Im lecken Schlauchboot über die Donau Von Klaus Schneider Ich schreibe diesen Bericht für meine Kinder. Sie leben in einem freien Land; es ist für sie selbstverständlich, heute nach Österreich zum Skilaufen zu fahren und nächste Woche genauso, ohne große Formalitäten, nach Australien oder Brasilien zu fliegen. Heute sind es auf den Tag genau 25 Jahre seit meiner Flucht aus Rumänien, über die Donau und Jugoslawien nach Österreich. Das war in einem anderen Jahrhundert. In ein paar Jahren wird man vielleicht ganz vergessen haben, dass es im 20. Jahrhundert nicht nur zwei Kriege gegeben hat, Massenvernichtung Klaus Schneider und Vertreibung, sondern dass lange Zeit nach diesen Ereignissen Menschen immer noch gezwungen waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um frei leben zu können. Deshalb schreibe ich das jetzt nieder, bevor auch meine Erinnerungen verblassen. Hermannstadt, Donnerstag, 10. November 1977: Heute sind wir aufgebrochen; endlich ist es soweit, endlich. Heute fahren wir von Hermannstadt nach Bukarest, um Vasile abzuholen. Wir, das sind Hermann und ich, Fahrer ist Stefan. Und von Bukarest geht es weiter, an die Donau, endlich geht’s an die Donau, an die jugoslawische Grenze; wir wollen über den Strom setzen und über Jugoslawien in den Westen gelangen. Ich versuche, herauszufinden, seit wie vielen Jahren ich Fluchtpläne schmiede, wahrscheinlich, seit ich 20 Jahre alt geworden bin, also seit 1966. Immerzu Fluchtpläne, keine Aktion, nur Pläne, Träume vom freien Westen, von Reisen, von Autos oder von Booten. Ja, damals muss es passiert sein, als ich 20 war, ich war schon Student und arbeitete im Sommer als Reiseleiter am Schwarzen Meer. Touristen, die mit Neckermann oder Quelle in Mamaia ihren Billigurlaub verbrachten, hatten mich infiziert. Und das war ich möglicherweise seit meiner Geburt, hieß es doch schon im Elternhaus, wenn ein Ding mal gut und schön war, „das ist aus Deutschland“. Mutters Bruder, Onkel Kurt, war in Deutschland; er war Ingenieur bei Siemens, dort war alles so gut und schön, und dorthin wollte ich natürlich auch. Um alles zu erklären, müsste ich recht weit ausholen. Lassen wir es, ich wollte sowieso nur eines: weg. Dorthin, wo all die herrlichen Autos herkamen, die ich am Schwarzen Meer bewunderte. Dahin, wo man sich einfach in einen Flieger setzt und in einem Tag in Australien sein kann.
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