Herstellung in der Hauptstadt vermutet. Dagegen könnte die hier abgebildete Ikone des Sinai-Klosters mit einem Brustbild Christi in Ägypten entstanden sein (Abb. 228). Wegen der starken seitlichen Beschneidung der Tafel ist ein wichtiges Kompositionselement kaum zu erkennen: die Würdearchitektur hinter und neben dem Dargestellten. Sie besteht aus einer zurücksprin- neben stehenden alttestamentlichen Propheten in genden Nische zwischen zwei seitlichen, mit Fenstern der Ausmalung einer Kirche am Karm al Ahbarpa versehenen Bauteilen. Dieser architektonische Hin- beim ägyptischen Wallfahrtsort Ab6 Mpna (S. ) tergrund wurde für die Büste abgeschnitten, ergehörte ist so überzeugend, dass eine Herstellung der Ikone jedoch ursprünglich zu einer stehenden Gestalt. Die in Ägypten wahrscheinlich ist. Übereinstimmung mit der Architektur hinter und
9i. Textilien In Ägypten blieb eine große Anzahl gewebter und geknüpfter Textilien erhalten, teils aus klimatischen Gründen, teils wegen ihrer zweiten und endgültigen Verwendung als Leichentuch. Meist gehörten die Objekte zur mehr oder weniger aufwendig geschmückten Kleidung. Vorhänge oder Wandbehänge mit eingewebten figürlichen Darstellungen wie das Exemplar in Cleveland sind selten (Abb. 229). Maria sitzt vor rotem Grund mit dem Jesuskind auf einem mit Gemmen und Perlen geschmückten Thron, der eine hohe Rückenlehne und einen Fußschemel besitzt. Sie hat das Maphorion über den Kopf gezogen und trägt einen Nimbus. Auch die beiden Engel sind nimbiert, über den Haaren tragen sie Diademe, und der rechte präsentiert einen Globus mit Mondsicheln und Sternen. Wie auf der sehr ähnlichen Marientafel des Diptychons in Berlin (Abb. 209) ist das Thronbild mit einer Säulenarchitektur gerahmt, doch trägt diese hier nur eine schmale Leiste mit den Namen Marias und der Engel Michael und Gabriel. In der nach rechts verschobenen Christusdarstellung wechselt der Hintergrund von unterem Himmelblau mit Sternen zu oberem Rot. Das Bild Christi, der in einer Mandorla thront, die von Engeln »getragen« wird, hat der Weber einer zweizonigen Darstellung der Himmelfahrt Christi entnommen (Abb. ). Es ist zwar mit dem Marienbild gemeinsam von einem Band mit Blumen und Früchten umgeben, aber die Apostelmedaillons und deren Namensbeischriften rahmen nur das Marienbild mit den Engeln. Dessen Vorbild wird also eine selbständige Marienikone gewesen sein. Über dem häufigsten Gewandstück der Spätantike, der Tunika, wurde zwar häufig noch ein Mantel getragen, doch oft so locker, dass die Zierstreifen (clavi) und runden Aufsätze (orbiculi) der Tunika teilweise sichtbar waren (Abb. 232). Es ist daher nicht verwunderlich, dass für den Dekor der Tunika erheblicher Aufwand getrieben wurde. Bei dem in Vorderansicht gezeigten Exemplar in Riggisberg sind die etwa
12 cm breiten Zierstreifen mitgewebt. Sie befinden sich am Halsausschnitt und den Ärmeln und laufen auf beiden Seiten der Tunika senkrecht hinunter. Beide 1,28 m langen Hälften der Tunika wurden gleichzeitig gewebt, und zwar in der Weise, dass die langen Streifen im Webstuhl quer verliefen – der Webstuhl für diese Tunika muss also 2,60 bis 2,70 m breit gewesen sein. Die Streifen sind mit Blattranken und abwechselnd mit kreisförmigen und quadratischen Feldern verziert, in denen außer Gefäßen mit Pflanzen Tänzerinnen dargestellt sind. Damit ist der Dekor dieser Tunika auch ikonographisch typisch für die spätantike ägyptische Bekleidung. Man würde im 6. Jh. im christlich-koptischen Ambiente weitgehend biblische Darstellungen erwarten, doch bilden die »Josephstoffe« eine Ausnahme. Die Ikonographie der Streifen und der Aufsätze von Tuniken beschränkt sich sonst auf Eroten, Tänzerinnen, Jahreszeitengenien, Reiter, Angler, Pflanzen, Tiere und ähnliche Themen. Zusätzlich zu den Zierstreifen konnten auch meist kreisförmige, seltener quadratische Bildfelder den Dekor der Tunika erweitern (Abb. 231–232). Sie saßen meist unter den Schultern und in Höhe der Knie des Trägers (Abb. ). In großer Zahl blieben runde Bildfelder erhalten, die getrennt gewebt und dann auf Tuniken aufgenäht wurden, wie aus den nach hinten umgeschlagenen Webkanten hervorgeht. Technisch kamen zur senkrechten Leinenkette horizontale Leinen- und Woll-Schussfäden. Nur wenige Details sind mit der »fliegenden Nadel« eingetragen. Mit den beiden Angelfischern und den vielartigen Pflanzen und Tieren seines Dekors ist der Aufsatz in Riggisberg typisch für die Farbigkeit und den naiven Stil dieser Textilien. Der blaue Grund des äußeren Rahmens, des Rahmens des Mittelmedaillons und der beiden Palmetten bietet einen geschickten Kontrast zum roten Grund der übrigen Darstellungen.
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