Titelgeschichte
„Schritte setzen, Wege gehen“ Im Gespräch mit Waltraud Deeg über Frauen in Politik und Wirtschaft
Vor kurzem wurde Waltraud Deeg zur Landeshauptmann-Stellvertreterin gewählt. Zwar nicht gerade unter den günstigsten Umständen, da ihr Vorgänger Arnold Schuler sein Amt wegen des 600-Euro-Bonus-Skandals räumen musste – dennoch schmälert das nicht die Leistung der Landesrätin für Familie, Senioren, Soziales und Wohnbau, die als zweite Frau in der Südtiroler Geschichte nach Luisa Gnecchi in dieses Amt berufen wurde. Erker: Frau Deeg, was möchten Sie als Stellvertreterin des Landeshauptmannes bewegen? Waltraud Deeg: Der größeren Aufmerksamkeit bin ich mir noch nicht so ganz bewusst. Grundsätzlich sollte eines nicht passieren, und zwar, dass mich das Amt verändert. Die Dinge, die mir vorher wichtig waren, wie Familie, Senioren, die Jugend, die Menschen an sich, sind mir in meiner neuen Funktion immer noch wichtig. Was sind Ihre ersten Erfahrungen? Es hat mich schon gewundert, wie sehr die Menschen die neue Funktion bereits wahrnehmen. Gegenüber vom Landhaus beispielsweise gibt es eine kleine Bar, die von einem italienisch sprechenden Herrn geführt wird, mit dem ich manchmal ein paar Worte gewechselt habe. Vor kurzem habe ich die Bar wieder besucht und wurde von diesem Herrn mit den Worten begrüßt: „Ho visto che ha fatto un passo in avanti!“ Da musste ich erst einige Sekunden überlegen, was er gemeint hat. Ich habe mich gewundert, aber auch gefreut und dann hat sich ein nettes Gespräch entwickelt. Es überrascht mich im positiven Sinne,
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Erker 11/20
Waltraud Deeg: „Wenn man in einem Zuhause mit vielen politisch denkenden Menschen aufwächst, dann packt es einen irgendwann.“
dass die Leute meine neue Funktion wahrnehmen. Ich habe nämlich den Eindruck, dass die Politik zurzeit nicht die größte Sorge der Menschen ist. Aus welchem Grund haben Sie sich für die Politik entschieden? Nach meinen Kindheitserfahrungen – ich wurde mit 15 Jahren Vollwaise – habe ich beschlossen, nicht in die Politik zu gehen. Wenn man aber in einem Zuhause mit vielen politisch denkenden Menschen aufwächst, dann packt es einen irgendwann, man sieht, dass man etwas verändern kann, und bekommt Lust darauf. Als ich diesen Schritt wagte, habe ich gleichzeitig beschlossen, mich nicht von diesem Amt abhängig zu machen. Politische Tätigkeit funktioniert nicht, wenn man immer Angst haben muss, ob man in
fünf Jahren wiedergewählt wird. Mir ist wichtig, die Menschen im Entscheidungsprozess mitzunehmen – etwas, was in der heutigen Politik leider viel zu oft vernachlässigt wird. Deshalb nehme ich mir immer die Zeit, bei den verschiedenen Anlässen mit den Leuten zu reden. Der Zugang zu den Problemen der Menschen ist ein anderer, wenn man mit ihnen spricht, als wenn man sich nur darauf beschränkt, Berichte darüber zu lesen. Vor kurzem waren Sie im Rahmen der Technikerinnen-Tour in Sterzing zu Gast. Aufgrund des Fachkräftemangels entdeckt die Wirtschaft das Potential der Frauen. Wie wichtig sind solche Projekte bzw. wie wichtig ist es, dass die Politik sie unterstützt? Es ist sehr wichtig, Projekte und
Organisationen wie Wnet zu unterstützen, weil sie die Basis sind, damit Frauen überhaupt in Führungspositionen aufsteigen können. Nicht nur die Kompetenz, sondern vor allem auch die Vernetzung spielt hier eine sehr große Rolle. Vielleicht unterschätzen das die Frauen zu oft. Ein Frauennetzwerk ist wichtig, aber mir gefallen gemischte Netzwerke noch besser. Auch auf Gemeindeebene ist eine Kommission für Chancengleichheit vorgesehen, wo mindestens eine Stelle von einem Mann besetzt sein muss. Wenn ich mich an meine Gemeindetätigkeit zurückerinnere, musste es immer ein Freiwilliger sein, der sich zur Verfügung gestellt und damit auch das Mitleid der Kollegen geerntet hat, sich zwischen den ganzen Frauen aber oft sehr wohlfühlte. Wichtig ist, Schritte zu setzen und Wege zu gehen. Sollte die Politik mehr Einfluss auf die Schulbildung nehmen und sie dahingehend beeinflussen, dass den Mädchen verstärkt Chancen und Möglichkeiten einer technischen Ausbildung aufgezeigt wird? Wenn man erst in der Schule damit beginnt, ist es zu spät. Schule ist ein wichtiger Faktor, aber es muss viel früher beginnen – nämlich im Kleinkindalter und beim Spielzeug. Es wird vorausgesetzt, dass Mädchen Puppen bekommen, aber warum nicht einen Baukasten? Die Motivation muss im Elternhaus erfolgen, später in der Schule können es dann auch Lehrpersonen sein, die wesentlichen Einfluss auf die Berufswahl haben. Ich glaube aber nicht, dass man die Einstellung der Frauen zur Technik politisch, sozusagen von oben herab, beeinflussen oder verordnen kann, im Endeffekt liegt es an den Menschen, an der Gesellschaft.