KULTUR
&
KREATIVES
Der frühere Intendant des Hessischen Staatstheaters, Dr. Mannfred Beilharz war vom mozärtlichen Geniestreich seines damaligen Ballettdirektors Stephan Thoss begeistert.
Viele Stühle und doch kein Platz Tanzintendant Stephan Thoss präsentiert mit „Mozart“ faszinierenden Tanz am Nationaltheater Mannheim
M
ozart und Mannheim – eine facettenreiche Geschichte. Ein imposantes Kunstwerk nimmt das Auge gefangen. Wie ein güldener Leuchter schweben iteinander verflochtene Stühle über der Bühne, animieren zu Assoziationen. Hängt der gewünschte Stuhl so unerreichbar hoch wie die sprichwörtlichen Trauben oder ist kein Platz frei, wie dem hoffnungsfrohen Genie aus Salzburg in Mannheim bedeutet wird? Es war halt „keine Vakatur da“, wurde dem hier verkannten Klaviervirtuosen und Komponisten von Kurfürst Carl Theodor beschieden. Doch Ausnahmemusiker Amadé dehnt seine erste Reise in die Residenzstadt ohne den gestrengen Vater Leopold ((Luis Tena Torres) aus. reift in der Konkurrenz mit Kollegen und der Freundschaft zur Familie Weber sowie der unerfüllten Liebe zu Tochter Aloysia. Das Eheglück mit deren Schwester Constanze (Silvia Cassata) stabilisiert den fleißigen Briefeschreiber mit dem deftigen Humor. Schlicht „Mozart“ nennt der vielfach ausgezeichnete Meisterchoreograph Stephan Thoss, der die minimalistische Bühne, Kostüme und Videopanorama samt fein austarierter Soundcollage 42
gleich mit verantwortet, sein berührendes Tanzstück mit ausgefeilten Szenen. Der Tanzintendant hat mit seinem exzellenten Ensemble einen Coup gelandet. Das gut aufgelegte NTM-Orchester in Kammerorchesterbesetzung unter souveräner Leitung von Janis Liepins und Mozart-Preisträger Kai Adomeit (an Cembalo und Flügel mit berührendem Tastenspiel) haben gebührenden Anteil. Mal verspielt und leicht, mal düster dramatisch, gehen die einfühlsam choreografierten Bilder mit dem doppelten Mozart unter die Haut. Das Wunderkind Amadeus (Lorenzo Angelini) tollt mit den Kumpels umher wie ein verspielter Welpe, wird später von den Freunden buchstäblich emporgehoben. Erwachsen geworden und zuweilen in vierfacher Präsenz, wird Mozart (Joseph Caldo) fortwährend von der dunkel gewandeten Mutter (Alexandra Chloe Samion) begleitet. In schwarzer Robe mit weißer RokokoPerücke wandelt Zoulfide Choniiazowa als „Schicksal“ gravitätisch durch das Geschehen. Die Kurfürstin (Emma Kate Tilson) ist dem herrschenden Gemahl Carl Theodor (Joris Bergmans) elegante Gefährtin. Die unter erschwerten Pandemie-Bedingungen entstandene Uraufführung
erntete im Opernhaus - unter streng eingehaltenen Regeln - ausdauernde standing ovations. Ein Genuss nicht nur für Mozartfans. Bis 2014 war Faust-Preisträger Thoss Ballettdirektor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden. Dort heimste Tänzer Jeroen Verbrugge 2013 Szenenapplaus ein beim MaifestspielHighlight „Le Songe“ nach Shakespeare mit dem Ballets de Monte Carlo: Als Puck kurvte er im Puckomobil, eine Segwayblume mit Rüssel, über die Bühne und ließ tüchtig Zaubernebel tropfen. Im Frühjahr 2022 stellt sich der ausdruckstarke Tänzer als Choreograph vor, am NTM schließt sich ein Kreis. Auch zum Jahresende 2021 locken Schmankerl wie „das Floß der Medusa“ nach dem Roman von Franzobel als gemeinsamer Abend für Schauspiel & Tanz ins Mannheimer Opernhaus. „Rising“ als Silvester-Spezial-Premiere gibt der jungen Generation eine Chance, inklusive zweier PreisträgerInnen des Choreografie-Wettbewerbs Hannover, den NTM-Tanzdirektor Johannes Grube fachkompetent moderierte. Der tänzerische Silvester-Countdown zählt nicht runter, sondern steigert sich von Solo & Pas de Deux zu Trio, Quattro & Quintett bis zum rasanten Ensemblestück. Anat Oz, Roberto Tedesco, Michael OIsenrath, Sofia Nappi und „Mozart“-Stars Emma Kate Tilson sowie Luis Tena Torres zünden ein tänzerisches Feuerwerk www.nationaltheater-mannheim.de Text und Foto: Gesine Werner WIESBADENER
IV/2021