SACHBUCH
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Warum heißt die Titan-Sonde Huygens? Wissenschaftsgeschichte: Eine brillante Wiederentdeckung des Pioniers Christiaan Huygens (1629–95)
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alileo Galilei und Sir Isaac Newton zählen zu den weltweit bedeutendsten Forschern. Der von 1564 bis 1642 in Norditalien lebende Universalgelehrte Galilei entwickelte bahnbrechende Methoden und gilt als Begründer der modernen Naturwissenschaften, der 1643 geborene und 1727 in Kensington verstorbene Newton wurde als Entdecker der Gravitation und Bewegungsgesetze berühmt. Zeitlich gesehen dazwischen lebte in den Niederlanden von 1629 bis 1695 ein gewisser Christiaan Huygens, der unter anderem eine Wellentheorie des Lichts entwarf. Er kannte Rembrandt, Rubens, Descartes und Leibniz, studierte Rechtswissenschaften, widmete sich sehr früh mathematischen und physikalischen Fragen und leistete dort ebenso bedeutende Beiträge wie Galilei und Newton. Berühmt war er allerdings nur zu Lebzeiten.
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Christiaan Huygens war der bedeutendste europäische Naturwissenschaftler seiner Zeit und gehört als solcher auch heute angemessen gewürdigt HUGH ALDERSEYWILLIAMS
Dass Christiaan Huygens nicht nur der bedeu-
tendste europäische Naturwissenschaftler seiner Zeit war, sondern als solcher auch heute angemessen gewürdigt gehört, belegt Hugh Aldersey-Williams mit seiner tiefgründigen Biografie. Er schildert die Entdeckungen und Erfindungen von Huygens und arbeitet heraus, wie dieser in der naturwissenschaftlichen Revolutionszeit des 17. Jahrhunderts ein neues Weltverständnis initiierte. Mit seinen Arbeiten und Interventionen schuf Huygens die Basis für die Aufklärung, den modernen Verfassungsstaat wie auch die wissenschaftlichen Akademien. Um es vorwegzunehmen: Mit seiner beeindruckenden Recherche hat der 1959 geborene Aldersey-Williams ein weiteres Sachbuch verfasst, das einen Standard setzt. Er lebt in London und Norfolk, verantwortet Ausstellungen im Victoria and Albert Museum und ist 2011 mit „Periodic Tales“, einer Kulturgeschichte der Elemente, bekannt geworden. In dieser frönte er seiner Leidenschaft aus Teenager-Zeiten, als er mit dem Sammeln von Elementen begann.
Hugh AlderseyWilliams: Die Wellen des Lichts. Christian Huygens und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. Hanser, 495 S., € 28,80
Christiaan Huygens kam am 14. April 1629 in Den Haag zur Welt. Der Vater Constantijn war ein hochangesehener Dichter, Sprachgelehrter, Diplomat und Komponist, ein glühender Anhänger von René Descartes (1596–1650) und ein Universalist, der seine vier Söhne und die Tochter selbst unterrichtete. Die Mutter Susanna van Baerle hatte mit 18 ihre Eltern verloren, deren florierendes Handelsunternehmen geerbt und verfügte als selbstbewusste Frau mit ausgeprägtem logischen und mathematischen Verstand über beachtliche administrative Fähigkeiten. Christiaan war der zweite Sohn, der mit seinem knapp ein Jahr älteren und ebenfalls Constantijn genannten Bruder zusammenarbeitete. Vom Vater angespornt, wetteiferten die beiden miteinander und blieben lebenslang eng verbunden. Im Mai 1646 immatrikulierten sie sich an der
Universität Leiden, der größten protestantischen Hochschule jener Zeit. Um für sie ein Netzwerk aufzubauen, schrieb der Vater unter anderem an den französischen Mathematiker Marin Mersenne, der die angepriesenen Talente sogleich testete und ihnen ein Problem stellte. Nur Christiaan antwortete, und im Anschluss entwickelte sich ein lebhafter Briefwechsel. Bald wurden auch andere angesehene Mathematiker wie Blaise Pascal auf das Großtalent aufmerksam. Nach diesem gelungenen Einstieg entwickelte sich die Karriere von Christiaan Huygens rasant. Er antizipierte die Philosophie von René Descartes und dessen neues Naturverständnis, nach dem beispielsweise Vorgänge in Zeit und Raum messbar sind oder die Algebra nützlich ist, um Probleme der Geometrie zu lösen. Ausgerüstet mit solch fruchtbaren Denkwerkzeugen ging er viele Fragen seiner Zeit an, verbesserte den Bau von Pendeluhren, konstruierte Taschen-, Schiffsuhren und Fernrohre und schliff Linsen, verfasste Abhandlungen über das Licht oder die Ursache der Schwerkraft, konstruierte Fernrohre und spekulier-
te bereits über die Möglichkeit außerirdischen Lebens. Am 14. Januar 2005 landete eine Raumsonde
der NASA auf dem Titan, einem Mond des Saturns, dem vom Zentrum unseres Sonnensystems aus gesehen sechsten Planeten. Der Saturn hat einen Durchmesser von über 100.000 Kilometern, eine 95 Mal größere Masse als die Erde und benötigt für einen Umlauf um die Sonne etwa 29,5 Jahre. Start jener NASA-Mission auf Cape Canaveral war der 15. Oktober 1997 gewesen. Am 1. Juli 2004 hatte das als „Cassini-Huygens“ bezeichnete Gefährt seine Laufbahn um den Saturn erreicht und von da aus einen sogenannten Lander namens „Huygens“ losgeschickt, eine kleinere Sonde, die drei Wochen später die Mondoberfläche erreichte. Von dort aus sendete „Huygens“ überaus wichtige Messdaten, die zu spektakulären Erkenntnissen in Bezug auf diesen Planeten und seine Monde führten. Für Astronomen war der nach dem römischen Gott des Reichtums und der Ernte benannte Saturn immer schon eine Attraktion gewesen. Er ist mit bloßem Auge gut sichtbar, hat über 80 Monde und insbesondere ein Ringsystem, das Anlass für wilde Spekulationen gab. Entdeckt hatte dieses 1610 Galilei, der die Struktur allerdings als eine Art Henkel deutete. Erst Huygens beschrieb sie korrekt. Heute weiß man, dass solche Planetenringe eine Ansammlung fester Partikel verschiedenster Größen sind, die einen Himmelkörper wie auf einer Ebene umkreisen. Man würde sich wünschen, dass Huygens die ihn bestätigenden Erkenntnisse der Saturn-Mission hätte miterleben dürfen. Für ihn als Wissenschaftler, der sich nie von pseudowissenschaftlichen oder theologischen Debatten seiner Zeit hatte beirren lassen und international ausgerichtet war, wäre diese Bestätigung eine so große Freude gewesen wie für uns Leser die von Hugh Aldersey-Williams verfasste Biografie über ihn. ANDRÉ BEHR
Der Schweizer Arzt und ehemalige 68er Peter Mattmann-Allamand schlägt einen Richtungswechsel der Politik um 180 Grad vor: Deglobalisierung, d.h. Lokalisierung und Kleinräumigkeit, Regeneration des Ökosystems, qualitative Entwicklung statt quantitatives Wachstum, tendenzielle Dedigitalisierung, Dekommerzialisierung, Deindustrialisierung und Demotorisierung.
Peter Mattmann-Allamand
DEGLOBALISIERUNG Ein ökologisch-demokratischer Ausweg aus der Krise ISBN 978-3-85371-489-8, 264 Seiten, broschiert, 22,00 Euro E-Book: ISBN 978-3-85371-891-9, 18,99 Euro
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