Programmheft »Fidelio«

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Ein Akt der Kulturpolitik: Clemens Holzmeister 1955 Dass die von Krieg und Bomben zerstörte Wiener Staatsoper am 5. November 1955 mit der Befreiungsoper Fidelio wiedereröffnet wurde, ist leicht zu verstehen. Erst kurz zuvor war die immerwährende Neutralität Österreichs beschlossen worden, der letzte alliierte Soldat hatte das Land verlassen. Die Eröffnung der Staatsoper wurde zum Staatsakt, Kultur zum Politikum, Karten für die Premiere waren kaum zu bekommen. Zahlreiche prominente Gäste aus dem In- und Ausland kamen, um die Wiedereröffnung der Staatsoper und die Geburt der Zweiten Republik mit dieser Fidelio-Aufführung zu feiern. Bereits am 6. Oktober 1945 hatte man im Theater an der Wien, dem Ausweichquartier der Wiener Staatsoper, mit Fidelio das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert. Bei genauerer Betrachtung des Leadingteams der Aufführung von 1955 stellte sich jedoch die Janusköpfigkeit der jungen Republik schnell heraus: Mit Direktor Karl Böhm als Dirigent und ausgerechnet Heinz Tietjen als Regisseur, unter den Nationalsozialisten künstlerischer Leiter der Festspiele in Bayreuth und Intendant der preußischen Nationaltheater, hatte man wohl zwei Künstler ersten Ranges, politisch allerdings belastete Persönlichkeiten für die Festvorführung gewählt. 1955 stellte jedoch niemand diese Besetzung infrage, weder die in- noch ausländische Presse und Politik. Lediglich bei der Wahl des Bühnenbildners versuchte man offenbar ein Zeichen zu setzen: Man nahm Kontakt mit Marc Chagall auf, dessen jüdische Herkunft und hohes internationales Renommée als Maler tatsächlich das Zeichen eines Neuanfangs gewesen wäre. Die Verhandlungen scheiterten, und so fiel die Wahl auf den eben nach Österreich zurückgekehrten Clemens Holzmeister (1886-1983). Er war 1938 von den Nationalsozialisten in seiner Eigenschaft als Professor für Architektur an der Wiener Akademie der bildenden Künste zwangspensioniert worden und in die Türkei emigriert. Durch den Bau des Krematoriums am Wiener Zentralfriedhof (1923/24) und vor allem durch seine großen Regierungsbauten in der Türkei war Holzmeister einer von Österreichs international renommiertesten Architekten. Einen besonderen Stellenwert hatte für ihn das Theater, vor allem seine Arbeiten für die Salzburger Festspiele und seine Zusammenarbeit mit Max Reinhardt machten ihn auch als Bühnenbildner berühmt. Seine »Faust-Stadt« für Salzburg (1933) schrieb Theatergeschichte. Erst 1954 kehrte Holzmeister dauerhaft nach Österreich zurück, wo er als Rektor der Akademie der bildenden Künste eingesetzt wurde. Holzmeister hatte Fidelio bereits 1926 für die Salzburger Festspiele ausgestattet, so wusste man, was man für diese wichtige Aufführung erwarten konnte. Holzmeister blieb im Großen und Ganzen der Konzeption von 1926 treu und schuf

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Impressum

1min
page 99

POLITIK UND LIEBE

2min
pages 93-95

FIDELIO UND DIE POLITIK

7min
pages 87-91, 93

Ein Akt der Kulturpolitik: Clemens Holzmeister 1955

2min
pages 84-87

DURCH NACHT ZUM LICHT

6min
pages 79-83

VERGLEICHUNG –UND UNBEGREIFLICH HIMMLISCH

4min
pages 76-78

Beethoven Fragmente

1min
pages 73-74

PIZARRO IST KEIN BARON SCARPIA

3min
pages 69-71

MUTMASSUNGEN ÜBER FLORESTAN

4min
pages 65-67, 69

SOLCHES WEIB ERRUNGEN...  «

15min
pages 53-58, 61-64

DIE SPRACHE JENSEITS DES WORTES

5min
pages 48-52

BEETHOVENS 53 OPERN Wunschvorstellung

4min
pages 44-48

Mitbegründer der Gesellschaft der Musikfreunde

1min
pages 41-43

Beamter und Librettist

1min
page 40

Rechtswissenschaften und Kunst

1min
page 39

BEETHOVENS ERSTER OPERNLIBRETTIST Anmerkungen zu Joseph Sonnleithner

1min
page 38

LEONORA UND LEONORE Beethoven und Paërs Vorgängeroper

4min
pages 32-34, 37

DIE RETTUNGSOPER ALS MODELLVORLAGE FÜR DEN FIDELIO

4min
pages 27-31

TRÜGERISCHES BILD

2min
pages 25-26

BERNSTEIN HAT

4min
pages 20-22

SCHLAGLICHTER AUF DIE FIDELIO-MUSIK

4min
pages 15-17

NIRGENDS BRENNEN WIR GENAUER

1min
pages 13-15

ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

1min
pages 11-12

SYNOPSIS

2min
pages 9-10

FIDELIO

2min
pages 4, 7-8
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