SACHBUCH
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vativen Ideen und neuer Gemeinschaft die Politik müsse sofort etwas tun, dann solle bis dahin wenigstens möglichst viel Wissen gesammelt sein. David Keith, der als „führender Verfechter des Geoengineering“ firmiert, reagiert gereizt auf diese Darstellung. Er sei bloß, knurrt er, „ein Verfechter der Realität“. Die Skepsis der Autorin gegenüber derartigen Methoden zieht sich durch das gesamte Buch, sie vergleicht die Ideen zur Klimakontrolle mit der Behandlung eines Heroinabhängigen mit Amphetaminen. Dennoch kommt sie nicht zum Schluss, dass all diese Ideen niemals umgesetzt werden dürften. Müsste man es nicht dennoch in Betracht ziehen, wenn damit noch viel größeres Unheil verhindern könnte? Könnte es vielleicht einmal unser letzter Ausweg sein? Kolberts exzellent recherchiertes Buch hinterlässt seine Leser beunruhigt. Wenn aber selbst die Forscher ohne Geo-
heute die meisten Hoffnungen beruhen, ist das Solar-Geoengineering oder „Sonnenstrahlungsmanagement“, eine Methode, die viele als „Highway zur Hölle“ sehen. Der Grundgedanke: „Wenn Vulkane die Erde abkühlen lassen können, kann der Mensch das ebenfalls.“ Bringt man große Mengen reflektierender Partikel in die Stratosphäre, so erreicht weniger Sonnenlicht die Erde und die Temperaturen steigen nicht weiter. Welches Material man am besten in die Stratosphäre
Naomi Klein: How to Change Everything. Wie wir alles ändern können und die Zukunft retten. Hoffmann und Campe, 256 S., € 18,50
schießen soll, ist strittig: Schwefeldioxid, Calciumcarbonat, ja, sogar Diamanten sind im Gespräch. Von der Methode überzeugt sind allerdings nicht einmal jene, die die Methode jeden Tag erforschen. Je nach ausgebrachtem Material ist mit saurem Regen oder Schäden an der Ozonschicht zu rechnen. Der Himmel wäre nicht mehr blau, sondern weiß, es könnte zu völlig veränderten Niederschlagsmustern, Dürren und anderen unerwünschten Folgen kommen. Einmal gestartet, ließe sich Geoengineering kaum wieder einstellen, so Kolbert: denn das hätte „die Wirkung, als würde man eine globusgroße Ofentür öffnen. Die gesamte Erderwärmung, die kaschiert wurde, würde sich plötzlich in einem rapiden, dramatischen Temperaturanstieg manifestieren.“ Ein Wissenschaftler erzählt von seiner Angst, „dass es tatsächlich passieren könnte“. Sollten aber in zehn Jahren Menschen lautstark fordern,
engineering auskommen wollen, bleibt die Frage: Wie bremsen wir dann die Emissionen runter? Luisa Neubauer und Bernd Ulrich holen in ihrem Gesprächsbuch weit ins Grundsätzliche aus. Ulrich sieht die Öko-Krise auch als riesige Sinnkrise. Nach zwei Weltkriegen und totalitären Systemen, sinniert er, habe sich die Idee durchgesetzt, dass man die Reibung zwischen den Menschen, dadurch verringert, „dass man sie mit Materie, mit ständig wachsendem Wohlstand friedlich hält“. Die Frage nach dem Wozu beantworte unsere Kultur damit, dass es den Kindern einmal besser gehen solle. Nun aber sei dieses „Füllmaterial“ plötzlich schlecht beleumundet. Vor allem gerate das unter Druck, was Männern half, ihr Selbstverständnis aufrechtzuerhalten: immer schwerere Autos, Jagen, Fleischessen und Grillen sowie „angeberische energieaufwendige Business-Mobilität“. Und jetzt? Verliere nicht nur die Gegenwart ihre Deutungsmacht über das Vergangene, auch die Zukunft sei „als Abraumhalde mit zu erledigenden Aufgaben und zu entsorgendem Müll verstellt“. In dieser Situation bestehe die Gefahr, weiß Neubauer, dass Menschen am liebsten gar nichts mehr hören wollten, weil sie nicht wüssten, wo sie anfangen oder was sie tun könnten. Informationen allein hätten noch nie jemanden zum Handeln gebracht. „Es sind immer Emotionen beteiligt.“ Emotionen, Fantasie, einfach mal anfangen: Genau das ist Rob Hopkins’
Rob Hopkins: Stell dir vor … Mit Mut und Fantasie die Welt verändern. Löwenzahn, 288 S., € 22,95
Metier. Der Brite hat die Umweltinitiative der Transition-Towns-Bewegung mitbegründet, forscht am Post Carbon Institute und hält Talks für die Informationskonferenz und -website TED. Seine These: Wir haben deshalb erst so wenig verändert, weil wir uns gar nicht mehr vorstellen können, wie alles anders gehen könnte. „Angesichts des Zustands der Welt klingt die Botschaft der Verzweiflung ziemlich überzeugend“, schreibt Hopkins. „Aber etwas daran will mir nicht so richtig gefallen.“ Er sieht Anzeichen dafür, dass sich die kulturellen Gegebenheiten ändern können, und zwar sehr rasch. Was, wenn der „so dringend benötigte Wandel nicht von der Regierung und der Geschäftswelt kommen würde, sondern von dir und mir, von kollaborativen Gruppen“? Hopkins hat es selbst in seiner Heimatstadt Totnes, Devon, ausprobiert. Vor gut zehn Jahren fingen dessen 8500 Bewohner an, Gemüse am Bahnhof und Bäume auf öffentlichen Grundstücken anzupflanzen. Sie sammelten Geld und kauften damit eine eigene Mühle für die Stadt. Um die lokale Wirtschaft anzukurbeln, brachten sie eine eigene Währung heraus. Sie gründeten Arbeitsgruppen, die sich über Maßnahmen zum Abfall- und Energieverbrauch berieten, und eine Craft-Beer-Brauerei. Danach hatten die Haushalte ihre CO₂-Emissionen laut Rob Hopkins um durchschnittlich 1,3 Tonnen gesenkt und 600 Pfund pro Jahr gespart. Befrage man die Bewohner der nunmehrigen „Transition Town“, dann spreche niemand vom Kohlenstoff, sondern alle davon, dass sie sich nun mehr als Teil einer Gemeinschaft, eingebundener fühlten. Hopkins will keineswegs die Politik aus
der Verantwortung entlassen, meint aber, dass Gruppen von Menschen diese oft überholen könnten und damit wiederum die Politik selbst zu Taten anstoßen. Besonders angetan haben es ihm Pop-up-Aktionen, wo Menschen etwa über Nacht auf einem Stück Asphalt einen blühenden Garten pflanzen, um damit am nächsten Morgen ihre Mitbürger zu überraschen. Selbst wenn das Neue nicht von Dauer ist, entfalte es seine Wirkung. „Haben die Menschen sich einmal in dieser Verwandlung aufgehalten, sie erlebt, darin Kaffee getrunken oder neue Leute kennengelernt, sind sie für immer verändert, ihre Erwartungen an den Ort sind für immer verändert, ihr Gefühl dafür, wie die Zukunft sein könnte.“ Hopkins’ Buch ist schön illustriert und sprüht vor Ideen, ein Buch, das nicht abschreckt, sondern das man immer wieder gern in die Hand nimmt. „Wenn wir auf die Regierung warten, dann ist es zu spät.“ „Wenn wir als Einzelne handeln, dann ist es zu wenig. Wenn wir aber als Gemeinschaft handeln, wird es vielleicht reichen und geschieht gerade noch rechtzeitig.“ GERLINDE PÖLSLER