Die Gräber schweigen - von Johann Steiner

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Walter König:

Hinrichtung an der Grenze Was am Morgen des 27. Mai 1979 an der rumänisch-serbischen Grenze bei Hatzfeld geschehen ist, kann nur als Hinrichtung ohne Prozess bezeichnet werden. Zwei Grenzsoldaten prügeln mit Gewehrkolben auf einen Verwundeten ein. Ob er schon vor dem Graben, der Rumänien noch von Serbien trennt, gestorben ist, wissen wahrscheinlich nur die beiden Grenzsoldaten. Augenzeugen, die den Toten in der Leichenhalle des örtlichen Krankenhauses gesehen haben, berichten, sein Kopf sei zertrümmert gewesen. Der Mann sei zunächst lediglich durch einen Wadenschuss am Weiterlaufen gehindert worden. Zur Rechenschaft sind die beiden Soldaten bestimmt nicht gezogen worden. Wahrscheinlich ist, dass die Vorgesetzten ihnen Sonderurlaub gewährt haben. Die Namen der Soldaten kennt keiner, der Ermordete heißt Peter Döme. Er hat Frau und ein kleines Kind hinterlassen. Und das ist den Schüssen und der Hinrichtung vorausgegangen: An jenem Sonntagmorgen macht sich Walter König aus Hatzfeld auf den Weg zu seinem Schwager. Andreas Hubert hat die Nacht durchgefeiert und ist erst gegen 4 Uhr nach Hause gekommen. Walter König weckt ihn und sagt ihm lediglich, zieh dich an, wir fahren. Es ist 7.10 Uhr. Schon wenigstens 15-mal hat sich Walter König in den vorausgegangenen anderthalb Jahren auf den Weg gemacht, ist aber immer wieder zurückgekehrt. Seine Frau ist schon seit langem in Deutschland, er will ihr folgen. An diesem Tag muss alles klappen, sagt er sich. Zu dritt wollen sie eine Lücke in den Hindernissen vor der Grenze nutzen, die kaum einer kennt, außer dem Ungarn Döme. Walter König und Dōme arbeiten in der Hatzfelder Ziegelei „Ceramica“ und schmieden seit langem Fluchtpläne. Schon vor der Grenze reihen sich Gräben, Zäune, Schlagbäume und Eisenpfosten aneinander und bilden eine schier unüberwindbare Barriere. Dann erst kommt die streng bewachte Grenze mit dem tiefen Graben. Döme kennt die einzige Lücke in diesem Grenzwall, denn er wohnt in der Nähe des Grenzerstützpunktes und hat beobachtet, dass der Kommandant der Militäreinheit mit seinem Wagen zwischen zwei eng gesetzten Eisenpfeilern neben dem Sportplatz durchfährt, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Der Pkw passt knapp zwischen den Pfosten durch. Auf der anderen Seite ist der Sportplatz nicht gesichert. Wer mit dem Auto zwischen den beiden Pfosten durchkommt, kann mit Vollgas bis zur Grenze fahren. Diese Lücke nutzen die drei an jenem Sonntagmorgen. Ihr Wagen ist umlackiert, er ist jetzt genau so rot wie jener des Kommandanten. Das Rot soll den Grenzsoldaten signalisieren: Hier fährt euer Vorgesetzter vor. Walter König und

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