Hast schon gehört? Von Hans Stefan Hast schon gehört? Das war das Schlagwort in den 70er und 80er Jahren, als viele Deutsche in Rumänien im Fluchtfieber waren. Hast schon gehört? Dieser und jener ist abgehauen. Jeder wollte sich nach einem Fluchtweg umschauen. Wir hatten satt den Kommunismus und das Ceauşescu-Regime, es gab für uns in jener Zeit nur ein Thema: Wie kann ich fliehn? Man hat sich umgehorcht, überall und an jeder Stelle, bis wir endlich fanden die eine oder andere Fluchtquelle. Es gab zwei klassische Möglichkeiten, übers Festland oder über die Donau. Einige versuchten es in der Gruppe, andere alleine oder sogar mit ihrer Frau. Der eine plante seine Flucht akribisch über Jahre hinaus, manch anderer hatte spontan die Chance, und schwups war er draus. Bei mir war es so, ich hatte schon in der Zeit vor meiner Flucht die deutschen Botschaften in Prag und Budapest besucht und wollte mit Hilfe der Botschaften meine Chance ergreifen, aber meine Gespräche konnten zu keinem Ergebnis dort reifen. Enttäuscht und deprimiert kam ich immer wieder zurück und wollte es versuchen offiziell im Hof bei Herrn Vrăbeţ (Leiter des Passamtes, der Herausgeber) mein Glück, aber die langen Menschenschlangen, die Formulare, es gab große und kleine, schreckten mich ab, es fehlte mir die Geduld und so gab's für mich nur das eine. Das eine, also die Flucht, war für mich am damaligen Tag der deutschen Einheit, es war der 17. Juni im Jahr 79, und der brachte mir meine Freiheit. Nachkirchweih war bei uns in Jahrmarkt, Sonntag früh am Morgen nahm ich Abschied von meinen schlafenden Kindern und der Frau, die machte sich Sorgen. Wir waren zu viert, einer aus Orzydorf, zwei Temeswarer und ich, die Spannung stieg von Stunde zu Stunde, erstaunlich, meine Angst aber wich. Wir trafen uns alle an einem konspirativen Ort mit unseren Fluchthelfern in Temeswar und warteten den vorhergesagten Regen ab, es stieg bei uns allen der Druck. Endlich war es soweit, um 22 Uhr ging es mit zwei Fluchthelfern in einem Kastenwagen Richtung Morawitz zur Grenze, vor Aufregung konnten wir kaum sitzen oder was sagen, wir hatten uns für die Flucht über das Festland entschieden, wurden aber so nass in der Nacht, als ob wir durch die Donau getrieben. Ein Fluchthelfer hat uns unterwegs immer wieder die Orientierung zu deuten versucht, links, das sind die Lichter von Morawitz und rechts die von Naidaş, er hat plötzlich geflucht. Jetzt ist der Moment, springt raus, sagte der eine, und der andere öffnete die Tür, wir taten das auch der Reihe nach und blieben dabei alle heil im Dunkeln, wir vier. Von nun an waren wir auf uns und unsere Intuition alleine gestellt in der Dunkelheit, im Regen haben wir uns robbend Richtung Grenze gequält. Die besagten Lichter haben wir immer bis zum ersten Wäldchen akribisch im Auge behalten, danach fragten wir uns, was links und was rechts ist, und mussten die Orientierung neu gestalten.
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