Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Jesco Denzel
SCHWERPUNKT EU-Ratspräsidentschaft
Von Corona überschattet D ie Pandemie und ihre massiven wirtschaftlichen Folgen haben die ohnehin schon übervolle Agenda für die deutsche EU-Präsidentschaft auf den Kopf gestellt. Das wurde bei der außerordentlichen Sitzung des Präsidiums des Wirtschaftsrates überdeutlich, die ursprünglich in Brüssel stattfinden sollte. Die Gesprächspartner, der Ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der EU, Michael Claus, und der Kabinettschef der EU-Kommissionspräsidentin, Björn Seibert, diskutierten mit den Mitgliedern des Spitzengremiums des Wirtschaftsrates über das Verhältnis Europas zu den USA und zu China sowie über die in der Gemeinschaft ungelösten, teils hochstreitigen Themen Klimapolitik, Migration und Brexit. Dabei teilten beide deutschen Spitzenvertreter in der – vertraulichen – Sitzung viele politische Einschätzungen mit dem Wirtschaftsrat. Wie vorbelastete Patienten stärker an Corona erkranken, sind auch EU-Länder mit Strukturproblemen weit tiefer in die Krise geschlittert. Das EU-Hilfsprogramm für diese besonders betroffenen Partner und notwendige Bedingungen für sie, wurden in der Präsidiumssitzung kritisch erörtert. Dies mündete in fünf zentrale Forderungen des Wirtschaftsrates an die EU-Kommission und die deutsche Ratspräsidentschaft zur Ausgestaltung der Hilfen: E 1. Transparenz: Den von der Corona-Krise betroffenen Staaten muss geholfen werden. Für die Vermittlung der immensen Summen gegenüber den Bürgern Europas, aber
36
Die Europäische Union kann gestärkt aus der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen hervorgehen, wenn sie sich auf die Stärken der Sozialen Marktwirtschaft besinnt und die Weichen auf Wachstum stellt.
insbesondere in den Geberländern, ist absolute Transparenz notwendig. Der Einsatz der Mittel muss auf die Bewältigung der Folgen der Pandemie konzentriert werden. Schon der bisher geplante Verteilschlüssel und der späte Mittelabfluss größtenteils nach 2022 legen nah, dass alte Probleme gelöst und die Zustimmung erkauft werden sollen. So gewinnt Europa kein Vertrauen.
E 2. Konditionalität: Es müssen verbindliche Bedingungen für die Mittelvergabe festgelegt und diese streng eingehalten werden. Eine Reihe von Staaten hat so erhebliche Strukturprobleme, dass Hilfen nur durch umgesetzte Reformen wirksam werden können. Deshalb sollten zuerst einmal keine Zuschüsse ausgezahlt, sondern Kredite ausgereicht werden. Wenn die Einhaltung der Reformzusagen kontrolliert wurde, können die Kredite in verlorene Zuschüsse umgewandelt werden. E 3. Stagnation überwinden: Europa muss wieder auf den mit dem "Europäischen Semester" angedachten Weg zurückgeführt werden. Von den zwischen 2011 bis 2017 insgesamt 823 ausgesprochenen länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters haben die Mitgliedstaaten ganze elf Empfehlungen – also nur ein gutes Prozent – vollständig umgesetzt, in den letzten vier Jahren wurde zum Teil keine einzige Umsetzung mehr vorgenommen. Was anfangs gut gedacht war, ist zu einem Armutszeugnis verkommen.
TREND 2/2020