Mit falschem Pass nach West-Berlin Von Alexander Oprendek Dr. Günther Hoffmann war ein alter Bekannter aus Temeswar, wir kannten uns noch aus der Studentenzeit und hatten losen Kontakt zueinander; er war Mediziner, ich Ingenieur. Ich war erstaunt, ihn nach meiner Flucht aus Rumänien 1969 in München zu treffen. Er arbeitete als Gerichtsmediziner in der Pettenkofer Klinik, und ich wohnte damals als Single ganz in der Nähe, in der Kapuzinerstraße. Wir trafen uns regelmäßig bei mir zu Gesprächen bei einem guten Glas Wein. Dabei berichtete er mir, wie er 1968 aus Rumänien entkommen ist: „Ich hatte“, erzählte Dr. Hoffmann, „einen Onkel in Ost-Berlin. Das Passamt in Temeswar hat mir eine Reise in die DDR genehmigt. Geplant war, über Mittelsmänner einen bundesdeutschen Reisepass zur Flucht mit der S-Bahn nach West-Berlin zu kaufen. Den Pass habe ich erhalten, jedoch mit einem Mangel. Das Bild im Ausweis war derart blas und unscharf, dass bei der Kontrolle Argwohn aufkommen musste, insbesondere bei den wachsamen DDR-Grenzern. Vielleicht war das aber nur das Hämmern des schlechten Gewissens, denn andererseits passte das Bild auf jeden Normalbürger. Doch ich habe nicht mehr lange überlegt und bin zur U-Bahn gegangen. Es war ein harter Wintertag, es war grauenhaft kalt, ein entsetzlicher Schneesturm trieb die Menschen vor sich her. Matt erreichte ich die SBahnhaltestelle. Ich hatte Schnupfen und Husten und wickelte mir meinen Schal über Hals, Mund und die gerötete Nase bis über die Ohren. Es wartete kaum jemand, um die Bahn Richtung Westen zu nehmen. Darum steuerte ein Volkspolizist sofort auf mich zu. Er forderte resolut meinen Ausweis. Der Beamte und seine geschärfte Wachsamkeit mussten jedoch auch unter dem Einfluss des Wetters gelitten haben, denn er sah mich, bevor er den Reisepass untersucht hatte, sehr belustigt, aber mitleidvoll an und sagte dann ganz unmilitärisch: ›Scheißwetter‹. Dann blätterte er in meinem Pass, hielt beim Bild inne, sah mich an und meinte: ›Kein Wunder, dass man bei diesem Wetter so aussieht. Sie sind genau getroffen; das ist ein Bild fürs Panoptikum. Nein, nein‹, berichtigte er sich, ›das ist kein Bild, das ist ein Grippeattest›. Ich war durch, stieg in die Bahn und war im Westen.“
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