Franz Biringer:
Die Freiheit zum Preis eines Autos Es war Dienstag, der 18. März 1986, nach 21 Uhr, als fünf Männer im Dunkel der Nacht nahe dem Dorf Grădinari bei Orawitz lautlos durch einen ausgetrockneten Bewässerungskanal Richtung Westen zur jugoslawischen Grenze schlichen. Franz Biringer aus Semlak führte die Gruppe an; er erinnert sich auch heute noch an viele Einzelheiten der Flucht, über die er hier berichtet. „In meiner Jugend ging es mir so wie vielen anderen meiner Freunde in Semlak: Ich träumte vom Westen. Doch diese Träume platzten wie Seifenblasen. Etwa 1985 war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte: Ich hatte zwar einen guten Job als Maler in Arad, aber ich wusste eigentlich nicht, wofür ich das ganze Jahr arbeitete. Das Leben in Rumänien bot mir einfach keine Perspektiven; mit dem verdienten Geld konnte man sich nichts Sinnvolles kaufen. Ich sah keine Möglichkeit, in absehbarer Zeit mit meiner Familie legal auszureisen. Also musste ich etwas riskieren.Ich hatte zu mehreren Gruppen Kontakt, die flüchten wollten, mir fehlte aber einerseits der Mut, andererseits war ich mir unsicher, ob ich Unbekannten trauen sollte. Später stellte sich heraus, dass ich zu vorsichtig war, denn all diesen Gruppen ist die Flucht gelungen. Ich wäre von ihnen akzeptiert worden, da ich in Deutschland Verwandte hatte und so nach Überwindung der rumänischen Grenze sofort Hilfe hätte organisieren können. Nach reichlichen Überlegungen beschloss ich, eine eigene Fluchtgruppe zusammenzustellen. Ermutigt hat mich dabei mein Arbeitskollege Johann, dessen Schwiegersohn im Dezember 1985 geflüchtet war. Aber Johann weigerte sich lange, Einzelheiten über diese Flucht auszuplaudern. Erst Fredi Brandt, mein 17-jähriger Lehrling, hatte mehr Erfolg. Er „bearbeitete“ Johann so lange, bis dieser auspackte. Ab diesem Zeitpunkt konnte mich nichts mehr halten - es galt aber, noch einige wesentliche Probleme zu lösen. Ich musste zumindest noch vier Personen für die Flucht finden - und jeder sollte 75 000 Lei dafür bezahlen. Das war ungefähr soviel, wie damals ein Auto kostete. Es war nicht leicht, die entsprechenden Leute zu finden, und ich musste bei der Suche sehr vorsichtig sein, um von niemandem verraten zu werden. Als erste waren dabei Fredi Brandt und Helmut Bartolf, 19 Jahre alt und ebenfalls Maler von Beruf. Beide hatten anfangs dasselbe Problem. Sie wohnten beide noch zu Hause, hatten nicht genug Geld und trauten sich auch nicht, ihre Familien um Hilfe zu bitten. Für dieses waghalsige Unternehmen konnten sie selbst im engsten Familienkreis kein Verständnis erwarten. Hilfe kam schließlich für die beiden aus dem Ausland - und zwar von Georg Brandt, Fredis Onkel, der
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