BERATER | URTEIL DES EUGH
Können Millionen Kreditverträge widerrufen werden?
Ausgangspunkt war ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Saarbrücken zur Auslegung der Verbraucherkreditrichtlinie (RL 2008/48/EG). Das Landgericht wollte wissen, ob die für ein Immobiliardarlehen verwendete Widerrufsbelehrung dem Erfordernis der Richtlinie, die Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts in „klarer, prägnanter“ Form anzugeben, genügt, wenn die Belehrung die notwendige Information lediglich durch Verweis 14
auf eine Gesetzesnorm (§ 492 Abs. 2 BGB) erteilt, die selbst wieder auf eine andere Norm verweist (sogenannte „Kaskadenverweisung“). Die Vorlagefrage hätte nicht diese besondere Aufmerksamkeit erfahren, wenn die gegenständliche Belehrung nicht dem im Zeitraum vom 10.06.2010 bis 20.03.2016 (für Immobiliendarlehen) bzw. bis heute (für sonstige Verbraucherdarlehen) geltenden gesetzlichen Muster entsprochen und der für das Bankrecht zuständige 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) den Kaskadenverweis nach den Maßstäben des nationalen Rechts nicht bereits mehrfach für klar und verständlich gesehen hätte.
Zur Entscheidung des EuGH Der EuGH sah sich in dieser Sache für zuständig und hielt zunächst fest, dass ein Verbraucher vor Vertragsschluss die Bedingungen, Fristen und Modalitäten für die Ausübung seines Widerrufsrechts kennen muss, andernfalls würde die (praktische) Wirksamkeit des in der Richtlinie vorgesehenen Widerrufsrechts ernsthaft geschwächt. Sodann urteilte er, dass im Fall der vorliegend verwendeten Kaskadenverweisung der Verbraucher auf der Grundlage seines Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen könne, ob der von finanzwelt 03 2020
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Am 26.03.2020 wurde in Luxemburg ein Urteil (Rs. C-66/19) verkündet, dass die Bankwelt und den Deutschen Gesetzgeber wachgerüttelt hat. Gegenstand der Entscheidung war eine Widerrufsbelehrung eines deutschen Kreditinstitutes, welche dem seit Juni 2010 gültigen gesetzlichen Muster 1:1 entsprach. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Belehrung nicht mit der Verbraucherkreditrichtlinie vereinbar. Hiervon betroffen wären danach mehrere Millionen, seit 2010 abgeschlossene Kreditverträge, die ggf. noch heute widerrufen werden könnten. Der Bundesgerichtshof hat sich zwischenzeitlich mit der Entscheidung des EuGH auseinandergesetzt und versucht, deren weitreichende Folgen einzufangen. Mit Erfolg?