franken, ein Kafi 2 Franken, ein 3-Gänger 7 Franken. Alkohol? Gibt es nicht. Hebeisen hörte auf zu trinken. «Nach dem 13. Entzug fiel der Groschen.» Heute habe er seine Sucht im Griff, er habe seit sechs Jahren keinen Rückfall mehr gehabt. «Ich bin sensibel und feinfühlig, nehme Schritt für Schritt.» Eine Stelle finden würde er

Expert*innen der Strasse Seit 2013 bietet Surprise soziale Stadtrundgänge an. In Basel, Bern und Zürich erzählen Surprise-Stadtführer*innen aus ihrem Alltag und führen an Orte, an denen man sonst achtlos vorübergeht. Die Touren sollen die Stadt aus einer anderen Perspektive zeigen und Vorurteile abbauen. Sie haben aber auch Partizipation zum Ziel: Betroffene sollen ihre Geschichten selbst erzählen können. Dafür bilden sie sich bei Surprise zu Expert*innen der Strasse weiter. Soziale Stadtrundgänge gibt es auch in anderen Ländern. Surprise ist Gründungsmitglied des «International Network of Social Tours» (INST), ein Zusammenschluss aus verschiedenen Anbieterorgani­ sationen (siehe nächste Seite).

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gern, doch da mache er sich keine Illusionen mehr. Er sei so lange weggewesen, habe Lücken im Lebenslauf. «Die vielen Absagen, sie drücken.» Er vergleicht seine Situation mit einem Stuhl mit vier Beinen. «Auf drei Beinen kann man sitzen, auf zweien wird es gefährlich.» Die vier Beine: Tagesstruktur, Wohnen, Familie und Freunde. Basel: Eine Seniorin fragt: «Was tun, wenn einer ein paar Stutz von mir will?» Eine andere ruft dazwischen: «Ich sage immer Nein, das ist doch sicher für Drogen.» Nun wollen sie Danica Grafs Einschätzung hören. Diese schlägt einen Dreifranken-Gutschein der Gassenküche vor, könne man online kaufen und reiche für ein warmes Essen. Es gebe zum Glück viele, die helfen. Auch Bäckereien verschenken Gebäck oder Süssigkeiten. «Ich kenne einige Obdachlose, die zugenommen haben.» Endlich ein Lachen. Danica Graf ist sich sicher: Wenn ihr Ex-Partner das hier liest, wird er sie erneut bedrohen. Doch sie hat sich entschieden, kein Opfer mehr zu sein. «Der Wendepunkt war eine Operation an meinen Händen.» Sie erlitt einen Kreislaufkollaps, ihr Herz blieb stehen. Die Ärzte retteten sie. Das war 2013. «Das veränderte mein Denken.» Graf half sich selbst, gründete mit Verbündeten einen Verein, der Opfer-Täter-Dialoge ermöglicht. Sie trifft sich regelmässig im Gefängnis mit Tätern. «Um Fragen zu stellen, die man sonst nie stellen kann.» Beide Seiten erzählen, einer nach dem andern. «Opfer können eher abschliessen, Täter werden seltener rückfällig», sagt sie. Und sie selbst steht hier, erzählt ihre Geschichte zu Ende, aufrecht, würdevoll, und bekommt kein Mitleid, sondern Applaus.

Weitere Infos, Termine, Anmeldung: www.surprise.ngo/angebote/stadtrundgang Surprise 510/21


FOTO: TOBIAS SUT TER

Deutschsprachige Stadtführer*innen aus drei Ländern trafen sich letzten Monat in Basel für Weiterbildung und Austausch.

INST

Netzwerk gegründet Soziale Stadtrundgänge in verschiedenen Städten Europas machen Armut, Obdachlosigkeit und Ausgrenzung sichtbar und spürbar. Betroffene erzählen Besuchergruppen auf zweistündigen Touren ihre Lebensgeschichten und besuchen mit ihnen Sozialinstitutionen wie Notschlafstellen, Gassenküchen oder ihre persönlichen Rückzugsorte. Durch den gemeinsamen Abbau von Vorurteilen und Berührungsängsten erhoffen sich die Touranbieter*innen ein Umdenken bei den Teilnehmenden und so eine gewisse gesellschaftliche Breitenwirkung. Bevor sie erstmals mit ihrer Geschichte zu einem Stadtrundgang einladen, arbeiten die Betroffenen in Zusammenarbeit mit Fachpersonen in Sozialer Arbeit ihre Biografie auf. So werden sie in intensiver Begleitung auch zu Expert*innen für Armut und gesellschaftliche Sensibilisierung. Nun haben sich verschiedene Anbieter sozialer Stadtrundgänge zu einem internationalen Netzwerk zusammengeschlossen: Das INST – International Network of Surprise 510/21

Social Tours – unterstützt die Organisationen beim Aufbau neuer Touren und bietet Aus- und Weiterbildungen an. Gründungsmitglieder des INST sind Surprise (Schweiz), Supertramps (Wien), Invisible Tours (Athen), Invisible Cities (Edinburgh) sowie die ehemalige Geschäftsleiterin von Surprise, Paola Gallo (Schweiz). Anfang September fand nun in Basel erstmals ein sogenannter Peer-Austausch mit Stadtführer*innen und Anwärter*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich statt. Dozent*innen der Fachhochschule sowie weitere Fachpersonen ermöglichten den Teilnehmer*innen von acht Organisationen einen persönlichen Austausch mit Weiterbildung in den Bereichen Obdachlosigkeit, Armut, Schulden, Auftrittskompetenz, Krisenbewältigung und Storytelling. WIN

Mehr Informationen zum Netzwerk: inst.ngo 25


BILD(1): KURT MARTI STIFTUNG, BILD(2): ZVG, BILD(3): ADAGP, PARIS 2021

Veranstaltungen Zürich «Kurt Marti – Eros. Engagement. Endlichkeit», Ausstellung, bis So, 21. November, Di bis Fr, 12 bis 18 Uhr, Do bis 22 Uhr, Sa/So 11 bis 17 Uhr, Strauhof Zürich, Augustinergasse 9. strauhof.ch

St. Gallen «Eine Künstlerfamilie zwischen Insider und Outsider Art: Robert, Miriam, Manuel, Gilda Müller & Giovanni Abrignani», Ausstellung, bis So, 13. Februar, Di bis Fr, 14 bis 18 Uhr, Sa/So 12 bis 17 Uhr, Museum im Lagerhaus, Davidstrasse 44. museumimlagerhaus.ch

sagt: «Manchmal hilft es auch, wenn ihr Obdachlose wie Menschen behandelt. Nehmt euch einen Moment Zeit und sprecht mit ihnen. Das kann der schönste Moment des Tages auf der Strasse sein.» DIF

Kurt Marti, 2017 verstorben, war der Schweizer Dichterpfarrer. Über zwanzig Jahre lang predigte er in der Berner Nydeggkirche und war zeitlebens davon überzeugt, dass die Suche nach einem zeitgemässen sprachlichen Ausdruck für Glaubensfragen nicht ohne Sprachwitz gelingen kann. Dazu dachte er über die Gemeinsamkeiten von Gedicht und Predigt nach und wurde dabei zum Erneuerer der Mundartliteratur, wobei er sich erkennbar von der Konkreten Poesie inspirieren liess. Kernstück der Ausstellung im Strauhof ist Kurt Martis «Wortwarenladen», eine Sammlung von poetischen Wörtern, die er seinen Lektüren entnahm und notierte. DIF

Basel «Dominik Bloh liest ‹Unter Palmen aus Stahl›», Di, 26. Oktober, 20 bis 22 Uhr, Parterre One, Klybeckstrasse 1b. parterre-one.ch Als Jugendlicher flog Dominik Bloh zuhause raus und lebte jahrelang immer wieder auf der Strasse. Die Flüchtlingskrise 2015 gab ihm plötzlich eine Aufgabe. Er ging in die Messehallen, in denen Kleiderund Sachspenden von freiwilligen Helfer*innen sortiert und verteilt

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wurden und half mit. Das Engagement wurde auch zum Weg aus der eigenen Situation in der Sackgasse: Erst bekam er einen Schlafplatz, später vermittelte man ihm eine Wohnung. Heute arbeitet er an einer Schule mit schwererziehbaren Jugendlichen und setzt sich mit eigenen Projekten für Menschen auf der Strasse ein. Auch mit seinem Buch will Bloh auf die Not aufmerksam machen. Das Winternotprogramm in Hamburg sei nicht mehr als ein Erfrierungsschutz und müsse verbessert werden. Und er

Zürich / Bern «Karls Fokus DEBATTE», Gesprächsreihe, bis Dezember, Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14, Zürich; «Debat­tenkultur», Veranstaltungsreihe im Polit-Forum Bern, Marktgasse 67, Bern: «Meinungsfreiheit», Gespräch, Di, 12. Okt. 2021, 18.30 bis 20 Uhr; »Digitale Demokratie. Eine interaktive Reise in die politische Zukunft», Ausstellung, bis Sa, 11. Dez. karldergrosse.ch polit-forum-bern.ch Verhärtete Fronten erschweren die gesellschaftliche Auseinandersetzung und die Konsensfindung. (Das schreiben wir jetzt alle zehn Mal auf unsere Schiefertafel.) Zu einer intakten Demokratie gehören unterschiedliche Meinungen und Erfahrungswelten – und diese treffen im a ­ ktuellen Halbjahresfokus des Zentrum Karl der Grosse aufeinander. Die Institution versteht sich als Debattierhaus, nimmt deswegen gerne Menschen mit unterschiedlichen Meinungen mit und lässt über Teilhabe, Demokratiedefizite und Meinungsbildung diskutieren. Es wird auch gemeinsam ein Debatten-Manifest erarbeitet. Begleitet wird der Fokus vom Zentrum für kritisches Denken, von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft SGG und dem Polit-Forum Bern, das weitere Veranstaltungen zum Thema anbietet. DIF

Künstlerfamilien haben eine besondere Dynamik. Und die Müllers ganz besonders, deren Familienmitglieder bewegen sich nämlich zwischen Insider und Outsider Art. Sie besitzen je ihre eigene unverwechselbare Identität, und doch zeigt sich in den Techniken, Materialien und in verwandten Themen die Verwandtschaft. Robert Müller, 2003 gestorben, war ein angesehener Schweizer Eisenplastiker («Eisen-Müller»). Mit seinen Zeichnungen, die er 1975 in einer Psychiatrischen Klinik anfertigte, lernt man ihn von einer wenig bekannten Seite kennen. Die surrealistisch anmutenden Bilder seiner Frau, Miriam Müller Shir, einer Goldschmiedin aus New York, erinnern teils an Frida Kahlo. Ihr Sohn Manuel Müller, 1955 geboren, ist autodidaktischer Holzbildhauer und in der Welt der Outsider Art international angesehen. Auch dessen Tochter, die Zeichnerin Gilda Müller, reiht sich in die Familientradition ein. Ihr Werk widmet sich mystischen Zwischenwelten. Und wo gehört das Werk des 1977 verstorbenen Art-brutKünstlers Giovanni Abrignani in dieses Familienpuzzle? Robert Müller hat es in der psychiatrischen Klinik von Trapani/Italien entdeckt, als er dort war. DIF

Surprise 510/21


Der mit «Rapperswiler Wal» angeschriebene Abfallkübel erinnert an das, was wohl den meisten in den Sinn kommt, wenn sie an Rapperswil denken, den Kinderzoo. In dem nicht, wie man meinen könnte, Kinder zu bestaunen sind, sondern Tiere, wobei die einst besonders ­attraktiven Delphine ihre Kunststücke nicht mehr vorführen, weil Delphine nicht in engen Becken leben wollen. Auch weitum bekannt ist das Schloss, das eventuell auf einer Schulreise besucht würde, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Hier wurde das Lied «Rapperswil» von Baby Jail vorgestellt, das dritte, was mir zu dieser Stadt in den Sinn kommt. Neben der allerersten Velotour meines Lebens. Es hat geregnet, das Velo war ein Dreigänger, die Etappe führte über die Dörfer nach Rapperswil, am nächsten Tag ging es mit dem Zug zurück, weil es immer noch regnete.

Tour de Suisse

Pörtner in Rapperswil-Jona Surprise-Standort: Bahnhof Einwohner*innen: 27  208 Anteil Ausländer*innen in Prozent: 18,4 Sozialhilfequote in Prozent: 1,9 Fusion: 1415 gewann Rapperswil die Herrschaft über die Gemeinde Jona, 1798 wurden sie getrennt, seit 2007 ist die Stadt Rapperswil-Jona wieder vereinigt.

«Ich bin auch ein Schiff», hiess es bei einer vielbeachteten Werbekampagne des Zürcher Verkehrsverbundes, dessen Netz den Bahnhof Rapperswil umfasst. Hier stimmt das Werbeversprechen, man kann tatsächlich aufs Schiff umsteigen, und dazu verleitet der schöne Spätsommertag. So entsteht diese Betrachtung für einmal nicht vor Ort, sondern wörtlich vom Schiff aus. Um auf das Schiff zu kommen, muss man erst einmal untendurch, durch die Unterführung, inmitten einer geradezu aufgepeitschten Wandergruppe, die ihr Glück, zum Ende dieses traurigen Sommers doch noch einen schönen Tag erwischt zu haben, kaum fassen kann. Weiter führt der Weg über einen mit blauem Plastik ausgelegten Platz zum Surprise 510/21

­ isitor Center, wo es Informationen, V Glace und Postkarten gibt. Bald ist man an der Schiffsanlegestelle, der letzte ­Abschnitt fühlt sich, wenn nicht mediterran, so doch südschweizerisch an, es gibt Lido-Cafés, Restaurant-Terrassen, flanierende Familien, fotografierende Tourist*innen, Klassen auf Schulreise, vollbepackte Tourenvelos. Neben dem klassischen Pedalo mit Rutschbahn kann man Motor- und Ruderboote mieten, auch ein Party-Schiff steht zur Verfügung. Von Schiffen ist es schwierig wegzuschleichen, wenn die Party fad ist. Darum sind wohl Schifffahrten bei Hochzeiten und runden Geburtstagen beliebt, so verkrümelt sich die ­Verwandtschaft nicht, kaum dass der doppelte Digestif getrunken ist.

Vom Schiff aus blickt man in die grünen Hügel des oberen Seebeckens und auf die Berge der Innerschweiz. Von einem Stand-up-Paddel aus, auf dem zwei Personen sitzen, wird das vorbeifahrende Schiff bejauchzt, vielleicht weil es Wellen und Surfgefühle bringt. Mehr Distanz halten die Segel- und Motorboote. Das mit Terrassenhäusern zugebaute Ufer weiter seeabwärts wird vom Publikum einhellig und deutlich hörbar als hässlich empfunden. Das Privileg Seesicht verhunzt die Sicht vom See aus. Die Sonne scheint nun so stark, dass eifrig in den wandernden Schatten gerückt wird. Die geräuschlos am Seeufer entlang gleitenden S-Bahnen wecken die Illusion, durch eine Modelllandschaft zu fahren, in der alles klein und leise und hübsch ist. Ausser den Terrassenhäusern. Angesichts einer zweistündigen Schifffahrt, die dank dem einst beworbenen Verkehrs­ verbund und Halbtax äusserst erchwinglich bleibt, will man sich jedoch nicht beklagen.

STEPHAN PÖRTNER  Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist.

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkäufer*innen fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkäufer*innen zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten 01

Martina Brassel – Graphic Design

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.flowScope gmbh.

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engler.design, Grafikdesign, Baden

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Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden

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Coop Genossenschaft, Basel

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Beat Vogel, Fundraising-Datenbank, Zürich

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Omanut. Forum für jüdische Kunst & Kultur

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Arbeitssicherheit Zehnder, Zürich

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hervorragend.ch | Grusskartenshop

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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

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Irma Kohli, Sozialarbeiterin, Bern

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Anwaltskanzlei Fraefel, Zürich

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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tanjayoga.ch – Yoga in Lenzburg & Online

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Dipl. Steuerexperte Peter von Burg, Zürich

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TopPharm Apotheke Paradeplatz

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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Cantienica AG, Zürich

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Echtzeit Verlag, Basel

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AnyWeb AG, Zürich

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artune ag - Architektur und Kunst

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Nachhaltig programmiert, ZimaTech GmbH

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Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-Rüti

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AdaptIT GmbH, Rapperswil-Jona

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo

Lange bemühte sich Haimanot Mesfin um eine feste Arbeitsstelle in der Schweiz, doch mit einem F-Ausweis sind die Chancen klein. Sozialhilfe kam für sie nie in Frage – sie wollte stets selbstständig im Leben auskommen. Aus diesem Grund verkauft Haimanot Mesfin seit über zehn Jahren das Surprise Strassenmagazin am Bahnhof Bern. Dort steht sie bereits früh morgens und verkauft ihre Magazine. Das Begleitprogramm SurPlus unterstützt sie dabei mit einem ÖV-Abo sowie Ferienund Krankentaggelder. Dank der Begleitung auf dem Berner Surprise-Büro hat sie eine neue Wohnung gefunden. Nach langer Zeit in einer 1-Zimmer-Wohnung haben sie und ihr Sohn nun endlich etwas mehr Platz zu Hause.

Weitere SurPlus-Geschichten lesen sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 16 Verkäufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Wir alle sind Surprise #Strassenmagazin

#Strassenmagazin

«Für viele attraktiv»

«Den Menschen die Angst nehmen» Früher war ich Hausarzt und Psychiater. Ich habe mich sehr viel mit unterprivilegierten Menschen, mit Armut, mit Randständigen, mit sozialen Problemen befasst. Die menschlichen Probleme, die im Surprise auftauchen, sind mir sehr vertraut. Nun ist diese Perspektive nicht für alle Menschen auf der Strasse der Alltag. Empathie kann helfen, sich zu engagieren. Sie kann aber auch ein Hindernis sein, nämlich dann, wenn sie ein Übermass negativer Gefühle auslöst, die schwer auszuhalten sind. Dann ist die Folge, dass der oder die Betroffene eher wegguckt. Ich glaube aber, dass man versuchen könnte, Menschen, die eine Scheu vor realen sozialen Problemen haben, behutsam an sie heranzuführen, ihnen Angst zu nehmen. Wenn man der guten (und manchmal unerbittlichen) Schilderung von sozialen Problemen auch ab und zu konkrete «positive» Artikel beifügt, sozusagen zum Ausruhen, erweitert man damit die mögliche Leserschaft. Denn wenn die Leser*innen in Artikeln des Surprise auch ab und zu «Menschen wie dich und mich» wiedererkennen, könnte die Scheu, sich innerlich auf Probleme einzulassen, doch ein wenig sinken. Ich habe in meinem Leben viele Menschen kennengelernt, die die Hefte weglegen oder nicht kaufen würden, weil sie die angesprochenen Probleme als Übermacht empfinden, der sie sich nicht aussetzen möchten.

D. Huber, Zürich

Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12

Ständige Mitarbeit
 Simon Berginz, Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Julia Demierre, Karin Pacozzi, Joël Roth,

Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo

abgelehnt.

Surprise 510/21

«Jede und jeder allein» Schuldenmachen ist ein privates Recht und lustvoll zuweilen. Verantwortlich für Schuldenmachen ist eine jede und ein jeder allein. Soziale Ungerechtigkeit dabei auf den Plan zu rufen, ist billige Stimmungsmache.

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäufer*innen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Sebastian Sellhorst, Christian Zeier Wiedergabe von Artikeln und Bildern,

Redaktion
 Verantwortlich für diese Ausgabe: Sara Winter Sayilir (win) Diana Frei (dif), Klaus Petrus (kp), Reporter: Andres Eberhard (eba), Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99
 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

#507: Raus da – 4. Teil der Schuldenserie

Rosmarie Anzenberger (Korrektorat),

Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T  +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02

Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T  +41 61 564 90 90 M+41 79 797 94 10 anzeigen@surprise.ngo

U. Bühler, Gais

J. Kansy, Zürich

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel

Wann endlich gibt es im ­Sur­prise ein Kreuzworträtsel? Wäre für viele Leser*innen attraktiv. Ich würde pro Aus­ gabe auch 7 CHF bezahlen.

auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte

Strasse PLZ, Ort

Zusendungen wird jede Haftung Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck  AVD Goldach Papier

Rechnungsadresse: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage

Telefon E-Mail

29 700 Abonnemente

Datum, Unterschrift

CHF 189, 25 Ex./Jahr Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto:
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510/21

Bitte heraustrennen und schicken an: Surprise, Münzgasse 16, CH-4051 Basel, info@surprise.ngo

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FOTO: SEBASTIAN SELLHORST

Internationales Verkäufer*innen-Porträt

«Ich bin jetzt gesellschaftlicher Vermittler» «Seit sechs Jahren am Stück wohne ich jetzt in meiner eigenen Wohnung. Ein persönlicher Rekord, auf den ich sehr stolz bin. Mindestens genauso lange, wie ich jetzt meine Wohnung habe, hab ich draussen auf der Strasse gelebt. Düsseldorf, ­Berlin, Frankfurt, Aschaffenburg. Ich bin schon reichlich rumgekommen und hab dabei so manch verrückte Geschichte erlebt. Zwischenzeitlich hatte ich auch mal eine gemütliche kleine Wohnung. Leider kam es immer wieder irgendwie anders. Mehrfach habe ich alles, was ich mir mit harter Arbeit aufgebaut hatte, mit einem Schluck aus der Flasche ­wieder weggeworfen. Meine Bekannten, den Kontakt zu alten Freunden, all das, was so viele Leute für mich getan haben, habe ich mit Füssen getreten. Es war mir alles egal geworden, für mich war nur wichtig, dass ich meiner Sucht ­nachgehen konnte. Ich versuchte durch immer mehr Trinken a ­ lles zu verdrängen, was mir na­türlich nicht gelang. Ist man erst mal in so einem Kreislauf gefangen, ist es schwer, mit eigener Kraft da wieder rauszukommen. Zu der Zeit verbrachte ich viel Zeit alleine und in Wäldern, ich genoss die Stille und dachte über mich und mein Leben nach. Eines Tages fasste ich meinen ganzen Mut zusammen und suchte wieder den Kontakt zu meinem besten Freund von früher. Ich hatte unglaubliche Angst, er könne mich einfach wegschicken, aber das tat er nicht. Er bat mich rein und wir redeten die ganze Nacht. Ich gewann neuen Lebensmut und krempelte mein Leben komplett um. Als Erstes habe ich erfolgreich meine Sucht bekämpft. Mein neues Leben fing in einer Wohngemeinschaft für Menschen in problematischen Lebenssituationen in Bochum an. Dort fand ich tolle Sozialarbeiter*innen, die mich in jeder Situation unterstützen und mir dabei helfen, wieder ein lebenswertes Leben zu führen. Nach so vielen Jahren auf der Strasse war der Schritt zurück in die eigenen vier Wände gar nicht einfach. Mein Kater Amigo und der Magazinverkauf haben mir dabei sehr geholfen. Als ich im März 2015 erfuhr, dass ich gesundheitlich sehr angeschlagen bin, bekam ich es ganz schön mit der Angst zu tun, ich könnte wieder alles hinwerfen. Aber ich habe gekämpft. Jetzt habe ich alles gut überstanden und eine grosse Herz­operation hinter mir. Seit Anfang des Jahres stehe ich wieder regelmässig mit dem Strassenmagazin bodo an meinem Verkaufsplatz und freue mich, wieder für meine Stammkunden da zu sein. Neulich habe ich mit meinem bodo-Kollegen Sascha an einer grossen Konferenz teilgenommen. Das neu gegründete ­Netzwerk der Sozialen Stadtrundgänge INST hatte Strassen­ zeitungsverkäufer*innen und Stadtführer*innen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Basel eingeladen, um sich über soziale Stadtführungen zu unterhalten. In ver30

Franz Cremerius, 60, verkauft das Strassenmagazin bodo in Bochum. Gemeinsam mit seinem Kollegen Sascha nahm er drei Tage lang in Basel an einem Workshop-Wochenende des International Network of Social Tours INST teil.

schiedenen Workshops haben wir uns lange über Armut und das Leben ohne Wohnung unterhalten. Es war spannend zu ­sehen, wie ähnlich doch die Probleme auf der Strasse sind, auch wenn die Länder sehr unterschiedlich sind. An zwei Surprise Stadtführungen durch Basel haben wir auch teilgenommen. Am Ende haben wir sogar ein Zertifikat bekommen. Ich bin jetzt ­gesellschaftlicher Vermittler. Das waren wirklich atemberaubende Tage. Ich hab unglaublich viel gelernt und tolle Leute kennengelernt. Abends war ich immer fix und fertig von den vielen Gesprächen und den langen Tagen. Um meinen Kater Amigo zuhause in Bochum hat sich zum Glück ein Kumpel gekümmert, während ich weg war. Der durfte in der Zeit bei mir wohnen. Trotzdem war ich froh, als wir wieder vereint waren. Ich bin schon gespannt, wie es für mich weitergeht. Mit ein bisschen Glück finde ich ja vielleicht sogar wieder einen kleinen Job im ersten Arbeitsmarkt. Jetzt freue ich mich aber erst mal darauf, hier in Bochum auch eine Stadtführung zu planen. Nach den ganzen Workshops kann ich es kaum abwarten, durchzustarten und den Leuten von der Strasse zu erzählen. Wenn es so weit ist, lade ich alle meine Stammkund*innen und all die Leute, die mir über die Jahre geholfen haben, zu einer Stadt­ führung ein, um einfach mal Danke zu sagen.» Aufgezeichnet von SEBASTIAN SELLHORST Mehr Informationen zum INST auf Seite 25 und unter inst.ngo. Surprise 510/21


So schützen wir uns beim Magazinkauf Liebe Kund*innen Die Pandemie ist noch nicht ausgestanden. Weiterhin gilt es, vorsichtig zu sein und Ansteckungen zu vermeiden. Deshalb bitten wir Sie, unsere Verkaufsregeln und die Bestimmungen des BAG einzuhalten. Vielen lieben Dank!

Halten Sie Abstand.

Wo nötig tragen wir Masken.

Merci für Ihre Solidarität und danke, dass Sie uns treu bleiben. Bis zum nächsten Mal auf der Strasse. Die Surprise Verkäufer*innen.

Wir haben Desinfek­ tionsmittel dabei.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: info@surprise.ngo


EINLADUNG ZUM SCHULDEN-TAG

Zum Podium mit Apéro und zum Sozialen Stadtrundgang sind Sie herzlich eingeladen:

NTER U M A / TRE LIVES RPRISE.NGO .SU WWW HULDEN SC

28. OKTOBER, 18 UHR GARE DU NORD, BASEL Lilian Senn (Betroffene und Surprise-Stadtführerin) Olivia Nyffeler (Berner Schuldenberatung) Christoph Mattes (FHNW) Yvonne Feri (Nationalrätin) Die Veranstaltung ist kostenlos, die Plätze sind jedoch beschränkt. Anmeldung bis am 15. Oktober unter www.surprise.ngo/schulden oder mit dem Talon an: Surprise, Münzgasse 16, 4051 Basel

ANMELDUNG ZUM PODIUM UND ZUM SOZIALEN STADTRUNDGANG Ja, ich melde mich für das Podium vom 28.10.2021 vor Ort an (für den Live-Stream ist keine Anmeldung erforderlich)

Anrede

Vorname, Name:

Ja, ich melde mich für den neu lancierten Sozialen Stadtrundgang «Wege aus der Schuldenspirale» in Basel an: Stadtrundgang vom 28.10.2021 um 11 Uhr Stadtrundgang vom 28.10.2021 um 16 Uhr Die Teilnahme ist kostenlos. Die Tour dauert ca. 1h, das Podium ca. 1.5h.

Email:

Ich melde neben mir noch weitere Personen an. Anzahl:

Illustration: Marcel Bamert

In einer vierteiligen Serie berichtete Surprise über Schulden. Nun diskutieren wir mit Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis sowie mit Direktbetroffenen über das Thema.


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