style in progress 4/2016 – Deutsche Ausgabe

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026 SO LÄUFT’S

SCHNELLES UMSCHALTEN

RAUS AUS DER ENDLOSSCHLEIFE Alle so: „Grillen!!! Strand!!!! Sommerkleider!!!!“ Und der Modehandel so: „Winter!!!! Nein? Echt nicht? Schade!“ Ein Kommentar von Stephan Huber

Kennen Sie das? Die Nachrichten laufen. Es geht beispielsweise um die Pensionsreform (Renten­ refom) und Sie denken nur noch: „Zum Henker, ist das eine Meldung aus dem Jahr 1997? Seit Jahrzehn­ ten ist das Problem definiert! Eigentlich auch klar, wie die Lösung aussehen muss. Warum passiert das nicht endlich einfach mal?“ Ja? Kennen Sie? Ich auch! Im August und im September waren die Temperaturen hoch und die Sonne hat gelacht. Die Umsätze im Mo­ dehandel waren im Keller und die Branche hat ge­ kotzt. Aber so wie nicht Menschen, die immer älter werden, schuld am erodierenden Pensionssystem sind, ist auch nicht Sommerwetter im August schuld an schlechten Geschäften mit Mode.

Die menschliche Psyche Was spricht denn eigentlich dagegen, bei 30 Grad mit dem tropfenden Stracciatella in der Hand dicke Winterjacken anzuprobieren? So ziemlich alles, wenn man ein wenig über die menschliche Psyche nach­ denkt. Ein ganzes Land im Freudentaumel, dass sich der Sommer doch noch herablässt, uns zu beehren. Alle so: „Grillen!!! Strand!!!! Sommerkleider!!!!“ Und der Modehandel so: „Winter!!!! Nein? Echt nicht? Schade! Sehen wir uns Mitte November? Beim Schluss­ verkauf?“

Probleme lösen sich nicht von selbst Alles nicht neu. Eher eine gefühlte Endlosschleife oder eine Tragikomödie in der ich problemlos alle tragenden Sprechrollen übernehmen könnte. Zusammen­ gefasst: „Der Handel verlangt doch so frühe Liefe­ rungen! Was soll ich machen?“ vs. „Das sind doch die Liefertermine, die mir die Industrie vorgibt. Was soll ich machen?“ Wie immer ist es keiner gewesen, aber alle leiden daran. Und wie kommen wir da her­ aus? Mit Schnee im August? Das dauert noch. Mal ganz nüchtern: Probleme lösen sich nicht ein­ fach von selbst, wenn man sie nur lange genug 416 style in progress

ignoriert oder weiterreicht. Zu systemstabilisieren­ dem Frühableben als gesellschaftlichem Trend wird es ebenso wenig kommen wie zu einer Anpassung des Konsumverhaltens an einen saisonalen Rhythmus, der schlicht nicht zum Leben von schwach geschätzt 95 Prozent der Konsumenten passt. Konsumenten übri­ gens, die erwiesenermaßen in durchaus erfreulicher Kauflaune sind. Explizit ausgenommen: Mode und Bekleidung!

Fundamentale Neuorientierung Reine Symptombekämpfung führt zu keiner langfris­ tigen bzw. nachhaltigen Heilung. Es geht um eine wirklich fundamentale Neuorientierung. In ihrem Zentrum MUSS der Endverbraucher stehen, also der Mensch und seine Bedürfnisse. Was wie eine Binsen­ weisheit aus einem mittelmäßigen Marketingseminar klingt, kann gar nicht deutlich und oft genug be­ tont werden. Denn obwohl ständig und überall immer nur betont wird, dass es „um die Menschen geht“, wird die Realität bewusst wie unbewusst vom exak­ ten Gegenteil bestimmt. Also noch einmal: Die Mode hat so massiv an tatsächlicher Relevanz verloren, weil sie die Menschen verloren hat – oder weniger melodramatisch – weil sie an den Bedürfnissen der klaren Mehrheit der Kosumentinnen und Konsumenten vorbei agiert. DAS ist die entscheidende Ursache für Frequenzrückgang und Umsatzschwäche. Wenn aber die Nachfrage nicht stimmt, dann sollte man sein Angebot überdenken. Der Motor der Neu­ orientierung kann nur die Ware, also das Sortiment sein. Ein zukunftsfähiges Sortiment muss wie eine spannende, durchdachte und anregende Speisekar­ te aufgebaut sein. Saisonale Highlights, regionale Referenzen, überraschende Kleinigkeiten und: Klas­ siker, die einfach über den Dingen stehen. Umgelegt auf die Mode also Produkte, die sich den ohnehin völlig anachronistischen Gesetzmäßigkeiten sich beständig wiederholender Saisonverläufe und der da­ mit verbundenen unheilvollen Entwertungslogik ganz einfach entziehen können.


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