Elfriede Kurusz:
Beichte in der Szent-István-Basilika Von ihrer Flucht weiß lediglich die Schwester. Denn auch sie will weg. Als am 25. August 1987 für Elfriede Kurusz endgültig feststeht, dass sie flüchten wird, überlegt es sich die bis dahin gleichgesinnte Schwester doch anders. Eine Flucht erscheint der auf Insulin angewiesenen Diabetikerin zu riskant. Sie hat Angst, wenn sie ins Gefängnis kommen sollte, ohne das lebenserhaltende Medikament dazustehen, erzählt Elfriede Kurusz. Fluchtgedanken beschäftigen Elfriede schon seit langem. Sie hat drei Kinder, die Lage in Ceauşescus Rumänien wird immer schlechter. Das Entgelt ist kläglich, das sie als Mitglied der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) erhält. Von ihrem Mann hat sie sich schon einmal getrennt, ist aus der Stadt Arad weggezogen nach Altbeba zu ihren Eltern. Inzwischen hat sie sich wieder mit dem Mann versöhnt. Auch er will Rumänien verlassen, doch er ist unentschlossen, mal will er die Flucht wagen, das nächste Mal wieder nicht. Er hat Angst, erwischt zu werden. Elfriede Kurusz will aber nicht länger warten; sie will keinen weiteren Ausreiseantrag stellen, um vielleicht in einem Jahr erneut eine Absage zu bekommen. Sie weiß ganz genau, dass eine Flucht über die rumänische Grenze gefährlich ist. Die Soldaten schießen, wenn der Flüchtende nicht stehen bleibt. Erst vor wenigen Monaten, am 29. Mai um 19.30 Uhr, ist bei Altbeba der Student Gheorghe Leonte beim Fluchtversuch erschossen worden, obwohl er schon in Ungarn war. Der junge Mann hatte sich als Erntehelfer in der LPG einstellen lassen, um seinen Fluchtplan leichter verwirklichen zu können. Dieser Fall beschäftigt auch die Medien im Westen. Der berittene Grenzsoldat muss auf Befehl die Verfolgung über die Grenze aufnehmen. Weil sich der geflüchtete Student mit einer Heugabel wehrt, eröffnet der Soldat das Feuer. „Der arme Soldat war fix und fertig. Die eigentlich Schuldigen waren ein paar supergescheite Parteimitglieder, die ihn genötigt haben, dem Flüchtling nachzureiten und ihn zurückzubringen“, erinnert sich Elfriede Kurusz. Die Ungarn sind herbeigeeilt und waren fuchsteufelswild, aber geholfen hat das niemandem. Der Soldat wurde verurteilt, nicht weil er geschossen, sondern weil er fremdes Territorium betreten hat. Das ist einem Referat zu entnehmen, das die Temeswarer Journalistin Doina Magheţi auf einem Symposion zum Thema „Die Einsetzung des Kommunismus - zwischen Widerstand und Repression“ im Juni 1995 in Marmarosch-Siget gehalten hat. Doch zurück zum 25. August 1987. Es ist Mittag. Die Augustsonne brennt unerbittlich auf die Banater Ebene, als sich die am 13. Mai 1960 geborene junge Frau mit dem Fahrrad in Richtung ungarische Grenze aufmacht. Elfriede Ku-
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