Mehr Glück als Verstand Von Carmen Buschinger Anfang Dezember 1978 ist mein Vater im Alter von 23 Jahren aus Rumänien geflüchtet. Michael Buschinger, geboren am 31. August 1955, lebte bis zu seinem 23. Lebensjahr in Rekasch, bis er in jenem Dezember über die Donau nach Deutschland geflüchtet ist. Er selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht: Es ist alles gut gegangen, ihm war der Neuanfang in Deutschland wichtiger als alles andere. Er wollte die Vergangenheit hinter sich lassen und sich mit seiner Familie auf das Hier und Jetzt konzentrieren. So kam es, dass wir uns bisher eigentlich nie im Detail darüber unterhalten haben, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Gemeinsam mit meiner älteren Schwester Isabella und meiner jüngeren Schwester Sarah, bin ich wohlbehütet in Pforzheim aufgewachsen; wir haben eine wunderschöne Kindheit genossen. Uns fehlte es an nichts. Wir waren frei. Aus diesem Grund kann ich sein Handeln nur schwer nachvollziehen, ich versuche zu verstehen, warum mein Vater mit diesem Fluchtversuch sein Leben aufs Spiel gesetzt hat. Zwar ist mir die damalige Problematik durch Erzählungen meines Vaters und meiner Oma bekannt, doch wenn man die damalige Lage mit ihren Konsequenzen selbst nicht erlebt hat, erscheint sie einem befremdlich, trotz Verständnisses. Vor der Flucht: Die wenigen Erinnerungen, die Michael Buschinger 1977 in Rumänien ich selbst an Rumänien habe, stammen aus meiner Kindheit. In den Sommerferien pflegten wir in erster Linie nach Mazedonien in das Städtchen Radovis zu fahren, in die Heimatstadt meiner Mutter Radka, um Verwandte zu besuchen. Auf dem Weg dahin machten wir wenige Male halt in Rumänien, in Rekasch, der Heimat meines Vaters. Während seiner Jugend genoss mein Vater seine Freiheit und fühlte sich keineswegs eingeschränkt. Nachdem er die Berufsschule beendet hatte, ging er 1976 zum Militär. Wie viele andere Deutsche, wurde er nicht direkt zu den
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