Andreas Láng
PIZARRO IST KEIN BARON SCARPIA
Niemand ist vollkommen, selbst Bösewichte nicht. Hätte beispielsweise der eine oder andere dieser weltmachthungrigen Erzverbrecher nicht so lange zugewartet und den gefangenen James Bond augenblicklich – nach dem Motto sicher ist sicher – ein für alle Mal den Garaus gemacht, nun, die Welt sähe heute vermutlich anders aus. Aber wir, die Zuschauer, wissen mit beruhigender Gewissheit: Die besagten Bösewichte folgen wie Lemminge stets dem gleichen dramaturgischen Muster und zögern die Ermordung der Titelfigur so lange hinaus, bis dieser freikommt und sie selbst dran glauben müssen. Und das, obwohl sie anhand der vielen vorangegangenen ähnlichen Situationen längst hätten erkennen müssen, wie empfehlenswert es doch wäre, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Schon Jahrhunderte vor James Bond hat sich etwa Don Pizarro durch eine ähnlich scheinbar unbedachte Art und Weise zumindest eine – folgt man der ersten Fassung von Fidelio – lebenslange Kerkerstrafe, wenn nicht gar die Todesstrafe erzögert. Über zwei Jahre hätte er Zeit gehabt, seine Rache zu kühlen, über zwei Jahre dem Widersacher Florestan sein »Triumph, Triumph der Sieg ist mein« entgegenzuschleudern. Aber nein: Erst der bewusste Brief des unbekannten Komplizen mit dem, allen Opernfreunden hinlänglich bekannten, Hinweis »der Minister reist morgen ab, um Sie mit einer Untersuchung zu überraschen«, stachelt Pizarro auf, das hinausgeschobene Mordvorhaben tatsächlich anzugehen. Letztlich, da viel zu spät, A N DR EAS LÁ NG
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