Walter Keller:
Mit Schwester und Frau über die Grenze spaziert Dr. Walter Keller hat als junger Mann Glück. Er bekommt eine Stelle als Tierarzt in der Banater Gemeinde Fienenfeld. Seine Rinderfarm liegt unmittelbar an der serbischen Grenze. Dorthin führt jeden Morgen gegen 8 Uhr sein Weg. Meistens ist er mit dem Trecker unterwegs. Er kennt die Offiziere und Unteroffiziere der Grenztruppe, pflegt Umgang mit ihnen und gewinnt ihr Vertrauen. Über die Fluchtgründe sei nur soviel zu sagen: „Ich wäre blöd gewesen, wenn ich es nicht gemacht hätte“. Sein Vater habe schon immer das Land verlassen wollen; bei ihm und seinen anderen Verwandten sei das nicht anders gewesen. Walter Keller, geboren am 21. Mai 1949 in der Banater Gemeinde Großjetscha, erlebt 1951 die Verbannung eines Teils der Deutschen aus dem Banat in die Donautiefebene. Es ist nur ein Grund, der sein Vertrauen in dieses Land zerstört. Im Februar 1976 drohen die Ereignisse sich zu überstürzen. In der Gemeinde Gertjanosch, wo sich Walters Eltern nach der Entlassung aus der Verbannung 1956 niederlassen, verbreiten ihm Übelgesonnene das Gerücht, er wolle flüchten. Auf Umwegen erfährt er, dass er deswegen von der Farm neben der Grenze versetzt werden soll. Dr. Keller überlegt nicht lange und handelt. Am Morgen des 13. Februar 1976 fährt er wie gewohnt mit dem Trecker zur Arbeit auf die Farm. Nur eines ist an diesem Tag anders: Auf dem Anhänger sind seine Frau und seine Schwester unter Stroh versteckt. Walter Keller hält vor der Farm, die Frauen steigen vom Anhänger. Es ist 8 Uhr: Die drei gehen über die Grenze, ohne dass jemand etwas davon merkt. Diese Flucht kommt einem Spaziergang gleich. Erst im Laufe des Tages fragt sich jemand, warum der Trecker nicht zurück im Dorf ist. Jetzt fällt die Flucht auf. Mit dem Grenzübertritt bei Fienenfeld sind die drei Flüchtlinge aber noch nicht in der Freiheit. Sie dürfen von den Serben nicht ertappt werden, denn die würden sie den Rumänen ausliefern; noch gilt das Auslieferungsabkommen zwischen Jugoslawien und Rumänien. Um den Weg in die Freiheit sicherer zu machen, hat Dr. Keller einen Onkel an die serbische Grenze bestellt. Er erwartet die drei schon auf serbischer Seite und fährt sie mit dem Auto durch Jugoslawien bis nach Marburg an der Drau. Dort gelangen sie über einen Stauwehr im Grenzfluss Mur von Slowenien nach Österreich. Der Onkel nimmt sie mit zu sich nach Hause nach Niederösterreich. Weil Dr. Kellers Frau keine Einreisegenehmigung nach Deutschland besitzt, meldet er sie im Flüchtlingslager Traiskirchen an. Dr. Keller spielt kurz mit dem Gedanken, sich in Österreich nieder-
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