Oliver Láng
FIDELIO UND DIE POLITIK Wie nur sehr wenige andere Musiktheaterwerke ist Beethovens Fidelio heute nicht nur von der Aura des Politischen umgeben, sondern auch von ihr radikal gezeichnet. Dies in einem weitaus stärkeren Maße, als zur Zeit der Uraufführung 1805, einer Epoche, die immerhin von größten politisch- und gesellschaftlich-tektonischen Bewegungen bestimmt war: Damals schien das Politische in dieser Oper nur sehr nachgereiht aufgefallen zu sein. – Nun mag zwar einer einwenden, dass ein Eingriff durch die Zensur vor der Uraufführung durchaus auf einen wahrgenommenen politischen Gehalt des Werks rückschließen lasse – doch war die Zensur so allgegenwärtig, dass es gar keines besonderen politisch-brenzligen Grundes bedurfte, um sie auf den Plan zu rufen. Abgesehen davon waren die Eingriffe (wenn überhaupt vorhanden) von geringem Ausmaß, eine umfassende Umschreibung einzelner Teile war offenbar nicht von Nöten. Diese entsprechende Aufladung der Oper bringt, nicht zwangsläufig, aber naheliegenderweise, die Frage nach dem Politischen des Autors auf. Hier muss man freilich, 250 Jahre nach dessen Geburt, behutsam sein. Denn viele Be- und Überschreibungen der Persönlichkeit Beethovens haben zu einer verstärkt-plakativen Verbildlichung seines Charakters geführt, Begriffe wie »einsam«, »Titan«, »Revolutionär«, aber auch »erster freier Musiker« etc. wurden und werden in den Raum gestellt, ohne diese auf ihre tatsächliche Relevanz zu überprüfen. Vom Komponisten selbst sind freilich keine umfangreichen weltanschaulichen oder gesellschaftspolitischen Schriften überliefert, und in Verbindung mit seinen nicht immer eindeutigen Haltungen und wechselhaften Sympathiebekundungen führt dies zu einer mitunter spekulativen Einschätzung von Beethovens Ansichten. Sozialisiert wurde der im katholischen Umfeld Geborene jedenfalls in OLI V ER LÁ NG
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