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Wenn nichts mehr geht Geht es nach Experten, sind die Auswirkungen der Ukraine-Krise noch lang nicht völlig absehbar. Woran es derzeit am meisten krankt. Und wie man am besten aus dieser Situation kommt. Text: Roland Scharf, Foto: Shutterstock
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or ziemlich genau einem Jahr berichtete die FLOTTE über die Ausmaße der Halbleiterkrise und in welchen Dimensionen diese den Automarkt betrifft. Es waren unvorstellbare Details, die niemand gewohnt war. Dass man Autos nicht einfach so bestellen kann. Dass unfertige Fahrzeuge in den Werken herumlungern und auf Finalisierung warten. Und dass eine Besserung so bald wohl nicht in Sicht sein würde. Zumindest mit letzter These sollten wir leider Recht behalten. Aber dass es so hart kommt, damit war wohl nicht zu rechnen, da es an vielen Stellen krankt.
Handwerte Die „spezielle Militäroperation“ von Russland in der Ukraine ist jetzt zwar in Gegenden tätig, wo kein Auto zulieferer seine Werke betreibt. Die Problematik der Lieferketten hat jetzt aber erst langsam wieder die ersten Schritte zurück in die neue Normalität geschafft. Seit gut einem Monat können die Werke wieder produzieren, da die Achillesverse des modernen Fahrzeugbaus doch wieder produziert werden kann: der Kabelbaum. Um zu verstehen, warum gerade die Kabelei so entscheidend ist, muss man zuerst einmal die Dimensionen kapieren: Derzeit lassen 22 inter nationale Firmen in 38 Fabriken allein in der Ukraine Kabelbäume für zahlreiche Fahrzeughersteller produzieren. Zudem steckt gerade diese Zweigbranche nach dem Überfall Russlands also vor einem riesigen Problem, das während der Krise erstmals sichtbar wurde. Zwar wurde schnell nach
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Flotte 04-05/2022
Ausweichstandorten gefahndet, was aufgrund des Herstellungsprozesses (siehe Kasten) aber nicht so einfach war. Denn praktisch alle Länder, in denen das geringe Gehaltsniveau einen derart hohen Handarbeitsteil noch zulässt, sind bereits mit der Produktion dieser Bauteile vertraut, die notwendigen Fachkräfte also meist schon fix unter Vertrag. Neue anzulernen, wäre ein langwieriger Prozess gewesen. Dazu kommt aber noch ein anderes Detail, weswegen die Causa Kabel die Produktion neuer Fahrzeuge ruckartig völlig zum Erliegen bringen kann. Kabelbäume gehören nämlich zu den Bauteilen, die ganz zu Beginn benötigt werden, wenn ein Auto gebaut wird. Sie sind so ziemlich das erste, was nach dem Lackieren der Rohkarosse verbaut wird, also noch vor allen Teppichen, Isolierungen und so weiter. Fehlen sie, steht die gesamte Produktion still, denn sie können nicht nachgerüstet
werden. Im Gegensatz zu Microchips, da die Steuergeräte meist so positioniert wurden, dass sie stets relativ problemlos erreichbar sind. Ja und aufgrund dessen war die Liste der Produktionsausfälle Anfang März schon beängstigend lang. Bei der VW-Gruppe waren von Golf bis Touran einige Modelle betroffen, ebenso bei
Derzeit lassen 22 inter nationale Firmen in 38 Fabriken allein in der Ukraine Kabelbäume für zahlreiche Hersteller fertigen.“ Audi oder Seat. BMW kämpfte genauso, musste neben dem Werk in Dingolfing auch die Zentrale in München dicht machen, Fahrzeuge der 3er-, 4er-, 5er-, 6er-, 7er- und 8er-Reihe also aussetzen. Mini in Oxford rutschte ebenso