Karl Löbl
POLITIK UND LIEBE
Eine »Austrian Coronation« war angekündigt. Nicht als monarchischer Akt, sondern als republikanisches Ereignis. Gefeiert werden sollte der im Mai 1955 abgeschlossene »Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs«. So der offizielle Titel jenes Dokuments, das zehn Jahre nach Kriegsende dem Land die Freiheit bestätigte, also auch den Abzug der Besatzungsmächte verkündete. Die Eröffnung der wieder aufgebauten Wiener Staatsoper im November 1955 sollte dieses politische Ereignis »krönen«, meinte damals Bundes theaterchef Ernst Marboe, auch in Erwartung der ausländischen Diplomatie. Als Eröffnungsvorstellung war Mozarts Don Giovanni zur Diskussion gestanden, denn mit diesem Stück hatte man 1869 die neu erbaute Hofoper eingeweiht. Aber Staatsoperndirektor Karl Böhm hatte für Beethovens Fidelio plädiert und das erwies sich zu dem Zeitpunkt angesichts der aktuellen Ereignisse als richtige Wahl. Denn Fidelio ist auch ein politisches Stück. Darin wollte Beethoven die Idee von Freiheit und Brüderlichkeit verkünden, nicht nur das Ideal der Gattenliebe. Dieser politische Aspekt ist bis heute aktuell. (So findet sich beispielsweise im Entwurf des Koalitionsvertrags von CDU und SPD nach den deutschen Wahlen 2013 ein Passus, dass der 2020 bevorstehende 250. Geburtstag Beethovens eine »nationale Aufgabe« sei.) K A R L LÖBL
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