Audienz beim Staatschef Von Alexander Oprendek Unangemeldet erschien er eines Nachmittags bei mir in der Wohnung in Temeswar. Ich kannte ihn nicht und hatte ihn auch noch nie gesehen. Er sagte, er sei der Nachbar von nebenan. Er war ein junger Mann von unbestimmtem Alter, groß und schlaksig, ja gar mager und nicht schlecht gekleidet. Er stellte sich vor: Jan Mojar, Gelegenheitsarbeiter. Er fing an, aus seinem Leben zu erzählen. Er war auf dem Lande aufgewachsen. Der Vater hatte die Familie verlassen, und die Mutter brachte die Kinder allein durch. Er sprach Hochdeutsch mit gewählten Worten, mit einer schönen Baritonstimme und mit stark rollendem R. Als Bauarbeiter sei das Leben eine Qual, der Geist sei nicht gefordert. Seine Kollegen, die sich lediglich mit Brot und Schnaps begnügten, ödeten ihn an; er wolle sich weiterbilden und einen Beruf erlernen. Um zu zeigen, wie ernst ihm das ist, zog er ein verschlissenes Buch aus der Tasche, ein Nachschlagewerk über deutsche Dichter, und zeigte mir, dass er eben unter dem Stichwort „Schiller in Weimar“ sein Kulturdefizit zu mindern sucht. Es schwebte ihm vor, Schlagersänger zu werden, denn Sänger hätten es leicht im Leben und müssten sich nicht dauern abrackern. Er meinte alle Voraussetzungen zu haben, nahm schon Gesangunterricht. Er wolle Rumänien verlassen und zu seinem Vater nach Leitmeritz umsiedeln. Und dann kam es: Ob ich ihm dabei helfen könne? Sein Antrag auf Umsiedlung zu seinem Vater sei wiederholt abgewiesen worden. Ich solle ihm nun helfen, eine gut formulierte Bittschrift zu verfassen, die er persönlich in Bukarest übergeben wolle. Außerdem mangele es ihm an Geld, um die Reise zu finanzieren. Ich erklärte mich bereit, ihm zu helfen. Er kam noch einige Male zu mir, ich verfasste die Bittschrift und gab ihm auch das notwendige Geld für die Reise. Drei Wochen später berichtete er mir, die Bukarest-Reise sei erfolglos gewesen. Er sei an keiner maßgeblichen Stelle vorgelassen worden. Er sollte seinen Brief in die Post geben oder einen Audienzantrag stellen, hieß es. Da er starrköpfig blieb und laut wurde, nahm Wachpersonal ihn als Randalierer fest. Erst am nächsten Tag sei er freigesetzt worden mit der Auflage, sich dort nicht mehr blicken zu lassen. Diese Art, seine Probleme anzugehen, war ihm eigen. Nach und nach lernte ich ihn besser kennen. Bei allen seinen Vorhaben blieb er verbohrt und beharrlich. Er konnte nicht zurückstecken. Bei Widerspruch blieb er trotzig und uneinsichtig. Schüchternheit kannte er nicht. Seine Ehrfurcht vor Vorgesetzten oder Persönlichkeiten hatte deutlich Grenzen. Er wollte nicht abgewiesen oder wi-
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