LITERATUR
FALTER 11/22
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Das Schweigen der Rose Mit „Omertà“ hat Andrea Tompa einen fetten und vielstimmigen Roman über das kommunistische Rumänien geschrieben ie Rose hat es nicht leicht im KomD munismus, die rote Rose schon gar nicht: zu edel, zu luxuriös, zu feudal oder
zu bürgerlich. Neue Zeiten fordern neue Blumen. Als offizielle Arbeiterbewegungsblume firmiert bekanntlich die rote Nelke, Emblem des Fortschritts und der proletarischen Schlichtheit. Ganz Rumänien verlange jetzt nach Nelken, seufzt Vilmos, der Rosenzüchter, weil die jetzt eine „progressive Blume“ sei. „Aber eine Nelke ist nicht ewig. Die Rose ist ewig, und die Nelke ist nur eine Blume. Das kann man nicht erklären.“ Jedenfalls keinem Parteifunktionär. Eigentlich hat Vilmos Décsi, die Zentralfigur aus Andrea Tompas Roman „Omertà“, für die neuen rumänischen Verhältnisse einen unmöglichen Beruf. Er züchtet in der Nähe von Klausenburg (oder Cluj-Napoca) mit autodidaktischer Akribie Rosen, die landesweit und sogar im Ausland für Aufsehen sorgen. Natürlich passen Tätigkeiten wie Rosenzüchtung oder gar -veredlung nicht in die neue politische Landschaft, noch weniger die Mendel’sche Vererbungslehre, der Vilmos folgt. Nun soll die rumänische Landwirtschaft auf Basis der „mitschurinschen Wissenschaft“ sowjetisiert werden und Vilmos fügt sich widerwillig, aber anpassungsbereit den neuen Imperativen. Tompas Roman öffnet die Tür in eine für die hiesige Leserschaft zu wenig bekannte Welt. Klausenburg, Cluj oder Koloszvár, einst zu Ungarn gehörend, nach dem Vertrag von Trianon Rumänien zugeschlagen, im Nachkriegskommunismus dann zeitweise Hauptstadt der Ungarischen Autonomen Region, erlebt, wie das ganze Land, in der erzählten Zeit des Romans eine gewaltige Umwälzung. Man verfolgt es im Roman exemplarisch am Stadtrand von Cluj, wo die Lebenswelt der Hóstáter, einer ungarischreformierten Bevölkerungsgruppe, die sich in ihrer kleinteiligen, aber höchst ertragreichen Landwirtschaft dem neuen Diktat nicht beugen will, systematisch von neuen Plattenvorstädten verdrängt wird.
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In der virtuosen Übersetzung Térezia Moras aus dem Ungarischen liegt ,Omertà‘ als ein deutschsprachiges Sprachkunstwerk eigenen Ranges vor
Vier lange, aufeinander bezogene Erzäh-
lungen oder vielleicht eher Selbstgespräche von ebenso vielen Figuren versammelt Tompas fast tausendseitiger Roman. „Omertà“, der Titel, meint hier zunächst ein ganz spezifisches Schweigegelübde, nämlich das der franziskanischen Rosenkranzschwestern. Eleonora, Erzählerin im letzten Teil, und ihre Mitschwestern haben sich bei ihrer Entlassung aus langjähriger Haft zum Schweigen verpflichten müssen: „Dass wir über nichts reden, was im Gefängnis mit uns geschehen ist. Nichts. Omertà. Schweigebefehl.“ Aber nicht diese „Omertà“ allein meint der Roman, sondern ein gesamtgesellschaftlich wirksames Schweige- oder Verschwei-
Andrea Tompa: Omertà. Roman. Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Suhrkamp, 950 S., € 35,–
gegebot. Nicht was die Figuren zueinander sagen, teilt der Roman hauptsächlich mit (es wäre nicht sehr viel), sondern vor allem, was sie einander verschweigen. Es wird viel verschwiegen und dennoch viel geredet. Man muss nur vermeiden, sich im Reden zu offenbaren. Kali etwa, Erzählerin im Anfangsteil, die Dienstmagd und zeitweilige Geliebte des Rosenzüchters, versteht sich trefflich aufs Märchenerzählen, wie sie es daheim bei den ungarischen „Szeklern“ gelernt hat. Was sich tatsächlich über fast 20 Jahre hinweg zwischen den vier Figuren, also Kali, Vilmos, Annuska (einer jungen Halbwaisin, die dann Vilmos’ zweite Geliebte wird) und deren Schwester, der Nonne Eleonora, ereignet hat, erschließt sich am ehesten aus den Ungereimtheiten und Euphemismen der Figurenreden selbst. Ein wie großer Opportunist und Mitläufer ist etwa Vilmos, der Rosen-„Zauberer von Békás“ wirklich gewesen? Von den zwei Frauen, die ihm nahestanden, wird man es nicht erfahren, denn er hat ihnen den Einblick in sein politisches Dasein verwehrt. Aus den gegebenen Perspektiven will einem Vilmos, diese vergrübelte, eher zartbesaitete Tüftler-Existenz, beinahe eher als ein Opfer der Umstände erscheinen. Seine Liebe zur Rosenzucht, ist man geneigt zu denken, lässt ihm keine andere Wahl als Zugeständnisse an die Staatsgewalt zu machen. Tatsächlich gelingt es Vilmos, seine Rosenfarm, nunmehr ausgebaut zu einer Versuchsstation der mitschurinschen Wissenschaft, auf höherer Ebene fortzuführen. Am Ende wird ihm sogar ein Golddiplom der internationalen Rosenschau in Paris zuteil. Die Umstände dieser ruhmreichen Auslandsreise eines verdienten rumänischen Rosenzüchters, bei der Vilmos von der „Securitate“ auf Schritt und Tritt überwacht und kujoniert wird, sind dann so beschaffen, dass wir uns Vilmos eher als armes Schwein vorstellen denn als Günstling des Systems. Wissen können wir es nicht, denn wir haben ja nur ihm zugehört in seinem zunehmend verzweifelten Monolog. Vielleicht will ja der Roman in seiner Konstruktion darauf hinaus, dass vier Mal „Omertà“ in ihren jeweiligen und komplementären Ein- und Auslassungen doch so etwas wie die Wahrheit über das Rumänien der Jahre 1948 bis 1968 offenbart, ohne dass diese regelrecht ausgesprochen würde, schon gar nicht von der Autorin selbst. Falls der Roman also doch so etwas sein soll wie der gebrochene Spiegel einer objektiven Situation, dann muss man konstatieren: Wir sind nicht allzu überrascht. So ähnlich hat man sich, auch dank anderer Quellen, den rumänischen Kommunismus mit seiner brutalen Transformation eines spätfeudalen Agrarlandes in ein kommu-
nistisches Musterkombinat (und eine Musterkolchose) vorgestellt. Tompa lenkt den Blick allerdings auf interessante Einzelheiten: etwa darauf, was es heißt, als Magd in einer Gesellschaft zu dienen, die diese Existenzform eigentlich abgeschafft hat. Es könnte also sein, dass „Omertà“ auch heute noch einen wichtigen Beitrag zur politischen Selbstverständigung Rumäniens, besonders auch in seinem Verhältnis zur ungarischen Minderheit, leistet, dass der fast tausendseitige Roman außerhalb dieses lokalen Aufklärungs- und Kommunikationsangebots aber sein ästhetisches Ziel verfehlt und seine Leser aus den Augen verliert. Dass Tompas Roman gelegentlich zur zähen
Lektüre gerät, hat zwei Gründe: Erstens ist er in seiner bestimmt gut recherchierten Faktografie oft zu dicht. Vilmos’ tagtäglicher und minuziös erzählter Hader mit den Parteifunktionären etwa quälen auf die Länge nicht nur ihn, sondern auch die Leser. Und zweitens kommen Zweifel auf an dem heute ja sehr beliebten Formkonzept des „Romans in Stimmen“. Aus der Addition beschränkter Perspektiven ergibt sich nicht zwangsläufig eine finale unbeschränkte Perspektive. Man wünscht dem Roman manchmal doch eine „richtige“ Erzählerin, mit eigener Stimme und Imagination, statt einer, die von ihr erfundene Figuren mit erfundenen Stimmen ausstattet. Terézia Mora hat „Omertà“ ins Deutsche übersetzt und dabei die komplexe Sprachlage im Ausgangstext (ungarisch, rumänisch, ländliche und städtische, nach Klassen geschichtete Sprechweisen) in einen deutschen Text verwandelt, der alle Register zieht, die möglich sind, wenn das Gleiten zwischen den Kontaktsprachen nicht infrage kommt. So lässt Mora immer wieder auch Originaltext stehen, erklärt manches in Fußnoten und schöpft ansonsten aus dem Repertoire der deutschen Umgangssprache mit ihren sozialen und regionalen Differenzierungen. Der Roman der Dienstmagd Kali bekommt so sprachlich eine ganz andere Gestalt als jener des Rosenzüchters Vilmos oder der halbwüchsigen Annuska. In Moras virtuoser Übersetzung liegt damit ein deutschsprachiges Sprachkunstwerk eigenen Ranges vor. Die Kartoffeln heißen hier zwar manchmal österreichisch „Krumpirn“ und der Teufel niederdeutsch „Deiwel“, aber man ist geneigt anzunehmen, dass solche Ungereimtheiten beabsichtigt sind. So klingt dann Kali auf Deutsch, auf der ersten Seite „ihres“ Buchs: „In die ganzen Hügel hinein, da muss man gehen, das Auge sieht sie nicht, weil die Erde noch den Himmel berührt. Wie schön sie sich von weitem berühren.“ CHRISTOPH BARTMANN
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