MEINUNGEN GASTKOMMENTARE
DER KRIEG MUSS DIE ENERGIEWENDE VORANTREIBEN
VITA RETO KNUTTI PROFESSOR FÜR KLIMAPHYSIK ETH ZÜRICH Reto Knutti (49) ist Klimaforscher und Delegierter für Nachhaltigkeit an der ETH Zürich und Autor von mehreren Klimaberichten des Weltklimarates. Der promovierte Physiker forscht im Bereich Klimamodelle und Szenarien und engagiert sich in Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik für lösungsorientierte Diskussionen und eine starke Rolle der Forschung.
Die Welt steht kopf, und für die langfristigen Heraus forderungen der Klimakrise gibt es keine Impfung. Der Mensch ist zu unberechenbar, sagt Reto Knutti.
M
it der Pandemie und dem Krieg
der geopolitischen Lage, der Politik und
in der Ukraine haben unmit-
Gesellschaft schwierig. Der Mensch ist
telbare Sorgen um Gesund-
heit, Migration, Lieferketten und Infla-
„Sind wir als Gesellschaft
zu unberechenbar. Die rationale Betrachtung der Fakten ist jedoch klar: Wir
tion zumindest medial die Klimakrise in
bereit, solidarisch und schnell
den Hintergrund gedrängt. Zu Recht. Für
zu handeln?“
doppelt, indem wir den Klimawandel be-
RETO KNUTTI
gie aus fragwürdigen Staaten reduzie-
die langfristigen Herausforderungen der Klimakrise gibt es jedoch keine Impfung, einander zu tun hat, zeigt viele GemeinWir sehen einerseits die Grenzen ei-
grenzen und die Abhängigkeit von Enerren. Natürlich wird dies hohe Investi
und was auf den ersten Blick wenig mitsamkeiten und Verbindungen.
profitieren von der Energiewende gleich
tionen benötigen und nicht ohne gewisgen der Kreislaufwirtschaft und nach-
se staatliche Rahmenbedingungen ge-
haltigen Entwicklung zu bewältigen?
hen. Aber langfristig lohnt es sich. Net-
ner globalisierten und hochoptimierten
Andererseits führt der Krieg zu Infla-
to-null-Treibhausgase vor 2050 ist für
Wirtschaft. Mit der Mentalität von „heu-
tion, höheren Lebensmittel- und massiv
die Klimaziele von Paris zwingend, und
te klicken, morgen geliefert“ und „nach
gestiegenen Energiepreisen, was die ei-
ein ambitioniertes Klimaziel ist auch
mir die Sintflut“ sind entscheidende
nen als Anlass sehen, um aus den Fossi-
wirtschaftlich sinnvoll. Wir verhindern
Fragen der Krisenfestigkeit und Versor-
len auszusteigen, und die anderen als Ar-
Klimaschäden, behalten die Milliarden
gungssicherheit und des gesellschaft-
gument benutzen, um das Benzin noch
im Land, statt sie nach Russland zu schi-
lichen Zusammenhalts unter den Tisch
mehr zu subventionieren. Kurzfristig
cken, schaffen Arbeitsplätze, reduzieren
gefallen. Woher kommt unsere Energie,
werden wohl solche Entlastungen eben-
Lärm und Luftverschmutzung und sind
wenn es eng wird? Wie robust sind unse-
so nötig sein wie zusätzliche Investitio-
weniger abhängig von Russland und vom
re Lieferketten? Sind Politik und Verwal-
nen, um die Gasversorgung von Europa
Nahen Osten.
tung auf Krisen vorbereitet, deren Gefahr
mit Schiffen sicherzustellen. Langfris-
Die Welt steht gefühlt kopf. Wir müs-
eigentlich bekannt sind? Haben wir Pro-
tig jedoch steigt mit den geopolitischen
sen sie nicht nur wieder ins Lot bringen,
fit auf Kosten von Robustheit maximiert?
Spannungen der Druck noch mehr, aus
sondern die Weichen richtig stellen, da-
Und schließlich: Sind wir als Gesellschaft
den fossilen Energieträgern auszustei-
mit sie stabiler, gerechter und nachhal-
bereit, solidarisch und schnell zu han-
gen. Gas als Übergangslösung wird es
tiger wird. n
deln, und können wir aus Pandemie und
entsprechend schwer haben.
Krieg die nötigen Lehren ziehen, um die
Eine wissenschaftlich fundierte Ana-
viel langfristigeren Krisen von Klima,
lyse oder gar Prognose, was effektiv ge-
Biodiversität und die Herausforderun-
schehen wird, ist zumindest im Bereich
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Podcast anhören. Alles nur Blabla? Das bleibt vom Klimagipfel