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INFORMATION DURCH WISSEN
Der Weihnachtsfrieden von 1914
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In diesem Moment geschah etwas Unerwartetes. In der Dunkelheit eines der deutschen Gräben flackerte plötzlich der schwache Schein einer Kerze auf. Langsam wurde die Kerze von unsichtbarer Hand hin und her geschwenkt. Kein Schuss fiel. Die Hand mit der Kerze wurde mutiger, zeigte sich ein wenig mehr. Immer noch kein Schuss. Plötzlich flammte eine weitere Kerze auf und dann noch eine und noch eine. Eine zerlumpte Gestalt mit einer brennenden Kerze in der Hand entstieg dem Schützengraben und wagte sich langsam und sehr vorsichtig ein kleines Stück weit aus ihrer Deckung heraus. Es blieb still. Bis auf einmal eine Stimme erklang. Sie rief: „English soldier, a merry Christmas, a merry Christmas!“ Wer wünscht hier ein frohes Christfest?
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Es war bitterkalt an diesem Weihnachtsabend im Jahre 1914. Die Soldaten froren in ihren Schützengräben. Zunächst hatte alles so einfach ausgesehen für den deutschen Kaiser. Bis Weihnachten, so ließ man die Soldaten damals wissen, seid ihr wieder zuhause. Ein Versprechen, dem die Soldaten zu diesem Zeitpunkt noch vertrauten. ... Um welchen Krieg geht es hier?
Zuerst Frankreich erobern, dabei schnell noch Belgien mitnehmen und dann ab nach Russland, zum Kernstück des großen Kuchens. Wer Zentralasien beherrscht, beherrscht die Rohstoffe dieser Welt. Zunächst waren die deutschen Truppen gut vorangekommen, aber dann waren die Engländer ebenfalls in den Krieg mit eingetreten, gegen Deutschland. Der Vormarsch geriet ins Stocken und nun saßen sie da, in ihren Stellungen, ohne auch nur einen Zentimeter weit voran zu kommen, aber auch ohne einen Zentimeter weit nachzugeben. Die Situation schien hoffnungslos.
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Gut ging es keinem, weder hüben noch drüben. Über Monate hinweg hatten sich die Gegner abgeschlachtet. Mit Handgranaten, Giftgas, Gewehrkugeln und Bomben. Die vielen Toten in den Gräben faulten vor sich hin, es stank entsetzlich. ...
Die Angst hielt jeden gefangen, wer würde der nächste sein, den der Tod ereilte? Bereits 160 000 tote junge Männer hatten die Briten zu beklagen, auf deutscher Seite waren sogar 300 000 Gefallene zu verzeichnen. Manch einer von ihnen mochte sich einen schnellen Tod herbeigesehnt haben, als einzige Erlösung aus diesem Albtraum.
Damit hatte Frederick W. Heath nicht gerechnet. Der britische Gefreite war so verblüfft über die brennende Kerze, dass er sofort seinen Vorgesetzten darüber informierte. Nichts war strenger verboten, als nachts in einem offenen Schützengraben ein Licht zu entzünden.
Noch während er den Funkspruch absetzte, sah er, wie weitere Lichter in der Dunkelheit hinter den feindlichen Linien zu flackern begannen. Er wartete. Schon einmal waren seine Leute von den Deutschen genarrt worden. Eine Gruppe von Deutschen hatte vor nicht allzu langer Zeit an der Westfront die Hände gehoben und sich ergeben. Als die Briten jedoch ihre Gewehre senkten, traten weitere Soldaten aus einem Hinterhalt hervor und erschossen sie. Heath blieb daher lieber misstrauisch. Dann sah er, wie langsam eine Gestalt aus der gegnerischen Deckung trat. Nach und nach folgten weitere und begannen sich zusehends unbekümmert auf ihn und seine Männer zuzubewegen. Sie wären ein leichtes Ziel gewesen, doch etwas hielt ihn davon ab, den Abzug zu ziehen.
Stellung: Abschnitt im Gelände, der militärischen Einheiten zur Verteidigung dient Schützengraben: beim Kampf Deckung bietender Graben