Ludwig van Beethoven war einer der produktivsten Komponisten aller Zeiten. Und zwar nicht nur für Klaviermusik, Symphonien, Trios, Lieder und Streichquartette, sondern auch für Opern. Außer Fidelio hat er noch 53 weitere Werke geschrieben, die bis heute auf allen großen Bühnen der Welt immer wieder gespielt werden. Die berühmtesten und beliebtesten davon sind: die wunderbare Phädra, der grandiose Macbeth (gegen den Verdis Version nie eine Chance hatte), der überwältigende Lear (wegen dem Verdi sein Lear-Projekt gleich ganz aufgab), die unvergleichliche Antigone, der tragische Brutus und der von ihm selbst als sein Opus magnum bezeichnete Nero. Sie haben von keiner dieser Opern je gehört? Keine Sorge, das ist keine grobe Bildungslücke Ihrerseits. Denn Beethoven hat sich zwar mit all diesen Stoffen beschäftigt, aber letztlich keinen davon vertont. Was uns bleibt, sind nur vage Pläne, ein paar Briefstellen und einige Skizzen mit dahingekritzelten Motiven. Rudolf Pecˇman zählt in seinem Buch Beethovens Opernpläne wirklich nicht weniger als 53 vom Meister verworfene Libretti. Mit dieser bedauerlichen Tatsache muss man sich leider abfinden. Aber träumen wird man doch wohl noch dürfen, was gewesen wäre, wenn...? Beethoven hat sich nämlich, was von seinem weltweiten Ruhm als Champion der Instrumentalmusik nachhaltig überschattet wird, zeit seines Lebens, von seiner Jugend in Bonn bis wenige Monate vor seinem Tod, intensivst für Musikdramatik interessiert. Und er hat ja letztlich auch viel für die Bühne geschrieben: Ballette, Schauspielmusiken, Einlagearien. Angefangen vom Ritterballett und Die Geschöpfe des Prometheus über Egmont, Die Ruinen von Athen und König Stephan bis zu Tarpeja, Die Weihe des Hauses und (schönster aller Titel!) Leonore Prohaska. Was wäre also naheliegender, was wäre also logischer gewesen, als dass der Meister auch eine ganze Reihe an »ganzen« Opern komponiert hätte? Libretti gab es, wie gesagt, genug, 53 an der Zahl. Interessanterweise sind keine Kriterien erkennbar, weder in der Auswahl noch in der Ablehnung. In Betracht gezogen wurden unter anderem: eine Alcina und eine Armida, Die Ruinen von Babylon, Odysseus’ Wiederkehr, Die Orestie, aber auch Das Märchen von der schönen Melusine, Claudine von Villa Bella und sogar Memnons Dreiklang, nachgeklungen in Dewajani, einem indischen Schäferspiele und Anahib, einem persischen Schäferspiele... Das zuletzt erwähnte Textbuch stammte übrigens vom berühmten, gerade nach Wien zurückgekehrten Orientalisten Hammer-Purgstall. Heinrich Joseph von Collin wiederum bot ihm einen Macbeth an (der ihm zu düster schien, aber von dem immerhin ein Hexenchor existiert) sowie einen bei der Befreiung Jerusalems spielenden Bradamante (in dem Beethoven aber zu viel »Zauberey« war). Ab Sommer 1808 dachte der Titan darüber nach, Goethes Faust. Der Tragödie Erster Teil zu vertonen. Trotz oder wegen der persönlichen Begegnung
41
ROBERT QU IT TA