Programmheft »Cavalleria Rusticana | Pagliacci«

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CAVA­LLERIA RUSTICANA Pietro Mascagni PAGLIACCI Ruggero Leoncavallo


INHALT

Cavalleria rusticana – Die Handlung & Synopsis in English Pagliacci – Die Handlung & Synopsis in English Über dieses Programmbuch Die Kunst der ungeschminkten Wahrheit → Franz Tomandl

Aufstieg und Fall des Verismo → Ernst Krause Verismo und die »Spaltung« des Ichs → Mathias Spohr Mascagni & Leoncavallo → Marcel Prawy Der Tod im Verismo kommt schnell → Jendrik Springer im Gespräch

Mit spielerischer Freude → Diana Kienast Von echten und falschen Premieren → Andreas Láng Cavalleria rusticana → Giovanni Verga Die kleinen Katastrophen des Herrn Giovanni V. → Oliver Láng

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Erwartungen, von der Realität übertroffen → Pietro Mascagni

Verschollene Verwandte → Klaus Adam Rituale Bedeutung → Wystan Hugh Auden Marginalien zur Trinkszene der Cavalleria rusticana → Gerd Rienäcker

A ventitrè ore! → Ann-Christine Mecke Zwei Minuten vokales Seelenpanorama → Klaus Adam Illusion und Realität → Wystan Hugh Auden

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L’autore ha cercato invece pingervi uno squarcio di vita … ed al vero ispiravasi. Der Dichter hat versucht, Euch ein Stück des Lebens zu malen … und ließ sich von der Wahrheit inspirieren.


CAVALLERIA RUSTICANA → Melodramma in einem Akt Musik Pietro Mascagni Text Giovanni Targioni-Tozzetti & Guido Menasci Nach Giovanni Verga

Orchesterbesetzung 2 Piccoloflöten, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Orgel, Harfe, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Bühnenmusik Schlagzeug, Orgel, Harfen Spieldauer ca. eine Stunde, 15 Minuten Autograph Musikbibliothek der Stanford University Uraufführung 17. Mai 1890, Teatro Costanzi, Rom Erstaufführung an der Wiener Hofoper 20. März 1891


Szenenbild aus Federico Fellinis La strada, 1954


PAGLIACCI → Drama in einem Prolog und zwei Akten Musik & Text Ruggero Leoncavallo

Orchesterbesetzung 3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlafzeug, 2 Harfen, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Bühnenmusik Oboe, Trompete, Schlagzeug, Violine Spieldauer ca. eine Stunde, 15 Minuten Autograph Library of Congress, Washington Uraufführung 21. Mai 1892 Teatro dal Verme, Mailand Erstaufführung an der Wiener Hofoper 19. November 1893


Cavalleria rusticana

DIE HANDLUNG Vorgeschichte Turiddu war vor seiner Einberufung zum Militärdienst mit Lola verlobt. Als er wieder heimkehrt, muss er enttäuscht feststellen, dass Lola inzwischen die Frau des wohlhabenden Alfio geworden ist. Turiddu versucht, sich mit Santuzza zu trösten …

Ostermorgen in einem sizilianischen Dorf Turiddu singt für Lola, zu der er wieder Beziehungen aufgenommen hat, ein Ständchen. Der Frühling erfreut die Dorfbewohner. Santuzza sucht, von innerer ­Unruhe getrieben, Turiddu bei dessen Mutter Lucia, die am Dorfplatz eine Ausschank betreibt. Alfio, der geschäftlich unterwegs war, kehrt zurück und besingt die Treue seiner Frau. Osterglocken rufen die Dorfbewohner zum Frühgottesdienst. Santuzza, die sich wegen ihrer Beziehung zu Turiddu sündig fühlt und daher außerhalb der Kirche geblieben ist, ahnt dessen Untreue und vertraut ihre Sorgen Turiddus Mutter an. Er wird zur Rede gestellt und rettet sich in Ausflüchte. Als aber dann Lola vorbeigeht, vergisst er Santuzza und deren Vorwürfe, stößt sie von sich und läuft Lola nach. Santuzza verflucht ihn. Zutiefst gekränkt und in ihrer Ehre verletzt, verrät sie Alfio das ehebrecherische Verhältnis seiner Frau zu Turiddu. Alfios Zorn mündet in einem Racheschwur. Jetzt erst erkennt Santuzza verzweifelt, welch fatale Entwicklung sie eingeleitet hat.

Intermezzo sinfonico Nach der Kirche lädt Turiddu zum traditionellen Umtrunk ein. Auch Alfio bietet er einen Becher an. Dieser lehnt schroff ab. Turiddu erkennt, dass Alfio über den Ehebruch Bescheid weiß. Es kommt zur Duellaufforderung nach sizilianischem Ritual. In seiner aufkeimenden Todesangst erbittet Turiddu den Segen seiner Mutter und ersucht sie, Santuzza zu schützen. Dann stellt er sich dem Zweikampf am vereinbarten Ort. Der Ruf »Turiddu wurde ermordet!« beendet die Tragödie. CAVA LLER I A RUST ICA NA – DIE H A N DLU NG

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Cavalleria rusticana

SYNOPSIS Introduction Before Turiddu was called to military service, he got engaged to Lola. When he returned home from the army, he was disappointed to find that while he was gone Lola had married the wealthy Alfio. Turiddu tries to forget his sorrows with ­Santuzza…

Easter morning in a village in Sicily Turiddu serenades Lola, with whom he has re-established contact. The village inhabitants are happy because it is Spring. Driven by a feeling of anxiety, Santuzza looks for Turiddu at his mother, Lucia’s, tavern on the village square. Alfio, who was away on business, returns and sings about his wife’s fidelity. Easter bells summon the villagers to early morning Mass. Santuzza, feeling that she is wicked due to her relationship with Turiddu, remains outside the church. She suspects that Turiddu is unfaithful and confides her sorrows to his mother. He is taken to task, but he resorts to excuses. However, as Lola passes by, he forgets Santuzza and her accusations, pushes her away and runs after Lola. Santuzza curses him. Deeply wounded and with hurt pride, she reveals to Alfio the adulterous relationship his wife has with Turiddu. In a rage, Alfio swears to seek revenge. Only now does Santuzza realize with despair what a tragic state of affairs she has caused.

Intermezzo sinfonico When the church service is over, Turiddu invites everyone to join him in a traditional drink. He also offers Alfio a cup. Alfio refuses rudely. Turiddu realizes that Alfio knows about the adultery. They challenge each other to a duel according to ­Sicilian ritual. Fear of death rises in Turiddu and he begs his mother for her blessing. He asks her to protect Santuzza. Then he goes to the agreed upon meeting place for the duel. The cry, »Turiddu has been murdered« ends the tragedy.

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Pagliacci

DIE HANDLUNG PROLOG Tonio, ein Komödiant, in der Commedia der Taddeo-Darsteller, erläutert an­ stelle des Dichters als Prologus dem Publikum in programmatischen Umrissen das Stück: Der Autor wolle, auch wenn er sich Masken bediene, diesmal nichts anderes als ein Maler sein, dessen Thema das wahre Leben ist. Doch man solle nicht beim Tanz der Masken verweilen, sondern sich in die Seelen der Menschen versenken.

ERSTER AKT Die Handlung spielt am Tage Mariä Himmelfahrt (15. August). Canios Komödiantentruppe zieht ein, herzlich begrüßt von der Bevölkerung. Außer Nedda, der Frau des Prinzipals (in der Commedia Colombina) zählen noch Beppe (in der Commedia Arlecchino) und Tonio zur Theatergruppe. Canio (in der Commedia Pagliaccio) kündigt für heute Abend seine Vorstellung an. Als Tonio Nedda vom Wagen helfen will, drängt ihn Canio eifersüchtig weg. Die Komödianten werden zum Umtrunk eingeladen. Jemand meint scherzhaft, Tonio bleibe nur deshalb gerne zurück, um mit Nedda ein Stelldichein zu haben. Canio reagiert heftig: Er spielt zwar in den Komödien tölpelhaft den betrogenen Ehemann, im wirklichen Leben aber würde er Untreue nicht hinnehmen. Glocken rufen zum abendlichen Kirchgang. Nedda ist durch die kaum verhüllte Drohung Canios beunruhigt. Sie fühlt sich durch dessen Eifersucht eingeengt, möchte ihrem unsichtbaren Käfig entfliehen und so frei wie ein Vogel sein ... Tonio hat sie belauscht. Er will Nedda seine Liebe aufzwingen, wird aber höhnisch abgewiesen. Voller Zorn, Rache androhend, macht er sich davon. Silvio, ein junger Bauer, in den sich Nedda verliebt hat, taucht auf. Er beschwört sie, Canio zu verlassen und mit ihm noch heute Nacht zu fliehen. Nach anfänglichem Zaudern willigt sie ein, ohne zu ahnen, dass Tonio beide belauscht hat und eiligst Canio aus der nahegelegenen Osteria herbeiruft. Als Nedda ihren Liebhaber gerade verabschiedet, stürzt der vor Eifersucht PAGLI ACCI – DIE H A N DLU NG

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rasende Canio hervor. Es gelingt Silvio, unerkannt zu entkommen. Nun wendet sich ­Canios Wut gegen Nedda. Er bedroht sie mit seinem Messer und verlangt, dass ­Nedda den Namen ihres Freundes verrate. Sie aber schweigt. Beppe kann Canio das Messer entreißen und somit das Ärgste verhüten. Auch wird gleich das Publikum erscheinen, um die Vorstellung zu sehen. Nur mühsam beruhigt sich Canio und macht sich für die Aufführung zurecht.

INTERMEZZO —

ZWEITER AKT Kurz vor Beginn der Commedia: Tonio schlägt die große Trommel, erwartungsvoll stellen sich die Zuschauer ein, darunter auch Silvio. Nedda, die das Geld einsammelt, warnt ihren Geliebten vor Canios Eifersucht. Das Spiel von Colombina, Arlecchino, Taddeo und Pagliaccio beginnt. Als Nedda in ihrer Colombina-Rolle dem Ständchensänger Arlecchino zum Abschied dieselben Worte zuruft, die sie Silvio nachgerufen hat, verwischen sich für Canio Spiel und Wirklichkeit. Außer sich vor Eifersucht, fordert er auf offener Bühne, den Namen von Neddas Liebhaber zu erfahren. ­Colombina/ Nedda versucht, wieder das Theaterstück aufzunehmen, aber Canio gebärdet sich immer bedrohlicher. Auch das Publikum beginnt zu ahnen, dass es hier um mehr als um Theater geht. Als Nedda hartnäckig schweigt, sticht Pagliaccio/Canio auf sie ein und tötet sie. Ihr Hilferuf, an Silvio gerichtet, hat zur Folge, dass sich Canio dem Herbeieilenden zuwendet und auch ihn tödlich trifft. — »La commedia è finita« – Das Spiel ist aus.

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Pagliacci

SYNOPSIS PROLOGUE Tonio, an actor who plays the part of Taddeo in the comedy, outlines the play in the prologue speaking, as it were, for the playwright: for once, the author would like to be a painter whose subject is real life even if he is using actors to do so. However, we should not dwell on the dancing actors, but rather submerge ourselves into the souls of the people.

ACT 1 The story is set on the feast of the Assumption of the Virgin Mary into heaven, August 15. Canio’s troupe of actors enters, warmly welcomed by the villagers. In addition to Nedda, the wife of the manager (in the play she is Colombina), Beppe (in the play Arlecchino) and Tonio are members of the theater group. Canio (Pagliaccio in the play) announces a performance for tonight. When Tonio tries to help Nedda out of the wagon, Canio pushes him alway jealously. The actors are invited to have a drink. Someone jokes that Tonio is only too happy to stay behind so that he can have a rendezvous with Nedda. Canio reacts violently: in plays he may take the part of a clumsy, betrayed husband, but in real life he would never accept infidelity. Bells summon the villagers to evening church services. Nedda is upset by Canio’s thinly disguised threats. She feels confined by this jealousy and would like to escape her invisible cage so that she could be as free as a bird. Tonio eavesdropped on her. He wants to force his love on Nedda; he is, however, scornfully rejected. Silvio, a young farmer, appears. Nedda has fallen in love with him. He entreats her to leave Canio and run away with him tonight. At first she hesitates, but then agrees without suspecting that Tonio has heard the two of them talking and hastily summoned Canio out of the nearby tavern. Just as Nedda is saying goodbye to her lover, Canio bursts on the scene raging mad with jealousy. Silvio manages to get away without being recognized. Now Canio’s rage is turned against Nedda. PAGLI ACCI – SY NOPSIS

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He threatens her with his knife and demands that Nedda reveals her friend’s name. She remains silent. Beppe is able to get the knife away from Canio and, thus, the worst is avoided. What is more, it is almost time for the people to arrive for the performance. With difficulty Canio calms himself and gets ready for the play.

INTERMEZZO —

ACT 2 Shortly before the comedy begins: Tonio beats on a large drum; the audience, including Silvio, is waiting with anticipation. Nedda, who is collecting money, warns her lover about Canio’s jealousy. The play about Columbina, Arlecchino, Taddeo and Pagliaccio begins. When Nedda in her role as Colombina uses the same words to say goodbye to the serenading Arlecchino as she spoke to Silvio, Canio gets the play and real life all mixed up. Beside himself with jealousy, he demands on the public stage to know the name of Nedda’s lover. Colombina/Nedda tries to resume the play, but Canio threatens all the more. Even the audience begins to suspect that something over and above the play is going on. When Nedda remains stubbornly silent, ­Pagliaccio/ Canio stabs her and kills her. Her cries for help, directed at Silvio, result in Canio turning to the youth who is hurrying to her side and he kills him as well. »La commedia è finita«. The play is over.

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PAGLI ACCI – SY NOPSIS


ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH Nach dem Sensationserfolg ihrer Uraufführung 1890 konnte Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana so rasch wie kaum ein anderes Werk der Operngeschichte die Bühnen der Welt erobern. Die Emotionalität der volkstümlich wirkenden Musiksprache, die üppige Melodik sowie die konzise Dramaturgie des effektvollen, aus dem literarischen Verismo entnommenen Sujets (siehe dazu den Beitrag von Oliver Láng auf S. 66), das Liebe, Leidenschaft, Ehebruch, Eifersucht und »Ehrenmord« im sizilianischen Bauernmilieu schildert, sicherten diesem Einakter eine bis heute ungebrochene Popularität. Angeregt von diesem Werk schuf Ruggero Leoncavallo 1892 mit P ­ agliacci in nur wenigen Monaten den Prototyp einer »veristischen« Oper: bereits der Prolog kündigt an, dass auf der Bühne wahres, ungeschminktes Leben vorgeführt werden soll. Franz Tomandl (S. 12), Ernst Krause (S. 22) und M ­ athias Spohr (S. 30) beleuchten in ihren Beiträgen unterschiedliche Aspekte des ­Verismo und seiner Stellung innerhalb der Opernliteratur. Im Gespräch mit Oliver Láng erläutert Jendrik Springer ferner die musikalische Faktur dieser letztendlich gar nicht so ähnlichen siamesischen Opernzwillinge (S. 38), ausführliche musikalische Betrachtungen über die Arie »Vesti la giubba« in ­Pagliacci respektive die Trinkszene in Cavalleria rusticana liefern Klaus Adam (S. 75) und Gerd Rienäcker (S. 80). An der Wiener Staatsoper waren beide Werke von Anfang an höchst erfolgreich und blieben dauerhaft im Spielplan verankert. Nicht zuletzt die aktuelle Produktion von Jean-Pierre Ponnelle aus dem Jahr 1985 erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Einen Überblick über die 130jährige Staatsoperngeschichte bietet Andreas Láng (S. 52), Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Ponnelle Diana Kienast (S. 48). Dass ventitrè ore, die in Pagliacci angekündigten Beginnzeit der Komödie, 19 Uhr bedeuten soll, überrascht vielleicht so manchen im Publikum. Licht in dieses Stunden-Dunkel bringt Ann-Christine Mecke auf S. 87 Abgerundet werden die Beiträge durch je eine Preziose des englischen Szenenbild aus Germis Dichters, Schriftstellers und Librettisten Wystan Hugh Auden über Cavalle­ Pietro Sedotta e abbanria rusticana und Pagliacci (S. 78 und S. 92) donata, 1964 Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH

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José Cura als Canio, 2011


Franz Tomandl

DIE KUNST DER UN­GESCHMINKTEN WAHRHEIT HISTORISCHE UND KULTURHISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN DES VERISMO


In der Nacht zum 1. Oktober 1862 fielen an verschiedenen Plätzen Palermos dreizehn Menschen unter den Messern geheimnisvoller Mörder. Nur einer konnte verhaftet werden, der aber seinen Auftraggeber preisgab: Der Anführer war der Fürst von Sant’ Elia, einer der am meisten geachteten, mächtigsten und reichsten Männer Palermos, Senator im neuen Parlament in Rom. Im Zuge des Prozesses stellten sich Querverbindungen zu Rom heraus, die auf eine probourbonische Verschwörung schließen ließen. An einer genauen Aufdeckung der Vorfälle hatte jedoch niemand Interesse. (Der Staatsanwalt beim Prozess war übrigens Guido Giacosa, der Vater des späteren Mitautors vieler bekannter veristischer Opern, Giuseppe Giacosa.) Francesco Crispi, sizilianischer Politiker zunächst an der Seite Garibaldis, dann radikaler Sozialist, der sich jedoch nicht scheute, 1894 als Ministerpräsident den Belagerungszustand über seine Heimatinsel zu verhängen, meinte damals im römischen Parlament: »Ich glaube, dass das Geheimnis fortdauern wird und dass wir die Dinge niemals so kennenlernen werden, wie sie sich tatsächlich abgespielt haben.« Und so war es auch. Leonardo Sciascia, prominentester lebender Schriftsteller Siziliens, der in seinen ­Büchern vor allem dem Geheimnis der Bewohner dieser Insel nachspürt, fügt sarkastisch an den Schluss seiner literarischen Untersuchung dieser Vor­fälle: »So bereitete man sich darauf vor, Italien zu regieren.« Dieses Ereignis führt zum Kern eines Problems, das für den literarischen Verismo von großer Bedeutung ist: dem Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, sowohl in wirtschaftlichen als auch sozialen Belangen. Das südliche Gebiet deckt sich mit den früheren Regionen des »Königreichs beider Sizilien«. Ein halbes Jahrhundert nach der Vereinigung Italiens schrieb der Historiker ­Enrico Ferri in seiner Untersuchung der sizilianischen Revolutionen und Aufstände: »Ich habe immer gedacht, dass die großen Unterschiede zwischen Nord und Süd in der sozialen Entwicklung vor allem und fast ausschließlich auf den verschiedenen Volkscharakter und das Klima zurückzuführen sind […] Der geringere soziale Aufstieg ist aber zum größten Teil die Auswirkung der rückständigen Bedingungen der lokalen Wirtschaft. Die Frage des Südens ist die Bleikugel an den Füßen der italienischen Zivilisation […] Man wird vergeblich um eine Verbesserung kämpfen, solange wir von Rom aus nach Süden das materielle und moralische Elend haben.«

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Die ferne große Zeit Kalabrien und Sizilien sind zwei Regionen, die – bei aller Unterschiedlichkeit – doch einiges gemeinsam haben, vor allem die Tatsache, dass ihre historisch große Zeit sehr lange zurückliegt: Beide gehörten zur Magna Graecia, beide erlebten ihre Hochblüte im Mittelalter zur Zeit der Stauferkönige. Die gemeinsame Geschichte unter den Bourbonen des Königreichs Neapel wurde nur durch Napoleon und seine Parthenopeische Republik kurz unterbrochen (Sizilien geriet nicht unter den Einfluss des Franzosen), nach dem Wiener Kongress wurde das alte Herrschergeschlecht im »Königreich beider Sizilien« wieder installiert. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts lag die Vereinigung aller italienischen Staaten in der Luft. Der bourbonische Süden stellte sich zunächst ein föderatives republikanisches System vor, bald darauf aber strebte Sizilien nach völliger Unabhängigkeit. Die Regenten in Neapel aber erkannten nicht den Zug der Zeit, sie huldigten nicht einmal mehr dem Wahlspruch des ersten spanisch-bourbonischen Königs in Neapel, Karl IV.: »Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk.« Blutig unterdrückten sie jede republikanische Regung, die doch das Fanal des Jahres 1860 bildeten. Sowohl Ferdinand II., »Re Bomba« und (in Anlehnung an Attila) »Geißel Gottes« genannt, als auch Franz II., der verhasste »Franceschiello«, unternahmen nichts, um das Misstrauen in die Staatsführung zu verkleinern. Dieses Misstrauen ging sogar so weit, dass man 1836, als in Messina die Cholera ausbrach, davon überzeugt war, von der Regierung beauftragte Vergifter hätten die Krankheit hervorgerufen. 1860 ließ sich der Volkszorn nicht mehr zurückhalten: Am 11. Mai 1860 landete Garibaldi bei Marsala, am 1. Dezember besuchte Vittorio Emanuele II. die Insel, 1861 fand eine Volksabstimmung statt: Jahrhunderte der Fremdherrschaft waren vorbei, Sizilien und der bourbonische Süden zu einem Teil Italiens geworden.

Verhängnisvolle Einheitsregierung Die Ernüchterung folgte jedoch bald. All das, was an Verbesserungen versprochen worden war, setzte man nicht in die Tat um; man beließ vielmehr die großteils korrupten Beamten der Monarchie im Amt, änderte das mittelalterliche Latifundiensystem nicht, Steuern und Zölle sorgten dafür, dass wirtschaftlich keine Verbesserung eintrat. »Es wurde das Gegenteil dessen gemacht«, schreibt Luigi Natoli, »was am 1. Dezember das Königswort versprochen hatte. Statt der angekündigten Eintracht säte man Hass; statt einer Regierung mit Verbesserungen und einer Verwaltung, die die moralischen 15

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Prinzipien einer einst gut organisierten Gesellschaft wieder aufgebaut hätte, errichtete man ein Militärregime […] Man dachte nicht daran, die Vorzüge einer nationalen Regierung spürbar zu machen. Sie befasste sich in ihrer Arbeit hauptsächlich (und mit Nachdruck) damit, die Sizilianer vergessen zu lassen, dass sie die nationale Einheit spontan und mit plebiszitärem Votum gewollt hatten und man bezeichnete Sizilien schließlich als ein erobertes, der neuen Ordnung gegenüber widerspenstiges Land.« Der Regionalpolitiker Tomaso Fiore ging in einer der zahllosen Parlamentsanfragen zur südlichen Frage 1925 sogar noch so weit, zu sagen: »Die Zwangsherrschaft der Bourbonen war aufgrund ihrer Machtlosigkeit weniger verhängnisvoll als die der Einheitsregierung.« Die Süditaliener sahen ihre Erwartungen enttäuscht, revolutionäre und anarchistische Strömungen erhielten großen Zulauf. Im Oktober 1868 beispielsweise berichtet der Vorsteher von Modica (ein Dorf, das 25 km vom Schauplatz der Cavalleria rusticana entfernt liegt) an den Generalsekretär für öffentliche Sicherheit in Rom über Maultiertreiber, Kutscher, Dienstboten und Fuhrleute (zu dieser Gruppe wäre also auch der – eher wohlhabende – Alfio der Oper zu rechnen): »Unter ihnen gärt es so, dass ein guter Funktionär es der Regierung nicht verheimlichen darf. Im ersten Moment von der Revolution, kommunistischen Ideen und der Vorstellung einer brillanten Zukunft trunken gemacht, glauben sie, verraten worden zu sein.« Und ­einige Tage später schrieb der Gouverneur Mathieu von Messina an den Statthalter des Königs in Sizilien: »Sehr traurige Dinge musste ich hier in der Verwaltung vorfinden, der die Überwachung der öffentlichen Sicherheit anvertraut ist: Kommissäre und Inspektoren fast alle untauglich, viele von einer zumindest recht zweifelhaften Ehrenhaftigkeit. Die untergeordneten Polizisten untreu, jedem Laster verfallen, kann sein, teilweise sogar mit den Dieben der ›Camorra‹ und Messerhelden verbrüdert. Vollständiger Mangel an Disziplin; kein Eifer im Dienst; keine Voraussicht, keine Geheimhaltung: Unordnung und Anarchie überall.« Adel und Großgrundbesitz sehnten sich nach den alten Zeiten zurück, planten auch, wie die eingangs geschilderten Vorfälle zeigen, den Umsturz. Der Vorsteher von Modica, also ein sehr eifriger Denunziant, berichtete nicht nur nach Rom, sondern auch an Giovanni Buttner, der von Malta aus seine reaktionären Fäden spann. Dieser Vorsteher namens della Rocca schrieb über Landarbeiter, deren aufsässiges Verhalten auf der Überzeugung gründete, ihre Arbeitgeber hätten keine Möglichkeiten mehr, sie zu entlassen. Und Buttner antwortete: »Wie sie sich täuschen! Für jetzt seid nett zu ihnen und stellt sie in einem gewissen Sinn auch zufrieden. Inzwischen schreibt an die Herren […], damit sie Männer schicken, die sie schließlich mit Fußtritten ­verjagen.«

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Brigantenunwesen In Kalabrien war die Situation analog: Die Position, die zuerst Turin, dann Florenz und schließlich Rom dem Problem des Südens gegenüber eingenommen haben, führte zu neuen sozialen Spannungen, zu ersten Auswanderungswellen, zum Anwachsen des Verbrechertums und des Brigantenunwesens, das Reisende, die nach Sizilien wollten, gezwungen hat, von Neapel aus das Schiff nach Palermo zu nehmen. Aubers Fra Diavolo, in dieser Gegend spielend, hat sich dieses Räubertums auf sehr romantische Weise angenommen. Das Missbehagen an der neuen Zeit war aber nicht nur im Süden spürbar. Selbst das Symbol des Risorgimento, Giuseppe Verdi, erlebte mit Enttäuschung das außenpolitisch imperialistische Großmachtstreben des jungen Staates, dem im Inneren eine Verelendung weiter Bevölkerungsschichten entgegenstand. Er löste in seiner engeren Heimat die soziale Frage auf seine persönliche Weise, unterstützte karitative Einrichtungen, gründete ein Spital und setzte Stipendien aus.

Literarische Kritik Auf literarischer Ebene formulierte die Richtung der »Scapigliatura« zunächst die Ernüchterung nach der erfolgten Einigung des Landes. Emilio Praga, ihr Wortführer, schrieb: »Wir sind die Söhne kranker Väter.« Ihre Angriffe richteten sich gegen die Symbole der Einigung: Alessandro Manzoni wurde von Praga entgegengeschleudert: »Jetzt ist die Stunde der Antichristen«, und Verdi musste sich von Boito verschlüsselt als »Kretin« bezeichnen lassen, der den Altar des Vaterlandes »beschmutzt« hatte. Aber nicht diese Richtung sollte der Kunst eine neue Wendung bringen, allzusehr entfernten sich ihre Autoren von der Realität, nahmen Elemente der Décadence und des l’art pour l’art überhand. Die Zeit war reif für den Verismo: Abgesehen davon, dass positivistische Theorien, von Frankreich kommend, auch in Italien Fuß gefasst hatten, zeitigte die Gründung des neuen Staates keine einheitliche Literatur; die Autoren besannen sich vielmehr auf den kulturellen Reichtum von Regionen und Provinzen, der in ihren Werken beschrieben wurde. Sowohl Kalabrien als auch Sizilien haben so große Schilderer des Volkslebens erhalten: Nicola Misasi und Giovanni Verga, deren Novellensammlungen »Kalabresische Erzählungen« und »Ländliche Novellen« im selben Jahr 1884 erschienen sind. Über die Grenzen Italiens hinaus wurde aber nur Verga bekannt, nicht zuletzt dank Mascagnis Oper.

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Giovanni Verga Verga kam im Jahre 1840 in Catania zur Welt. Zunächst schrieb er Romane im romantisch-sentimentalen Stil der spätrisorgimentalen Zeit. In Mailand, dem intellektuellen Zentrum Italiens, kam er mit den »Scapigliati« in Berührung und lernte Luigi Capuana, ebenfalls ein Sizilianer, kennen. ­Capuana war der Theoretiker des Verismo, der 1872 in einer Studie über zeitgenössisches italienisches Theater Grundzüge der neuen Richtung darlegte: »Wenn es dem Künstler gelingt, mir tatsächlich eine lebendige Figur vor Augen zu führen, weiß ich nichts mehr, was ich sonst noch von ihm verlangen sollte, und ich danke ihm dafür. Mir scheint, dass er mir alles das gegeben hat, was er sollte. Nur deswegen, dass diese Figur lebendig ist, wirkt sie schön, ist sie moralisch.« Es lag nahe, diese Prinzipien damit zu erfüllen, dass man auf tatsächliches Erleben zurückgriff. Cavalleria rusticana spielt im Dorf Vizzini in der Provinz Catania, einem kleinen Nest, das, wie so viele auf dieser Insel, auf einen Hügel gebaut ist. Leoncavallos Oper wiederum in dem Städtchen Montalto Uffugo im Norden der Region in der Nähe des geschichtsträchtigen Cosenza, wo in der Flussrinne des Busento nach wie vor alljährlich viele Touristen nach dem sagenhaften Schatz Alarichs suchen. Montalto Uffugo selbst liegt in einer unwegsamen Gegend, wo Leoncavallos Vater Richter war.

Ohne Linse des Schriftsstellers In einer an einen Freund gerichteten Bemerkung zu der Novelle Der Lieb­ haber der Gramigna aus der Sammlung Sizilianische Dorfgeschichten, die 1880 erschienen ist und auch Cavalleria rusticana enthält, erläutert Verga selbst die Grundzüge seiner literarischen Methode: »Ich gebe die Geschichten so wieder, wie ich sie auf den Fußwegen der Felder gesammelt habe, fast mit denselben einfachen und pittoresken Worten der volkstümlichen Erzählung, und es wird Dir sicher gefallen, den bloßen, reinen Ereignissen gegenüberzustehen, ohne sie zwischen den Zeilen des Buches, gleichsam durch die Linse des Schriftstellers blickend, erst suchen zu müssen.« Verga verlangt Objektivität des Dichters, wenn er behauptet, »die Hand des Künstlers wird absolut unsichtbar bleiben«. Ins Zentrum seiner Schilderung des Volkstums und seiner Tradition stellte Verga hauptsächlich Gefühlsbindungen und Leidenschaften, weshalb sie sich gut als Vorlage für das »Melodramma« eigneten. Nicht ohne Grund hat sich auch Giacomo Puccini lange Zeit mit dem Stoff der Novelle (und dem daraus entstandenen Drama) Die Wölfin aus dieser Sammlung beschäftigt. Verga schildert darin die erotische Beziehung einer archaischen sizilianischen Frauengestalt, einer Bäuerin, FR A NZ TOM A N DL

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in der die heidnisch-christlichen Vorstellungen des sizilianischen Volkstums, die ehernen Bande, die das soziale und familiäre Leben aneinander ketten, komprimiert sind, zu ihrem Schwiegersohn. »Im Dorf nannte man sie die Wölfin, weil sie niemals zufriedengestellt war, mit nichts«, heißt es zu Beginn dieser Erzählung. »Die Frauen machten das Kreuzzeichen, wenn sie sie auf der Straße vorbeigehen sahen, allein, wie ein Köter, mit dem streunenden und misstrauischen Gang einer hungrigen Wölfin.« Eine andere Novelle dieser Sammlung, Jeli der Hirte, zeigt das dumpfe Schicksal eines Pferdehirten, der in der sengenden Sonne während seiner Arbeit sein Leben an sich vorbeiziehen lässt und sich plötzlich aufmacht, um dem Liebhaber seiner Frau die Kehle durchzuschneiden, so, als gäbe es nichts Natürlicheres auf der Welt. Rosso Malpelo wiederum beschreibt einen einfachen Kumpel, Opfer der Ausbeutung durch die Besitzer des Bergwerks, in dem er arbeitet. In den großangelegten Romanen I Malavoglia und Mastro Don Gesualdo dagegen schlägt Vergas pessimistische Grundhaltung den neuen Entwicklungen gegenüber durch; im tragischen Schicksal einer angesehenen ­Fischersfamilie ebenso wie im Aufstieg und Fall des Landarbeiters Gesualdo, der die sozialen Gesetze der Insel bricht und daran scheitert. Verga starb 1922 in Sizilien, in seiner Geburtsstadt Catania. Vermögend wurde er erst nach dem Erfolg der Oper Cavalleria rusticana, als man ihm eine große Summe auszahlte, die es ihm erlaubte, in seine Heimat zurückzukehren. In seiner dichterischen Entwicklung von den knappen Lebensskizzen, wie sie die ­Novellen darstellen, zum Geschichtspessimismus der großen Romane hat die Darstellung des Lebens der Frau eine große Bedeutung. Giuseppe Pitrè, der im vergangenen Jahrhundert viele Dokumente zum sizilianischen Volksleben gesammelt hat, bezeichnet die »Mafia« als »die übertriebene Vorstellung von der individuellen Kraft, dem einzigen und alleinigen Schiedsrichter bei jedem Streit, jedem Interessenkonflikt, über jeden Gedanken; daher die Unduldsamkeit der Überlegenheit und, schlimmer noch, der Anmaßung anderer. Der Mafioso will geachtet werden und achtet auch selbst fast immer die anderen. Wenn er beleidigt wird, wendet er sich nicht an das Gericht, nicht an das Gesetz; würde er es tun, gäbe er einen Beweis der Schwäche, beleidigte er die ›Schweigepflicht‹, so wie er diejenigen für ›unanständig‹ und ›infam‹ hält, die, um Recht zu bekommen, sich an die Behörden wenden.« Aus einer solchen Haltung heraus ist zu erklären, dass die Beleidigung der Ehre, wie sie auch ein Ehebruch darstellt, mit dem Tod gerächt wird. Im italienischen Strafrecht wurde das »Verbrechen aus Ehre« auch berücksichtigt und als Milderungsgrund angesehen.

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Aus dem österreichischen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1852

§ 502. Ehebruch. Strafe. Eine verheirathete Person, die einen Ehebruch begeht, wie auch eine unverheirathete, mit welcher ein Ehebruch begangen wird, ist einer Uebertretung schuldig, und mit Arrest von einem bis zu sechs Monaten, die Frau aber alsdann strenger zu bestrafen, wenn durch den begangenen Ehebruch über die Rechtmäßigkeit der nachfolgenden Geburt ein Zweifel entstehen kann.

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Ernst Krause

AUFSTIEG UND FALL DES VERISMO Versuch einer Ehrenrettung

Nur selten lässt sich bei einer musikalischen Stilrichtung die entscheidende Begegnung so genau bestimmen wie beim Verismo. Es war, als der junge Pietro Mascagni nach der eben erst erschienenen Novelle Cavalleria rusticana seines Landsmannes Giovanni Verga griff. Der sichere Instinkt dieser Wahl grenzt ans Traumwandlerische. Niemals ist der Komponist in seinen zahlreichen anderen, heute vergessenen Opern auf eine ähnlich wirkungsvolle Vorlage gestoßen. Keinen anderen Stoff hat er auch nur annähernd zwingend so bewältigt. Die Folge: Nach dem sensationellen Uraufführungserfolg der Cavalleria rusticana begann sich eine wahre Verismo-Epidemie auszubreiten, die rasch auch über Italiens Grenzen drang. Mit griechischen Göttern und Helden begann die Oper in der ausklingenden Renaissancezeit, mit grausamen Tyrannen und eigensinnigen Fürstlichkeiten, die (welch frommer Wunsch!) im Finale sich als läuterbar zeigten, näherte sie sich dem Barock. In Wechselbeziehung zur sich wandelnden Gesellschaft erschloss sich die Oper immer neue und fast immer zeitgemäße Stoffe. Die Händel-Opern dürften das beste Beispiel dafür sein, wie oft weit zurückliegende Geschichtlichkeit der Aktionen in Wahrheit konkrete Beziehungen zu den Ideen der Aufklärung widerspiegelt. Erst das 19. Jahrhundert hat in seinen sozialen Spannungen sowohl der bürgerlichen Idylle wie der heroisierten Geschichtsszene breiten Raum gegeben. Es wich mit mächtigem Pathos in romantische Schau aus, um der wunden Gegenwart das Ideal einer vergangenen, vorgeblich besseren Welt zu suggerieren. Oder es versuchte, ungelöste Probleme in parabelhaft geschauten Mythen (mit dem Wagner’schen Ring als monumentales Zeitdokument) zu bewältigen. ER NST K R AUSE

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In der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts wurde Verdi zum Bahnbrecher des Realismo. Seine historisch fundierten Operngemälde zeigen mit großer, energischer Gebärde die Affekte von Liebe und Hass, Eifersucht, Mord und Totschlag. Seine Sujets schöpfte er gewiss aus der »Wirklichkeit«. Aber: »Wirklichkeit nachzuahmen ist eine gute Sache. Besser: neue Wirklichkeiten zu erfinden« (Verdi). Es stimmt: Bei Verdi bleiben stets der Mensch und das Menschsein im Mittelpunkt allen Denkens und Fühlens. Dies Humane, die Wahrheit dieses Menschlichen ist für ihn ausschlaggebend — eine »Wahrheit«, die ihm höher steht als die »Schönheit«. Das lieferte dem vorausschauenden Realisten, der gegen den »Gewohnheitsunfug« landläufigen Opernbetriebs kämpft, eine besondere Vorliebe für Leidende, Geschundene, Getretene. Keine Ästhetik der Oper lässt sich leichter determinieren.

Die andere Wirklichkeit – Naturalismus Auch der Verismo wollte in seinen Alltagsbildern primär Wirklichkeit und Wahrheit, man kann es überall nachlesen. Doch seine Wirklichkeit ist die einer fotografischen Aufnahme, penibel in Licht und Schatten, bis ins letzte Detail. Man wollte Menschen zeigen ohne Stilisierung und Pathos, die den Opernbesucher direkt ansprechen. Das Leben ohne jede Beschönigung, ungeschminkt, nackt, leidenschaftlich, fest zupackend, wenn es sein muss, hart zuschlagend. Dies Programm der Veristen entsprach ziemlich genau den Ideen der aus Frankreich stammenden naturalistischen Schule. Die Brüder Goncourt proklamierten als erste im Vorwort ihres Romans Germanie Lacerteux 1864 manifestartig diese Haltung: »Wir müssen das Publikum um Verzeihung bitten, dass wir ihm dieses Buch übergeben, und es warnen vor dem, was es darin finden wird. Das Publikum liebt erfundene Geschichten; dies ist eine wahre. Es liebt Bücher, die in der Gesellschaft für Rührung sorgen; dieses Buch kommt von den Straßen.« Ähnliche Töne schlägt Verga, der Autor der Cavalleria-Erzählung, im Vorwort seiner Novelle Eva an: »Da habt ihr eine wahre Erzählung, ohne Rhetorik und Heuchelei. Ihr werdet darin etwas finden, das zu euch gehört, das die Frucht der Leidenschaft ist.« Schließlich wird im Pagliacci-Prolog das Programm direkt auf das Libretto übertragen: »Der Dichter hat versucht, euch ein Stück des Lebens zu malen. Und an der Wahrheit inspirierte er sich.« Nur: Begibt sich der Komponist bei diesem berühmten musikdramatischen »Vorspann« nicht letztlich aufs ästhetische Glatteis, indem er sich mit dem Kunstkniff der heraustretenden »Maske« des Komödianten Tonio geradezu der poetischen Illusion bedient? Wird hier nicht aus tiefer Wahrheit doch wieder Spiel? Es gibt zwei ernsthafte Argumente gegen eine Deklarierung der Kunst der Jahrhundertwende mit dem Sammelbegriff Naturalismus, Literatur, bildende Kunst und natürlich Musik gleicherweise umfassend. Literarischer 23

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Naturalismus, Impressionismus der Malerei und musikalischer Verismo waren Zeitströmungen unter anderen, sie bestimmten nicht allein das geistige Gesicht der Epoche. Der zweite Einwand betrifft den Begriff an sich und meint, alle im besten Sinne des Wortes naturalistischen Kunstäußerungen seien im Grunde realistisch. Gewiss: Die Vielfalt der geistig-künstlerischen Strömungen dieser Zeit ist groß. Um im Bereich der Musik zu bleiben: Was hat ein Debussy mit ­Mascagni zu tun, ein Strauss mit Puccini, ein Schönberg mit Janáček? Jeder geht seinen Weg; und statt von Berührungspunkten lässt sich viel leichter von Konfrontationen sprechen. Das Argument, der Naturalismus sei nur eine beliebige Strömung der Zeit, wird entkräftet durch die Tatsache, dass seine Anhänger die einzigen waren, die der geschichtlichen und sozialen Wirklichkeit der Jahre etwa seit 1890 gerecht wurden. Hatte die Kunst in der Endzeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht Tendenzen gezeigt, die zur Erstarrung und Unfruchtbarkeit führen mussten? Sie war unwahr geworden, überreif. Die Kunst der Verbindung mit dem Leben, ihr die Wahrheit der Aussage zurückzugeben, war längst Anliegen junger, gegenwartsbezogener Maler, Schriftsteller und Musiker, die sich der eigenen Umwelt mit ihren Menschen und deren Alltagssorgen verschrieben hatten.

Historisch bedingt Dass die Zeit die sozialen Gegensätze, die Lebensbedingungen des arbeitenden Menschen verschärft hatte, konnte nicht ohne Folgen bleiben. Wollte die Kunst wahr sein, musste sie die Konflikte in ihrer ganzen Schärfe, Klage und Anklage aufreißen, auch in die Gosse hinabsteigen. Mag auch die Gefahr eines Stehenbleibens beim Nur-Deskriptiven, die Übertreibung des gesellschaftlich Kritischen naheliegen: Begabung und künstlerisches Temperament, die Persönlichkeit des Einzelnen lassen immerzu die Grenze zwischen Wert und Unwert des Kunstwerks sichtbar werden. So verstanden, ist Naturalismus (und in seinem Gleis der Verismo) eine historisch bedingte künstlerische Verhaltens- und Betrachtungsweise, aus der Zeit geboren und nur in diesem bestimmten Zeitabschnitt möglich. Zweifellos war der Naturalismus eine tragende und vorwärts weisende geistige Erscheinung der Epoche. Was das zweite Argument betrifft, so schließt Naturalismus in dem erwähnten Sinne Realismus nicht aus. Die besten Namen mögen für andere stehen: Gerhart Hauptmann, der in diesem Jahr seine menschlich reifsten, gerundetsten Dramen schrieb, und Max Liebermann, der große, dem sozialen Milieu verhaftete Maler. Will man einer Erscheinung wie Zola gerecht werden, der in seinen Romanen nicht nur zu »schildern«, sondern zu »bessern« suchte, ein stetes Wechselspiel von sozialem Background und individuellem Schicksal, so muss man hier von einem erweiterten Realitätsbegriff ER NST K R AUSE

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Leo Nucci als Tonio, 2004

sprechen. Carl Dahlhaus hat zu erklären versucht, warum der Opernverismo (wie wir ihn seit dem Doppelgespann Cavalleria rusticana und Pagliacci in eindeutiger Klassifizierbarkeit verfügbar haben) an präzis vorgegebenen »tragischen Katastrophen«, sagen wir, Eifersucht, Blutdurst, Mord, gebunden ist. De facto hat der Naturalismus durch das Musikdrama eine starke künstlerische Rechtfertigung erfahren.

Realismo und Verismo Kann es wundernehmen, dass sich der Durchbruch der neuen Kunstrichtungen von Italien, dem Mutterland des romanischen Opernaffekts, vollzog? Nicht nur die Art, wie Verdi in Rigoletto und Il trovatore, wie Ponchielli in La Gioconda die Schreckensmotive des Verismo bereits ankündigten und vorwegnahmen, sondern erst recht jene, wie die rustikale Kolportage der Caval­ leria-Vorlage Vergas das Blut einer neuen Generation von Musikern ins Wallen brachte, wurde für den dramatisch komprimierten Opernstil der »giovane scuola« bezeichnend. Dennoch scheint die Verwirrung zwischen 25

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beiden Kategorien Realismo und Verismo groß. Sind Tosca und Andrea Ché­ nier Stücke des Verismo? Natürlich nicht. Mit Lust, Hingabe und Leidenschaft, selbst verknüpft mit Gier, Folter und Mord, vermitteln beide Opern mehr als plumpe Abbilder schrecklicher Wirklichkeit. Dem nackten Verismo werden Farbe und Dekor hinzugefügt. Alles Parfüm narkotischer Eros-Sinnlichkeit, jeglicher Qualm romantisch verzaubernder Weltanschauung ist ihm fremd. Seine in Liebesduetten, Rezitativen, Chören, Intermezzi kulminierende Diktion wird von einem »Wahrheitsstreben« bestimmt, das über den eigenen naturgewachsenen Stimmungston verfügt. Puccinis schöpferische Fantasie verstand es (mit Ausnahme von Il tabarro), sich gegenüber dem unverhüllten Verismo auf Distanz zu setzen. In den meisten Epochen der Musikgeschichte fand der Dramatiker Situationen und Charaktere bevorzugt im Leben der Begüterten und Mächtigen und nur in seltenen Fällen im Dasein der Armen. Ein König, der sich auf seinem Thron räkelt, schien wohl interessanter als der hungernde Bauer, der von bedrückender Not getrieben wird. In der Praxis bedeutet die Theorie des Verismo, auf die Oper angewandt, dass anstelle des heroisch-aristokratischen Milieus der traditionellen Opera seria verschiedene, an sozial genau abgestufte Typen und Situationen gebundene Personen traten.

Ritualopern Mascagni fand diese erbarmungslos harte Alltagswelt bei Verga vor, dessen Geschichten von den armen rückständigen Bauern Süditaliens, ihren aufbrechenden Leidenschaften, ihrer Religiosität erzählen. Wir sind eindeutig in Sizilien, mit seiner naturhaften Armut, seiner Kargheit. In der sozialen Entwicklung liegen zwischen der Dorfgemeinschaft der Cavalleria und dem Proletariat des viel weiter nördlich angesiedelten Bajazzo Jahrzehnte. Beide Werke stoßen sich eher ab, als dass sie sich anziehen. Was sie verbindet, ist eigentlich Äußerliches: Sie verlegen die Handlung an einen Festtag ins Freie, wahren die Einheit des Ortes und der Zeit, sind Einakter und lassen das Reli­ giöse, die Osterprozession, die Vesperglocke, hineinspielen. Der Tod Turiddus wie Canios ist sozusagen Ritualopfer für die Sünden der Gemeinschaft.

Melodram und Chor Der Verismo öffnete dem Melodrama der postverdi’schen Oper die Tür. Das szenisch Grässliche gab der melodramatisch sich entfaltenden Melodik alle Chancen. Das muss man sehen, will man die Musikdramaturgie der veristischen Oper auf ihre vokale sinnliche Wirkung abklopfen. Ihr Mosaikprinzip, wie es sich in der Nachfolge der Einakter von 1890 und 1892 entwickelte, ER NST K R AUSE

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schloss eine Menge Volksweisen, Lieder und Tänze, Orgelklang und Glockenton ein — eine eher kurzatmige, durch »Leitmotive« gebündelte Gestaltungsweise. Dem Chor wird eine dominierende Rolle zugewiesen. (Die Solopartien der Cavalleria lassen sich auf einer Schallplattenseite unterbringen.) Ohne in jegliche ästhetische Missachtung zu verfallen: Ausdruck und Form der veristischen Oper dürften sich in den meisten Fällen mit dem (keineswegs immer erhabenen Gehalt) decken. Alles liegt offen da. Man braucht als Hörer und Beschauer nur zuzugreifen.

Gangbarer Handelsartikel Ein letzter Blick auf Aufstieg und Fall des Verismo, auf seine Folgen. Kurz vor seinem Tode schrieb Alfredo Catalani, der Komponist von La Wally, an einen Freund. Da heißt es: »Hast Du gelesen, dass Wagner völlig aus den deutschen Theatern verdrängt und durch Mascagni, Leoncavallo und Franchetti ersetzt ist. Ich bin froh, dass ich nicht mit diesen zusammen genannt worden bin, denen so viele künstlerische Verantwortung zugerechnet wird. Mögen sie glücklich sein und ihre Schultern breit genug, die Erbschaft eines Wagner zu tragen …« Zweifellos hinterließ die Cavalleria-Explosion unübersehbare Spuren. Dass die Verismo-Welle des Heimatlandes (wo Giordano, Cilèa, auch Mascagni und Leoncavallo selbst bald andere Wege einschlugen) sogleich Deutschland überspülte, ist erstaunlich genug. Spinellas A bassa porto wurde zuerst in Köln, Tascas A Santa Lucia zuerst in Berlin aufgeführt. Damals schrieb der Wiener Richard Heuberger die harten Worte: »Die Fabrikation veristischer Opern ist ein Geschäft, das Grauen, das Entsetzen zum gangbaren Handelsartikel geworden.« Besonders der Concours für einaktige Opern, den 1893 der Herzog von Sachsen-Coburg ausschrieb, hatte ein überraschendes Echo. Wenigstens zwei dieser längst vergessenen, dem italienischen Volksleben entnommenen Werke seien erwähnt: Meyer-Helmunds Liebeskampf und Kaskels Hochzeitsmorgen. Tempi passati! Eigentlich ist in Italien von den Verismo-Nachkömmlingen nur Puccinis tragischer, vom Impressionismus berührter Il tabarro übriggeblieben und jenseits der Alpen d’Alberts Tiefland, das einen naturalistischen Reißer aus der katalonischen Bergwelt prägnant in Musik umsetzt. Nur: Zu lachen gibt es hier nichts. Die dunkle, schwere Attitüde, Affekte hochgetriebener Leidenschaft, naive L ­ iebe und Gewalt sind dem Verismo sicher. Einflüsse seiner Ästhetik lassen sich noch bei Korngolds, Menottis, auch Schrekers und Schostakowitschs Opern mühelos entdecken. Das wäre kein stichhaltiges Argument für den »klassischen« Verismo. Eine Ehrenrettung mag es sein.

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Emile Zola

EIN KUNSTWERK IST EIN STÜCK NATUR, GESEHEN DURCH EIN TEMPERAMENT.

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Giovanna Ralli bei den Dreharbeiten zu La Lupa, nach einer Novelle von Giovanni Verga, 1952


Mathias Spohr

VERISMO UND DIE »SPALTUNG« DES ICHS »Es«, »Ich«, »Über-Ich« sind verschiedene Ebenen der Selbstobjektivierung. Sigmund Freud hat, wie ihm die neuere Literatur immer häufiger unterstellt,1 nicht die Natur des Menschen beschrieben, sondern vielmehr eine moderne Struktur des Bewusstseins, die sich von Medien wie Roman, Oper, Sport, Melodrama und dem aufkommenden Film herleitet.2 Manche der Freud’schen Ideen lassen sich wie eine Art ästhetische Theorie des Opernverismo lesen.3 All dies hängt mit der übermächtigen Tendenz seit dem späteren 19. Jahrhundert zusammen, das Bild für das Abgebildete, das Maß für das Gemessene, das Modell für das Wirkliche zu nehmen, also Eigenschaften der Beobachtung als Eigenschaften des Beobachteten auszugeben. Egon Voss hat in seiner Analyse von Mascagnis Cavalleria rusticana gezeigt, dass der gesellschaftliche Rahmen der Handlung genau genommen aus zwei ineinander verschränkten »objektiven« Ordnungen besteht, die den Figuren als »Über-Ich« dienen: dem Katholizismus der Dorfbevölkerung und einer archaischen, vorreligiösen Ordnung, die im Moment der Entscheidung Priorität beansprucht.4 Dieses in sich bereits gespaltene Über-Ich gerät nun noch in Widerspruch zur Triebhaftigkeit der Subjekte, zu ihrem »Es«: Das Ich ist gefangen zwischen den gesellschaftlichen Er­wartungen und seiner »Natur«, zwischen Kausalitäten, die sich mit unerbittlicher Strenge vollziehen und das tragische Scheitern zur unausweichlichen Konsequenz eines determinierten Ablaufs machen. Wie das Bühnenereignis oder der Film eine objektive Folie für das subjektive Erleben des Publikums darstellen, so sind die technischen Regeln, mit denen die Figuren des Spiels, gleich wie die Sänger auf der Bühne, sich zu messen gezwungen sind, objektive Folien für ihr subjektives Verhalten, ohne die es ihre Subjektivität gar nicht gäbe. In der M AT HI AS SPOHR

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Oper ist es der Kontrast von Begleitung und Melodie, von Chor und Solist, von rhythmisch-harmonischem Raster und individueller Ausgestaltung, die in der symbolischen Befreiung von der Konvention deren produktiven Zwang feiern soll – Konvention, die zur technischen Regel transformiert und damit beherrschbar gemacht ist. Mit ihrer Reproduktion auf dem Theater wird die Verfügbarkeit des Unverfügbaren oder die Regularität des Irregulären gefeiert. Vor der Folie eines vorgezeichneten gesellschaftlichen oder natürlichen »Funktionierens« vollzieht sich das Drama der Einzelsubjekte. Es ist nicht der Wille der Götter wie in der antiken Tragödie, sondern es sind die Kausalketten der modernen Technik, an denen das Individuum sich reibt. In Ruggero Leoncavallos Pagliacci (1892) ereignet sich das Eifersuchtsdrama vor der Folie eines Bühnenspiels, das dieselbe Ehebruchsgeschichte mit derselben Rollenverteilung darstellt, wenn auch als Komödie. Die Konstellation des »Mediums im Medium«, der »Reproduktion in der Reproduktion«, der Subjektivierung einer Objektivierung als individuelles Lesen des veröffentlichten Geschriebenen, ist hier in ihrer traditionellsten Erscheinungsform, dem Theater auf dem Theater, verdeutlicht. Das Ich der Protagonisten verdoppelt sich dabei wie das Ich der Sänger, die in ihre Rollen schlüpfen, und das Ich der Zuschauer, die sich von ihrem Platz aus in das fiktive Geschehen hineingezogen fühlen. Und alle blicken subjektiv auf ein Objektives. Der Illusionsbruch des wirklichen Mords nach dem Schema »aus Spiel wird Ernst» als Canio Nedda ersticht und damit der doppelten Fiktion der Komödie ein Ende macht, der dem Sänger seinerseits die Möglichkeit gibt, sich »ganz« mit Canio zu identifizieren, wirkt authentisch, denn im selben Moment gewinnt das Publikum Distanz zur Bühnenillusion, indem es sich klar macht, dass der »wirkliche« Mord nur Illusion, ein Opernkunststück ist und dass es die darstellerische Leistung des Protagonisten bewundern soll. Die übermäßige Identifizierung der Figur mit ihrer Rolle des Eifersüchtigen beendet zugleich das Rollenspiel, und Desillusionierung wirkt stets authentisch. Der Distanzverlust der Figur sowie der Distanzgewinn des Zuschauers macht die Differenz der Akteure zu ihren Rollen, also ihre Doppelung in eine ausgeübte Funktion und ihren Beobachter, bewusst. Beobachtung instrumentalisiert das Ich zu einem Medium, dem »Formen« aufgetragen werden, sowie der Theatertruppe das Komödienspiel. Die objektivierende oder desillusionierende Strategie des Bühnengeschehens, Loslösung von einer angenommenen und Hinwendung zu einer »wirklichen« Identität, reproduziert sich ein weiteres Mal zwischen Bühne und Zuschauerraum. Dieser parallele Vorgang bringt stets die großen Wirkungen hervor. Demaskierung des Akteurs scheint sein wahres Gesicht aufzudecken, und seien noch tausend Masken darunter, aber damit wird dem Beobachter eine Maske aufgesetzt. Die solcherart gefundene gemeinsame Dimension der Beobachter, als ihr Modell, ihre Perspektive, so lautet die immer gleiche Botschaft dieses Vorgangs, überwindet Differenzen, macht tote Zeichen lebendig, 31

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führt Wirkungen auf ihre Ursachen zurück, ob das nun Musiknoten oder Klischeevorstellungen seien. Dramaturgische Konzepte dieser Art, die zu den klarsten Erscheinungsformen »doppelter Reproduktion« gehören, gibt es in zahlreichen Melodramen, etwa in Carmine Gallones Film Amami Alfredo! (1940), in dem eine Opernsängerin, die die Titelpartie von Verdis Traviata (1853) darstellt, von einer eigenen, allerdings fälschlich diagnostizierten Lungenkrankheit erfährt.5

1

iehe Elaine Showalter, Hystories. Hysterical Epidemics and Modem Media, New York 1997; S Mikkel Borch-Jacobsen, Anna O. zum Gedächtnis. Eine hundertjährige Irreführung, München 1998 2 Erwähnt sei hier nur Sigmund Freuds Interesse am Witz als einer Technik, unter Ausnützung eines »Lustmechanismus«ein Publikum zu punktueller Identität zu bringen; eine Betrachtungsweise, die sich ohne das populäre Theater seiner Zeit, ohne Schwank und Operettendialog, nicht denken ließe: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, in: Ders., Studienausgabe, Bd. 4, Frankfurt am Main 1970, S. 13–219 3 Besonders auffällig in Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) mit seinem zentralen Begriff der »Identifizierung«, in: Ders., Studienausgabe, Bd. 9, Frankfurt am Main 1982, S. 61–134 4 E. Voss, Pietro Mascagni: Cavalleria rusticana, in: Carl Dahlhaus, Sieghart Döhring (Hrsg.), Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 3, München 1989, S. 705–708 5 Zur Oper im italienischen Film siehe Cristina Bragaglia, Fernaldo Di Giammatteo, Italia 1900–1990. L’opera al cinema, Florenz 1990

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Sigmund Freud, 1922

»Über die normale Eifersucht ist analytisch wenig zu sagen. Es ist leicht zu sehen, dass sie sich wesentlich zusammensetzt aus der Trauer, dem Schmerz um das verlorengeglaubte Liebesobjekt, und der narzisstischen Kränkung, soweit sich diese vom anderen sondern lässt, ferner aus feindseligen Gefühlen gegen den bevorzugten Rivalen und aus einem mehr oder minder großen Beitrag von Selbstkritik, die das eigene Ich für den Liebesverlust verantwortlich machen will.«

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KOLUMN EN T IT EL


Marcel Prawy

MASCAGNI & LEONCAVALLO

Ein zu korrigierendes Image


Seit dem Jahre 1893, als Cavalleria rusticana und Pagliacci oft an einem Abend aufgeführt wurden, wurde es üblich, beide Einakter fast als eine einzige Oper zu betrachten — in Amerika wie eine Handelsfirma kurz »Cav and Pag« genannt. Und die Komponisten Mascagni und Leoncavallo galten als siamesische Zwillinge. De facto aber sind es zwei Opern grundverschiedenen Charakters und zwei ihrem Wesen nach grundverschiedene Komponisten, über die man nördlich der Alpen viele falsche Berichte liest. Cavalleria rusticana – die erste Oper des Verismo? Das stimmt nur sehr bedingt. Wenn man nämlich unter »Verismo« den Naturalismus auf der Opernbühne, die Blut- und Dolch-Stories unter einfachen Leuten, der sogenannten »Menschen wie du und ich« als Gegensatz zu den herkömmlichen Opernhelden versteht, dann sind Cavalleria und Pagliacci die einzigen Erfolgsopern des Verismo, denn auf die anderen Meisterwerke dieser Stilrichtung — etwa Andrea Chénier von Giordano, Adriana Lecouvreur von Cilèa, Francesca da Rimini von Zandonai — trifft diese Beschreibung überhaupt nicht zu. In Wirklichkeit beruht der fast ein Jahrhundert dauernde Welterfolg der Oper Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni darauf, dass darin das wirklich »veristische« Volksstück gleichen Namens des sizilianischen Volksdichters Giovanni Verga vom Verismo zum großen Teil befreit wurde. Die Oper umwebt die veristischen Szenen mit irreale Geheimnissen — die (in den ersten Inszenierungen immer unsichbare) »Siciliana« des Turiddu, der Mord hinter der Szene, die langen oratorienhaften Chöre und der wahrlich unveristische Geniestreich des orchestralen Intermezzos bei offenem Vorhang. Nur mit Mühe haben verständnisvolle Freunde den Komponisten davon abgehalten, die Oper als Pendant zur »Siciliana« sogar mit einem Requiem für den ermordeten Turiddu bei geschlossenem Vorhang enden zu lassen. Vielleicht sogar hasste Mascagni den Verismo zu sehr, so dass er deshalb den Erfolg der Cavalleria nicht wiederholen konnte. Es ist aber völlig falsch, ihn als den »Komponisten nur einer Oper« zu bezeichnen. Fast alle anderen Opern von Mascagni sind voll von herrlicher Musik, nach Meinung vieler Mascagni-Fans sogar Cavalleria übertreffend – das herrliche Kirschenduett aus L’amico Fritz (1891) steht aber in einer weniger kongenialen ländlichen Idylle, die grandiose Hymne an die Sonne aus Iris (1898) ist Eröffnung und Ende eines Werkes von nicht leicht zu verstehendem symbolischem Charakter, die geistvolle Ouvertüre zu Le Maschere (1901) leitet eine Commediadell’arte-Oper ein, in der die leidenschaftliche Triole der Mascagni-Musik fehl am Platze ist. Puccini wusste, welche Stoffe seiner Begabung lagen, Mascagi nicht. Puccini hätte sich nie, wie Mascagni, auf das Abenteuer eines Opernbuches von Gabriele d’Annunzio eingelassen, für den vielleicht Richard Strauss der richtige Komponist gewesen wäre. Viele der anderen Opern Mascagnis waren sehr erfolgreich und werden auch heute noch gespielt. Am 13. April 1985 hatte ich die Ehre, das MascagniMuseum in der Heimatstadt des Komponisten, Livorno, mit einer Festrede 35

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zu eröffnen. An diesem Tage habe ich erlebt, wieviel Liebe Mascagni hinterlassen hat. Ich habe meine Freizeit bei vielen Einladungen verbracht, wo man Aufnahmen der Opern von Mascagni gespielt und ihnen andächtig gelauscht hat. Natürlich kommt dazu, dass sich noch manche an den bis in das hohe Alter schönen Mann erinnern — an den Dirigenten mit seinen merkwürdigen, unendlich langsamen, aber leidenschaftserfüllten Tempi — und an einen Mann, der in seiner Heimat als der prominenteste Komponist des 20. Jahrhunderts galt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass es – nach dem Durchfall von Madama Butterfly an der Mailänder Scala (1904) – zu Lebzeiten Puccinis keine Puccini-Uraufführung mehr in Italien gab. Sicherlich treffen die Worte zu, die Puccini über seinen Jugendfreund gesagt hat: »Der gute Pietro sollte mir seine ganze herrliche Musik hergeben — er würde staunen, was ich daraus für blendende Opern machen würde!« Anders steht es um Ruggero Leoncavallo. Er ist heute ein fast vergessener Mann — es leben nur Pagliacci und das Lied »Mattinata« (das er anlässlich einer Schallplattenaufnahme für Enrico Caruso komponiert hat). Dabei trifft die herkömmliche Definition des Verismo auf Pagliacci (1892) wirklich zu. Pagliacci — das bedeutet effektvolles, brutales, aber geheimnisloses Theater. Ich sehe ja die Innovation des Verismo nicht so sehr im Stofflichen als in einem neuen Gesangsstil: passioniertes Zwischen-und-neben-den-NotenSingen, Schluchzen, Heulen, all das, was die Italiener »urlare« nennen. ­Plácido Domingo meinte einmal, es gäbe noch eine interessantere Novität: Bei Verdi blieben die Arien meist in einer Stimmung, erst der Verismo habe seiner Meinung nach die Arie der Stimmungssteigerung und des Stimmungswechsels gebracht (»Lache, Bajazzo …«). Pagliacci, ein eigentlicher Einakter, wurde nach dem Cavalleria-Muster durch ein Intermezzo künstlich in zwei Akte geteilt. Auch Leoncavallo hatte später mit den Opern La Bohème (1897) und Zazà (1900) noch Erfolge – aber man hat ihn nie so recht ernst genommen. Man behauptete, der rundliche Neapolitaner sei immer der Café-Chantant-Komponist geblieben, als der er in Paris begonnen hatte. Und als er später Operetten und Revuen komponierte und damit auch viel Geld verdiente, sank er noch tiefer in der öffentlichen Wertschätzung. Unzählig waren die Späße mit seinem Namen, die ihn zur Weißglut brachten. Leone heißt Löwe, Cavallo heißt Pferd, Asino heißt Esel – Puccini n ­ annte ihn also häufig »Leonasino«. Eines aber versetzte sowohl Mascagni als auch Leoncavallo in Wut — wenn man den Abend mit ihren prominentesten Opern Leoncavalleria nannte …

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Nach einer Fuchsjagd in Italien, um 1950


DER TOD IM VERISMO KOMMT SCHNELL Oliver Láng im Gespräch mit Jendrik Springer

Cavalleria rusticana und Pagliacci werden zumeist an einem Abend gegeben. Nun sind es verwandte Werke, deren Beziehung zueinander stark durch das­ Sujet gegeben ist, sie sind aber keine echten Geschwisterstücke: denn es gibt auch Trennendes. Vielleicht wollen wir als erstes den Aspekt der Verwandtschaft skiz­ zieren? Immer wieder finde ich es in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass Mascagni mit Cavalleria rusticana das erste der beiden Werke geschrieben hat und Leoncavallo rund zwei Jahre später mit Pagliac­ ci tatsächlich eine Oper ähnlicher Faktur nachsetzen wollte. Oder sogar sollte, denn der Verlag Sonzogno war zweifellos eine treibende Kraft hinter dem Pagliacci-Projekt. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich aus der Situation dieses »Nachschaffens« heraus in formaler Hinsicht starke Entsprechungen und Zusammenhänge ergeben haben. Ich nenne nur zwei Beispiele: Das Vorspiel ist in beiden Opern nicht rein instrumental – im Falle von Cavalleria wird es durch die Siciliana des Turiddu unterbrochen, bei Pagliacci gibt es (zum Vorspiel gehörig, weil noch vor dem geschlossenen Vorhang) den Prolog des Tonio. In der Mitte beider Opern wird, vor der finalen Zuspitzung, ein instrumentales Zwischenspiel eingefügt. Die formalen Parallelen sind also nicht zu übersehen. JS:

Was beide Werke ganz offensichtlich verbindet, ist die Kürze. Ein­ akter gab es schon zuvor, doch waren sie eher dem heiteren Genre zugeordnet. Nun haben wir kurze, tragische Opern. Wie hat sich OLI V ER LÁ NG IM GE SPR ÄCH MIT J EN DR IK SPR INGER

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diese Kürze, dieser zeitliche Rahmen auf die kompositorische Ver­ arbeitung des Stoffes ausgewirkt? Die Kürze war sicherlich auch eine Folge der Vorlage. Ausgangspunkt von Cavalleria war eine knappe Novelle von Giovanni Verga. Dieses Gedrängte, Punktgenaue der Novelle ist über den Umweg der Dramatisierung des Stoffes auch in die Oper übergegangen. Man hat sich auf das Wesentliche reduziert. Natürlich darf nicht vergessen werden, dass der Wettbewerb, für den Mascagni seine Oper schrieb, explizit einen Einakter gefordert hat. All das hatte seine Auswirkung auf die innere Form: Die einzelnen Nummern sind kürzer, sehr straff. Alles passiert sehr schnell, alles zielt direkt auf den Höhepunkt hin. Selbst wenn Mascagni Vorspiel und Eingangschor recht breit angelegt hat – die Zuspitzungen passieren rasch. JS:

Wenn wir über die Form hinausgehen: Leoncavallo wird im All­ gemeinen, sofern man solche Begriffe anwenden möchte, als der »intellektuellere« Komponist bezeichnet, Mascagni als der »erdi­ gere«. Diese Etikettierungen, die in ihrer Knappheit natürlich immer heikel sind, drücken etwas aus, was man anhand der Partituren sehr gut nachvollziehen kann. Cavalleria hat im Klangbild – vor allem in der Art, wie die Blechbläser eingesetzt werden – oftmals etwas Ungeschliffenes, fast Grobes, ich würde sagen: Rustikales. Die Instrumentation wirkt manchmal beinahe unbeholfen, wobei ich nicht entscheiden kann, ob das gewollt war oder ob es Mascagni, der ja noch ein sehr junger Komponist mit wenig Erfahrung war, einfach »passiert« ist. Da war Leoncavallo eindeutig der Versiertere, der Geschicktere, der feiner instrumentieren konnte. JS:

Womöglich hat Mascagni versucht, das Holzschnitthafte der lite­ rarischen Vorlage, die in ihren sprachlichen Übergängen sehr hart sein kann, musikalisch zu imitieren? Das ist freilich eine Möglichkeit. Aber ich möchte ein Beispiel anführen, das mir bei jeder Aufführung auffällt, und zwar im Duett Santuzza-Alfio: Santuzza eröffnet Alfio den Ehebruch seiner Frau Lola, und nach dieser für Alfio bestürzenden Nachricht, nach Santuzzas «e vostra moglie lui rapiva a me!« klingt das Orchester fast »besinnlich« aus. Unmittelbar danach folgt musikalisch unerwartet Alfios Entgegnung in dramatischem Forte – ein seltsamer, unvermittelter Kontrast. Natürlich kann man das unter die Schlagworte »holzschnitthaft« oder »ungeschminkt« subsummieren, aber ich bin mir nicht sicher, ob Mascagni diesen Übergang später, mit mehr Erfahrung nicht anders gelöst hätte. Leoncavallo hingegen schafft JS:

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DER TOD IM V ER ISMO KOM MT SCHN ELL


flüssigere Übergänge, auch bei ihm gibt es Ecken und Kanten, gibt es das Brutale, aber es ist kompositionstechnisch organischer eingebunden. Du sprachst davon, dass Leoncavallo in puncto Instrumentation eine versiertere Hand gehabt hat. Er gibt in der Partitur mehr und differenziertere spieltechnische Angaben als sein Kollege Mascagni. Immer wieder teilt Leoncavallo zum Beispiel die Geigen, verlangt bei den Streichern Flageolett-Effekte und anderes, also ausgefallene Spiel- und Klangformen. Und er kümmert sich um kleine Nuancen – auch das kann ich an einem Beispiel demonstrieren: Neddas Vogellied wird durch zwei ineinander verwobene Harfen eingeleitet, dazu lässt Leoncavallo die Geigen komplexe Figuren geteilt spielen und setzt über das Ganze noch vier Soloviolinen, die eine Oktave höher ausgehaltene Akkorde intonieren. Von der Klanglichkeit her ist das eindeutig französisch beeinflusst. Das soll jetzt aber nicht dazu verleiten, Mascagni als schlechten Komponisten zu sehen. Nur war Leoncavallo einfach geschickter. JS:

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Ändert sich auch der Einsatz der verfügbaren Instrumente? Bis Verdi war es gebräuchlich, dass man Posaunen und Trompeten eher als akkordisch-harmonische Stütze oder als rhythmische Impulsgeber eingesetzt hat. Nun kommen sie stärker als Melodieinstrumente ins Spiel. Das hat eine nicht zu unterschätzende Folge. Denn oftmals wird die Gesangslinie nun mit einem Blechblasinstrument verdoppelt und nicht mehr mit Streichern oder Holzbläsern wie zuvor. Wir erleben also Sopran plus Trompete oder Bariton plus Posaune: Das sind allerdings Kombinationen, die in jeden Kompositionsunterricht als sinnwidrig dargestellt wurden (teilweise noch werden), denn die Gefahr des Übertönens durch das Instrument ist groß. Diese Kombinationen können ein erdiges Klangbild ­ergeben, sie führen aber auch dazu, dass die Sänger mehr Stimmvolumen brauchen. Und das war im Belcanto kein Thema: Da durften zum Beispiel ­Tenöre hohe Noten in einer Art gestütztem Falsett singen. Nun braucht es mehr Durchschlagskraft – und es wurde auch in der italienischen Oper eine Richtung eingeschlagen, die man in der deutschen seit Wagner schon kannte. JS:

Ein Letztes zum Kompositionshandwerk: Mascagni erinnert sich später daran, dass er für seine Kontrapunktik explizit gelobt wurde. Hat das eine tatsächliche Grundlage oder handelt es sich hier nur um vergoldete Erinnerungen des späteren Mascagni? Mir fällt da eigentlich nur eine Stelle ein, die dieses Lob rechtfertigen würde: der Chorsatz im Auftrittslied des Alfio. Sonst ist alles deutlich homophon, nicht kontrapunktisch, sondern auf die Oberstimmen hingearbeitet. JS:

Vielleicht wollte Mascagni mit dieser Erinnerung nur dem allge­ meinen Befund, er hätte mit der Cavalleria ein ungemein schnell niedergeschriebenes Werk geschaffen, entgegentreten? Das ist gut möglich! Denn so genial Cavalleria rusticana auch ist – gerade den Tatbestand einer hochstehenden KontrapunktKunstfertigkeit erfüllt die Oper nicht. JS:

Wir haben zuvor Verdi angesprochen. Wenn wir nun Mascagni und Leoncavallo in ihrer Stellung zur Tradition verorten wollen – wo stehen sie? Sind sie Verdi-Nachfolger oder haben sie tatsächlich etwas ganz Neues geschaffen? ← Szenenbild Cavalleria rusticana

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DER TOD IM V ER ISMO KOM MT SCHN ELL


Ich würde ganz klar sagen, dass beide Opern in einer eindeutigen Szenenbild Verdi-Nachfolge stehen. Schon vom Stofflichen her: Verdi hat Pagliacci → bereits begonnen, Randgruppen der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen, eine Violetta in La traviata, aber auch die Titelfigur in Rigoletto. Mascagni und Leoncavallo gehen jedoch noch einen Schritt weiter: Während La tra­ viata noch in einer adelig-bürgerlichen Gesellschaft spielt, haben Cavalleria rusticana und Pagliacci ihre Schwerpunkte ganz woanders. Musikalisch entwickeln sie das Bestehende weiter und überschreiten bisherige Grenzen, aber sie entstammen ganz klar der Welt der italienischen Oper, kommend aus dem Belcanto. JS:

Sie überschreiten Grenzen, indem sie zum Beispiel den Zugriff auf einen realistisch wirkenden Naturlaut, also das Schreien, erlauben? Erinnern wir uns, was Verdi in einem Brief zu Traviata schrieb: Violetta möge doch bitte nicht den ganzen dritten Akt lang husten. Ihm war also ein solcher Realismus fremd. Im Verismo werden das Ausrufen, Schreien, die Natürlichkeit hingegen explizit gefordert. Und auch abgesehen von diesen Momentaufnahmen gibt es große musikalische Änderungen: Den Singstimmen wird jede Form der bewusst präsentierten Virtuosität genommen. Also: Dass ein Sänger neben der Figur, die er darzustellen hat, sich selbst mittels einer perfektionierten technischen Kunstfertigkeit präsentiert, das kommt für die Veristen nicht in Frage. Dass man etwa eine vor Virtuosität strotzende Kadenz, Koloratur oder Variation einbaut, das gibt es nicht mehr. Alles ist nur noch Ausdruck und der Ausdruck dient der Ausformung des jeweiligen Bühnencharakters. Über das Volumen der Singstimmen sprachen wir schon, im selben Maße steigt auch die Lautstärke des Orchesters: Dirigenten müssen nun streng darauf achten, dass das Orchester nicht zu laut wird. Ein dritter Aspekt, der wiederum mit dem realistischen Gesamtausdruck des Verismo zu tun hat: Noch in Rigoletto durfte Gilda zehn Minuten lang singend sterben. Auch damit hat es ein Ende. Der Tod im Verismo kommt schnell. JS:

Als die Regel bestätigende Ausnahme könnte Adriana Lecouvreur gelten, die Titelheldin stirbt an den vergifteten Blumen recht lang. Ja, das ist zweifellos die Ausnahme. Wenn wir aber Tosca oder Andrea Chénier betrachten, dann gibt es einen schnellen Tod. Wie sagt der große Musikforscher Ulrich Schreiber? »Die dramatische Wucht hat auch im Tod musikalisch den Vorrang vor lyrischer Überhöhung.« JS:

Und harmonisch? Ist man noch in Verdi’schen Gewässern?

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Auch hier geht man über das bisherige hinaus, wobei ich vom Verdi’schen Œuvre exklusive Otello und Falstaff spreche. Diese beiden Opern wurden ja nach Cavalleria rusticana uraufgeführt. Ein Beispiel: Ich komme noch einmal zum Vogellied der Nedda, vor dieser Arie, nach »Son questi sogni paurosi e fole«, erleben wir Harmoniefolgen, die über Verdi hinausgehen. Und an Wagner gemahnen. JS:

Du hast von der Herausforderung des Dirigenten in puncto Laut­ stärke gesprochen, der Verismo ist aber nicht nur in dieser Hinsicht eine harte Nuss für alle Kapellmeister? Müssten wir eine räumliche Verortung vornehmen, so stünden Mascagni und Leoncavallo näher bei Verdi als bei Puccini. Warum? Unter anderem, weil die orchestrale Begleitung bei diesen beiden noch ganz in der Tradition ihrer Vorgänger steht. Also: Eine immer wieder eingesetzte Grundstruktur, die rhythmische, einfache Begleitformen bietet, die aber auch einen relativ starren, strengen Rahmen vorgibt. Wenn nun eine Sängerin oder ein Sänger eine Note länger aushalten möchte, hat der Dirigent JS:

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wenig Spielraum. Er kann versuchen, dem Sänger dies zu untersagen, was selten auf Zustimmung stoßen wird, oder er muss die weiterlaufende Orchesterbegleitung abbremsen, was die Gefahr eines »Unfalls«, also eines Durcheinanders, nach sich zieht. Ein Paradebeispiel dafür ist das Duett SantuzzaTuriddu bei den Worten: »Bada, Santuzza, schiavo non sono«.

Praktisch jeder Tenor wird bei »schiavo« eine Verzögerung einbauen, der Dirigent muss dem Sänger also trotz der rasch pochenden Begleitung im Orchester Raum für diese Freiheit bieten. Das wirklich sauber hinzubekommen, ist eine tatsächliche Herausforderung! Und es wimmelt in der Partitur vor solchen Stellen. Bei Puccini schaut die Welt anders aus, da gibt es dieses starre Korsett nicht mehr, stattdessen finden wir eine »fließendere« Gestaltung der Begleitstimmen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass Mascagni & Co. dieses ­Korsett nicht so streng nahmen.

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Zweifellos nicht, wobei man auch diagnostizieren muss, dass er sehr viele Eintragungen, die das Tempo und die Agogik betreffen, vorgenommen hat. Mascagni hatte also durchaus klare Vorstellungen von dem, wie das Ganze ablaufen soll. JS:

Du hast die Wagner-Nähe angesprochen. Ohne das Leitmotiv mit seiner kompositorischen, strukturellen und psychologischen Tiefe heranzuziehen – wie gingen die Veristen mit Erinnerungs- und an­ deren Motiven um? Spannenderweise kommt die Wiederkehr einzelner Motive, die strukturell eine Funktion haben, durchaus vor. Etwa: Jeder kennt im Pagliacci-Orchestervorspiel das charakteristische Motiv, das im Horn piano gebracht wird. JS:

In der zentralen Arie des Canio, »Vesti la giubba«, kehrt es wieder, allerdings viel tragischer und prominenter. Und ein drittes Mal, am Ende der Oper, nach »La commedia è finita« ist es noch einmal zu hören. Eine solche dramaturgisch sinnfällige Verwendung von Motiven ist Verdi unbekannt – das ist ein Einfluss der deutschen Kompositionsschule. Inwiefern verwenden Leoncavallo und Mascagni ein bewusst ge­ setztes Lokalkolorit, wie es etwas in Bizets Carmen vorkommt? Ver­ weist etwas im Einakter auf Sizilien? Es gibt in der Cavalleria die einleitende Siciliana, die von Turiddu gesungen wird; Mascagni bezieht sich dabei auf ein aus der ­Barockmusik kommendes, rhythmisch durch einen punktierten 6/8-Takt charakterisiertes Siciliano-Modell, das aber in Wirklichkeit nicht mit Sizilien verbunden ist. Es ist sogar so, dass er die Dreitaktigkeit, die für viele Volkslieder typisch ist und die sich auch in dieser Siciliana aus der Melodie ergeben würde, bewusst in eine viertaktige Form zwängt. Mit anderen WorJS:

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ten: Auf eine Art verdeckt er sogar das Volksliedhafte. Im Falle des Liedes von Lola wird allerdings wirklich auf ein (erfundenes?) Volkslied verwiesen, Mascagni schreibt in die Partitur: »Imitation eines alten Volkslieds«. Diese Nummer wirkt fast wie ein Fremdkörper und hat in der Oper die Funktion eines Liedes, ist also kein ausschließliches Handlungselement. JS:

Ebenso wie die Siciliana des Turiddu innerhalb des Vorspiels. Dieses verweist in seinem Text direkt auf das Todes-Finale der Oper: »Blut steht zwar über deiner Tür geschrieben …«

Nicht nur das: Mascagni schreibt diese Siciliana in f-Moll, was für ein Volkslied sehr ungewöhnlich ist. Warum er das macht, erfährt man erst im Verlauf der Oper. Am Schluss des Duetts Alfio-Santuzza, nachdem Santuzza Alfio eröffnet hat, dass seine Ehefrau Lola ihn mit Turiddu betrügt und es im Libretto um Rache und Blut geht, wechselt die Tonart noch einmal nach f-Moll. Gewissermaßen an jenem Scheitelpunkt der Handlung, an dem der Tod Turiddus in den Raum gestellt wird. Da ist Mascagni ganz der Musik-Dramaturg, der musikalische Verknüpfungen und Kopplungen im Handlungsgeschehen erzeugt. JS:

Jendrik Springer ist Assistent von Philippe Jordan, dem Musikdirektor der Wiener Staatsoper.

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Oscar Bie

Die Cavalleria verbreitete den Stil in einem beispiellosen Erfolg über die Welt. Es wurde eine brutale Erholung von Wagner.

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KOLUMN EN T IT EL


Diana Kienast

MIT SPIELERISCHER FREUDE

Erinnerungen an Meisterregisseur Jean-Pierre Ponnelle


Mit Sicherheit ging Jean-Pierre Ponnelle während der Probenarbeit mit den Sängerinnen und Sängern nicht immer sanft und behutsam um. Und auch Dirigenten mussten mitunter die eine oder andere harsche Zurechtweisung erdulden. Aber diese scheinbare Unbarmherzigkeit war immer im Dienste der Sache, ein Ergebnis seiner Leidenschaftlichkeit, mit der er zum Kern eines Werkes vorzudringen trachtete. Gerade bei der Erarbeitung seiner vielgerühmten Inszenierung des veristischen Doppelpacks Cavalleria rustica­ na / Pagliacci war die innere Spannung, die den hochmusikalischen Ponnelle umtrieb, besonders augenfällig. Er war keiner, der sich auch nur eine Sekunde dazu verleiten ließ, irgendeinen Moment aus seinem fertig erstellten Regiebuch »abzuinszenieren«. Im Gegenteil: Sehr frei probierte er unentwegt immer wieder neue Gedanken aus, verwarf bestehende Lösungen, um sie durch bessere zu ersetzen. Selbst dann, wenn es sich um die Einstudierung einer bereits bestehenden Produktion handelte, wie im Falle seiner Cavalle­ ria / Pagliacci-Inszenierung, die die Wiener Staatsoper 1985 von einer anderen Bühne gewissermaßen importierte. Für Ponnelle handelte es sich in diesem Fall um kein fertiges Produkt, das lediglich an einem neuen Ort mit neuen Interpreten aufgewärmt werden sollte. An manchen, scheinbar unbedeutenden Details verbiss er sich geradezu, für die kurze Sequenz, in der Arlecchino in einem parodistisch-gemimten Telefongespräch mit Colombina das »Telefonkabel« passend zu den immer höher werdenden Pizzicati der Streicher Stück für Stück verkürzt, »verbrauchte« er beispielsweise nahezu eine komplette Vormittagsprobe. Aber das Resultat gab seiner auf Präzision bedachten Unnachgiebigkeit letztendlich immer Recht. Ponnelle sah vor seinem inneren Auge stets eine konkrete Situation, eine Atmosphäre, ein Bild, das er auf der Bühne zum Leben erwecken wollte. Er hat selten etwas vorgezeigt, sondern seine Vorstellungen lieber erklärt. Eindringlich erklärt und die Sänger zugleich eingeladen, am Zustandekommen eines Gedankens Teil zu haben. Meist saß er hochkonzentriert etwas vorgeneigt auf einem Sessel, verfolgte das Geschehen während der Probe, korrigierte, ja provozierte gelegentlich, um noch mehr aus den Beteiligten herauszuholen. Er kannte aber auch seinem eigenen künstlerischen Schaffen gegenüber kein Pardon. Und wenn er sich etwa auf einem inszenatorischen Irrweg verlief, gestand er dies unumwunden zu: So wollte er zum Beispiel gegen Ende der Cavalleria, beim »Bruderkuss« Alfios und Turiddus, den bedrohlichen Mafia-Anstrich des Herrenchores noch augenscheinlicher machen und verpasste den dunkel gewandeten Männern zu den schwarzen Hüten auch noch entsprechende Sonnenbrillen. Die Plattheit dieses Regiegedankens eingestehend, ließ Ponnelle besagte Brillen eine Probe später jedoch wieder verschwinden. Der Gedanke hingegen, das Bühnenbild des Cavalleria-Dorfes nach der Pause gewissermaßen »umzudrehen« und dadurch Pagliacci in einem anderen Ausschnitt des gleichen Dorfschauplatzes spielen zu lassen, zeigt einmal 49

DI A NA K IENAST


mehr Ponnelles Genialität. Zum einen kommt er, der gewiefte Theaterpraktiker, durch diesen Kunstgriff der Bühnentechnik des Hauses entgegen, die somit nicht zwei komplett unterschiedliche Dekorationen an einem Abend bereitzustellen hat, zum anderen sind dadurch die beiden traditionell an einem Abend gespielten, doch sehr unterschiedlichen Werke auch optisch miteinander verwoben, sodass ein schöner Bogen über die gesamte Vorstellung gespannt wird. Als inhaltlich verbindend sah Ponnelle in den beiden Stücken die großen menschlichen Konflikte an, die durch gesellschaftliche oder familiäre Korsette bedingt werden. In Cavalleria rusticana unterstreicht er in seiner Inszenierung die Stärke der einzelnen Frauen, die sich aber unter dem Druck des vorherrschenden stockreaktionären Machotums kaum oder nur innerhalb bestimmter Konventionen zu artikulieren traut. Selbst im Moment der Tötung Turiddus, des Sohnes beziehungsweise Geliebten, dürfen Mamma Lucia und Santuzza nach außen hin keine Regung des Schmerzes zeigen. Innerlich zusammenbrechend stehen sie dem Publikum nahezu erstarrt gegenüber, ganz im Gegensatz zu den Klageweibern im Hintergrund, die den unterdrückten Gefühlen »offiziell« Raum geben. In Pagliacci ist es hingegen das Moment der Sehnsucht, der Wunsch Neddas nach einem anderen, freien Leben, wider­ gespiegelt im Flug der Vögel, der zum letalen Ende führt. Es ist ja nicht so, dass Nedda Canio hasst. Die beiden sind ein eingespieltes Team, sie weiß von seiner großen Liebe, fühlt sich bei ihm geborgen, schätzt ihn wahrscheinlich sogar. Aber Silvio rührt eine Ebene in ihr, die Canio fremd ist, die Nedda in diesem für sie kerkerartigen Kosmos der Schauspielerwelt nicht findet. Die Inszenierung der beiden (übrigens in die 1930er-Jahre verlegten) ­Stücke lebt nicht zuletzt von zahlreichen Nuancen, Farben, kleinen Gesten: Santuzzas nur angedeutete Schwangerschaft, die ihre Situation umso auswegloser erscheinen lässt, die Tatsache, dass sie von Anfang an offenbar erkennt, dass Alfio vom Ehebruch seiner Frau ganz genau Bescheid weiß, die Verstärkung der Couleur locale durch die Einbeziehung der in der italienischen Gesellschaft so wichtigen Kinder, die unter Eberhard Waechter leider gestrichene poetische Pantomime im Vorspiel der Pagliacci, das am Horizont erscheinende winzige und immer größer werdende Auto der herannahenden Komödiantentruppe – solche und ähnliche nur scheinbaren Nebensächlichkeiten beweisen, mit welcher spielerischen Freude Jean-Pierre Ponnelle diese Inszenierungen bereichert hat, die daher selbst nach dreieinhalb Dezennien geradeso unverbraucht und gültig erscheinen wie am Premierentag.

Diana Kienast, langjährige Oberspielleiterin der Wiener Staatsoper, stand Jean-Pierre Ponnelle bei den Proben zur Premierenserie von Cavalleria rusticana/Pagliacci als 1. Regieassistentin zur Seite.

DI A NA K IENAST

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Aus der Erstaufführungskritik der Wiener Zeitung, 1893

Der gestrige Erfolg des »Bajazzo« in der Hofoper war ein durchschlagender. Der Komponist und die Mitwirkenden wurden zu unzähligen Malen von dem enthusiasmirten Publicum hervorgejubelt, und es ist zweifellos, dass nunmehr, für lange Zeit, das Leoncavallo’sche Werk das Zugstück des Repertoires bilden wird. 51

KOLUMN EN T IT EL


Andreas Láng

VON ECHTEN UND FALSCHEN PREMIEREN

»CAVALLERIA RUSTICANA« UND »PAGLIACCI« AN DER WIENER STAATSOPER


Elena Obraztsova als Santuzza, Margarita Lilowa als Lucia, 1985

Selbstverständlich treten Cavalleria rusticana und Pagliacci auch an der Wiener Staatsoper meistenteils als siamesisches Zwillingspaar vor das Publikum. Nichtsdestotrotz gingen die beiden Kurzopern im Laufe ihrer fast 130jährigen Aufführungsgeschichte an diesem Haus auch sehr eigene Wege beziehungsweise gelegentlich auch recht merkwürdige Fremdpaarungen ein. Schon durch die unterschiedlichen Uraufführungsdaten bedingt (Cavalleria: 1890, Pagliacci: 1892), dauerte es auch hierzulande einige Zeit, bis es zur ersten Aufführungsvereinigung kam. Entsprechend der früheren Entstehung machte Cavalleria rusticana auch im Haus am Ring am 20. März 1891 den Anfang – und nahm das Publikum im Sturm. Sogar den berühmt-berüchtigten Dauer-Beckmesser Eduard Hanslick. »In Italien kommen alljährlich 30 bis 40 neue Opern zur ersten Aufführung, im vorigen Jahr (1890) gab es deren sogar 54! Die meisten von ihnen rollen laut­los in ein Eckloch der Theaterstatistik, um nie wieder ans Licht zu kommen«, beginnt er seine ausführliche Rezension in der Neuen Freien Presse, um dann zum Lobgesang auf Mascagni und dessen bis heute berühmtestes Opus überzuleiten: »Aber mehr als eine Seltenheit, ein geradezu unerhörtes

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Ereignis ist es, dass der erste dramatische Versuch eines jungen Italieners nicht Plácido Dominals Canio und nur in ganz Italien als Meisterwerk gefeiert, sondern sofort auch auf den go Ileana Cotrubaş größten deutschen Bühnen in deutscher Sprache gegeben wird. Die Cavalleria als Nedda, rusticana von Mascagni ist in der Musikgeschichte das erste Beispiel eines so 1985 → raschen, fast augenblicklichen internationalen Erfolges. Wie lange mussten die berühmtesten italienischen Meister auf diese Ehre warten.« Freilich, Hanslick wäre nicht Hanslick gewesen, wenn er nicht vom »Jubel, der alle Besinnung verlor und in eine Art Messias-Anbetung ausschlug« zum Widerspruch gereizt, wenigstens einige kleine Spitzen gegen die neue Partitur (»Dass den Hörer manche Melodie entzückt, die an sich weder besonders neu noch vor­ nehm ist, kommt großteils auf Rechnung der wirksamen Instrumentation«) und vor allem gegen die ohnehin überarbeitete deutsche Übersetzung (»schleuderhafteste Marktware«) gesetzt hätte. Aber alles in allem gestand er ein, »dass ein so allgemeiner und spontaner Erfolg niemals ohne zureichenden Grund« zustande käme und prophezeit dem Werk eine große Zukunft. Und tatsächlich überschritt diese erste Produktion nach nicht einmal zwei Jahren bereits die Hundertermarke. Aber wie gesagt, vorerst in heute ungewohnter, fremder Begleitung: So gesellte man Ballette wie Der Spielmann, Wiener Walzer, Rococo, Die Puppenfee, Coppelia, Rouge et noir oder Harlequin, der Elektriker hinzu oder Opern wie Donizettis stark gekürzte Regimentstochter, Rossinis ebenso stark gekürzten Barbier, Cherubinis Wasserträger, Glucks Betrogener Kadi, mit L’amico Fritz sogar eine zweite Mascagni-Oper oder überhaupt h ­ eute unbekannte Eintagsfliegen, in der Hoffnung, dass die Strahlen der Cavalleria auch den mittelmäßigen Novitäten zu gewissem Glanz verhelfen. Am 19. November 1893, also etwas mehr als zwei Jahre später, kam auch Leoncavallos Pagliacci zu Hofopernehren. Durch italienische Gastspiele h ­ atte das Wiener Publikum allerdings schon zuvor, unter anderem am Theater an der Wien, Bekanntschaft mit dem Werk geschlossen und so war die Sensation nicht ganz so gewaltig wie bei der Cavalleria. Und auch Hanslicks Urteil fiel diesmal deutlich kühler aus. Er bosnigelte von »heißblütigem Talent«, aber »mangelnder Originalität« und begrüßte, dass die Wiederholung einzelne Arien dem ungeschriebenen Da-capo-Verbot der Hofoper zum Opfer fielen. Alles in allem mutierte aber auch Pagliacci sehr bald zum Publikumsmagneten, dem man die Ballette Robert und Bertrand bzw. Sylvia, die Nymphe der Diana beifügte, ehe schon bei der sechsten Vorstellung ein (eher zufälliges) erstmaliges Zusammentreffen mit der Cavalleria über die Bühne ging. Vorerst jedoch ohne besondere Nachwirkung. Im Gegenteil, auch Pagliacci musste noch Jahre lang weitere absurde und weniger absurde Kombinationen über sich ergehen lassen, die erst nach und nach und immer häufiger von der heute auch international üblichen Paarung unterbrochen wurden. (Wobei Paarung eigentlich das falsche Wort ist, da eine Zeit lang oft noch ein drittes Werk den jeweiligen Abend vervollständigte.) Doch ob gemeinsam oder getrennt, die jeweilige Erstaufführungsproduktion der zwei Stücke – die AusA N DR EAS LÁ NG

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stattung stammte in beiden Fällen von Anton Brioschi – überdauerte mit zahllosen Vorstellungen sowohl die Jahn’sche als auch die Mahler’sche Direktionszeit und bot wichtigen Publikumslieblingen ideale Entfaltungsmöglichkeit. (Dass Gustav Mahler zudem nicht in die Pagliacci-Partitur eingriff, ­dürfte Leoncavallo im Nachhinein besänftigt haben. Bei der Erstaufführung seiner Bohème-Version an der Hofoper war dies nämlich ganz und gar nicht der Fall gewesen und so hatte Leoncavallo damals auf einer Einladung zur Generalprobe infolge der zahlreichen Änderungen seinen eigenen Namen durchgestrichen und wutentbrannt jenen von Mahler hingeschrieben.) Um der Uraufführung von Albert Gorters Einakter Das süße Gift am 28. Oktober 1908 größeres Gewicht zu verleihen, setzte Direktor Weingartner am selben Abend auch eine euphemistisch als Neuinszenierung deklarierte Pagliacci-Aufführung an, die aber eher eine Verschlimmbesserung der vorhergehenden Regie darstellte. Heute würde man vermutlich korrekter Weise wohl eher von einer missglückten Wiederaufnahme sprechen, aber ein gutes Marketing ist offenbar keine Erfindung der letzten Jahre! Zumindest bot ­diese Pseudo-Premiere Julius Korngold die Möglichkeit zu dem seither gern zitierten Aperçu »Vor die Wahl zwischen Leoncavallo und Mascagni gestellt, möchten wir uns ohne Zögern für Puccini entscheiden«. Wie dem auch sei, dem Süßen Gift war keine lange Lebensdauer beschieden und Cavalleria rusticana nahm kurz darauf wieder ihren angestammten Platz neben Pagliacci ein. Am 21. März 1936 wiederholte sich Ähnliches: Um einen Richard TauberAuftritt als Canio noch wirksamer verkaufen zu können, wurde an diesem Abend eine weitere Pagliacci-Premiere vorgegaukelt (gemeinsam mit der Neueinstudierung einer ebenfalls schon bestehenden Produktion von Puccinis Gianni Schicchi). Doch auch diesmal dauerte die unübliche Liaison nur kurz und die Jahrzehnte alte Cavalleria-Inszenierung kam wieder zu Ehren. Erst am 12. Dezember 1945 kam es im Ausweichquartier im Volksoperngebäude zu einer echten Neuproduktion und – erstmals in der Aufführungsgeschichte der Staatsoper – zu einer gemeinsamen Premiere beider Werke: In Josef Witts Inszenierung und Walter von Hoesslins zwangsläufig sparsamen Bühnenbild konnten man in den nächsten zehn Jahren so ziemlich alles erleben, was damals Rang und Namen hatte. Dass beide Stücke so rasch nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder im Spielplan verankert waren, bezeugt einmal mehr deren Popularität! Unter großem Medienecho erfolgte dann am 8. März 1959 die erste gemeinsame Neuproduktion der beiden Opern in der wieder errichteten Staatsoper – der Karajan’schen Direktion gemäß natürlich in italienischer Sprache (wenn auch nach wie vor der Titel Der Bajazzo statt Pagliacci geführt wurde und unter Cavalleria rusticana sicherheitshalber in Klammer noch Sizilianische Bauernehre zu lesen war). Das Besondere an diesem Abend war, dass zwar beide Werke zu einer szenischen Neuinterpretation gelangten, aber jeweils A N DR EAS LÁ NG

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mit einem unterschiedlichen Leading-Team: Im Falle der Cavalleria waren dies Regisseur Wolf-Dieter Ludwig und Ausstatter Nicola Benois und für die Regie der Pagliacci zeichnete der im Haus am Ring vielbeschäftigte Paul Hager verantwortlich und für Bühnenbild und Kostüme der junge Jean-­Pierre Ponnelle. Mit der sich im Hintergrund auftürmenden Häuserfront hatte ­Ponnelle übrigens eine akustisch ideale sowie optisch äußerst überzeugende Bühnenlösung gefunden, die rückblickend gesehen die von ihm ein Vierteljahrhundert später entwickelte geniale Umsetzung in feinen Ansätzen schon erahnen lässt. Nach dem vorzeitige Abgang Lorin Maazels als Direktor der Wiener Staatsoper war so manches großangelegte Projekt musikalisch verwaist oder musste überhaupt abgewandelt werden. Doch an einer Neuproduktion von Cavalleria rusticana und Pagliacci hielt Maazels Vorgänger und Nachfolger Egon Seefehlner fest (die Premiere dirigierte statt Maazel allerdings der noch junge Adam Fischer). Hinsichtlich der szenischen Gestaltung hatte man diesmal vollständig auf eine Karte gesetzt: Jean-Pierre Ponnelle war bei beiden Werken Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner in Personalunion: Vor dem Hintergrund einer betont süditalienisch-sizilianischen, fast archaisch anmutenden Dorfarchitektur schuf er eine extrem detailfreudige in die 1930erJahre verlegte Inszenierung, die mittlerweile als Klassiker in die Aufführungsgeschichte eingegangen ist. Für die Premiere am 6. Juni 1985 hatten nebenbei bemerkt Hundertschaften von Opernfans wochenlang rund ums Haus kampiert, um eine der begehrten Stehplätze zu erhalten. Dementsprechend gefeiert wurden neben Ponnelle Elena Obraztsova als Santuzza, Luis Lima (der bedingt durch einen Unfall bei der Premiere mit einem Gipsarm sang) als Turiddu und vor allem Plácido Domingo als Canio und Ileana Cotrubaş als Nedda. Dass der damalige Staatschef Kenias offiziell als Gast des österreichischen Bundespräsidenten der Aufführung beiwohnte, verlieh diesem Abend einen zusätzlichen Sonderstatus. Der in den Kritiken immer wieder ­erwähnte Hinweis, dass der Rundhorizont faltig und ungebügelt wirkte, d ­ ürfte lediglich dem damaligen technischen Direktor eine schlaflose Nacht beschert haben. Dass die beiden Stücke im Laufe der Jahre selbst in dieser aufeinander abgestimmten Regie in seltenen Fällen auseinandergerissen und mit anderen Stücken und stilistisch gänzlich anders gearteten Bühnenbildlösungen kombiniert wurden, sei nur am Rande erwähnt. Dass die Produktion nach mehr als dreineinhalb Dezennien nichts an Zugkraft verloren hat (wenn auch ­Alfios lebendes Reittier und die Pantomime am Beginn von Pagliacci im Laufe mit der Zeit weggeblieben sind), sei hingegen besonders hervorgehoben.

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VON ECH T EN U N D FA LSCHEN PR EMIER EN


Szenenbild aus Alberto Lattuadas La Lupa nach Giovanni Verga, 1952


Giovanni Verga

CAVALLERIA RUSTICANA

Als Turiddu Macca, der Sohn der Frau Nunzia, von seinem Militärdienst heimgekehrt war, stolzierte er jeden Sonntag auf dem Marktplatz herum, bevor er sich auf die Bank bei dem Kanarienvogelkäfig setzte, in seiner schönen Bersaglieri-Uniform samt der roten Mütze, die einem Würfelbecher ähnelte. Die Mädchen verschlangen ihn mit den Augen, wenn sie mit gesenktem Kopf zur Messe gingen, und die Gassenbuben umschwärmten ihn wie Fliegen. Er hatte auch eine Pfeife mit einem lebensnahen Bildnis des Königs zu Pferde mitgebracht, und zündete die Streichhölzer auf der Rückseite seiner Hose an, dabei das Bein hebend, als wenn er einen Fußtritt austeilen wolle. Aber trotzdem hatte sich Meister Angelos Tochter Lola weder in der Messe noch auf dem Balkon blicken lassen, denn sie war inzwischen die Verlobte eines Mannes aus ­Licodia geworden, der Fuhrmann war und vier Maultiere aus Sortino im Stall hatte. Als Turiddu davon erfuhr, schwor er zuerst, er wolle – Heiliger Teufel! – sich die Eingeweide herausreißen, er wolle dem aus Licodia das Herz aus dem Leib reißen! Aber er tat nichts davon, sondern ­reagierte sich ab, indem er unter dem Fenster der Schönen alle wütenden Lieder sang, die er kannte. »Nunzias Turiddu scheint nichts zu tun zu haben«, sagten die Nachbarn, »wenn er die Nacht damit verbringt, wie ein einsamer Sperling zu singen.« Endlich begegnete er Lola, die von ihrer Wallfahrt zu der Madonna del Pericolo heimkehrte, und als sie ihn sah, wurde sie weder blass noch rot, beinahe so, als ob er sie nichts anginge. »Glücklich ist der, der dich sieht!« sagte er ihr. »Oh, Freund Turiddu, man hat mir erzählt, dass Ihr seit dem Monats­ ersten zurück wärt.« »Mir hat man auch noch andere Dinge erzählt«, antwortete er. »Ist es wahr, dass Ihr Freund Alfio, den Fuhrmann, heiraten werdet?« 59

GIOVA N N I V ERGA


»Wenn es Gottes Wille ist!« antwortete Lola und zog sich die beiden Zipfel ihres Kopftuches über das Kinn. »Den Willen Gottes, den macht Ihr Euch zurecht, wie es Euch in Eure Rechnung passt. So war es wohl auch Gottes Wille, dass ich aus der Fremde zurückkehren musste, um diese gute Nachricht zu erhalten, Lola?« Der Ärmste versuchte noch, tapfer zu bleiben, aber die Stimme war ihm heiser geworden. Und er ging hinter dem Mädchen her und schwang die Quaste seiner Mütze, so dass sie ihm von der linken auf die rechte Schulter schlug. Lola tat es leid, ihn mit so langem Gesicht zu sehen, aber sie hatte nicht das Herz, ihn mit schönen Worten zu schmeicheln. »Hört mal, Freund Turiddu«, sagte sie schließlich, »lasst mich zu meinen Freundinnen gehen. Was würden sie im Dorf sagen, wenn sie mich mit Euch zusammen sehen?« »Ihr habt recht«, antwortete Turiddu, »jetzt, wo Ihr Freund Alfio heiratet, der vier Maultiere im Stalle hat, dürft Ihr den Leuten keinen Grund für Gerede liefern. Meine Mutter hingegen, die Arme, hat unser braunes Maultier und das Stück Weinberg an der Straße verkaufen müssen, während ich Soldat war. Die Zeiten sind vorbei, und Ihr denkt nicht mehr an die Zeit, in der wir durch das Hoffenster miteinander sprachen und Ihr mir vor der Abreise dieses Taschentuch schenktet. Gott weiß, wie viel Tränen ich da hineingeweint habe, als ich soweit fortziehen musste, dass dort niemand mehr den Namen unseres Dorfes kannte. Adieu denn, Lola, es hat gewittert und wieder aufgeklart, unsere Freundschaft ist beendet.« Frau Lola heiratete den Fuhrmann, und sonntags stand sie auf dem ­Balkon und verschränkte die Hände über dem Bauch, damit man all die ­dicken goldenen Ringe sehen konnte, die sie von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte. Turiddu ging nach wie vor auf der Straße auf und ab, mit der Pfeife im Mund, den Händen in der Tasche und gleichgültiger Miene schaute er die Mädchen an; aber in seinem Inneren litt er darunter, dass Lolas Mann all das Gold hatte und dass sie vorgab, ihn nicht zu sehen, wenn er vorbeikam. »Ich will es unmittelbar vor den Augen dieser Schlampe tun!« murmelte er. Gerade gegenüber von Alfio wohnte Meister Cola, der Weinbergbesitzer, der schweinereich war, wie man sagte, und eine Tochter im Hause hatte. Turiddu sagte und tat einiges, bis er für Meister Cola arbeiten durfte, in dessen Haus ein- und ausging und süße Worte zu den Mädchen sagen konnte. »Warum sagt Ihr denn alle diese hübschen Dinge nicht lieber Frau Lola?« sagte Santa. »Frau Lola ist jetzt eine vornehme Dame! Sie hat einen König geheiratet.« »Ich bin wohl eines Königs nicht wert?« »Ihr seid hundertmal mehr wert als alle Lolas, und ich weiß einen, der die Lola nicht mit einem Auge mehr ansehen würde, wenn Ihr dabei wäret, denn Lola ist nicht wert, Eure Schuhe zu tragen, sie ist es nicht wert.« GIOVA N N I V ERGA

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»Der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hingen …« »… sagte: ›Wie bist du doch so schön, sizilianisches Träubchen!‹ »He! Weg mit den Händen, Freund Turiddu.« »Habt Ihr Angst, dass ich Euch aufesse?« »Ich habe weder vor Euch noch vor Eurem Gott Angst.« »So! Eure Mutter stammte aus Licodia, wie ich weiß! Ihr habt streitsüchtiges Blut! Oh, wie ich Euch mit den Augen verschlingen möchte!« »Verschlingt mich meinetwegen mit den Augen, wenn Ihr dabei keine Krümel macht, aber helft mir erstmal, dieses Bündel hochzuheben. « »Für Euch würde ich das ganze Haus hochheben, ja, das würde ich.« Um nicht rot zu werden, warf sie mit einem Stück Holz nach ihm, das sie unter dem Arm hatte, aber wie durch ein Wunder traf sie ihn nicht. »Beeilen wie uns, durchs Plaudern werden die Zweige nicht zusammengebunden.« »Wenn ich reich wäre, würde ich mir eine Frau suchen, wie Ihr es seid, Frau Santa.« »Ich heirate keinen König wie Gevatterin Lola, aber meine Mitgift habe ich auch, wenn mir der Herr jemanden schickt.« »Das wissen wir, dass Ihr reich seid, das wissen wir.« »Wenn Ihr das wisst, dann beeilt Euch, denn der Vati muss gleich kommen und soll mich nicht im Hof finden.« Vati zog ein Gesicht, aber das Mädchen tat, als ob sie es nicht bemerke, denn die Quaste der Bersaglieri-Mütze hatte ihr Herz gekitzelt und tanzte ihr beständig vor den Augen. Wenn der Vati Turiddu die Tür vor der Nase zuschlug, öffnete die Tochter ihm das Fenster und schwatzte den ganzen Abend mit ihm, sodass die ganze Nachbarschaft von nichts anderem mehr sprach. »Du machst mich noch verrückt«, sagte Turiddu, »ich verliere den Schlaf und den Appetit.« »Geschwätz.« »Ich möchte der Sohn Vittorio Emanueles sein, um dich heiraten zu ­können.« »Geschwätz.« »Ich schwöre bei der Madonna, dass ich dich essen möchte wie Brot.« »Geschwätz.« »Ah! Auf meine Ehre!« »Ah! Mamma mia!« Lola, die jeden Abend von ihrem Fenster aus hinter ihren Basilikum­töpfen versteckt zuhörte, wurde blass und rot, und eines Tages rief sie Turiddu. »Und, Freund Turiddu, grüßt Ihr die alten Freunde nicht mehr?« »Ach«, seufzte der junge Mann, »glücklich der, der Euch begrüßen darf!« »Wenn Ihr die Absicht habt, mich zu grüßen – Ihr wisst ja, wo ich ­wohne«, antwortete Lola. 61

CAVA LLER I A RUST ICA NA


Turiddu kam so oft, um sie zu grüßen, dass Santa es bemerkte und ihm Agnes Baltsa Santuzza und das Fenster vor der Nase zuschlug. Die Nachbarn zeigten mit einem Lächeln als Luis Lima als oder einer Kopfbewegung auf den Besagliere, wenn er vorbeiging. Lolas Turiddu, 1991 → Mann war mit seinen Maultieren auf den Märkten unterwegs. »Sonntag will ich beichten gehen, denn ich habe heute Nacht von schwarzen Trauben geträumt«, sagte Lola. »Lasst es lieber, lasst es!« flehte Turiddu. »Nein, jetzt wo Ostern naht, würde mein Mann wissen wollen, warum ich nicht zur Beichte gegangen bin.« »Ah!« murmelte Meister Colas Tochter Santa, die kniend vorm Beichtstuhl wartete, bis sie an die Reihe kam, während Lola sich von ihren Sünden reinwusch. »Bei meiner Seele, ich möchte dich nicht zur Buße nach Rom schicken.« Freund Alfio kehrte mit seinen Maultieren zurück und brachte seiner Frau ein neues Kleid für das Fest mit. »Ihr habt Recht, ihr Geschenke zu geben«, sagte Nachbarin Santa zu ihm, »denn wenn ihr fort seid, schmückt eure Frau das Haus.« Freund Alfio gehörte zu jenen Fuhrleuten, die die Mütze auf den Ohren tragen, und als er hörte, dass so von seiner Frau gesprochen wurde, wechselte er die Farbe, als wäre er erstochen worden. »Heiliger Teufel!« rief er aus, »wenn es nicht richtig gesehen habt, werde ich Euch und Eurer ganzen Verwandtschaft keine Augen zum Weinen übrig lassen!« »Ich bin nicht gewohnt zu weinen!« antwortete Santa. »Ich habe nicht einmal geweint, als ich mit diesen meinen Augen sah, wie Frau Nunzias Turiddu nachts in das Haus zu Eurer Frau ging.« »Gut«, antwortete Freund Alfio, »vielen Dank.« Seit der Kater heimgekehrt war, ging Turiddu nicht mehr tagsüber in der kleinen Straße herum, und bekämpfte die Langeweile mit Freunden im Wirtshaus; und am Vorabend von Ostern hatten sie einen Teller Wurst vor sich. Als Freund Alfio eintrat, verstand Turiddu gleich an der Art, wie er ihn ansah, weswegen er gekommen war, und legte die Gabel auf den Teller. »Habt Ihr Befehle für mich, Freund Alfio?« sagte er. »Keine Bitte, Freund Turiddu, ich habe Euch eine Weile nicht gesehen und wollte mit Euch über die Sache sprechen, die Euch bekannt ist.« Turiddu bot ihm erst ein Glas an, aber Freund Alfio schob es beiseite. Dann stand Turiddu auf und sagte: »Ich bin hier, Freund Alfio.« Der Fuhrmann warf die Arme um seinen Hals. »Wenn Ihr morgen früh zu den Kaktusfeigen von Canziria kommen wollt, können wir über die Angelegenheit sprechen, Freund.« »Erwartet mich bei Sonnenaufgang auf der großen Straße, wir gehen dann gemeinsam hin.« GIOVA N N I V ERGA

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Bei diesen Worten tauschten sie den Kuss der Herausforderung aus. ­Turiddu drückte die Zähne ins Ohr des Fuhrmanns und gab dadurch das Versprechen, nicht ausbleiben zu wollen. Die Freunde ließen ganz still die Wurst stehen und begleiteten Turridu bis nach Hause. Frau Nunzia, die Arme, wartete jeden Abend bis spät in die Nacht auf ihn. »Mamma«, sagte Turiddu, »wisst Ihr noch, wie ich Soldat wurde und Ihr nicht glaubtet, dass ich zurückkommen würde? Gebt mir einen Kuss wie damals, denn morgen werde ich weit weggehen.« Vor Tagesanbruch holte er sein Taschenmesser hervor, das er seit seiner Einberufung unter dem Heu versteckt hatte, und machte sich auf den Weg zu den Kaktusfeigen von Canziria. »O Jesus Maria! Wohin geht Ihr so wütend?« weinte Lola erschreckt, als ihr Mann gehen wollte. »Ich gehe nicht weit«, antwortete Freund Alfio, »aber für Euch wäre es besser, wenn ich nicht wiederkäme.« 63

CAVA LLER I A RUST ICA NA


Lola kniete im Nachthemd vor dem Fußende des Bettes, drückte den ­ osenkranz an die Lippen, den Bruder Bernhardino ihr aus dem Heiligen R Land mitgebracht hatte, und rezitierte so viele Ave-Marias, wie sie konnte. »Freund Alfio«, begann Turiddu, nachdem er ein Stück des Weges neben seinem Begleiter hergegangen war, der stumm blieb und die Mütze über die Augen gezogen hatte. »So wahr Gott lebt: weiß ich, wie sehr ich im Unrecht bin und mich töten lassen müsste. Aber ehe ich hierher kam, habe ich meine Alte gesehen, die aufgestanden ist, um mich weggehen zu sehen, unter dem Vorwand, die Hühner zu versorgen, als ob das Herz zu ihr gesprochen hätte. So wahr Gott lebt: Ich werde Euch töten wie einen Hund, damit ich meine liebe Alte nicht zum Weinen bringe.« »So ist es gut«, antwortete Freund Alfio, als er seine Weste auszog, »wir werden beide hart zuschlagen.« Beide waren gute Kämpfer. Turiddu bekam den ersten Schlag ab und fing ihn noch rechtzeitig mit den Armen ab; als er zurückstieß, traf er gut und zielte auf die Leiste. »Ah! Freund Turiddu! Ihr wollt mich wirklich umbringen!« »Ja, ich habe es Euch ja gesagt; seit ich meine Alte im Hühnerstall gesehen habe, habe ich ihr Bild immer vor Augen.« »Macht die Augen weit auf«, schrie ihm Freund Alfio zu, »jetzt gebe ich Euch das gleiche Maß zurück!« Als er zusammengekauert in Deckung dastand, die rechte Hand auf der Wunde, die ihn schmerzte, beinahe mit dem Ellenbogen über den Boden schleifend, griff er schnell eine Hand voll Staub und warf sie dem Gegner in die Augen. »Ah!« heulte Turiddu geblendet. »Ich bin tot …« Er versuchte, sich mit verzweifelten Sprüngen rückwärts zu retten, aber Freund Alfio traf ihn mit einem weiteren Messerstich in den Bauch und einem dritten in die Kehle. »Und drei! Der ist für das Haus, dass du mir geschmückt hast. Jetzt wird deine Mutter die Hühner sein lassen.« Turiddu fuchtelte noch hier und da in den Kaktusfeigen herum und fiel dann um wie ein Felsbrocken. Das Blut sprudelte gurgelnd aus seinem Hals und er konnte nicht einmal mehr sagen: »Oh, Mamma mia!«

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Pietro Mascagni, 1890, vor der Uraufführung

Alles, was ich sagen kann, ist, dass die Sänger große Hingabe zeigen, und dass die Musiker vollkommen verrückt sind nach meiner Oper. Alles lässt mich an einen Sieg glauben, aber ich habe so große Angst … 65

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Oliver Láng

DIE KLEINEN KATASTROPHEN DES HERRN GIOVANNI V. »Die einfache menschliche Geschichte wird uns immer zum Nachdenken bringen: Sie wird immer die Wirksamkeit haben, echte Tränen, Fieber und Empfindungen zu bieten, die durch das Fleisch gegangen sind«. So schrieb Giovanni Verga im Jahr 1880 an seinen Freund Salvatore Farina, in einem Brief, der als geheimes Programm des literarischen Verismo in die ­Geschichte eingehen sollte. Und: »Sie werden es aufrichtig begrüßen, sich mit den nackten, unverfälschten Tatsachen konfrontiert zu sehen, ohne sie zwischen den Zeilen eines Buches, also durch die Brille des Schriftstellers lesen zu müssen«. Was Verga hier in zwei Sätzen umreißt, ist die radikale, wenn auch nicht radikal gemeinte, Abkehr von einer poetisch-kolorierenden, einer ausschmückenden und künstlerisch filternden Literatur und gleichzeitig die Hinwendung zu einer dokumentierenden, in der der Autor (nur mehr) Berichterstatter sein will. Auf den Feldwegen, so sagt Verga, habe er seine Geschichten eingesammelt, was er beschreibe, sei also die Wahrheit, die Realität: vor allem aber die Realität des sogenannten kleinen Mannes. Die genannten Feldwege geben hier nicht nur Auskunft über die Örtlichkeit der Stoffe, die zumeist dem (Land-)Arbeiter-Milieu entstammen, sondern auch über deren Alltäglichkeit: Was man liest, ist eben nicht den Staatsgeschäften abgelauscht, sondern den zahllosen unauffälligen Wegen der Provinz. Und wenn der Naturalist Emile Zola zehn Jahre zuvor in seinem Vorwort zum Skandalroman Thérèse Raquin schreibt, ihn hätten die Temperamente und nicht die Charaktere seiner Figuren interessiert, so vollzieht Verga diesen OLI V ER LÁ NG

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Schritt der Entpersönlichung nicht: Die neue den Menschen erforschende, psychologisch-analytische »Wissenschaftlichkeit« der Literatur, die sein französischer Kollege propagiert, die ist Verga weitgehend fremd. Durchleuchtet Zola Figuren, »die unumschränkt von ihren Nerven und ihrem Blut beherrscht werden, ohne freien Willen sind und zu jeder Handlung in ihrem Leben hingerissen werden durch das Verhängnis ihres Fleisches«, so ist es bei Verga stärker das Korsett der sozialen Herkunft, das zum beherrschenden Motiv wird. Dieses wird aufgezeigt, aber nicht lautstark gewertet oder kommentiert: kein Klassenkampf, sondern Tatsachenbericht, trocken gebracht. Und auch wenn es das kleine, persönliche Schicksal ist, auf das Verga fokussiert, ist es weniger das höchstpersönliche Individuum als ein Typus, der zum Darsteller wird. Haben die Figuren auch ihre Geschichte, so sind sie dennoch weitgehend austauschbar. Alltäglich eben. Die Hinwendung zum realistischen Erzählbericht war Verga nicht in die Wiege gelegt. 1840 wurde er in eine kleinadelig-großbürgerliche, jedenfalls aber wohlhabende Familie in Catania geboren, sein Weg wäre jener des Juristen gewesen. Das entsprechende Studium brach er allerdings nach ersten literarischen Erfolgen ab, wenn diese auch noch einem gänzlich anderem als dem späteren verististen Stil geschuldet waren. Verga versucht sich zunächst ausführlich an romantisierenden, milieuschildernden Stoffen, entwirft herzzerreißende Liebesgeschichten, die das Leiden und mitunter den Untergang der Heldinnen und Helden schildern, zuweilen blitzt Autobiografisches durch: nicht umsonst wählt er im Roman Eva etwa die Ich-Form des Erzählers. Ins Tragische weisende Liebeshandlungen, Schwindsucht, materielle Not, das Leben in Künstlerkreisen, Geisteskrankheit, Selbstmord, Tänzerinnen, Studenten und Maler bestimmen seine ersten Romane. Erst mit der Novelle Nedda schlägt er einen anderen Ton an: zwar geht es auch hier um Leid, Liebe, Tod, doch erlebt man nun ein neues Genre. Die junge Nedda, aus tiefster Armut kommend, erlebt Ungerechtigkeit und das Sterben ihrer Mutter, ist unscheinbar, die schwere, schlecht bezahlte körperliche Arbeit bestimmt alle ihre Lebenszustände: »Ihre durch enorme Lasten gedrückten oder von mühsamen Kraftanstrengungen überentwickelten Glieder waren plump geworden, ohne kräftig zu sein«, schildert Verga die Protagonistin. Kümmert sie sich auch um ihre Mutter, so zwingt sie die Not, ans Überleben zu denken – und sogleich erntet sie das Missfallen der sie umgebenden, hartherzigen Umgebung; ihre kleine Liebesgeschichte endet tragisch, die Gesellschaft verstößt die Schwangere, ihr Kind stirbt an Unterernährung. Dass die Natur, ein zentrales Element der Verga’schen Geschichten, berauschend schön wie auch schicksalshaft unbezwingbar ist, verstärkt das Bewusstsein des Ausgeliefertseins des Menschen; dass Verga die Naturzustände mit wirtschaftlichen Nöten verbindet, indem ein anhaltender Regen die Erwerbstätigkeit der Erntehelfer einschränkt, ist ein dramaturgischer Kniff, der zu einer unterschwelligen Verdichtung der Ausweglosigkeit führt. 67

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Verga berichtet all das sachlich, lässt seine Figuren nicht gegen soziale Umstände anfechten, doch liest sich die Novelle nicht so unpolitisch, wie mitunter behauptet. Denn gerade durch den mitunter lakonischen Stil, in dem die Welt, wie sie nun einmal ist, gezeigt wird und die Menschen, wie sie sich nun einmal verhalten, vorgeführt werden, verweist Verga auf das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit. Die Schilderung des Leides wird durch die Geradlinigkeit der Sprache vor Rührseligkeit bewahrt, die faktische, knappe, fast unpersönliche Beschreibung schafft einen genauen Weltbefund. Verga wertet nicht als Erzähler, er schafft aber Tatsachen, die nur eine Wertung zulassen. Die Frage nach den Gründen muss nicht angesprochen werden: sie sind offenbar. »Das Aufzeigen des dunklen Bandes zwischen Ursache und Wirkung wird der Kunst der Zukunft gewiss nützlich sein«, befindet der Autor brieflich. Dass sich seine Figuren den Lebensumständen fügen, macht diese fast noch drastischer; dort jedoch, wo sie sich, wie in der Novelle Frei­ heit, tatsächlich auflehnen, schildert Verga nicht die Gründe der blutigen Revolte, sondern das entmenschlichte Gemetzel auf beiden Seiten. Die Ursache, die liegt auf der Hand. Der brutale, blutige Rausch der Revolution und das nachfolgende Sich-Einfügen in die alten Gesetzmäßigkeiten schaffen eine fatalistische Grundstimmung, die bitterer noch wirkt als jedes groß inszenierte Revolutionsdrama. Dass die ungemeine materielle Not die Ursache, die unüberwindbare Ursache des persönlichen Leides ist, daran besteht in seinen Sizilianischen Erzählungen kein Zweifel. Es ist der wirtschaftliche Mangel, die die Familien auseinanderbringt, der den Menschen entmutigt, die Personen aus ihrer Heimat vertreibt. Es ist – auch jenseits der harten Not – aber oftmals das Geld an sich, das Handlungen bestimmt: Aus finanziellen Interessen wählt Lola in der kurzen Novelle Cavalleria rusticana Alfio. Im Roman La Malavoglia wiederum löst der riskante Versuch, ans dringend benötigte Geld zu kommen, eine anhaltende Folge an Unglücksfällen aus: Von nun an geht es mit der Familie Malavoglia zweihundert Seiten lang bergab. Die Armut beschreibt Verga dokumentarisch, verweist schmucklos auf zahlreiche, situationsbeschreibende Details, so etwa in der Novelle Der Herr Lehrer, in der die Morgenroutine eines tragisch-armseligen Dorfpädagogen geschildert wird: »Mit der Linken nahm er den Kaffeekocher vom kleinen Ofen, der gleichzeitig als Herd diente, dann die Tasse ohne Henkel vom Wandbrett über dem Ofen, wusch diese in einer zersprungenen Schüssel aus, die zwischen zwei Steinen baumelte, und trug endlich das Licht in einen durch einen alten Vorhang abgetrennten kleinen Raum.« Kleiner Ofen, T ­ asse ohne Henkel, zersprungene Schüssel, alter Vorhang, kleiner Raum: gleich fünf Hinweise auf die Armut in einem einzigen Satz, der von einem ähnlichen gefolgt wird. Verga braucht hier keinen grimmig-gierigen Gutsherren zur ausbeuterischen Schandtaten zu nötigen: Die Geschichte erzählt sich auch so. OLI V ER LÁ NG

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Gleichzeitig führt er auch die moralische Schwäche des Menschen vor: Ehebruch ist ein erstaunlich häufiger Topos in seinen Geschichten, wobei die Schuld gleichmäßig verteilt wird. Hier ist der Mensch gleich, ob arm oder reich, ob Mann oder Frau. Ob es nun der wohlhabende Alfonso ist, der eine Affäre mit der Frau seines armen Jugendfreundes Jeli hat (und diese mit dem Leben bezahlt) oder der Küchenjunge Brasi, der aus reiner Geldgier seine Verlobte in eine Affäre mit dem reichen Hausherren treibt: die Verwerflichkeit ihres Handelns ist vergleichbar. Diese ironisch auszugleichen versucht Verga in der Geschichte des eifrigen Nanni Volpe, der dem Ehebruch seiner Frau auf die Spur kommt und sich mittels eines Testamentschwindels rächt. Das ist das einzige Moment eines spitzbübischen Humors, das in den Siziliani­ schen Erzählungen zu finden ist; zu mehr als einer trocken-beschreibende Ironie reicht es an anderer Stelle nie. Verga schrieb seine sizilianischen Geschichten aus der Erinnerung, teils fern der Heimat, und betrieb keine expliziten Fallstudien: gerade das kommt ihrem allgemein-dokumentarischen Charakter entgegen. Die – männlichen und weiblichen – Bauern, Arbeiter, Wirte und Fischer samt Familien wirken so allgemeingültiger, wenn sie auch genau beschrieben und benannt werden. Sie sind einzelne Schicksale, aber keine Einzelschicksale und beschreiben das Fehlen des gerechten Glücks der großen Mehrheit; weder Helden noch Anti-Helden, sondern Besiegte des Schicksals – war doch Die Besiegten der Übertitel eines, wenn auch nicht abgeschlossenen, Romanzyklus’ von Verga. Besiegte, deren Unglück die Weltgeschichte zwar nicht ins Wanken bringt, deren Leben aber von »weniger dramatischen, aber nicht minder schicksalsmäßig wirkenden Katastrophen« heimgesucht wird.

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Pietro Mascagni

ERWARTUNGEN, VON DER REALITÄT ÜBERTROFFEN

Aus den Erinnerungen des Komponisten


An einem Juli-Abend des Jahres 1888 blieb ich länger als sonst in der Philharmonie. Schließlich verließ ich das Haus für meinen gewohnten Spaziergang und ging zu meinem Barbier, der auch Zeitungen verkaufte. Das Blatt, das ich bevorzugte, war Corriere della Sera, aber aus irgendeinem Grund, an den ich mich nicht mehr erinnere, war es diesmal nicht erhältlich. »Heute Abend musst du dich mit dem Secolo zufriedengeben«, meinte mein ZeitungsBarbier – und mit dieser Zeitung in der Tasche ging ich nach Hause. Daheim angekommen schlug ich das Blatt auf: »Gütiger Himmel!«, entkam es mir. »Vielleicht hat sich das Schicksal diesmal entschlossen, uns zu helfen! Das Teatro Illustrato hat einen Wettbewerb für eine einaktige Oper ausgeschrieben und ich möchte mitmachen! Ich habe das Thema, Cavalleria rusticana, ich habe sogar Vergas Erlaubnis, den Stoff in Musik zu setzen.«

* Im Jänner 1888 war ich in Neapel, um Puccini zu treffen, der Le Villi am Teatro San Carlo gab. Er meinte: »Denkst du immer noch an Ratcliff? [ein Opernprojekt Mascagnis, das er erst später abschloss] Hör mir zu: Das kann nie deine erste Oper werden; versuch dir zuerst ein bisschen einen Namen zu machen und opfere einen Teil deiner Ideale. Und später kannst du dich dann durchsetzen.« Folglich hatte der Gedanke, statt Ratcliff eine andere Oper zu schreiben, in mir Wurzeln geschlagen; aber ich wartete noch auf eine günstige Gelegenheit. Nun war sie da: der Wettbewerb von Sonzogno. Ich machte mich auf die Suche nach einem guten Librettisten, doch fand ich keinen; wobei: Ich fand so viele ich wollte, aber sie alle fragten nach Geld. Das hatte ich nicht und konnte es also nicht anbieten.

* Da fuhr ich nach Livorno, um meinen Freund Giovanni Targioni-Tozzetti zu treffen, einen früheren Schulkollegen. Zu dieser Zeit wurde in Bologna am Teatro Comunale Tristan und Isolde unter Giuseppe Martucci gegeben. Also machte ich einen Zwischenstopp in Bologna, um die Aufführung, die mich sehr beeindruckte, zu erleben. Sobald ich in Livorno ankam traf ich Targioni: »Kannst du mir ein L ­ ibretto schreiben?« »Aber ich habe ja noch nie eines geschrieben!« »Was macht das schon? Du bist ein Dichter und ich werde dir das Thema geben: Cavalleria rusticana!« »Ah! Das wurde in Livorno gegeben. Ein großer Erfolg. Wunderbare Idee!« 71

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»Ich sag’s dir gleich dass ich gerne sehr nahe am Original bleiben möchte … aber ich würde gerne ein paar lyrische Passagen hinzufügen, um ein bisschen Musik schreiben zu können, da das Drama alleingenommen keine Musik zulässt, einen Eingangschor, ein Trinklied anlässlich des Ostertages etc. Die anderen lyrischen Stellen kommen ganz von selbst, zum Beispiel, wenn der Tenor abgeht, um zu sterben, da kann man die Worte, die Verga verwendet hat, etwas erweitern …«

* Ich wartete vergeblich auf das Libretto und schrieb oft an Targioni, um ihn zu erinnern. Während ich wartete, dachte ich mehr an das Finale als an etwas anderes. Ich hörte dieses »Hanno ammazzato compare Turiddu« in meinen Ohren, aber ich fand keine Phrase und abschließende orchestrale Harmonien, die einen starken Effekt machen würden. Doch dann passierte es, dass mir das Finale plötzlich einfiel, wie ein Blitz, eines Morgens auf der Hauptstraße von Canosa während ich unterwegs war, um eine Stunde zu geben. So begann ich meine Oper mit dem Ende. Und dann kamen, auf Postkarten, die sehnlich erwarteten Verse an. Ich hatte kaum noch 50 Tage. Also! Als ich die Verse des Eröffnungschores bekam (an die Siciliana im Vorspiel dachte ich erst später), sagte ich zufrieden zu meiner Frau: »Heute müssen wir eine große Ausgabe machen.« »Und zwar?« »Einen Wecker.« »Wofür?« »Um morgen ganz früh mit der Kompositionen von Cavalleria rusticana zu beginnen.« Ich stellte den Wecker bevor ich zu Bett ging, aber ich brauchte ihn diesmal nicht, da in der Nacht (es war der 3. Februar 1889), genau um drei Uhr, die zweite Mimì geboren wurde, mein kleiner Engel, das erste meiner Kinder. Nichtsdestotrotz blieb ich beim Versprechen, das ich mir gegeben hatte und begann am Morgen den Eröffnungschor der Cavalleria zu schreiben. Ich erhielt die Verse Stück für Stück, aber ich hatte die Situationen immer schon in meinem Kopf. Ich hatte mich so stark mit dem Drama identifiziert, dass ich es als Musik in mir spürte. Ich mochte die Verse und begann sie sofort zu vertonen; ohne Klavier, da ich damals keines hatte. Aber wenn ich Klavierstunden bei meinen Schülerinnen gab und auf die jungen Damen warten musste, probierte ich aus, was ich erdacht hatte. Aber ich fand etwas im Libretto, das ich nicht mochte: ein stornello [ein improvisiertes Lied]. »Aber stornelli sind toskanisch, nicht sizilianisch!« Später fand ich den Grund für das stornello heraus: Turiddu war Soldat auf dem Kontinent, nicht auf der Insel. Zurück in Sizilien gab er vor allen Frauen an, PIET RO M ASCAGN I

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eine Virginia rauchend und sich für etwas Besseres haltend, weil er in Mailand gewesen war. Daher war es auch möglich, dass er seiner Geliebten Lola dieses toskanische stornello beigebracht hatte.

* Schließlich kam der Tag der Uraufführung, der 17. Mai. Wer nicht im Teatro Costanzi gewesen ist, kann sich nicht vorstellen, was damals stattgefunden hat – ein unvergesslicher Abend im Leben eines Künstlers! Hier versagt mein Gedächtnis. Jede Erinnerung wird durch die Gefühle verwischt, die mich die ganze Aufführung lang nicht verließen. Ein paar verhangene Momente: Königin Margherita, diese besondere Seele, in ihrer Proszeniumsloge; Maestro Leopoldo Mugnone [der Dirigent der Uraufführung], dieses große antreibende Herz dieser wundersamen Aufführung; die angesehenen Musiker, die Cavalleria bewertet hatten; der donnernde Applaus beim Erklingen der Orgel im Intermezzo, diese Orgel, deren mächtiger Klang der wahre Grund für den großen Erfolg war. Sgambati sagte zu mir: »Die Königin wird erwartet. Das Vorspiel muss wiederholt werden, da wir unterbrechen müssen, wenn sie kommt« (zu dieser Zeit wurden Vorstellungen unterbrochen, sobald der König oder die Königin ankamen). Und so war es auch. Der arme Roberto Stagno [der Turiddu der Premiere] musste seine Siciliana unterbrechen und Mugnone musste noch einmal von ganz vorne anfangen. Ich erlebte meine Musik wie ich sie gehört hatte, als die Gottheit sie mir diktiert hatte, ohne zu wissen, ob ich noch am Leben war oder ob ich in einem Traum lebte, der jenen Traum realisierte, in dem die Musik aus meiner Seele kam – denn die Vorstellung, die ich hörte, war exakt der Ausdruck meiner Gefühle. Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich die ganze Aufführung lang meine Hände auf meinen Kopf und mein Herz presste, aus Angst, sie könnten verloren gehen und auf meinen Lippen hatte ich ohne Unterbrechung ein Gebet zum Allmächtigen, mich nicht wahnsinnig werden zu lassen. Niemand hätte einen solchen Erfolg erwartet. Das Publikum war wie verrückt. Alle meine Hoffnungen, alle meine Erwartungen wurden von der Realität übertroffen. Ich wurde sechzigmal vor den Vorhang gerufen. Als ich mich im Rampenlicht vor dem frenetischen Publikum zeigte, glaubte ich zu träumen. Ich kam und ging wie ein Automat; auf einmal löste sich der Knoten in meiner Kehle und ich begann wie ein Kind zu weinen. Ich fühlte all die Freude, dass ich nun meiner Frau, meinen Kindern und meinem Vater ein komfortables Leben bieten konnte … ich sah alles in einem neuen Licht … an all das dachte ich, während das Publikum applaudierte … applaudierte …

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Klaus Adam

VERSCHOLLENE VERWANDTE

Von anderen Santuzzen und Turiddus


»Der Berg, der von Speck ist« und »Dr. phil. Falstaff«, der nach 20 und mehr Semestern in der hohen Schule der Lebenskunst promoviert hat: Nicolais und Verdis Porträt des dicken Ritters – das Publikum liebt sie beide. Die Gunst für »Kleopatra im Reifrock« schwankt zwischen einer Manon mit »Puderquaste und Menuett« (Massenet) und dem Wesen aus »Leidenschaft und Verzweiflung« aus der Reihe der Frauengestalten Puccinis, die nicht klug, nur viel zu gut zu lieben wissen; zeitbewusste Opernkenner reichen Henzes Manon-Version in Boulevard Solitude das Reis. Man muss von Kontinent zu Kontinent hetzen, um außer Verdis auch Rossinis Otello zu hören; bescheidenere Reisen genügen, um dem berühmten Amante des Abendlandes, ­Romeo, als Hosenrolle von Bellinis Gnaden und als Gounods Jeune homme amoureux zu begegnen … Musikträchtig-bildhafte Geschehnisse haben Komponisten verschiedenster Länder und Zeiten immer wieder zur musikalischen Gestaltung inspiriert. Doch seltsam: Wenn auf der Schauspielbühne die Elektras von Sophokles bis Giraudoux friedlich nebeneinander morden, lässt auf der Opernbühne eine gültige Vertonung eines Stoffes meist anderen Ver­ suchen kaum eine Chance. Cavalleria rusticana, Mascagnis Meisterwerk, war nicht die erste und auch nicht die letzte Vertonung von Giovanni Vergas blutrünstigem PrimadonnenVehikel für Eleonora Duse. Stanislao Gastaldons Mala Pasqua wurde in Roms Teatro Costanzi am 9. April 1890 uraufgeführt, fünf Wochen bevor sich im gleichen Theater der Vorhang für Cavalleria rusticana hob. Pietro Mascagni war damals ein Klavierlehrer und Kleinstadtdirigent in Cerignola/Apulien, 26 Jahre alt, Verlegern und Theaterdirektoren unrühmlich bekannt durch einige abgelehnte Opern von schauerromantischem Gepräge. Der 29jährige Gastaldon aber war bereits ein etablierter Meister, seine Romanze Musica proibita hatte sich bei allen Sangesfreudigen der Apenninhalbinsel eingeschmeichelt. Mascagni und Gastaldon scheinen, ähnlich wie wenig später Puccini und Leoncavallo bei La Bohème, lange Zeit nicht gewusst zu haben, dass sie ein und denselben Stoff vertonten. Das Rencontre erhielt zusätzliche Würze, gewann doch Mascagni den ersten Preis beim Wettbewerb seines Verlegers Sonzogno, dessen Intimfeind Ricordi Gastaldons Partitur des Dreiakters edierte. Aparterweise war es wohl Ricordi, der das Teatro Costanzi bewog, Mala Pasqua nur einen Monat vor Cavalleria rusticana herauszubringen: Ricordi hoffte wohl, Santuzzas Fluch werde gleich auch noch Mascagnis Turiddu dahinraffen. Mala Pasqua wurde lauwarm aufgenommen, Cavalleria rusticana bedachten 60 Vorhänge – falls Mascagni in Autoreneuphorie richtig gezählt und nicht das Glücksdatum 17. Mai 1890 wenigstens partim dazuaddiert hat. Mala Pasqua bereicherte schon zu Pfingsten den Opernfriedhof. Der Erfolg Mascagnis und bald darauf Leoncavallos – Romulus und Remus des Verismo – löste eine Flutwelle lärmender naturalistischer Opern aus, die handlungsmäßig gern das gleichschenklige Liebesdreieck der Cavalleria rusticana 75

K LAUS A DA M


assoziierten, zuweilen sogar Namen entlehnten: Arrigo Coronaros Turiddu handelt allerdings, seinem suggestiven Namen zum Trotz, von einem missbrauchten Kind unter kalabresischen Akrobaten, einer Art traurigem Cherubino, gesungen von einem Mezzosopran. Begnügten sich die meisten Zeitgenossen mit einer Nachäffung von Mascagnis Erfolgsschlager, so war Domenico Monleone so tollkühn, 1902 wortwörtlich Mascagnis Libretto neu mit Noten zu versehen: Er bewarb sich mit seinem Machwerk beim Sonzogno-Concours, bei dem Mascagni 13 Jahre zuvor den ersten Preis gewonnen hatte. Nach der Uraufführung in Amsterdam biss Alfio seinem Nebenbuhler auf mehreren Bühnen Europas ins Ohr, im Juli 1907 wagte Turin die Erstaufführung auf italienischem Boden. Die Reaktion des Publikums war kühl, die Mascagnis heiß. Er vergaß ganz, dass er sich einst unbefangen über eine Kantate An die Freude hergemacht hatte, ohne sich von Beethoven einschüchtern zu lassen, strengte einen Prozess gegen Monleone wegen Verletzung des Urheberrechts an, gewann ihn auch, worauf Monleone seinem Werk einen neuen Text unterlegen ließ, mit dem es dann als La Giostra dei Falchi im Februar 1914 endgültig durchfiel. Die kurioseste Verwandte der Cavalleria rusticana war wohl Oreste Bimbonis Santuzza; vielleicht schwebte dem Palermitaner eine Art »Epilog« vor, ähnlich Der Zauberflöte Zweiter Teil von Goethe. Als Signor Bimboni als ­Direktor des Politeama Garibaldi 1895 Mascagnis Werk in Palermo herausbrachte, benötigte er nach der Pause einen weiteren Einakter (Pagliacci war damals noch nicht zum ständigen Begleiter avanciert) und komponierte flugs schlichten Gemüts eine Fortsetzung. Santuzza hebt mit einem Trauermarsch der von der Beerdigung Turiddus heimkehrenden Bauern an. Unsere zerknirschte Heroine teilt in einer Arie mit, wie sehr sie hin- und hergerissen ist zwischen Selbstmitleid und Wut. Nach trauervollem Gebet ist es höchste Zeit, dass ein Prozession ausbricht, diese unentbehrliche Prunkstück des Verismo. Die reuige Sünderin erkennt, dass sie selbst es war, die durch ihre Tratscherei gegenüber Alfio ihrem untreuen Liebsten zum vorzeitigen Ende verhalf – und ersticht sich. Das Orchester intoniert den Einleitungsmarsch als Finale. Was wohl Mascagni über Bimboni dachte? Über Mala Pasqua hatte er sich geärgert, gegen Monleone sollte er prozessieren; bei Santuzza schwieg er wie ein Grab. Wahrscheinlich war es ihm nicht der Mühe wert; die Zeit hat ihm ja auch recht gegeben.

P.S. In den letzten Jahren sah man Inszenierungen von Cavalleria rusticana, in denen Santuzza unübersehbar gesegneten Leibes war und sich deshalb während des Intermezzos am Dorfbrunnen oder an der Kirchenmauer übergab. Eine Oper Il bastardo di Santuzza wartet noch auf ihren Komponisten. V ERSCHOLLEN E V ERWA N DT E

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Giulietta Masina in Federico Fellinis La strada, 1954


Wystan Hugh Auden

RITUALE BEDEUTUNG Anmerkungen zu Cavalleria rusticana

Giovanni Verga war kein doktrinärer Naturalist. Er schrieb über die sizilianischen Bauern, weil er unter ihnen aufgewachsen war, sie eingehend kannte, sie liebte und sie darum als unverwechselbare Wesen erblickte. Die ursprüngliche Erzählung Cavalleria rusticana, welche in dem Band Vita dei campi (1880) erschien, unterscheidet sich in vielen wesentlichen Punkten von der dramatisierten Fassung, die Verga vier Jahre später schrieb und auf der das Libretto aufbaut. In der Erzählung ist Turiddu, der Held, das verhältnismäßig unschuldige Opfer seiner Armut und seines stattlichen Aussehens. Santuzza ist hier nicht die entehrte, schutzlose Kreatur, die wir aus der Oper kennen, sondern die Tochter eines reichen Mannes, die sehr wohl für sich zu sorgen weiß. Turiddu bringt ihr Ständchen, umwirbt sie, hat aber keine Aussichten, ihre Hand zu erringen, da er nichts besitzt, und wiewohl er ihr nicht gleichgültig ist, verliert sie doch den Kopf nicht. Wenn sie darum Alfio das Verhältnis Turiddus mit Lola verrät, ist dies viel boshafter und unsympathischer als in der Oper. Der Grund schließlich, den Turiddu Alfio dafür angibt, dass er auf einen Kampf auf Leben und Tod mit ihm besteht, ist nicht Santuzzas Zukunft – er hat sie vollkommen vergessen –, sondern die Zukunft seiner alten, mittellosen Mutter. Santuzzas Verführung, die brutale Art, in der Turiddu sich von ihr abwendet, ihr Fluch über ihn, seine Reue am Ende, das alles wurde von Verga später hinzugefügt, als er Santuzza zu einer großen und sympathischen R ­ olle für die Duse umgestalten musste. Als Thema für ein kurzes Libretto ist dieser Zusammenhang hervorragend geeignet. Die Situation ist stark, geschlossen und unmittelbar durchsichtig; sie bietet Rollen für die richtige Zahl von Sängern; und die Gefühlsregungen, die durch sie ins Spiel gebracht werden, sind W YSTA N H UGH AU DEN

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sowohl singbar als auch mühelos musikalisch gegeneinander abzusetzen. Die Psychologie ist unkompliziert genug für den Gesang, doch nicht albern. Dank der Schnelligkeit, mit welcher die Musik einen Gefühlsumschwung aus­ zudrücken vermag, wird sogar Turiddus unvermitteltes Überwechseln von Verachtung zu Reue in der Oper viel verständlicher als im Sprechstück. ­Targioni-Tozzetti und Mascagni hielten sich mit Recht sehr eng an Vergas Vorlage, und ihre wichtigsten Zusätze sind die Zeilen, in welchen Turiddu Lucia bittet, Santuzza als Tochter anzunehmen. Überdies machten sie ausgiebig Gebrauch von einem Mittel, dessen sie als Librettisten sich bedienen konnten und das dem Dramatiker längst nicht mehr zur Verfügung stand, nämlich vom Chor. Die Chorepisoden, der Frühlingschor, der Maultiertreiber­ chor, der Osterchoral, das Trinklied machen mehr als ein Viertel der gesamten Oper aus. Man hätte denken sollen, dass – noch obendrein in einem so kurzen Stück – die ständige Verzögerung und Unterbrechung der Handlung eine heillose Auswirkung haben müsste. Indessen – wenn man sich fragt, worin der wichtigste Beitrag der Librettisten zu dem durchschlagenden Erfolg und der großen Beliebtheit der Oper bestanden habe, so wird man zugeben müssen, dass es genau diese Episoden waren. Sie bewirkten, dass die Handlung der Hauptdarsteller, ihre persönliche Tragödie, gegen einen gewaltigen Hintergrund gesehen wird, gegen das ­zyklische Sterben und Wiedererwachen der Natur, die liturgische Feier des einmalig-endgültigen Todes unseres Erlösers und seiner Auferstehung, die uralten sozialen Riten der Armen; und so erlangt ihre ländliche Geschichte eine rituale Bedeutung. Turiddus Tod ist sozusagen ein Ritualopfer der ­Sühne für die Sünden des ganzen Gemeinwesens.

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R IT UA LE BEDEU T U NG


Gerd Rienäcker

MARGINALIEN ZUR TRINK­SZENE DER »CAVALLERIA RUSTICANA« Die folgenden dramaturgischen Notizen opponieren einer seit Hanslicks Kritiken unaufhaltsam schwelenden Unterstellung, die bis vor einem Jahrzehnt auch der Verfasser zu befestigen half: Veristische Opernszenen hätten, im Soge des Naturalismus, der mit dem Etikett »è vero« sich drapiert, grell ausgemalten Oberflächenbildern allein sich zugewandt, Darunterliegendes als überflüssig beiseitegelegt, vielsträngige Situations- und Aktionsgeflechte auf einzelne, sogenannt dramatische, weil zuschlagende Momente reduziert, die es glaubhaft zu machen, psychologisch auszustatten gegolten habe. Dabei seien musikalisch-dramaturgische Formen und Formungsprinzipe, denen sowohl in der französischen wie auch italienischen Opern hochgradige Bedeutsamkeit für eigentliche Vorgänge zukommt, ganz und gar unter den Tisch gekehrt worden.

I Der Gottesdienst ist zu Ende, man geht nach Hause; Männer und Frauen vergewissern sich des bevorstehenden sonntäglichen Mittagessens, des ehelich-familiären Zusammenseins, darin ein jeder seinen angestammten Platz hat – wehe dem, der ihn unerlaubt verlässt; die Zäune und Wände haben große Ohren, und es könnte tödlich für ihn ausgehen! Turiddu versucht mit Lola zu reden, sie weist ab, da auch sie sich zuhause erwartet glaubt. GER D R IENÄCK ER

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Turiddu lädt zum Umtrunk – auch das ist nicht ungewöhnlich: Männer, teilweise auch ihre Frauen dürfen unterwegs einkehren, solange das Mittagsmahl, das familiäre Zusammensein nicht gefährdet ist. Ohnehin erweist sich die Schenke als Reversbild der Kirche – beides ist Öffentlichkeit außer Haus, tuchfühlige Gemeinschaft, gemeinschaftliche Atzung – im Wein wird das Abendmahl prolongiert, profanisiert; man trinkt, nachdem man gebetet hat! Turiddu stimmt ein Trinklied an, die anderen akklamieren. Toast auf Toast! Alfio kommt hinzu, begrüßt die anderen – auch dies kommt nicht unerwartet. Turridu bietet, wie sollte es anders sein, ihm Wein an. Alfio weist ihn zurück – erst dies kündigt an, dass etwas nicht stimmt, schlimmer noch, ein Eklat sich vorbereitet. Angstvoll verlassen die Frauen den Platz, Lola vorsorglich mit sich ziehend. Alfio und Turridu stehen als Gegner sich gegenüber, ihnen zur Seite die Männergemeinschaft.

II Rekapituliert sei das Vorgeschehen: Einst liebte Turiddu die schöne Lola; sie wies ihn zurück, also ging er zu Santuzza, sich zu trösten; Lola heiratete Alfio. Dass Turiddu jedoch anderweitigen Trost gefunden hatte, machte sie eifersüchtig – auf jenen, den sie abgewiesen hatte, auf jene, die ihn tröstete, liebte, liebt: Grund genug, um ihn zu werben, und dies mit erwartetem g ­ roßem Erfolg. Turiddu liebt, begehrt Lola immer noch und aufs Neue; Santuzza, gut genug, ihn zu trösten, steht im Wege, brutal stößt er sie beiseite; damit gewinnt er ihren Hass. Und es ist ihr Weg zu Alfio sehr kurz; wenige Worte genügen, damit seine immerwährende Eifersucht wie eine Stichflamme an die Oberfläche dringt, in rasende Wut sich entlädt auf Turiddu und Lola gleichermaßen; sie verlangt, dass Blut fließe. Also geht er auf den Platz vor der Schenke, um Turiddu zu treffen, und weist er den ihn angebotenen Wein ab, so wissen die Anwesenden, dass ein tödlicher Zweikampf bevorsteht. Alfio gibt das Zeichen, indem er seinen Feind umarmt und ihm ins Ohr beißt. Turiddu findet sich zu verzweifelter Bereitschaft, es gibt keinen Ausweg.

III Sein Trinklied scheint vor der Schwelle der Katastrophe: Strahlend sein Ton, ehern das Schrittmaß, dreiteilig in der Großform (A B A), geradtaktig, ein Viertakter soll dem anderen folgen; Fermaten am Zeilende mögen das Erwartete, Voraussehbare der Folgezeile genüßlich hinauszögern, damit es umso vehementer eintritt. Ehern scheint über weite Strecken auch das Verhältnis zwischen Singstimme und Orchester – letzteres, um mit Wagner zu reden, 81

M A RGINA LIEN Z U R T R IN K­S ZEN E DER »CAVA LLER I A RUST ICA NA«


eine »riesengroße Guitarre« – einfache Bassfundamente, Akkordnachschläge. Regelmäßig scheint der Bau des einzelnen Zweitakters: Sechzehntelbewegung in der einen Taktzeit, Achtel in der anderen, Achtel wiederum zu Beginn des nächsten Taktes, während die zweite Takthälfte einen Ruhepunkt verheißt; wohlgeordnet scheint die Drehbewegung, das stufenweise Aufwärts, die Sequenzierung des ersten Zweitakters. 1.

Und doch: Es fällt der Übereifer auf, der dem Sechzehntelbeginn eingeschrieben ist – warum beginnt Turiddu nicht mit den Achteln, um sie hernach in Sechzehntel aufzulösen, wieso fällt er mit den schnellsten Notenwerten gleich einer Türe ins Haus? Auch ist, im zweiten Takt, die zweite Zählzeit getilgt, das zweite Achtel der ersten übergebunden ins an- und abschließende Viertel. Kommt es dadurch zur Synkope, so schleppt sie sich diminuiert in die nächste Taktgruppe, in den Beginn des Nachsatzes; wird sie darin überwinden, so hat ihr Verunsicherndes anderen Parametern sich aufgeladen: Der zweite Zweitakter des Nachsatzes gehorcht dem Achtelschlag, jedoch er findet keinen gültigen Abschluss – er kurvt umher; die erwartete Dominante wird umkreist, der Weg dahin durch plötzliche Chromatik der Orchesterstimmen getrübt, ja, irritiert; ein Ritardando verstärkt solche Disproportion. 2.

Aber nicht nur die anfängliche Verkehrung der Bewegungsabläufe, die Synkopierungen, das Umkreisen des erwarteten ­dominantischen Halbschlusses, die orchestrale Chromatik vor der Doppeldominante gehorchen der Irritation, sondern bereits die ersten Takte der Orchesterbegleitung: Es lassen die Fundamentschritte und Akkordnachschläge mitsamt den Streichinstrumenten auf sich warten bis zur Wiederkehr des gesamten Achttakters; Note gegen Note wird der erste vokale Viertakter begleitet – dies potenziert das Unwägbare der Synkope im zweiten und vierten Takt. Und es finden sich, anstelle der erwarteten Tragfläche der Streicher, nur wenige Holzbläser bereit zu einem dünnen, indessen vierstimmigen Satz als ob ein Organist Turridus Trinklied mit gedacktem Register wie Kirchengesänge traktiere! Der nächste Viertakter behält solch befremdliches Gewand, auf dass die ­Irritationen zunehmen – die Chromatik vor der Penultima spitzt dies nur zu. Kontrastiert das dünnstimmige Bläserspiel höchst unerwartet die lärmenden Vortakte des Orchestertuttis, so bietet es dem Liedsänger eine überaus notdürftige Brücke, die seinen Schwankungen nachgibt, statt sie aufzufangen: Nicht einmal die dem Vokalpart innewohnenden harmonischen Verpflichtungen werden eingehalten – Ordnungsgemäß beginnt der Gesang in der Tonika G, umschreibt er im ersten Zweitakter die authentische Kadenz T – D – T; im nächsten Zweitakter setzt er C, die Subdominante, als neue Tonika, im dritten Zweitakter führt er über die Dominante D zur Tonika G GER D R IENÄCK ER

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zurück. Die Holzbläser jedoch setzen, anstelle der anvisierten Dominante D, in der zweiten Hälfte des ersten Taktes, die Doppelsubdominant F ein, und wird dieser Schritt umstandslos rückgängig gemacht, so ist der authentischen Kadenz G – D – G des Vokalparts die potenziert plagale, G – F – G der Instrumente befremdlich zugesellt: Es wird just dieser Plagalschritt die Subdominanttransposition des kommenden Zweitakters wegnehmen; damit sind G und C nicht allein sukzessiv, sondern auch simultan verkoppelt, verfestigt harmonische Progression sich im Raume. Mit beklemmender Beflissenheit sucht das harmonische Geschehen des dritten und vierten Taktes diese Überlagerung aufzuheben – der c-g-Schritt der Bässe gehorcht der authentischen Kadenz, und wiederum sind die nachfolgenden eineinviertel Takte dem Schritt von der Dominant zur Tonika gewidmet; dann jedoch, im zweiten Achtel des zweiten Taktes, wird das mühselig Installierte chromatisch überspült. 3.

Einmal installiert, werden Disproportionen um sich greifen: Im zweiten Teil der ersten Liedstrophe, nachdem die Wiederkehr des ersten Achttakters die langerwarteten, den Gesang als Tanzlied fundierenden Akkordnachschläge installiert, das Trinklied sich wenigstens partiell stabilisiert hatte. Es ist der Refrain, der das bislang verpflichtende Ebenmaß der Zwei- Vier-Achttakter außer Kraft setzt: Drei- statt Zwei- bzw. Viertakter folgen aufeinander; der erste Takt ist zwar durch ein leichtes Ritardando gedehnt – dieses aber verdoppelt ihn nicht, und so bleibt es beim zweimaligen Dreitakter; ihm folgt, des Unregelmäßigen nicht genug, ein Sechstakter, notdürftig in zwei Dreitakter unterteilt, überdies auf harmonische Umwege geraten aufs Neue – in die Dominantparallelvariante H, die sich im Orchester chromatisch auf den tonikalen Grundton G zurückgeführen lässt, dabei jedoch eine Dissonanz nach der anderen auf den Plan ruft. Gerät die eherne Quadratur zuschanden, so ist das harmonische Geschehen in Mitleidenschaft gezogen. Bedarf es der Anstrengung, die fortwährende Destalbilisierung des Gefüges aufzuhalten, so entpuppt sie sich als Überanstrengung – sie steht dem Singenden zu Gesichte als unerkannter Vorbote der Katastrophe. 4.

Überanstrengung waltet auch im Ton: Geradezu brutal sind die Vortakte volles Orchester, Beckenschläge –, dann aber lässt das Orchestertutti den Sänger im Stiche; überlaut stimmt Turridu in beiden Strophen den Refrain an, jenen Liedteil allerdings, der die Periodik außer Kraft setzt; Fermaten kommen der Überanstrengung zuhilfe; später, am Schluss der zweiten Strophe, ist es geradezu wildwuchernde Chromatik – ein Fremdkörper im Diatonischen! Und die Vivatrufe der anderen, mit denen die zweite Strophe, quasi der Mittelteil des Trinkliedes anhebt? Blockhaft und laut, erinnern sie an Jagd-, ja Hatzrufe, an brutales Zuschlagen; darin artikuliert sich eine Gemeinschaft, die den Faustschlag nicht verschmäht, wenn man ihr in die Quere kommt: 83

M A RGINA LIEN Z U R T R IN K­S ZEN E DER »CAVA LLER I A RUST ICA NA«


Nicht ausgeschlossen, dass sie den einzelnen, also auch Turridu in die Enge treibt, nötigenfalls erschlägt! 5.

Ist der Überanstrengung, der martialischen Gewalt ebenso wie dem befremdlichen Rückzug des Orchesters am Beginn der ­ersten Strophe das Verhängnis eingeschrieben, so lässt es nicht auf sich warten. Nach einer donnernden, aufs Neue befremdlich chromatisch gesetzten Stretta zerbricht Turiddus Trinklied: Alfio kommt, ihn flankieren dröhnende, jedoch keineswegs formstiftende Fanfaren gleich Siegestrophäen, die entzweigebrochen sind. Turiddu greift sie auf, er will aus diesen Fanfaren ein neues Trinklied bauen, das jedoch misslingt, weil Alfio in der U ­ ntermediante synkopisch dazwischenfährt, sich im düsteren Posaunenklang als Nach­fahre des Mozart’schen Komturs zu erkennen gibt, der sein Opfer in die ­Hölle ­bringen wird. Aber nicht erst sein Eingriff, der Einbruch von außen, bringt Turiddus Gelage und Trinklied zu Fall; Komtur-Alfio ist nur der Vollstrecker eines längst gefällten Gerichtsurteils: Unerkannt, unbegriffen nistet es in Turiddus Lied, in seiner Anstrengung, den inneren Zerfall aufzuhalten, die innere, unaufhebbare Gefährdung ­wenigstens zu übertönen, im Tuchfühligen denn auch der frenetisch akklamierenden Gemeinschaft, die den Sänger über weite Strecken alleine lässt und ihn dem Rächer eiskalt ausliefern wird, wenn die Zeit gekommen ist – es könnte die tuchfühlige Wärme der geschlossenen Gesellschaft auch im Faustschlag oder im Würgegriff sich entladen! 6.

Gebietet Turiddu, vor der Heimkehr, das Trinkgelage, so liefert er sich eben dadurch dem unerkannten Todesurteil aus; tatsächlich erwartet er Alfio in der Schenke – als ob er ahnt, dass Alfio von seinem Verhältnis zu Lola weiß, dass Santuzza ihn Alfio verriet, ihm also mitsamt Lola zum Verhängnis geworden ist? Soll die gewaltsam angestrengte Trinkgemeinschaft ihm Sicherheit bieten, so gilt es daher, das Trinklied so emphatisch, so gemeinschaftsstiftend wie möglich anzustimmen, damit nichts dazwischenkomme: Dies misslingt. Was aber wissen, ahnen die anderen, was teilt sich ihrer donnernden Akklamation und ihrem emphatischen Aufgreifen des Trinkliedes mit – teils an mehr oder minder konturierter Vorahnung, teils an Sensationslust, Gewaltlust? Sicher ist, dass die so vehement gestiftete, in Wahrheit vorgeordnete Gemeinschaft keinerlei Sicherheit gibt vor dem Totschlag, dass sie, im Gegenteil, Turridu dem Tode ausliefern wird. Denn der Totschlag gehört zur Sache – wer sich an eherne Regeln nicht hält, wer sich im Seitensprung erwischen lässt (und nur dies verstößt gegen die Regel!), wird geopfert ohne Erbarmen. Turiddu weiß also, dass er, wenn Alfio ihn fordert, alleine sein wird.

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7.

So verhängnisvoll das Trinklied selbst, so erwartet das heraufziehende Verhängnis, so bestürzend dennoch, wenn es eintrifft durch Alfios Feindschaftserklärung: Düstere, choralartige Posaunenklänge der Untermediante Des im Zeichen der Komturszene aus Mozarts Don Gio­ vanni, im Zeichen der Wolfsschlucht – ihnen folgt Schweigen, die Musik verstummt, Turridu spricht, statt zu singen. Und dann ein langsamer, ja lähmender Marcia funebre, der die Frauen die Schenke verlassen, Lola mit sich ziehen lässt: Ostinato und irrelaufende Klagefiguren, Vorwegnahme einer Totenklage? Erneutes Verstummen des Orchesters, indessen die Kontrahenten das Nötigste verabreden. Schließlich – unerwartet? – die ariose Wehe­klage des Todgeweihten, der dem anderen an die Gurgel muss, wenn er nicht draufgehen will: Der Ton verrät, dass es keinen Ausweg, kein Überleben gibt, dass dem anderen zu drohen vergeblich sein wird. Alfios Antwort ist lakonisch beredt, nämlich blankes Rezitativ mit gedämpft drohenden Akkorden (diesmal Streicher statt Posaunen!) untersetzt: Alfio ist der Komtur, Turiddu Don Giovanni im Angesicht des Untergangs. Und dem Opfer bleiben wenige ­Augenblicke flatternder Angst mitsamt der Pflicht, eben diese Angst nicht den anderen – den männlichen Zuschauern, der geschlossenen Gesellschaft – kundzutun. Für ihn wird Musik zu reden haben – ariose Rezitative, schließlich die zweite klagende Arie, trostloser noch als die erste, weil das Ende naht. 8.

Formen sind beredt für Außermusikalisches, für Normensysteme, denen sie aufs Haar gleichen, die in ihnen sich sedimentieren, für eherne Regelwerke also, diesseits und jenseits direkter Verabredung zwischen Einzelnem und Gruppe. Und sie haben die einzelne Artikulation im Griff, auch dann, wenn sie das Ganze zu beherrschen oder gar außer Kraft zu setzen vorgibt. Die Oper, seit der Seria, lebt davon, dass Einzelne von Regelwerken beherrscht werden, in ihnen sich bewegen, gegen sie sich auflehnen, um aufs neue vereinnahmt zu werden. Umso beredter die Handhabe einzelner Formmodelle, einzelner formgeprägter Gattungen, also auch bestimmter Lied- und Arientypen, die Handhabe vermeintlich eherner Bauregeln musikalischer Perioden, die Handhabe bestimmter Satztypen, jene der vokalen Homophonie eingeschlossen! Am Trinklied und an seinem Zerbruch, an der Totenbeschwörung des Komturs, am Wechsel von Lied, Rezitativ und Arioso bzw. Arie lässt sich ein Gutteil der »Vorgänge hinter den Vorgängen« (Brecht) entziffern. Mitnichten also ist die musikalische Dramaturgie der Cavalleria rusticana, auch der hier in Rede stehenden Szene, auf den Schlagabtausch von Oberflächenbildern reduzierbar oder gar dem blinden Nacheinander von Momenten ausgeliefert. Es gibt Regulative; sie haben ihre Traditionen, weil sie dramaturgisch beredt waren und sind; ihre Geschichte muss transparent gemacht werden um der Wahrheit willen, auf die der dem Verismo eingeschriebene Begriff vero = wahr verweist.

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Hendrik Rauch: Karfreitags-Prozession in Tràpani, Sizilien, 2001


Ann-Christine Mecke

A VENTITRÈ ORE! Über den Vorstellungsbeginn der Commedia

Canios Reklame auf dem Dorfplatz scheint erstaunlich: »A ventitrè ore«, also »um 23 Uhr« für den Mariä-Himmelfahrts-Tag kündigt er eine »große Vorstellung« an. Beginnt das Theaterstück wirklich erst um elf Uhr abends? An einem heißen Augusttag in Kalabrien mag man sich das vorstellen, immerhin wäre es dann vielleicht angenehm kühl. Doch wie lässt sich dann die Aussage Beppes verstehen, die Leute kämen direkt aus der Kirche in die Vorstellung – feiert man etwa auch Gottesdienste um diese späte Zeit? Nein, zuvor sind die Gottesdienstbesucher unter Geläut der Vesperglocken (»Ding, Dong«) in die Kirche eingezogen. Weder verbringen sie dort fünf Stunden noch lässt die Opernhandlung Raum für einen weiteren Feiertagsgottesdienst. Die Lösung des Rätsels liegt in einer anderen Stundenzählung. Nicht von Mitternacht bis Mitternacht zählen die Figuren von Pagliacci, sondern von Sonnenuntergang bis zum nächsten Sonnenuntergang. Diese Zählung ist unter dem Namen »Italienische Stunden« bekannt und war noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in Italien gebräuchlich. Da die Sonne in Kalabrien Mitte August um kurz vor acht untergeht, beginnt die Vorstellung also gegen 19 Uhr, die Feiertagsvesper entsprechend früher, vielleicht um 18 Uhr. Die Handlung setzt um 15 Uhr ein, die Regieanweisung macht diese Zeitangabe in gewohnter Stundenzählung: »Es ist drei Stunden nach Mittag, die Augustsonne brennt heiß«. Die Handlung läuft dann ohne Sprünge vor unserem Auge ab, nur vergeht die Zeit durchschnittlich mit vierfacher Geschwindigkeit: Während für Nedda, Canio, Silvio und die anderen gut vier Stunden vergehen, sind es für uns Zuschauer nur eine.

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A N N- CHR IST IN E MECK E


Klaus Adam

ZWEI MINUTEN VOKALES SEELENPANORAMA Marginalien zu »Vesti la giubba«

»Lache, Bajazzo« ist wahrscheinlich eine der berühmtesten aller Tenorarien, bekannt auch manchem, der gar nicht weiß, wo und warum da einer lachen soll. Sie steht seit Jahrzehnten in der Hitparade der Ritter vom hohen C, ­obwohl sie gar kein C, sondern nur ein A erfordert; man kann sie auf zig Gesamteinspielungen hören, die Einzelaufnahmen sind Legion. Liegt die Würze in der Kürze? – Mit dem ausgedehnten Orchesternachspiel dauert die Arie etwas über drei Minuten; bei Wagner singen die Helden kaum je unter zehn. Sonzognos Preisausschreiben für Operneinakter, das zuwider der Tradition solch gutgemeinter Kulturförderung nicht zu Totgeburten oder Einabendfliegen führte, sondern Wiege des »Verismo« war – dieser Concours hatte Beschränkung der Mittel gefordert: Dramatisch geballte Handlung auf einer Szene (Pagliacci wurde ausschließlich wegen der zweiaktigen Form abgelehnt). Der Zwang zur Kürze erforderte lapidaren Ausdruck. Individuelle Schicksale und Konstellationen mussten stenografisch, mit der Härte eines Polizeiberichts formuliert werden. Epische Zaubermärchen, Historiengemälde, lyrische Tragödien waren hier nicht gefragt; wohl aber Destillate der Realität, Augenblicksaufnahmen aus jenem »wirklichen Leben«, das der Prolog zu Pagliacci als Keimzelle wahrer Kunst preist. Liegt vielleicht in der Kürze die Wahrheit? – Und ist sie es (oder beides?), was Interpreten und Hörer fasziniert in »Vesti la giubba«? Vergegenwärtigen wir uns die Situation, die Arie: Canio hat erfahren, dass seine junge Frau ihn betrügt. Gedemütigt, enttäuscht, verzweifelt ist er, in Rage – aber er muss KOLUMN EN T IT EL

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sich für die Abendvorstellung der Komödie vorbereiten, die ironisch seine eigene Lebenssituation widerspiegelt: Er spielt den Bajazzo, den Clown, den Hopf. Das Schminken will ihm nicht von der Hand gehen: »Bist du ein Mensch?« fragt er sich – ein bitteres Lachen: »Du bist nur Bajazzo …« – »Und wenn Harlekin mit Colombina davonläuft, dann lache, Bajazzo, und das Publikum wird applaudieren« – und noch einmal »Lache, Bajazzo, auch wenn dein Leben zerstört ist, lache, auch wenn das Leid dein Herz vergiftet …« Welch eine Situation, welch ein Seelenpanorama – zwei Minuten nur und ein paar Sekunden vergönnt Leoncavallo seinem Sänger, das Publikum in Gefährten seines Grams zu verwandeln. Die Arie besteht aus einem Einleitungsrezitativ, a-Moll, im 4/4-Takt rhythmisch zu deklamieren; dann folgt das e-Moll/E-Dur-Arioso »Vesti la giubba«, für dessen Tempo Leoncavallo Adagio angibt. Es fordert nur dreimal das A, aber sein Höhepunkt bringt eine Stimmeruption, die Notenfolge Fis, G, A muss gleichsam gehämmert werden. Der Komponist hat in diesen Passagen jede Note mit Ausdrucks- und Vortragszeichen versehen, und jeder Sänger, der genau diese Anweisungen befolgt, die Notenwerte exakt beachtet, muss allein dadurch dramatische Überzeugungskraft gewinnen. Canio ist vom Tage der Uraufführung an eine Paraderolle aller Tenöre aller Länder gewesen – und sie alle werden noch immer an Caruso gemessen. Enrico Caruso hat Canio in allen großen Opernhäusern der Welt gesungen, natürlich auch in Wien … an der Metropolitan Opera allein 127mal. »Vesti la giubba« hat er dreimal aufgenommen – und von der Aufnahme 1907 darf man sagen, dass sie Interpretationsgeschichte gemacht hat. Trotz der für unsere Hörgewohnheiten sehr beeinträchtigten Stimmwiedergabe übertragen sich noch immer die Intensität Carusos, die Verschmelzung von Wort und Ton, von Menschenseele und musikalischer Formung, man spürt die vollkommene Identifizierung mit Gestalt und Geschick. Ein Blick auf die Partitur lehrt, dass Caruso ihr objektiv peinlich genau folgt und subjektiv an den frei zu gestaltenden Ritardandi-Stellen geradezu nachtwandlerisch sicher ein musikalisch überzeugendes Verhältnis zum Grundtempo und Grundrhythmus herzustellen weiß. Die Interpretation Enrico Carusos hat die Zeitgenossen fasziniert. Die Epoche, in der Hans von Bülow seine Sopranistinnen mit »Meine WagnerPrimatonnen« vorgestellt hatte, ging erst zu Ende, dickbäuchige Lohengrine und schwammige Tristane wirkten nicht komisch, Violettas siechten vergnügt, anderthalb Zentner schwer, an Schwindsucht dahin … Caruso, der dramatische Gestalter, muss da wie ein Meteorit eingeschlagen haben. Alexander Berrsche hat 1913 dessen Interpretation des Canio zu analysieren versucht – und unter Berücksichtigung der Individualität müsste noch heute jeder Canio im Idealfall ähnlich beschrieben werden: »Als Canio stand Caruso auf der höchsten Höhe seines Künstlertums. Hier hatte er keine Puppe, sondern einen lebenden und atmenden 89

KOLUMN EN T IT EL


Menschen darzustellen, hinter dem sein eigenes Ich völlig verschwin­ den konnte. Hier stand ein Stück Natur auf der Bühne, der süd­ italienische fahrende Komödiant mit der kindlichen Treuherzigkeit und der jähen Wut, dem der Spaß so rasch von der Lippe fährt wie der Dolch aus der Scheide. Da war jeder Ton getränkt von lebendi­ gem Empfinden; der freundliche Humor und das tiefste Weh lachten und weinten in dieser Stimme. Das ist ja das Merkwürdige: Der Sänger Caruso wird von dem Schauspieler Caruso angeregt, ja er ist förmlich das Instrument des Schauspielers. Das ist nicht nur so zu verstehen, dass die Art seines Gesangsvortrages in Tempo, ­Tonstärke und Akzentuierung von der dramatischen Situation beeinflusst wird. Nein, Caruso beherrscht alle stimmtechnischen Kunstmittel der Schauspieler. Und diese Amalgamierung der Techniken zweier Künste ist das Wunder seiner Persönlichkeit. Man stelle sich vor, in welchem Ton ein großer Schauspieler Romeos Klage an der Bahre Julias sprechen würde, wie ein Meister eine Kantilene vorzutragen weiß. Und nun male man sich mit einiger Phantasie aus, wie C ­ aruso, der beide Kunstmittel verbindet, ›Vesti la giubba‹ singt: In jedem Ton das schluchzende Leid des Verzweifelten und doch in jedem Ton Gesang und strenges Wahren der musikalischen Linie.« »Vesti la giubba« in Carusos Interpretation bedeutet den Anfang einer Epoche neuen Gesangsausdrucks. Man begnügt sich nicht mehr mit der Stimme als Kunstinstrument von äußerster Feinheit, Biegsamkeit und Kultiviertheit, man erwartet darüber hinaus die Bewahrung der Natur, die Identität von Stimme und Persönlichkeit, Timbre und Charakter, Musikalität und Ausdrucksvermögen; bei aller Bravour soll die Primadonna, der Primo uomo nicht den Menschen verdecken. Carusos »Cri de cœur« wurde Bestandteil des Singens; von Caruso noch sparsamst eingesetzt, entartete er freilich bald zum billigen Schluchzer, den drittklassige Tenöre auch heute noch als ­vokale »Italianità« verkaufen. Die großen Sänger aber haben von Caruso und ­gerade dieser Aufnahme von 1907 gelernt, Schönheit des Gesanges nicht als allein seligmachend zu werten, sondern sie zu verlebendigen durch die Wahrheit des Gefühls, das Singen zum Mittler der äußeren und inneren Situation zu machen. Natürlich haben alle die erlauchten Interpreten nach Caruso – der heldische Giovanni Martinelli, die eher lyrischen Beniamino Gigli oder Giuseppe di Stefano, Giacomo Lauri-Volpi, Jussi Björling, Carlo Bergonzi, der zu theatralischer Emphase tendierende Richard Tucker, die heroischen Franco Corelli und Mario del Monaco, zuletzt Luciano Pavarotti und Plácido Domingo – ihre Individualität eingebracht, ihr unverwechselbares Timbre. Aber sie alle zollen Reverenz Caruso: Seine gültige Interpretation haben sie sich anverwandelt, um sie für sich – und uns – zu besitzen.

K LAUS A DA M

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Alain Duault

»Ridi, Pagliaccio, sul tuo amore infranto!« Diese Verzweiflung ist total und muss betroffen machen, so wie die Nacktheit des Schreis und des Schmerzes, dessen sublime und schreckliche Schönheit die eines überströmenden Herzen ist. 91

Z W EI MIN U T EN VOK A LE S SEELEN PA NOR A M A


Wystan Hugh Auden

ILLUSION UND REALITÄT Anmerkungen zu Pagliacci

Wenn schon das Ineinanderspiel von Ritus und persönlicher Handlung, die- Johan Botha als ses Geheimnis von Cavalleria rusticana, nicht gerade das spezifische Anliegen Canio, 1999 → der Verismo-Schule ist, so hat das Libretto von Pagliacci ein noch geringeres naturalistisches Interesse, denn das Thema hier ist die psychologische Vexierfrage: »Wer bin ich eigentlich? Wer bist du eigentlich?« Sie wird durch drei Widersprüche dargetan. Erstens durch den Widerspruch zwischen dem Künstler, der aus reinen Freuden und Leiden sein Werk schafft, und seinem Publikum, das sich an diesem Werk ergötzt, das die imaginären Freuden und Leiden, welche wahrscheinlich von denen seines Schöpfers sehr verschieden sind, genießt. Zweitens durch den Widerspruch zwischen den Schauspielern, welche die Gefühlsregungen zumindest imaginativ empfinden. Und schließlich durch den Widerspruch zwischen den Schauspielern als Berufsschauspieler, die imaginäre Gefühle darstellen müssen, und den Schauspielern als Männer und Frauen, die ihre eigenen realen Empfindungen haben. Wir sind alle Schauspieler, wir müssen sehr oft die wahren Gefühle, die wir füreinander hegen, verbergen, und uns selbst überlassen, werden wir beständig das Opfer von Selbsttäuschungen. Wie sind nie dessen sicher, was im Herzen anderer vorgehen mag, wiewohl wir gewöhnlich unsere Kenntnis dieser Vorgänge überschätzen — doch das Entsetzen über die Aufdeckung einer Treulosigkeit und die Martern der Eifersucht entspringen dieser Ahnungslosigkeit. Andererseits sind wir überzeugt, dass niemand uns so sieht, wie wir wirklich sind. Im Prolog spricht Tonio von der Rollenbesetzung und erinnert die Zuschauer daran, dass Künstler und Schauspieler Menschen sind. Wenn wir zum Spiel im Spiel gelangen, kommen alle Widersprüche gleichzeitig zur Auswirkung. Nedda ist halb Schauspielerin, halb Frau, denn sie drückt ihre W YSTA N H UGH AU DEN

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wahren Gefühle in einer imaginären Situation aus; sie ist verliebt, doch in den Beppe, der den Harlekin spielt. Beppe ist purer Schauspieler; als Mensch ist er in niemanden verliebt. Tonio und Canio sind sie selbst, denn ihre wahren Gefühle und die Situation, in welcher sie auftreten, entsprechen einander: was dem Zuschauer zu erhöhtem Genuss gereicht, denn dadurch wird ihr Spiel überzeugender. Schließlich ist da noch Neddas Liebhaber Silvio, der aus dem Publikum kommt, in die Handlung verwickelt wird, obzwar bislang noch unsichtbar. Wenn Nedda als Colombina von Harlekin den für ihren Part geschriebenen Vers »A sta flotte – e per sempre tua sarò!« rezitiert, erleidet Canio als Pagliaccio Qualen, weil er Nedda, als sie sie selbst war, die nämlichen Worte gegen den ihm noch unbekannten Liebhaber verwenden hörte. Man braucht sich nur auszumalen, wie es in der Oper zuginge, wenn, bei gleicher Situation zwischen den Figuren, die Commedia fortgelassen würde, um innezuwerden, in wie hohem Maße das Interesse an der Oper von der Frage nach Illusion und Realität abhängt: einem Problem, das angeblich nur die Idealisten beschäftigt …

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ILLUSION U N D R EA LITÄT


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KUNST IST TEIL UNSERER KULTUR.

Durch unser Engagement unterstützen und fördern wir sowohl etablierte Kulturinstitutionen als auch junge Talente und neue Initiativen. So stärken wir größtmögliche Vielfalt in Kunst und Kultur in unseren Heimländern – in Österreich sowie Zentral- und Osteuropa. www.rbinternational.com


Impressum Pietro Mascagni CAVALLERIA RUSTICANA Ruggero Leoncavallo PAGLIACCI Saison 2020/2021 (Premiere der Produktion: 6. Juni 1985) HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Dr. Andreas Láng, Dr. Oliver Láng, Dr. Ann-Christine Mecke Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23 Berlin Layout & Satz: Gabi Adébisi-Schuster & Annette Sonnewend (WerkstattWienBerlin) Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Hersteller: Druckerei Walla GmbH TEXTNACHWEISE – ORIGINALBEITRÄGE Die Handlung (Originalbeitrag für das Programmheft 1985) – Andreas Láng: Über dieses Programmbuch – Franz Tomandl: Die Kunst der ungeschminkten Wahrheit (Originalbeitrag für das Programmheft 1985) – Ernst Krause: Aufstieg und Fall des Verismo (Originalbeitrag für das Programmheft 1985) – Marcel Prawy: Mascagni & Leoncavallo (Originalbeitrag für das Programmheft 1985) – Jendrik Springer/Oliver Láng: Der Tod im Verismo kommt schnell – Diana Kienast: Vom Kerker des gesellschaftlichen Korsetts – Andreas Láng: Von echten und falschen Premieren – Oliver Láng: Die kleinen Katastrophen des Herrn Giovanni V. – Klaus Adam: Verschollene Verwandte (Originalbeitrag für das Programmheft 1985) – Ann-Christine Mecke: A venitrè ore – Klaus Adam: Zwei Minuten vokales Seelenpanorama (Originalbeitrag für das Programmheft 1985) Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie ÜBERNAHMEN Mathias Spohr: Verismo und die »Spaltung« des Ichs, in: Maske und Kothurn, Stichwort: Verismo, hrsg. von Isolde Schmid-Reiter, 49. Jahrgang, Böhlau, 2003 – ­Giovanni Verga: Cavalleria rusticana (übersetzt von Ann-Christine Mecke) – Pietro Mascagni: Erwartungen, von der Realität übertroffen, in: Mascagni, an auto­ biography compiled and translated from original sources by David Stivender, Kahn & Averill, 1988 (übersetzt und eingerichtet von Oliver Láng) – Wystan Hugh Auden: Cav und Pag, in: The dyer’s hand, London, 1963 – Gerd Rienäcker: Marginalien zur Trinkszene der Cavalleria rusticana, in: Denn in jenen Tönen lebt es, Festschrift für Wolfgang Marggraf zum 65. (Hrsg: Helen Geyer, Michael Berg, Matthias Tischer), Weimar 1999

BILDNACHWEISE Alle Szenenbilder: Michael Pöhn, Axel Zeininger / Wiener Staatsoper GmbH Coverbild: Marina Abramovic, Rest Energy; mit freundlicher Genehmigung der Pomeranz Collection (pomeranz-collection.com) Sonstige Bilder: AKG-Images Nachdruck der Bilder von Michael Pöhn und Axel Zeininger nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen sind nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Generalsponsoren der Wiener Staatsoper


→ wiener-staatsoper.at


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Impressum

1min
pages 99-100

ILLUSION UND REALITÄT Anmerkungen zu Pagliacci

1min
pages 95-96

ZWEI MINUTEN VOKALES SEELENPANORAMA

4min
pages 91-94

A VENTITRÈ ORE!

1min
page 90

MARGINALIEN ZUR TRINKSZENE DER »CAVALLERIA RUSTICANA«

8min
pages 83-89

RITUALE BEDEUTUNG

2min
pages 81-82

VERSCHOLLENE VERWANDTE Santuzzen und Turiddus

3min
pages 78-80

ERWARTUNGEN, VON DER REALITÄT ÜBERTROFFEN

4min
pages 73-76

DIE KLEINEN KATASTROPHEN DES HERRN GIOVANNI V.

5min
pages 69-72

CAVALLERIA RUSTICANA

8min
pages 62-68

VON ECHTEN UND FALSCHEN PREMIEREN

5min
pages 55-62

MIT SPIELERISCHER FREUDE

3min
pages 51-55

DER TOD IM VERISMO KOMMT SCHNELL

8min
pages 41-50

MASCAGNI & LEONCAVALLO Image

3min
pages 38-40

VERISMO UND DIE »SPALTUNG« DES ICHS

3min
pages 33-36

AUFSTIEG UND FALL DES VERISMO Versuch einer Ehrenrettung

7min
pages 25-30

Giovanni Verga

3min
pages 21-24

Brigantenunwesen

1min
page 20

Die ferne große Zeit

3min
pages 18-19

DIE KUNST DER UNGESCHMINKTEN WAHRHEIT

1min
pages 16-17

ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

1min
pages 13-15

SYNOPSIS

2min
pages 11-12

DIE HANDLUNG

2min
pages 9-10

Cavalleria rusticana SYNOPSIS

1min
page 8

DIE HANDLUNG

1min
page 7
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