Neun in einem Pkw Von Michael Vastag Homers Epos „Odyssee“ aus dem späten 8. Jahrhundert v. Chr. gehört zu den bekannten Werken der abendländischen Literatur. Bekanntlich schildert es die Abenteuer, die König Odysseus und seine Gefährten auf ihrer Heimfahrt aus dem Trojanischen Krieg nach Ithaka erlebt hatten. Folgende Geschichte kann zweifelsohne auch als eine „Odyssee“, eine Irrfahrt, bezeichnet werden, die zwar keine zehn Jahre gedauert, dafür aber einen wahren Hintergrund hat. Im Mittelpunkt stehen ein junger selbstbewusster Banater Schwabe aus Hatzfeld und seine acht Wegbegleiter, die für ihre Flucht in die Freiheit anstelle des Schiffes einen knallroten Pkw der Marke „Dacia 1300“ benutzt haben. Wir werden ihn fortan einfach „Fluchti“ nennen. Im sozialistischen Rumänien galt der „Dacia 1300“ als Traumwagen, zumal er recht teuer war und der Kunde bis zu seiner Auslieferung, ähnlich wie im Bruderland DDR, lange Wartezeiten in Kauf nehmen musste. Lediglich unser „Fluchti“ war eine Ausnahme. Er stand von Anfang an unter einem besonderen Stern. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein „Traumwagen“; sein Eigentümer hat ihn beim Lotteriespiel der Rumänischen Sparkasse ohne lange Wartezeit gewonnen. Der Vater und dessen Sohn besuchten die Fahrschule und kamen auch auf Anhieb in den Besitz des Führerscheins. Alles lief wie geschmiert. „Warum sollte uns das Glück nicht weiter die Treue halten“, dachte sich eines Tages der Sohn, und klügelte einen verrückten Fluchtplan aus. Es war die Zeit, als in den Banater Ortschaften nahe der jugoslawischen Grenze fast täglich neue Fluchtversuche über die grüne Grenze bekannt wurden. Einmal war es ein Mähdrescher, aus dessen Bunker mehrere Personen über das Niemandsland sprinteten, ein anderes Mal Freiheitsliebende, die auf dem fahrenden Schnellzug in Richtung Jugoslawien sprangen. Es gab aber auch solche, die sich tagelang in den grenznahen Mais- und Rübenfeldern versteckt hielten, bis sie den richtigen Augenblick für den gefährlichen Sprint in die Freiheit wagten. Und genau diese Zeit machte sich der Sohn des Besitzers von „Fluchti“ zu nutze, um seinen ausgefallenen Plan zu verwirklichen. Gemeinsam mit Freunden bereitete er den Pkw für die Abenteuerfahrt in die große Freiheit vor. Ort und Zeitpunkt des Fluchtversuches waren genau ausgeklügelt. Am 15. Mai 1979, um 17 Uhr, war es soweit. Sie starteten mit Vollgas in einem Weizenfeld bei Marienfeld mit sechs Erwachsenen und drei Kindern in Richtung Grenzzaun. Es war die Zeit des Patrouillenwechsels an der Grenze. Die für einige Augenblicke abgelenkten Soldaten bemerkten den Wagen erst wenige Meter vor dem Grenzzaun. Die Grenzer versuchten zwar das
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