EL AVISO | 10/2021
ESSEN & TRINKEN FREIZEIT
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Blumen
ohne Verfallsdatum Frische Sträuße sterben einen frühen Tod. Der Florist Lucas Riso (46) konnte das nicht mehr mit ansehen und hat sich dafür entschieden, Pflanzen ein langes Leben zu schenken. Damit betont er den Aspekt der Nachhaltigkeit in der Welt des Blumenschmucks.
Das Atelier, in dem die Kunstwerke von Lucas Riso entstehen, ist ein kleiner Raum. Mehr ist gar nicht nötig, denn die Materialien, mit denen er arbeitet, nehmen wenig Platz ein. Getrocknet und gepresst, haben sie kaum Gewicht und wenig Volumen. An dem Gestell über dem Werktisch hängen getrocknete Blüten und Kräuter, Gräser und Orangenschalen, Zweige und Blätter. Vornüber gebeugt arbeitet Lucas still und konzentriert an einem Kranz. Von Zeit zu Zeit blickt er auf und
martialisches. Viele Blumen sind zu sehen, auf griechisch das Wort „Liebe“, Symbole seines Lebens und seiner Reisen. Lucas Riso stammt aus Bueno Aires und lebt erst seit 2019 auf Mallorca. In Argentinien hatte Lucas Kunst studiert, aber weil er davon nicht leben konnte, wurde er Florist und betrieb sogar zwei Läden. Die Vorliebe für Blumen, sagt er, hat er wohl von seiner Großmutter übernommen. Ihr Name, Magdalena, war zugleich die Marke, unter der er speziell arrangierte Rosen in Buenos Aires verkaufte. Trotzdem kam irgendwann der Zeitpunkt, wo es ihn in die Ferne zog. Zusammen mit seinem Mann beschloss er vor drei Jahren auszuwandern, erst nach Brasilien, es folgte Italien, und auf Mallorca sind die beiden sesshaft geworden. Erst großer Auftritt – dann in den Müll Auch auf der Insel arbeitete Lucas anfangs ganz klassisch als Florist, kreierte Gestecke für Hotels und Events. Immer mehr aber störte ihn die Praxis, wie mit den frischen Blumen und Pflanzen umgegangen wird. „Da werden Bouquets morgens ausgeliefert und wenn nachmittags ein Blatt daran umgeknickt
schaut sich suchend um, bis seine Augen an einer bunten Blüte oder einer schillernden Feder hängen bleiben, die dem Gesteck einen zusätzlichen Farbtupfer verleihen könnten. Der Werkstoff aus der Natur, mit dem Lucas arbeitet, ist so vielfältig wie mehrdimensional. Denn die getrockneten Pflanzen entfalten nicht nur optische Schönheit, sondern verbreiten einen betörenden Duft, der an eine gemähte Sommerwiese erinnert. Die Vorliebe für Blumen hat er von Oma Magdalena Im Hintergrund läuft leise Musik, dazu das Rascheln der trockenen Blätter und das Aroma der Kräuter – das Atelier ist ein Ort der Entschleunigung und Entspannung. „Dabei kann ich mich wunderbar konzentrieren“, erzählt Lucas, während er weiter an seiner neuesten Kreation werkelt. „Manchmal vergesse ich über diese Arbeit alles um mich herum und merke erst am Abend, dass ich nicht mal etwas gegessen habe.“ Es ist Leidenschaft, die ihn antreibt, keine Besessenheit. Er selbst strahlt ebenso viel Ruhe aus wie seine Kunstwerke. „Wenn Leute mich anhand meiner Tattoos beurteilen, halten sie mich für einen Rocker“, lächelt er. „Dabei trinke ich nicht mal Alkohol.“ Und der Sound, der ihn umgibt, ist leise Pianomusik, kein Heavy Metal. Die in die Haut gestochenen Motive haben auch nichts
ist, muss womöglich das ganze Gesteck getauscht werden.“ Der Container, in den die ausgedienten Arrangements wandern, ist wie ein Friedhof der Blumen. Das Schlimme daran aber ist, so Lucas, dass die meisten der weggeworfenen Planzen ihr Verfallsdatum noch längst nicht erreicht haben. „Vieles von dem, was im Abfall landet, wäre gut und gerne noch eine Woche haltbar gewesen. Für teures Geld werden Blumen aus Holland importiert, sie haben ihren großen Auftritt als Gesteck auf einem Event – und dann wirft man sie am nächsten Tag einfach weg.“ Fächer, Besen, Bücher Diese Verschwendung von Ressourcen ärgerte ihn und während der Corona-Zeit, als seine Arbeit zwangsweise ruhte, hatte er mehr als genug Zeit, über den nachhaltigen Aspekt seiner Tätigkeit nachzudenken. „Ich ging regelmäßig im Wald von Bellver spazieren, um den Kopf freizubekommen. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, von welcher Fülle einheimischer Gewächse wir umgeben sind. Wie schön sie sind und wie herrlich sie duften.“ Er begann zu sammeln, zu trocknen und seine ersten Arrangements waren Räucherbündel aus Kräutern. Freunde waren begeistert und bestellten bei ihm, dann ging er in Geschäfte und bot seine Arbeiten an. „Mir kamen immer mehr Ideen, es gab immer mehr Abnehmer und plötzlich war hier alles voller Materialen und neuer Designs.“ Fächer aus einem Ficus-Blatt, mit Kräutern gefüllte Schlafmasken, Räucherpyramiden, Kränze, Gestecke, Deko-Besen, Duftkerzen, KräuterÖle - unerschöpflich sind die Möglichkeiten. Sein Meisterstück ist ein handgearbeitetes Buch, dessen Seiten mit gepressten Blüten dekoriert sind. Eine wunderbare Idee als Gästebuch für einen Geburtstag, denn das an sich schon edle Geschenk füllt sich dann im Laufe des Abends gleich noch mit Erinnerungen an diesen besonderen Tag.