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MACH ES (NICHT) VOLL Ich wette, jeder hat es schonmal getan: Nochmal eine Runde um den Block dran gehängt, damit die Kilometerzahl auf der Uhr auch wirklich rund ist. 9,7 km stand letztens auf meinem treuen Handgelenksbegleiter, als ich schon vor der eigenen Haustür angekommen war. Natürlich hab ich nochmal umgedreht und bin 150 Meter die Straße hoch und 150 Meter die Straße wieder zurück gelaufen. Hätte sich sonst blöd angefühlt oder? Anderer Tag, anderer Sport: Ich bin mit einem Kumpel auf den Tourenskiern unterwegs. Höhenmeter sammeln auf der Piste. Dreimal bis zur Bergstation hoch wäre eine runde Sache gewesen. Das Problem: Die Uhr zeigt 2.900 Höhenmeter an. Natürlich fahren wir mit den Fellen nochmal ein Stück runter, um die letzten 100 Höhenme-
ter für die 3.000 voll zu machen. Ich hab sogar schon Läufer beobachtet, die nach einem Rennen, welches 48 Kilometer lang war nochmal 2 Kilometer ausgelaufen sind, weil… ja warum eigentlich? Woher kommt diese Zahlenfixierung? Warum fühlen wir uns besser und vollständiger, wenn die Zahl auf unserer Uhr nach dem Stop-Drücken eine Runde ist? Schließlich ist es nur eine Nummer. Ein von Menschen erdachtes Konstrukt. Und das nicht mal einheitlich weltweit. Schließlich können wir froh sein, das metrische System zu nutzen. So eine 100 Kilometer LaufWoche ist zwar ambitioniert, aber machbar. In den USA wäre man da gerade mal bei 62 Meilen. Eine mehr als unbefriedigende Zahl. Schließ-
Foto: Andi Frank
Das Lebenspaar Jornet-Forsberg trainiert natürlich auch nach Nummern und Zahlen
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1/2023
lich sind die 100 Meilen im wahrsten Sinne des Wortes noch meilenweit entfernt. Wer schonmal einen 100 Meiler gelaufen ist, wird den Urheber des angloamerikanischen Maßsystems vielleicht sogar schon verflucht haben. Wer damals scheinbar wahllos festlegte, dass eine Meile genau 5.280 Fuß sind, hätte sich ja schließlich auch mit der Hälfte zufrieden geben können. Wieviel einfacher wäre solch ein 100 Meiler heute. Ein Glück hat sich der Sport Trailrunning zumindest in Teilen von dieser nummerischen Obsession befreit. Letztlich überlassen wir es dann doch lieber der Geologie des Naturraums, wie weit wir laufen. Wenn der Kurs dieses Rennens, der einmal um dieses Bergmassiv führt, eben 78,9 Kilometer zählt, dann ist es eben so. Obwohl, besser fühlt sich der Zugspitz Ultratrail doch an, wenn er die 100 Kilometer Marke knackt. Aber ändern sich mein Erlebnis und meine Emotionen, wenn ich 100 statt 99 Kilometer laufe? Umso mehr ich darüber nachdenke, umso alberner kommt mir das Ganze vor. Nur einer scheint völlig immun gegen dieses vermeintliche Virus zu sein. Der Chefredakteur dieses Blattes zeigt mir einen seiner alten Longruns auf Strava. 49,99 Kilometer steht da. „Ist mir komplett egal“, kommentiert er schulterzuckend. Kopfschüttelnd wende ich mich ab und gehe laufen. Zurück vor der Haustür steht 12,9 Kilometer auf der Uhr. Ich überlege kurz…aber nein…irgendwann ist Schluss. Nicht für eine Dreizehn!
Fotos: Thomas Bekker
Ein Virus geht um. Wir Läufer sind besessen von runden Zahlen. Warum fällt es uns so schwer, einen Lauf nach 19,9 Kilometern zu beenden? Eine Sinnsuche.