Auf Baumstämmen über die Schlucht Von Mathias Possler Die Zeit von 1945 bis 1954 war eine der härtesten Zeiten, die die Banater Schwaben je erlebt haben. Sie waren entbehrungsreicher als die Kriegsjahre. Mehrere Ministerialbeschlüsse der rumänischen Regierung zielten auf die Zersplitterung der deutschen Minderheit in Rumänien ab, durchgeführt wurden sie alle. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges waren Enteignung, Verschleppung und Demütigung. Aber als rumänische Besonderheit muss gesagt werden, dass es keine ethnischen Säuberungen oder Gräuel wie im jugoslawischen Teil des Banats gegeben hat, keine wilden Vertreibungen wie aus der Tschechoslowakei oder Polen. Die deutsche Sprache wurde nicht verboten. Das ließ die Banater Schwaben wieder Mut schöpfen. Die kommunistische Diktatur mit dem Geheimdienst Securitate hatte das Land total im Griff. Es ist zutreffend, was der Banater Schriftsteller Richard Wagner so beschreibt: „Alle sprachen leise, obzwar es Tag war“. 1962 beschlossen wir, nach Deutschland auszuwandern. Nachdem wir mehrere Absagen auf unsere Anträge erhalten hatten, folgte ein Spießrutenlauf. Wir beschlossen, auf eigene Faust den Eisernen Vorhang zu überwinden. In Absprache mit meinen Schwiegereltern und meiner Frau entschloss ich mich, die Flucht durch die Donau zu wagen. Alle Sicherheitsvorkehrungen waren getroffen. Ich verabschiedete mich von meiner Mutter und meinen Geschwistern ohne Umarmung und ohne Händedruck. Den göttlichen Segen holte ich mir im Temeswarer Dom, und am 9. Oktober 1978 abends ging es los. In der Großgemeinde Jahrmarkt (Giarmata) im Banat ließen wir Haus und Hof zurück, alles, was für Generationen zur Heimat geworden war. Die deutsche Gemeinschaft in Jahrmarkt war damals noch relativ intakt. Es gab eine Schule mit deutscher Unterrichtssprache, deutschen Gottesdienst, den Feuerwehr-, Rosenkranz- und Leichenverein, die Faschings- und Musikantenbälle, die Schlittenfahrten im Winter bei Glühwein und volkstümlichem Gesang, woran fast die ganze Gemeinde teilnahm. So gesehen, konnten wir uns wirklich nicht beklagen - nur der Drang nach Freiheit war größer. Wir wollten frei denken, reden, reisen und handeln. Wir fuhr übernachteten wir. Um 3 Uhr ging die Fahrt mit dem Bus 40 Kilometer donauaufwärts. Wir passierten drei Grenzkontrollen. Schwer bewaffnete Grenzsoldaten kontrollierten uns. Ein Ortskundiger, der uns begleitete, hatte den Busfahrer und die Grenzsoldaten bestochen. Am Abend des 10. Oktober 1978 gegen 19 Uhr verließen wir das Haus des Schleusers. Nach einem Fußmarsch von sieben Kilometern erreichten wir einen Schafstall. Es war eine sehr ruhige, helle Mondscheinnacht, aber die Nerven lagen blank. Vor uns lag der Abstieg zur
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