»Der Berg, der von Speck ist« und »Dr. phil. Falstaff«, der nach 20 und mehr Semestern in der hohen Schule der Lebenskunst promoviert hat: Nicolais und Verdis Porträt des dicken Ritters – das Publikum liebt sie beide. Die Gunst für »Kleopatra im Reifrock« schwankt zwischen einer Manon mit »Puderquaste und Menuett« (Massenet) und dem Wesen aus »Leidenschaft und Verzweiflung« aus der Reihe der Frauengestalten Puccinis, die nicht klug, nur viel zu gut zu lieben wissen; zeitbewusste Opernkenner reichen Henzes Manon-Version in Boulevard Solitude das Reis. Man muss von Kontinent zu Kontinent hetzen, um außer Verdis auch Rossinis Otello zu hören; bescheidenere Reisen genügen, um dem berühmten Amante des Abendlandes, Romeo, als Hosenrolle von Bellinis Gnaden und als Gounods Jeune homme amoureux zu begegnen … Musikträchtig-bildhafte Geschehnisse haben Komponisten verschiedenster Länder und Zeiten immer wieder zur musikalischen Gestaltung inspiriert. Doch seltsam: Wenn auf der Schauspielbühne die Elektras von Sophokles bis Giraudoux friedlich nebeneinander morden, lässt auf der Opernbühne eine gültige Vertonung eines Stoffes meist anderen Ver suchen kaum eine Chance. Cavalleria rusticana, Mascagnis Meisterwerk, war nicht die erste und auch nicht die letzte Vertonung von Giovanni Vergas blutrünstigem PrimadonnenVehikel für Eleonora Duse. Stanislao Gastaldons Mala Pasqua wurde in Roms Teatro Costanzi am 9. April 1890 uraufgeführt, fünf Wochen bevor sich im gleichen Theater der Vorhang für Cavalleria rusticana hob. Pietro Mascagni war damals ein Klavierlehrer und Kleinstadtdirigent in Cerignola/Apulien, 26 Jahre alt, Verlegern und Theaterdirektoren unrühmlich bekannt durch einige abgelehnte Opern von schauerromantischem Gepräge. Der 29jährige Gastaldon aber war bereits ein etablierter Meister, seine Romanze Musica proibita hatte sich bei allen Sangesfreudigen der Apenninhalbinsel eingeschmeichelt. Mascagni und Gastaldon scheinen, ähnlich wie wenig später Puccini und Leoncavallo bei La Bohème, lange Zeit nicht gewusst zu haben, dass sie ein und denselben Stoff vertonten. Das Rencontre erhielt zusätzliche Würze, gewann doch Mascagni den ersten Preis beim Wettbewerb seines Verlegers Sonzogno, dessen Intimfeind Ricordi Gastaldons Partitur des Dreiakters edierte. Aparterweise war es wohl Ricordi, der das Teatro Costanzi bewog, Mala Pasqua nur einen Monat vor Cavalleria rusticana herauszubringen: Ricordi hoffte wohl, Santuzzas Fluch werde gleich auch noch Mascagnis Turiddu dahinraffen. Mala Pasqua wurde lauwarm aufgenommen, Cavalleria rusticana bedachten 60 Vorhänge – falls Mascagni in Autoreneuphorie richtig gezählt und nicht das Glücksdatum 17. Mai 1890 wenigstens partim dazuaddiert hat. Mala Pasqua bereicherte schon zu Pfingsten den Opernfriedhof. Der Erfolg Mascagnis und bald darauf Leoncavallos – Romulus und Remus des Verismo – löste eine Flutwelle lärmender naturalistischer Opern aus, die handlungsmäßig gern das gleichschenklige Liebesdreieck der Cavalleria rusticana 75
K LAUS A DA M