Otto Krachtus:
Nach Jahren der Demütigung in die Freiheit Otto Krachtus gehört zu den Flüchtlingen, die wegen der Arbeit, die sie zu verrichten hatten, mehr oder weniger problemlos an die Grenze gelangt sind. Sie mussten lediglich Geduld haben und den richtigen Zeitpunkt zur Flucht nutzen. Für den am 27. März 1933 in Albrechtsflor geborenen Otto Krachtus schlägt die Stunde der Freiheit am 1. Juni 1978. Schon seit dem vergangenen Winter weiß er wie viele seiner Landsleute, dass die Serben keine rumäniendeutschen Flüchtlinge mehr ausliefern. Jetzt will auch er es wagen. Er ist in der Abteilung Albrechtsflor der Marienfelder Staatsfarm als Treckerfahrer tätig. Er muss an diesem ersten Tag im Juni in einem Weingarten unmittelbar an der serbischen Grenze pflügen. Wer in einem drei Kilometer breiten Streifen zur Grenze arbeitet, muss sich ausweisen können, ferner hat er eine Bescheinigung der Staatsfarm vorzuweisen. Für Otto Krachtus kein Problem, denn er hat den schriftlichen Auftrag, in dem Weingarten an der Grenze zu arbeiten. Schon seit zwei Tagen pflügt Krachtus in dem Weingarten, doch noch hat sich nicht die richtige Gelegenheit zur Flucht ergeben. Krachtus hat Geduld. Er will nichts überstürzen und schon gar nicht in eine Kugel aus der Maschinenpistole eines Grenzsoldaten laufen. Am dritten Tag, dem 1. Juni, geht das Spiel weiter: Der Soldat auf dem Wachturm beobachtet ihn, und Krachtus, der auf einem hochgelegten Trecker über den Rebenreihen sitzt, lässt den Grenzer nicht aus den Augen. Dann sieht Krachtus, wie der Soldat vom Beobachtungsturm steigt und einem Reiter zustrebt, der etwa einen Kilometer von der Grenze entfernt unterwegs ist. Es ist ein Grenzer, der vom Stützpunkt Marienfeld nach Valkan reitet. Krachtus vermutet, der Soldat ist zu dem Reiter gegangen, um sich eine Zigarette zu schnorren. Als sich der Grenzer weit genug entfernt hat, steigt Krachtus vom Trecker. Es ist 10 Uhr, bis zu dem 15 Meter breiten Grenzstreifen sind es etwa 200 Meter. Krachtus lässt den Motor eingeschaltet, beginnt zu laufen und ist fast im Nu in Serbien. Weil er nichts bei sich hat außer seinem Ausweis und 300 Lei und außerdem Arbeitskleidung trägt, fällt er einer jugoslawischen Patrouille nicht auf, er grüßt serbisch und hat die nächste Hürde genommen. Sein Ziel ist das fünf Kilometer entfernte Mokrin. Etwa einen Kilometer vor dem Dorf kommt ihm ein Wagen entgegen. Als der Fahrer ihn sieht, wendet er, öffnet die Tür und bittet ihn, einzusteigen. Krachtus ist einem Grenzoffizier in die Arme gelaufen, der vermutlich von den rumänischen Grenzern benachrichtigt worden war. Um 22 Uhr verurteilt ihn ein Richter zu 14 Tagen Gefängnis. Über einen Dolmetscher teilt der Richter Krachtus mit, dass er danach weiter kann, falls sich
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