Verteidigerin einer sicheren und offenen Heimat für Transsexuelle
CLÉMENCE ZAMORA CRUZ LEHRERIN, SPRECHERIN FÜR INTER-LGBT UND A K T I V I S T I N F Ü R T R A N S S E X UA L I TÄT
A N E I N E M N O V E M B E R M O R G E N treffe ich Clémence Zamora Cruz am Gare du Nord und
erkenne sie sofort. Sie steht ein wenig abseits, beobachtet die Menschen mit einem leicht verträumten Blick, den ich schon von ihren Fotos kenne. Ihr langes, seidig-schwarzes Haar und ihre durchdringenden blauen Augen fallen sofort auf. Wir suchen nach einem ruhigen Ort für unser Gespräch – keine einfache Aufgabe an diesem wohl belebtesten Bahnhof in Europa. Schließlich finden wir ein gemütliches Plätzchen in der Brasserie L'Étoile du Nord, trinken eine Tasse Kaffee, umringt von geschäftigen Reisenden. Dass sie unserem Gespräch zuhören könnten, stört Zamora Cruz nicht. Daher spricht sie so offen über ihr Leben, als wären wir allein. Ihre Geschichte beginnt in einer tief katholischen Familie. Zamora Cruz war sechs Jahre alt, als sie erklärte, sie sei ein Mädchen. Es war kein Coming-out, sondern vielmehr eine Bestätigung ihrer Identität. Es gab keine Zweifel oder Verwirrung, keine Missstimmung über ihr Geschlecht – sie war sich einfach sicher. »Meine Eltern sagten sich, dass mein längeres Haar und mein Interesse an Mädchenkleidung eine vorübergehende Phase sei«, erzählt sie mir. Aber bei einem Abendessen mit der Familie änderte sich die Stimmung. Die Eltern fragten sie und ihre Geschwister, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen und was sie werden möchten, wenn sie erwachsen seien. »Ich möchte meinen Lehrer heiraten!«, erklärte Zamora Cruz stolz auf diese Frage. Ihr Vater tadelte diese Idee sofort. »Das geht nicht. Jungs können keine anderen Jungs heiraten.« Und sie gab zurück: »Kein Problem, denn ich bin kein Junge.« Dieses Gespräch fand in den 1980er Jahren in Mexiko statt, einem der damals wie heute für transsexuelle Menschen gefährlichsten Länder der Erde (gemäß Berichten des Trans Murder Monitoring-Projekts (TMM, Projekt zur Überwachung von Morden an Transsexuellen) ist derzeit Mexiko nach den USA das »tödlichste« Land. Auf Platz 1 steht Brasilien).33 Probleme mit der Geschlechtsidentität wurden und werden stark stigmatisiert und entweder mit sexueller Orientierung in Zusammenhang gebracht oder als Form einer mentalen Krankheit behandelt. Mithilfe
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L A PA R I S I E N N E