R.G. aus Großscham:
Den Grenzern bei Nacht entwischt Im September 1946 begannen wir mit den Vorbereitungen zur Flucht. Es gestaltete sich alles sehr, sehr schwierig. Am 4. Oktober besuchten uns meine Eltern aus Großscham. Sie brachten eine Großtante mit, die mit uns zu ihren Kindern nach Deutschland wollte. Es war ein bewusstes Abschiednehmen für immer. Und darum war es schwer, wie nur etwas schwer sein kann. Noch schwerer aber war der Abschied am 10. Oktober 1946. Wir waren nämlich nach langen, kühlen Überlegungen zur Einsicht gekommen, nur unseren Buben mit uns zu nehmen und unser Töchterchen bei den Großeltern in Temeswar zu lassen. Irgendwie sollte sie später nachgebracht werden. Ein Rumäne, der uns schwarz über die Grenze bringen sollte und dafür teuer bezahlt worden war, versagte, und wir fielen der Gendarmerie und dem Grenzschutz in die Hände. Von 20 Uhr abends bis nach 2 Uhr früh des nächsten Tages wurden wir verhört und ausgefragt. Alle Bestechungsversuche unsererseits schlugen fehl. Das sonst so empfängliche rumänische Herz blieb hart. Die Angst vor eventuellen Folgen war eben größer als der vielleicht vorhandene gute Wille. Wir blieben in Haft. Der Gendarmerieunteroffizier und ein Feldwebel des Grenzschutzes nahmen uns in ihre persönliche Obhut und Überwachung. Gegen 3 Uhr legten wir uns schlafen. Wir sollten mit Tagesanbruch nach Arad gebracht werden. Die beiden Unteroffiziere spielten Karten und tranken mit dem Gemeindenotar im Zimmer nebenan. Endlich gingen auch sie schlafen. Zu allem entschlossen, weckte ich meine Frau, die Großtante und unseren Buben. Das Unwahrscheinliche gelang. Wir kamen unbemerkt aus dem Hause, bogen in eine Seitenstraße ein und schlichen mit dem Kinde und unserem schweren Gepäck an den Bäumen entlang. Schließlich betraten wir ein ungarisches Haus und erklärten dem verschlafenen Bauern sofort unsere Lage. Er begriff rasch und versteckte uns in einer halbverfallenen Spreuhütte. Darin verbrachten wir den ganzen Tag. Im Dorf wurden wir bis Mittag wie eine Stecknadel gesucht. Die schwerste Nacht sollte uns aber noch bevorstehen. Der ungarische Bauer wusste, dass wir auf ihn angewiesen waren. Er trat mit Grenzsoldaten in Verbindung, mit denen er gut bekannt zu sein schien. Um Mitternacht erschienen zwei Soldaten. Sie verlangten Riesensummen, um uns schwarz über die Grenze zu bringen. Sie sagten ganz offen, dass sie uns, wenn wir nicht zu zahlen bereit wären, ja ohne weiteres auch zum Grenzhaus und zum Feldwebel bringen könnten. Hartnäckig verhandelten wir beim Licht einer Stall-Laterne zwei Stunden lang. Endlich waren wir uns handelseinig. Unser ganzes rumänisches Geld, fast alle Forint, einen Anzug, einen Mantel, 2 neue Hemden von mir, 3 Paar Schuhe und Kleider und Wäsche sowie Seidenstrümpfe von meiner Frau mussten wir abtre-
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